Читать книгу Das kleine Buch vom Meer: Leuchttürme - Olaf Kanter - Страница 11

Оглавление

MEINE SCHÖNSTEN MOMENTE AM LEUCHTTURM

VON STEFAN KRUECKEN

Seit ich reisen kann, fahre ich ans Meer. Mit Leuchttürmen verbinde ich besondere Erlebnisse: Stunden, die für immer in Erinnerung bleiben. Drei kleine Geschichten vom Leuchtturm.

PHARE D’ECKMÜHL

Position: Finistère, Bretagne

Koordinaten: 47°47’53,5’’N, 004°22’22’’W

Baujahr: 1893–1897

Feuerhöhe: 64,80 m

Kennung: Blitz, weiß, 5 s

Der neue Tag dämmert noch nicht, vielleicht ist es halb fünf, als wir in die Gassen auf der Pointe de Saint-Pierre rollen. Graue Häuser, gebaut für eine Stadt direkt am Meer. Der große Leuchtturm hat uns gerufen. Sein Nebelhorn war weit zu hören, bis in unser Ferienhaus, einige Kilometer entfernt. Wir parken den Wagen direkt am Turm und setzen uns auf eine Mauer an der Mole.

Der große Leuchtturm, ein wuchtiger Bau aus grauem Granit, einer der höchsten in Europa, wirft seinen Strahl über das Dorf, aber weit kommt er an diesem nassen Sommermorgen nicht. Der Nebel, der wie eine schwere Decke über allem liegt, wird immer dichter.

In diesem Dorf Saint Pierre gibt es drei Leuchttürme, was nicht wirklich erstaunt, denn die Küste gilt als eine der gefährlichsten der Bretagne. Dass er einst so hoch gebaut wurde, noch höher, als es eigentlich geplant war, lag an einem ungewöhnlichen Erbe. Die Marquise Adélaïde-Louise d’Eckmühl de Blocqueville bestimmte in ihrem Testament, dass ein Vermögen in Höhe von 300.000 Francs zur Errichtung eines Leuchtturmes verwendet werden sollte. Zu Ehren ihres Vaters, des Herzogs von Auerstädt und Prinz von Eckmühl, sollte der Turm den Namen d’Eckmühl tragen. Den für einen Franzosen seltsam klingenden Titel hatte der Adlige in der Schlacht nahe dem Dorf Eggmühl bei Regensburg im Jahr 1809 erkämpft.

Doch der Gedanke, dass ihr Vater wegen der Toten eines Schlachtfelds ins kollektive Gedächtnis der Nachwelt einging, behagte der Marquise nicht. Ein Leuchtturm, dessen Licht das Leben von Menschen auf See rettete und an der bretonischen Küste leuchtete, sollte sein Ansehen aufpolieren. Sie verfügte also in ihrem Testament:

„Les larmes versées par la fatalité des guerres, que je redoute et déteste plus que jamais, seront ainsi rachetées par les vies sauvées de la tempête.“

Die Tränen, die durch die Unvermeidlichkeit von Kriegen vergossen werden, die ich mehr denn je fürchte und hasse, werden durch die Leben, die vor dem Sturm gerettet wurden, wiedergutgemacht.

Eine weitere Bedingung der Stifterin war der richtige Standort: Der Turm musste solide gebaut und dort errichtet werden, wo er lange Zeiten überstehen konnte. Die vorgelagerten Klippen der Bretagne, an die im Herbst und Winter wilde Stürme schlagen, schieden damit ebenso aus wie andere exponierte Stellen. Eine Kommission wurde eigens gegründet, die nach gründlicher Untersuchung den Standort Pointe de Penmarc’h festlegte. 122 Meter östlich des alten Leuchtturms, auf dem Grundstück, auf dem das Haus des Wärters abgerissen werden musste, begannen im September 1893 die Bauarbeiten. Sogar ein Pariser Architekt wurde hinzugezogen, der die Dekoration des Turms übernahm. In einer Zeit, in der es viel um Zweckmäßigkeit und weniger um Schnörkel ging, ziemlich bemerkenswert. Eigentlich war eine Bauzeit von zwei Jahren vorgesehen, doch daraus wurde nichts. Der Transport der Materialien über See machte mehr Probleme als gedacht; die Bausteine kamen aus Poulgallec, der Kalk aus den Öfen von Marans, der Portlandzement aus Boulogne-sur-Mer und der Granit aus Brest. Es mangelte an versierten Maurern und Fliesenlegern, und obendrein wurden die Arbeiten von einem schweren Unfall unterbrochen. Als eine Kette brach, stürzten sieben Arbeiter zehn Meter in die Tiefe. Einer erblindete, weil er mit Säure in Kontakt kam.

So wurde der Turm mit zwei Jahren Verspätung am 7. Oktober 1897 eingeweiht, dem fünften Todestag seiner Stifterin. Er steht auf einem Hof, 80 mal 60 Meter, verziert mit Steinbildern von Ankern und fünfzackigen Sternen. 307 Stufen sind es bis hinauf zur Laterne, was die schnellsten Läufer bei einem Wettbewerb in weniger als 50 Sekunden schaffen. Wie fast alle Türme wird er heute vollautomatisch betrieben. Die letzten Wärter schieden im Oktober 2007 aus dem Dienst, kurz nach den Feierlichkeiten zum 110. Geburtstag.

Wir sitzen an diesem kalten Sommermorgen im Nebel auf dem Turm. Die Türen der Fischerhäuschen gehen auf. Männer treten hinaus, stellen die Kragen ihrer Jacken auf, die meisten stecken sich erst mal eine Zigarette an. Einige tragen kleine Taschen, einer hat einen Kaffeebecher, aus dem es dampft. Dann gehen diese Männer schweigend die Pier runter, steigen in ihre Boote und fahren hinaus in dieses Grau, das sie so schnell verschluckt. Sie verschwinden wie hinter einem Vorhang, der sich hinter ihnen schließt, und bald schon wird das Tuckern der Diesel leiser.

Das Nebelhorn brüllt, und wir sprechen darüber, welchen Mut und welche Erfahrung es braucht, dieses Leben zu leben. Jeden Tag hinauszufahren in dieses Nichts, das die Boote verschlingt, in eine graue, weite, wilde Welt, an diesem Morgen nur durchdrungen vom Horn eines Leuchtturms, der ihnen bei der Heimreise wieder den Weg zeigen wird.

MUCKLE FLUGGA

Position: Nordspitze der Shetlandinseln

Koordinaten: 60°51’19,5’’N, 000°53’7,4’’W

Baujahr: 1855-1858

Feuerhöhe: 66 m

Kennung: Blitz (2), weiß, 20 s

Wenn das Licht am Ende des ersten Seetages dünner wird, kommt die Silhouette von Shetland in Sicht. Knapp 24 Stunden ist die Islandfähre „Norröna“ vom Hafen Hirtshals in Dänemark dann unterwegs, immer auf einem nördlichen Kurs. Wir sind mit unserer Islandreise, der „Skua-Tour“ an Bord, die wir nach der großen Raubmöwe des Nordatlantiks benannt haben. Torshavn auf den Färöer und Seydisfjördur, ein Fischerdorf tief in einem Fjord an der Ostküste Islands gelegen, sind unsere Ziele, doch eigentlich geht es bei dieser Reise um die 1640 Seemeilen zwischen den Häfen. Es geht um die Seele des Nordatlantiks im Winter, wenn er majestätisch wild ist und rau. Von Kapitän Schwandt stammt der Satz, dass es keinen Ort gibt, an dem man sich so klein und unbedeutend fühlt wie auf dem Nordatlantik im Sturm. Das trifft es genau.

Ich liebe diese Reise, auf der wir immer Wind und Welle erleben. Beaufort sieben bis acht, Wellen bis sechs Meter Höhe sind kein Problem für das Schiff, denn die „Norröna“ wurde für den Nordatlantik gebaut. Ein starkes, breites Schiff mit hohem Freibord, das von vorne aussieht wie ein schwimmender Keil. Die meisten Passagiere stehen stundenlang an Deck und beobachten diese Landschaft aus Grau und aus Blau und weißer Gischt.

Leuchttürme gehören zu dieser Reise. Bei der Abfahrt der weiße Turm von Hirtshals, auf einer Düne. In Thorshavn dann ein kleiner Turm, wie hingestellt für Instagram-Herzchen auf der alten Festung gleich neben dem Hafen. Der schönste Leuchtturm und erste Höhepunkt der Reise ist mein Sehnsuchtsort. Ich freue mich jedes Mal darauf, wenn Muckle Flugga Lighthouse in Sicht kommt.

Er steht auf einem Felsen, an einer Ecke der kleinen Insel Muckle Flugga, die an einen Fantasyfilm erinnert. Unten schlagen die Wellen gegen den Fels. Im rötlichen Abendlicht, wenn es aussieht, als ob der Allmächtige mit Photoshop experimentiert, hat die Szene eine Schönheit, die beinahe theatralisch wirkt. Einigen Passagieren, die hinaus aufs Deck kommen, steht im ersten Moment buchstäblich der Mund offen. Eine Passagierin meinte zu mir, es sei das Schönste, was sie gesehen habe. Was fasziniert mich so an diesem Ort? Er ist so wild, so abgeschieden, so fernab von allem. Muckle Flugga ist der nördlichste Leuchtturm Schottlands und war bis 1995, solange Leuchtturmwärter auf der Insel lebten, der nördlichste besiedelte Ort Großbritanniens. Ein unwirklicher Ort und der Beweis, was Menschen mit ihrem Willen schaffen können. Welche Qual mag es gewesen sein, diesen Turm zu errichten? 1855 wurde mit den Arbeiten begonnen und am 1. Januar 1858 in Betrieb genommen, als „North Unst Lighthouse“ (erst seit 1968 trägt der Turm den heutigen Namen). Drei Leuchtturmwärter lebten auf Muckle Flugga, zwei Teams wechselten sich permanent ab. Man versorgte sie zu früheren Zeiten mit einem Boot, später dann mit einem Hubschrauber.

Das kleine Buch vom Meer: Leuchttürme

Подняться наверх