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- Ein falscher Fuffziger -

Nehmen wir mal Fischöder, ein älterer Kollege mit aufgedunsenem Gesicht, hängendem Doppelkinn und eisgrauem Haarkranz, dazu die verkniffene Miene eines maulfaulen Beamten, kurzum, ein Kerl, mit dem man nicht unbedingt in einem Fahrtsuhl eingesperrt sein möchte. Als Mensch empfand sie ihn nicht sonderlich interessant (als Mann schon gar nicht), hielt ihn anfangs sogar für degeneriert und zeigte sich geneigt, gelegentlich Spott mit ihm zu treiben. Doch als sie mal einen albernen, kaum nennenswerten Vergleich zu seiner Leibesfülle anstellte (wie kam sie nur auf gemästeter Truthahn?) und das wirklich nur im Scherz, nahm er das allzu wörtlich. Dabei stellte sich heraus, dass er gar nicht so unbedarft war und zu allem noch recht bissig werden konnte. Zwar bemühte sie sich sofort um Schadensbegrenzung, nannte das Ganze ’einen dummen Schabernack‘ und war sogar geneigt, es zu bedauern, doch ohne Erfolg. Es folgte eine dumme, völlig unnötige Beschwerde. Kurioserweise solidarisierte sich die gesamte Belegschaft mit ihm und das nur, weil man keinen Spaß verstand. Kein Wunder, dass schon sich bald eine latente Spannung aufbaute, welche ihr auf Schritt und Tritt entgegenschlug. Dabei hatte sie wiederholt für eine Klärung vor der Behördenleitung plädiert, bot sogar eine Stellungnahme im Kurier an, zu dessen Chefredakteur sie beste Kontakte pflegte. Dieser hatte auf ihr Betreiben hin schon so manches ans Licht befördert, was den Betreffenden hinterher nicht schmeckte. Doch dieses Mal blieb ihr Bemühen vergebens.

Zugegeben war es im Vorfeld zu kleineren Verstimmungen gekommen, weil sie sich, entgegen der Absprache, in ihrer Ratlosigkeit sogleich an die Frauenvertretung gewandt hatte. Diese kontaktierte wiederum den Pressemenschen, der seinerseits sofort einen saftigen Artikel in die Zeitung setzte. Bloß wie ihm anders beikommen, wenn nicht durch öffentlichen Druck und dem Aufzeigen eines für jedermann nachvollziehbaren Lösungsweges? Sperrte sich dieser Kerl doch fortan gegen jedes vernünftige Gespräch, ja hörte nicht einmal zu. Und als sie ihn einmal am Arm fasste, um seine Aufmerksamkeit zu erzwingen, endete das in einem Eklat.

Von wegen penetrant. Das war ja wohl das Letzte! Selbst Tage danach konnte sie nicht schlafen und geriet mit jedem sofort in Streit, der sie nur schief ansah. Die Folgen waren verheerend. Nicht nur, dass man sie zu meiden begann; man ignorierte sie, so dass sie in ihrer Verzweiflung bald von sich aus das Gespräch mit Leuten suchte, die sie früher kaum beachtet hätte. Aber selbst die verweigerten ihr jedes Mitgefühl, so dass sie eines Tages glatt die Nerven verlor und einen dieser Schweiger förmlich anflehte, damit aufzuhören. Der aber sah sie nur verständnislos an, als wüsste er überhaupt nicht, wovon sie rede. Folglich bereute sie diesen Schritt und nahm sich vor, künftig mehr Härte zu zeigen.

Dabei hatte sie bestimmt alles versucht, indem sie erst vor kurzem um Verständnis für ihre Lage warb und ihre Ansichten vom Recht auf eigene Lebensgestaltung in Form eines öffentlichen Skripts jedermann zugänglich machte. Das sorgte für großes Aufsehen und allerlei Ärger, und doch war dieser Schritt nötig. Schließlich geschah das nicht aus einer Laune heraus, sondern aus Notwendigkeit. Außerdem - wie konnte etwas falsch sein, nur weil man es nicht hören wollte? Allenfalls unnötig, wird man einwenden, denn was gingen andere ihre Probleme an? Die Intensität der nachfolgenden Kontroversen bewies jedoch das Gegenteil. Das sich damit die Schar ihrer Gegner nicht unbedingt verringerte, stand zu befürchten - sie jedoch deswegen gleich als Nestbeschmutzerin hinzustellen, ging nun doch zu weit. Hatte man denn eine Vorstellung, welche Überwindung ein solcher Schritt kostete? Aber wie ein allgemeines Verständnis erreichen, ohne schonungslose Offensive? Doch statt Anteilnahme und Verständnis, folgten neuerliche Verunglimpfungen, bis hin zu dümmlichen Spötteleien, was einmal mehr den allgemeinen Unverstand und somit weiteren Handlungsbedarf bewies.

Was war geschehen? Aber gerade hier lag das Problem. Nichts, obwohl längst etwas hätte geschehen müssen, und ausgerechnet den Hinweis darauf machte man ihr zum Vorwurf. Damit nicht genug, man drehte den Spieß noch um; sie wäre zu weit gegangen und habe die Kollegen mit Dingen belastete, die keinerlei dienstliche Relevanz besäßen. ’Ihr ganzes Problem’, wie man es abfällig nannte, wäre aus moralischer Sicht mit der Integrität eines gehobenen Beamten unvereinbar und ihr ’Pamphlet’ - diese 90 Seiten! – eher ein Fall für den Psychiater. Mit diesen Worten knallte man es ihr vor die Nase, ohne zu bedenken, welche tiefe Erschütterung das in ihr auslöste.

Natürlich war das inakzeptabel, wie alles, was man ihr in diesem Zusammenhang vorwarf. Denn welche Integrität, welche Moral? – etwa die der Verlogenheit und Heuchelei? Allein die Vorhalte blieben Ausdruck maßloser Doppelzüngigkeit, wenn man bedenkt, welche Ränkespiele dort ‚oben‘ stattfanden. Oh nein, dafür wusste sie zu viel, als darüber länger zu schweigen; und ihren wissenschaftlichen Bericht über ihre persönlichen Erfahrungen im Kampf um die Gleichberichtigung von Minderheiten als Pamphlet zu bezeichnen, würde noch ein Nachspiel haben.

Nachdem sie aber in der nachfolgenden Revision ihre Argumente ganz unverhohlen darzulegen begann und das, wie sie fand, nicht mal schlecht, folgte eisiges Schweigen. Das war natürlich unfair, weil es so zu keiner Klärung kam und das Problem weiterhin im Raume stand. Was blieb ihr, als die nächsthöhere Instanz.

Herr G., ihr übergeordneter Bereichsleiter und Träger des Bundesverdienstkreuzes zweiter Klasse, war ein guter Freund des Herrn F., ihres neuen Chefs, welchen sie wiederum an einem der letzten Ballabende etwas näher kennen lernte. Ihm legte sie ihre ganze hoffnungslose Lage dar, worauf er sich tief erschüttert zeigte, ihr in allen Punkten zustimmte und sie eine ’unerschrockene Person’ nannte. Selbst dessen Frau, eine sympathische Mittfünfzigerin (wenn auch nicht unbedingt ihrTyp), die dem Ganzen nur kopfschüttelnd beiwohnte, konstatierte danach betroffen: „Ja, ist denn das die Möglichkeit? Dagegen musst du etwas unternehmen, Herbert.“

Das pulverte sie nur noch weiter auf. Bereits am nächsten Tag wurde sie bei ‘Herbert‘ vorstellig. Er brachte ihr auch vollstes Verständnis entgegen und zeigte sich empört und besorgt zugleich, letzteres vor allem über ihren Zustand, welchen zu verbergen ihr nicht länger möglich war. Wiederholt forderte er sie auf, sich zu beruhigen, nannte sich untröstlich und versprach eine rasche Lösung, vor allem, nachdem sie während ihrer emotionalen Schilderung einer Ohnmacht nahe war.

Doch anstatt der erhofften Klarstellung, kam es nur noch ärger. Immer weitere Kollegen solidarisierten sich mit Fischöder, was darin gipfelte, dass man dreiste Lügengeschichten in Umlauf setzte. F. war gezwungen, den Dingen nachzugehen und überall unangenehme Fragen zu stellen. Diese fanden natürlich ebenso unangenehme Antworten, jedoch nur, weil man unter einer Decke steckte - ein Umstand, worauf sie übrigens im Vorfeld längst hingewiesen hatte.

Aber selbst wenn die erhobenen Behauptungen haltlos und dümmlichen Vorurteilen geschuldet blieben, stand am Ende ihre Versetzung in einen anderen Bereich - aus ’rein taktischen Gründen’, wie ihr Herbert versicherte. Das dürfe sie aber um Himmels Willen nicht missverstehen, vielmehr erfordere mancher Schritt voran zunächst einen zurück.

Blah blah blah! Das stank zu Himmel, denn als es öffentlich wurde und er endlich Farbe bekennen musste, verlor er sich in vielen schönen Reden, die anzuhören zwar ganz tröstlich waren, doch den Kern der Sache niemals trafen. Mit keinem Wort erwähnte er die begangenen Frechheiten, mit keiner Silbe das wirkliche Problem. Und als dann noch von ‚schwierig‘ und ‚zerfahren‘ und einer ‘gütlichen Einigung‘ die Rede war, wurde klar, wohin das alles driftete. Fischöder grinste, und der nachfolgende Applaus gab ihr den Rest. Ihr letzter Glaube an Gerechtigkeit war dahin.

Aber auch wenn sie ihre Enttäuschung darüber zu verbergen wusste und sogar noch zynisch lächelte, schwelte ein solcher Schmerz in ihrem Herzen, dass sie am liebsten laut geschrien hätte. Letztlich blieb ihr nichts, als das Handtuch zu werfen und Fischöder im Hinausgehen noch ein schnödes „falscher Fuffziger!“ zuzuwerfen.

Doch kaum zu Hause, warf sie sich aufs Bett, presste das Gesicht ins Kissen und wünschte, auf der Stelle zu ersticken. Warum hatte sich alles gegen sie verschworen? Wieso diese himmelschreiende Ungerechtigkeit, obgleich sie sich aufrichtig um Verbesserung bemühte? Fehlte ihr wirklich jeder gesunde Instinkt, oder war sie einfach nur zu naiv?

Androgyn

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