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III. „Mein einziger Trost“

1. Eine Beziehung

„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.“ Strahlend und souverän, gleich einem Triumphbogen stehen diese Worte aus Frage 1 über dem gesamten Katechismus. Alles, was folgt, ist bestimmt und durchdrungen von diesem Auftakt. Er erinnert in seiner programmatischen Kraft geradezu an den berühmten Anfang der Zehn Gebote: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe“ (2. Mose 20, 2). Dieser Auftakt bestimmt ja grundlegend alles Weitere. So auch hier. Selbst wenn im Verlaufe des Katechismus mitunter durchaus deutliche, z. T. auch harte Worte fallen, alles muss sich daran messen lassen, ob es der tröstlichen Botschaft entspricht, dass ich „nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin“. Der „einzige Trost“ – eine Beziehung.

Das ist allerdings auffallend. Wieder einmal. Am Anfang des Nachdenkens über den Glauben stehen nicht irgendwelche steilen theologischen, gar dogmatischen Sätze, sondern der Hinweis auf eine Beziehung, und zwar auf eine sehr persönliche: „dass ich … Jesu Christi eigen bin“. Es will einem fast so scheinen, als greife der Heidelberger Katechismus hier auf eine urmenschliche Erfahrung zurück. So wie ein Kind, bevor es die Welt entdeckt und „lernt“, zuallererst die Erfahrung macht: Da ist jemand für mich da – die Brust der Mutter, der Arm des Vaters – vorbehaltlos, liebend und bewahrend.

So ähnlich scheint es für den Heidelberger auch im Glauben zu sein. Bevor es da etwas zu entdecken, zu lernen, zu verstehen gibt, ist zuallererst jemand, der eine Beziehung zu mir aufnimmt: „… Jesu Christi eigen bin“. Und dass eine solche Beziehung als „Trost“ bezeichnet wird, erinnert ebenfalls an vergleichbare Urerfahrungen. Ein Kind, das etwa auf die Nase gefallen ist und sich weh getan hat, will ja zunächst gar nicht über die Ursachen und Folgen seines Unglücks „belehrt“ werden. Es möchte zuallererst in die Arme geschlossen werden und gesagt bekommen: „Hab keine Angst, ich bin bei dir, alles wird gut.“ Der Trost einer Beziehung.

Nun hat das Wort „Trost“ unter uns nicht immer einen guten Klang. Wir denken dabei womöglich gleich an so etwas wie „Trostpflaster“, an „Trösterchen“ oder gar an „billige Vertröstungen“. Diese Worte haben mit Recht keinen besonderen Ruf, weil sie in der Regel nicht geeignet sind, eine Not wirklich zu beheben oder ein Problem zu lösen. „Sieh mal, anderen geht es doch noch viel schlimmer.“ „Kopf hoch, das wird schon wieder.“ Jeder weiß, wie wenig hilfreich solche Worte sind, wenn man wirklich in einer Not steckt. Da möchte man keine ablenkenden Belehrungen oder Beschwichtigungen, da möchte man in seiner Not vor allem erst einmal ernst genommen werden. „Ihr seid allzumal leidige Tröster!“ hält der leidende Hiob seinen vermeintlichen Freunden entgegen, die mit moralischen Vorhaltungen über sein Leid räsonieren (Hiob 16, 2). Und wie oft musste sich selbst der christliche Glaube den Vorwurf gefallen lassen, er „vertröste“ ja nur – etwa auf ein besseres Jenseits –, statt sich der Probleme im Hier und Jetzt tatkräftig anzunehmen.

Für den Heidelberger Katechismus bedeutet „Trost“ offenbar etwas sehr anderes. Im Hintergrund stehen wohl verschiedene Aussagen der Bibel, die vom Trost handeln. „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“, heißt es z. B. (Psalm 23, 4). Da ist jemand an meiner Seite und steht mir bei – das hat wenig mit Vertröstung, sondern mit einer handfesten Hilfe zu tun. Im Neuen Testament verheißt Jesus beim Abschied seinen Jüngern, dass Gott ihnen an seiner Statt einen „Tröster“, nämlich den Heiligen Geist, senden wird (Johannes 14, 16. 26). Das griechische Wort für „trösten“ (parakalein) heißt zunächst einfach „herbeirufen“, gemeint ist: Hilfe herbeirufen. Also auch hier wieder: Trost nicht als Verdrängung, sondern als Behebung einer Not. „Tröstet, tröstet mein Volk!“ ruft der Prophet Jesaja im Namen Gottes seinen gefangenen Landsleuten zu. Und er meint damit konkret, „dass ihre Knechtschaft ein Ende hat“ (Jesaja 40, 1f). Unter solcher Handfestigkeit tut es die Bibel nicht, wenn es um Trost geht.

Auch nicht, wenn es um den Trost geht, der uns in der Beziehung zu Jesus Christus zugesagt ist. Es ist ja ein Trost für „Leib und Seele“, ein Trost „im Leben und im Sterben“. Hätten die Theologen Ursinus und Olevian nicht an der Heidelberger Universität, sondern – sagen wir einmal – an der Evangelischen Fachhochschule Bochum gelehrt, so hätten sie wohl an dieser Stelle von „Ganzheitlichkeit“ gesprochen. Mit Seele und Leib wird gleich dem Missverständnis gewehrt, der Glaube habe es nur mit dem Geistigen, dem Geistlichen oder, wie man heute gerne sagt, dem „Spirituellen“ zu tun. Hier aber kommt gleichauf mit der Seele auch der Leib, das Materielle, das Sichtbare und Alltägliche ins Spiel. Das schiebt sofort allen Einstellungen einen Riegel vor, die meinen, der Glaube habe sich nur im speziell Religiösen, also in einem vom Alltag, von der Gesellschaft oder auch von der Politik abgesonderten, sozusagen „heiligen“ Bezirk aufzuhalten. Nein, so wahr nicht nur der Himmel, sondern eben auch „die Erde des Herrn ist“ (Psalm 24, 1), so wahr hat sich auch der Glaube einzumischen in die Dinge dieser Welt, in die Dinge des Leibes und der Seele. Und: „im Leben und im Sterben“. Der Trost, zu Jesus Christus zu gehören, hilft nicht nur den Nöten des Lebens auf, er vermag auch, den Tod in seine Schranken zu weisen.

2. Eine Art Ouvertüre

Die folgenden Zeilen in Frage 1 sind eine Art Vorschau auf das gesamte theologische Programm des Heidelberger Katechismus. So wie etwa bei einer Oper in der einleitenden Ouvertüre die später folgenden Themen und Motive bereits angedeutet und vorgezeichnet werden, so werden auch hier alle wichtigen Themen des gesamten Katechismus angedeutet: unser Elend, unsere Erlösung und unser Auftrag, als Christ verantwortlich zu leben.

An die Sprache dieses theologischen Programms werden wir uns gewöhnen müssen. Es ist heutzutage gewiss nicht jedermanns Sache, wenn es um den Glauben geht, gleich vollmundig davon zu reden, dass Jesus Christus „mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst“ hat. Wir wollen solche Vorbehalte im Folgenden ernst nehmen. Es hat keinen Sinn, eine alte, in manchem vergangene Sprache einfach unreflektiert zu übernehmen und so vielleicht nur die eigene Unsicherheit in Sachen des Glaubens zu übertünchen. Insofern geht es nicht darum, 450 Jahre nach seinem Erscheinen den Heidelberger Katechismus nur einfach zu zitieren und damit womöglich einem anderen, noch unsichereren Mitmenschen um die Ohren zu hauen. Der Heidelberger will ja dem Verstehen dienen. Wir werden also gerade da, wo er nicht mehr unsere Sprache spricht, legitimerweise danach fragen dürfen, was denn jeweils in der Sache gemeint ist.

Das heißt dann aber auch, dass wir es uns da, wo wir mit den Worten des Heidelberger unsere Schwierigkeiten haben, nicht zu leicht machen dürfen. Schon der Respekt vor seinem ungeheuren Alter gebietet es, dass wir über seine vielleicht manchmal sehr „antiquierten“ oder auch sperrigen Formulierungen nicht zu schnell hinweggehen. Es könnte ja umgekehrt sein, dass wir in der ein oder anderen uns zunächst fremd erscheinenden Wendung durchaus etwas Neues, Unbekanntes, vielleicht auch einmal heilsam Unbequemes entdecken, so dass wir schlicht dumm wären, wollten wir das zu unserem eigenen Schaden ignorieren.

Eine Ouvertüre deutet an und zeichnet vor. Das tut nun wörtlich die zweite Frage: „Was musst du wissen, damit du in diesem Trost selig leben und sterben kannst?“ Und dann wird die grobe Struktur des ganzen Katechismus, so wie es sich in Frage 1 bereits andeutete, in eine formale Gliederung gebracht: „erstens, zweitens, drittens“. Und auch hier fällt etwas auf, nämlich dass es im Glauben eben auch um ein notwendiges „Wissen“ geht. Wer zu Jesus Christus gehört, gehört nicht zu irgendjemandem, den man zur Not auch austauschen könnte. Beziehungen zu irgendjemandem oder zu irgendetwas haben auch andere Religionen, Weltanschauungen und Überzeugungen. In der Beziehung zu Jesus Christus haben wir es aber mit diesem einen und sonst niemandem zu tun. Insofern ist die Gliederung in Frage 2 mehr als eine formale Struktur. Sie ist der Hinweis auf das einzigartige Wort Gottes, auf Jesus Christus, auf seine unverwechselbare Geschichte, auf sein Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen. Manchmal verstecken sich eben auch in vermeintlichen Formalitäten gewichtige Inhalte.

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