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- Der Rückfall -

Inzwischen war Franka davon überzeugt, dass sich ihr Wunsch nach erfüllter Partnerschaft durchaus realisieren ließe, wäre sie erst von allem befreit, was sie daran hinderte, bei einem künftigen Partner jedoch für unverzichtbar hielt.

Längst hatte dieser in ihren Träumen Gestalt angenommen in Form eines dunkelhaarigen Beaus namens Ronaldo (diesen Namen fand sie besonders erotisch). In ihm vereinigten sich ihre mittlerweile sehr konkreten Vorstellungen vom idealen Mann, angefangen von Größe, Gestalt, Haar- und Augenfarbe, bis hin zu ganz bestimmten charakterlichen Eigenschaften, woran sie künftig jeden Bewerber bemessen würde. Und sie wiederum wäre bereit sich bezüglich seiner Anforderungen nicht zu schonen, wobei sie selbst ihr ärgster Kritiker war. Mit äußerster Sorge betrachtete sie sich jeden Morgen im Spiegel, glättete die Fältchen pedantisch mit Gel und Creme und epilierte jedes neu aufkeimende Härchen. Es musste doch gelingen, alles Verräterische zu beseitigen und selbst die letzten Zweifler zu überzeugen, dass sie wirklich eine Sie war.

Doch das Schicksal geht zuweilen sonderbare Wege. Ausgerechnet jetzt, da Ronaldos Konturen immer deutlicher wurden und in ihrer Phantasie erste zärtliche Gedanken reiften, begegnete ihr Viola, eine junge Praktikantin, die sie gleich vom ersten Moment an verwirrte. Obgleich sie durch nichts in ihrer Weiblichkeit bestach und mit ihrer grazilen Figur, der Stupsnase und der dunklen Kurzhaarfrisur mehr einem grauen Mäuschen als einer Person von besonderem Interesse glich, faszinierte sie durch eine verblüffende Natürlichkeit.

Wie sich herausstellte, besaß sie keinerlei Protektionen, ja war nicht einmal sonderlich bemittelt, um sich ein ordentliches Ballkleid zu leisten. Der Fetzen jedenfalls, den sie zur Begrüßungsfeier trug, schien aus irgendeinem Second-Hand-Laden zu stammen und wirkte im Vergleich zu ihrer Festrobe geradezu erbärmlich. Umso verwunderlicher, dass sich Frankas Augen nicht von ihr lösen konnte und sie das Gefühl überkam, dass es der anderen ebenso erging.

Natürlich wäre sie niemals auf die Idee eines näheren Kontakts gekommen, hätte man sie nicht miteinander bekannt gemacht und das auch nur, weil ihr bisheriger Gesprächspartner, Amtsrat Dr. S. aus der Nachbarabteilung, plötzlich weg musste. Das war schon sehr seltsam. Aber auch wenn ihr erster Wortwechsel nicht sonderlich gehaltvoll ausfiel und über banale Anstandsfloskeln kaum hinauskam, entspann sich recht schnell ein interessantes, überaus aufschlussreiches Gespräch.

Dabei war es durchaus kein höfliches Lavieren, zwischen gestelltem und tatsächlichem Interesse wie es für Zwangsbekanntschaften oftmals bezeichnend, sondern ein durchaus erfrischender Dialog von erstaunlicher Lebendigkeit. Violas Geschichten, die mal bitter, dann wieder heiter ausfielen, boten stets genügend Raum für Kommentare und somit reichlich Gelegenheit, sich selber einzubringen – ein Umstand, den Franka sehr schätzte. Folglich kam sie schnell in Fahrt, obgleich sie für diesen Abend eigentlich ganz andere Pläne hatte ... Nein, so was aber auch, was sie nicht sage, wo gab es denn das? Und dagegen habe sie nicht protestiert? Also, wenn ihr das passiert wäre … Und schon erklärte sie, wie in solchen Fällen zu verfahren sei, wobei es ihr sichtliches Vergnügen bereitete, ihre ganze Routine und Verschlagenheit auszuspielen. Ganz rot wurde sie vor Eifer, bekam feuchte Lippen und vergaß für einen Moment sogar die Contenance, als sie ihrer verdutzten Zuhörerin an einer besonders amüsanten Stelle mannhaft auf die Schulter klopfte, im selben Moment jedoch darüber erschrak und kichernd mit dem Taschentuch wedelte. Am liebsten hätte sie dieses arme Dingelchen jetzt in den Arm genommen und so manches gestanden, was ihr befremdliches Verhalten erklärt hätte, traute sich aber nicht. Dann jedoch wieder, inmitten dieser herzerfrischenden Polemik, erwachte so etwas wie Wehmut, beinahe Schmerz, vornehmlich, wenn sie von Dingen hörte, die sie selbst noch nicht erfahren hatte, deren Existenz aber längst vorausfühlte. Aber das war nicht der übliche Zorn, denn so, wie sie es sagte, zielte es keineswegs auf ihre Befindlichkeiten ab, sondern entsprang ihrer unglaublichen Natürlichkeit. Vielmehr beschämte sie die Schlechtigkeit der eigenen Gedanken, was sich angesichts der Ungezwungenheit dieses Plappermauls als völlig unbegründet erwies. Welcher Teufel ritt sie nur, zu allem sofort in Opposition zu gehen? War sie wirklich schon so verschroben? Plötzlich kamen ihr die Tränen und mit ihnen der Wunsch, diesem Mädchen alles Gute zu tun, ihr beizustehen und vor allem, sie zu beschützen - koste es, was es wolle. Das geschah völlig spontan und kam ganz tief aus ihrem Herzen, und als sie auch noch eine gewisse Gegenseitigkeit verspürte und das so zaghaft und bescheiden, wie es nur dem Anstand geschuldet sein konnte, fühlte sie sich tief gerührt.

So entstand bald ein sehr inniger Kontakt, der als bloße Freundschaft sicher untertrieben wäre, zu mehr aber auch nicht reichte. Und doch, oder vielleicht gerade deshalb, wurde ihr die eigene Unvollkommenheit mitsamt der Dringlichkeit des letzten, entscheidenden Schrittes bewusst, der keinerlei Kompromisse duldete, wollte sie nicht an den Folgen zerbrechen. Erst dann - davon war sie überzeugt - könnte sie ihr ohne Irritation rein freundschaftlich von Frau zu Frau begegnen und davon mehr nehmen, als ihr momentan möglich war. Glücklicherweise war diese Viola hetero veranlagt, so dass sich diese Situation nicht noch weiter verkomplizierte. Sie hätte ohnehin niemals wieder etwas davon abhängig gemacht - dazu hatte sie bereits zu viel durchlitten. Und doch mochte sie zu diesem Zeitpunkt keinen Pfennig darauf verwettet haben, vor allem, wenn diese blauen Augen so rätselhaft funkelten und dabei jede Interpretation offen ließen.

Als Mann wäre sie ihr sicher in anderer Form begegnet. Doch dann wäre sie wieder dort, wo sie nicht mehr sein wollte oder besser, sein konnte. Blieb also nur eine rein platonische Beziehung, selbst wenn das Herz darunter litt. Mehrmals hatte sie diesbezüglich eine harmlose Bemerkung gemacht, in der bangen Hoffnung auf ein Signal, auf ein Zeichen, dem sie etwas hätte entnehmen können. Doch niemals, nicht ein einziges Mal wurde sie fündig. Ihre Blicke blieben ohne jede Verlegenheit allein auf harmlose Neugier gerichtet, worunter Franka litt, da sie so trotz allem so stumm und kalt blieben. Das war zwar ernüchternd, anderseits jedoch befreiend. Waren doch damit die Fronten geklärt, und sie konnte ihr unverfänglich begegnen, was wiederum ein fast normales freundschaftliches Verhältnis ermöglichte.

Doch es gab auch Grenzen. So blieb es ihr unmöglich, sie in den Arm zu nehmen oder gar zu küssen, wie es gute Freundinnen zuweilen tun, zumal sich die Gelegenheit mehr als einmal ergab. Das war schon sehr deprimierend, und sie wagte nicht tiefer darüber nachzudenken, aus Angst vor neuen Irritationen. Aber sie durfte sich nicht verlieben, auch wenn sie ihr tausendmal imponierte und bisweilen an allem zweifeln ließ, was sie gestern noch für unumstößlich hielt. Nur war unter solchen Umständen eine platonische Beziehung überhaupt möglich? Wenn es sich wirklich nur um eine temporäre Verirrung des Herzens handelte, wie insgeheim erhofft, warum dann so intensiv; wieso dieses Brennen in der Brust bei jedem Blickkontakt, die feuchten Händen bei jeder noch so flüchtigen Berührung? Fasziniert hing sie bei jedem Wort an ihren Lippen, welche sie insgeheim so gern mit den ihren zermalmt hätte. Gern sah sie ihren halbgeöffneten Mund mit dem verführerischen rosaroten Schlund, genoss mit jedem Atemzug ihre Nähe, sich dabei am Duft ihres Körpers weidend und doch mit jeder Regung dem aufkommenden Begehren widerstrebend. Was kümmerte sie ihre etwas zu magere Gestalt, wenn allein die Vorstellung der sich biegenden und windenden jungen Frau sie völlig hinriss. Selbst wenn sie diese Gedanken nicht recht fixieren und schon gar nicht einordnen konnte. Was gäbe sie darum, alle Hemmnisse abzustreifen und sich treiben zu lassen, benommen von einer gestaltlosen Betäubung liebenden Verzehrens, allein in der Gewissheit, von ihr aufgefangen und geführt zu werden, gleichviel in welcher Form.

Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie über ihre wahre Natur informiert wurde. Anzunehmen blieb es, da ihr Problem weit über die Abteilungsgrenzen hinaus bekannt war und mittlerweile zu befürchten stand, dass manch dümmliche Witzelei auch sie erreicht hatte. Möglicherweise verbarg sie es, doch wenn, dann so geschickt, dass man nichts merkte. Vielleicht lag hier die Ursache für Frankas Scham und gelegentliche Verunsicherung, obgleich sie ihr niemals einen Grund dafür gab. Alles blieb freundschaftlich korrekt, nett aber harmlos, da Viola auf kindlich-naive Weise jedes aufkommende Misstrauen zu vertreiben verstand. Folglich war es nur natürlich, dass sie sich in der Rolle des bedauernswerten Opfers gefiel. Das jedoch verlangte recht bald nach einer Erklärung, wollte sie nicht das gewonnene Vertrauen wieder verlieren.

Androgyn

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