Читать книгу Androgyn - null winterschlaefer - Страница 6

Оглавление

- Der tägliche Kampf -

Es begann mit dem Namen – Franka anstelle von Frank. Entgegen aller bürokratischen Hürden setzte sie eine amtliche Umschreibung durch und konnte sich jetzt auch offiziell zu ihren Geschlecht bekennen. Ebenso hatte sie sich hinsichtlich ihres Äußeren entschieden. Mit großer Sorgfalt widmete sie sich ihrem Körper, begann unerwünschte Härchen zu epilieren und führten sich verstärkt Östrogene zu. In der Tat wurde ihre Stimme bald weicher, die Formen runder, und ihr Erscheinen in Kostüm und Stöckelschuhen, begleitet von einer Wolke Eau de Cologne, schnell zum allgemeinen Ereignis.

Anfangs führte das zu großen Irritationen, nicht nur im Kollegenkreis. Auch das im Amt erscheinende Publikum zeigte sich verwirrt bis befremdet über die große Dame mit dem herben Touch, die sich schon mal im Ton vergreifen konnte, wenn man ihren Service ablehnte. Dann verlangte sie umgehend eine Erklärung, kam schnell ins Diskutieren und ließ nicht locker, bevor das Problem geklärt war. Besonders bei notorischen Schweigern und vor allem bornierten Spießern geriet sie schnell in Rage und konnte nur durch herbeieilende Kollegen gestoppt werden. Aber selbst das nachfolgende Vieraugengespräch mit dem Chef führte niemals zur abschließenden Klärung. Anstatt des erhofften Verständnisses, stieß sie hier erst recht auf Misstrauen, teilweise gar Feindseligkeit, wobei man sie ohne weitere Prüfung stets zur Ordnung rief, die Sache selbst jedoch verharmloste. Außerdem - und das empfand sie als besonders infam - spielte man jedes Mal in einem seltsamen Unterton auf den Vertrag des Vertrauens an, der ihr zwar eine Beschäftigung in dieser Abteilung garantiere, jedoch keine Narrenfreiheit. Konnte oder wollte man nicht verstehen? Von wegen, ’sich zu wichtig nehmen’. Sollte sie den Kopf in den Sand stecken und zu solchen Dingen schweigen?

Mit solchen Leuten konnte man einfach nicht diskutieren. Das eins plus eins zwei macht, schien für sie irrelevant. Die Frage war doch nicht ‚ihr Problem’, wie man es abfällig nannte, sondern vielmehr die allgemeine Einstellung dazu. Weshalb also die Forderung nach Offenheit, wenn sie im Ernstfall Makulatur blieb? Freilich war ihr längst bekannt, dass man sie aufgrund ihrer Lebensführung für etwas verschroben hielt, auch konnte sie mit scheelen Seitenblicken leben; sie aber gleich in eine andere Abteilung zu schieben, obwohl der letzte Wechsel noch nicht lange zurücklag, war pure Heuchelei. Da half auch das Gefasel von besseren Aufstiegschancen nichts, womit sie G. am nächsten Tag zu beschwichtigen versuchte. Sie lehnte schon aus Prinzip ab. Natürlich verstand das G.. Jedenfalls zeigte er sich beeindruckt, wenn auch nicht sehr glücklich. Also blieb sie.

Doch es war ein schwerer Sieg. Ihre Gegner begannen sich zu polarisierten, in jene, die nur auf kleinste Nachlässigkeiten warteten, um sie sofort zu attackieren und diejenigen, welche sich mit den Gegebenheiten arrangierten, ohne ihr jedoch wirklich gewogen zu sein. Letzte waren ihr fast noch suspekter, da undurchsichtiger. Sie gewöhnte sich deshalb an, solche Leute durch kleine Gefälligkeiten bei Laune zu halten, freilich mit der Option einer sofortigen Umkehr bei plötzlichen Positionswechseln.

Auf diese Weise gelang es ihr, ihre Gegnerschaft zu spalten und zumindest so etwas wie Uneinigkeit zu stiften, was sich letztlich zu ihren Gunsten auswirkte. Selbst wenn die Attacken nicht nachließen und sie weiterhin im Kreuzfeuer der Kritik blieb, trug das dennoch zur Steigerung ihrer Popularität bei. Deshalb war es schon bald ein Muss, sie, wenn schon nicht persönlich, so doch zumindest namentlich zu kennen. Folglich avancierte sie immer mehr zu einem unverzichtbaren Gast in Foren und Talkrunden, wo ihre emotionalen Ausfälle gleichermaßen beliebt wie gefürchtet waren. Vom Standpunkt einer Geächteten vermochte sie wie kein anderer die bestehenden Probleme bis ins Extrem zu dramatisieren. Dabei scheute sie nicht einmal davor zurück, bis zum Äußersten zu gehen und mit den nötigen Konsequenzen zu drohen. Da wurden die Verantwortlichen schon mal in die Pflicht genommen. Ihre Argumente waren so ausgeklügelt und verschlagen, ihr Auftreten so resolut, dass sie einfach nicht zu stellen war, gleichviel von welcher Seite man es auch versuchte.

Der nachfolgende Sieg beförderte ihren Enthusiasmus und ihre Selbstsicherheit nur noch mehr. Schon bald wurde sie von vielen als Frau bzw. Fräulein angesprochen und niemand wagte noch über ihre Wimperntusche bzw. das Wangenrouge zu lästern. Auch wurden die Umgangsformen ihr gegenüber angenehmer, und es kam schon mal vor, dass ihr jemand die Tür öffnete oder sich nach einem herabgefallenen Kugelschreiber bückte.

Anfangs amüsierte sie das, weil es so ungewohnt war. Doch die Gewöhnung daran fiel leichter als erwartet und reflektierte bald ihre allgemeine gesellschaftliche Aufwertung. Wie hätte sie jetzt noch an ihrem Weg zweifeln sollen? Wäre sie halbherzig geblieben, wie die meisten ihrer Leidensgenossen, die sie während ihrer mittlerweile regelmäßigen Treffen in der I. T. (Interessensgemeinschaft Transsexueller) kennen lernte und deren Vorsitz sie inne hatte, sie hätte niemals den Mut zu solcher Konsequenz besessen. Aber genau das war nötig, zumal ihr der schwierigste Teil noch bevorstand. Nicht ohne Furcht begann sie mit dem Studium aller möglichen Literatur, im Verlaufe dessen sie zur Überzeugung kam, dass der abschließende Schritt zur vollständigen Frau nicht nur möglich, sondern längst überfällig war. Nur dann könnte sie zur Erfüllung ihrer Sehnsüchte finden und ihre Weiblichkeit in Gänze ausleben.

Ihre Informationen dazu bezog sie aus erster Hand, erwog Haupt- und Nebenwirkungen, Belastungen für Körper und Geist, informierte sich über alle möglichen Therapien und war schon bald so firm, dass sie selber entsprechende Beiträge verfassen. Aber selbst wenn eine letzte Angst noch blieb, ergab sich doch keine Alternative. Zu tief steckte sie bereits in ihrer Weiblichkeit, als noch einmal umzukehren.

Allmählich begann sich auch ihr Verhältnis zur Männerwelt zu verändern, wobei sie überrascht feststellte, dass sie selbst bei flüchtigen Kontakten, neuerdings anders reagierte. Wirkte sie früher noch verlegen und gehemmt und witterte hinter jeder Bemerkung sofort einen persönlichen Angriff, wurde sie zunehmend toleranter und konnte auch schon mal über zweideutige Bemerkungen lachen. Dabei war es ganz amüsant, die verdutzten Gesichter zu sehen, sobald sie das Geheimnis um ihre wahre Natur lüftete, natürlich erst nach einem längeren Vorgespräch und dann eher beiläufig. „Nicht möglich?“, war daraufhin zu hören, gefolgt von endlosem Staunen. Dann war es ihr jedes Mal ein Vergnügen, unter fremder Anteilnahme ihre Probleme großmütig zu verharmlosen und über Dinge zu reden, welche für andere kaum nachvollziehbar waren. Aber die Gewissheit, etwas derart Besonderes zu sein, entschädigte sie für die innere Pein und gab ihr die nötige Aufwertung und Genugtuung.

Einmal - man wird es nicht glauben - wurde sie sogar während einer alljährlichen Feierlichkeit vor allen Anwesenden von einem fremden Mann zum Tanz aufgefordert. Das nachfolgende Gefühl war so unglaublich, dass sie während des Tanzes wie auf einer Wolke schwebte. Da war kein Misstrauen und keine Abscheu mehr, stattdessen eine tiefe, innere Wärme und ein leichtes Prickeln bei jeder noch so leichten Berührung. Und als er ihrer Wange dabei noch nahe kam und sie seine Wärme spürte, fühlte sie sich bis in die Haarspitzen erregt. Beim Himmel, sie hätte schreien können vor Glück. Alle Sinne wirbelten durcheinander und machten sie benommen. Das alles hatte etwas Romantisches, Zärtliches, als wäre es nicht von dieser Welt. Leider blieb es nur bei einem Lächeln und förmlichen ‚Dankeschön’ und ‚Bitteschön’, und sie fand sich viel zu schnell an ihrem Platz wieder, noch immer von dem zauberhaften Eindruck umweht,der sie die ganze Nacht nicht mehr schlafen ließ.

Konnte so etwas falsch sein? Wer wollte ihr noch etwas von Moral erzählen? Eine Moral, die zur Qual verdammt, konnte ihr gestohlen bleiben. Sie wollte leben, nicht mehr aber auch nicht weniger, gleichviel um welchen Preis.

Androgyn

Подняться наверх