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AM LEUCHTTURM DER ERTRUNKENEN

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Zwei Hafenmauern liegen wie schützende Arme vor den Docks von Ramsgate in der Grafschaft Kent, Südengland. Dieser Schutz ist wichtig, wenn die See wütend wird. Auf einer Mauer, ganz vorne an der Einfahrt in den Hafen, steht ein kleiner Leuchtturm mit rotem Dach. Als wir näher kommen, hören wir das „Pingen“ von Morsezeichen.

Jeder Morse-Code, der aus dem Inneren des kleinen Turmes dringt, ist der Name eines Schiffes, das vor der Küste sank.

Mehr als zweitausend Schiffe, so die Schätzungen, liegen hier vor der Küste auf Grund. Mehr als tausend Namen werden zu ihrem Gedenken per Morsezeichen in endloser Schleife von morgens bis abends rausgeschickt auf die See.

Es ist ein Kunstprojekt, das bei mir eine Gänsehaut auslöst. Der Blick auf die See ist danach ein anderer, auch am heutigen Tag, an dem sie ruhig und still ist. Die See wirkt bedrohlich.

Sie wirkt unheimlich.

„Worse things happen at sea“, die schlimmsten Dinge passieren auf See, das war eine Redensart des Vaters von Nick De Carlo, einem in Ramsgate lebenden Künstler, der die Idee zu den Signalen aus dem Leuchtturm hatte. Sein Vater arbeitete als Funkoffizier auf einem Schiff der Marine. Dieser Satz und die Geschichte der Sandbänke vor dem Hafen inspirierten De Carlo zu einer Installation, die so einfach ist und auch deshalb so berührend.

Nicht weit vor der Küste befinden sich die gefürchteten Goodwin Sands, eine Kette von Sandbänken in der Straße von Dover. Insgesamt sind die Sände 19 Kilometer lang und an der breitesten Stelle acht Kilometer weit. Sie sind so berüchtigt, dass sie der Volksmund den „großen Schiffsschlucker“ nennt. Schon in Stücken von William Shakespeare und im „Moby Dick“ von Herman Melville tauchen die Goodwin Sands auf, als ein besonders gefährlicher Ort. Theodor Fontane schrieb über sie im Jahr 1847 ein Gedicht: „Ein Kirchhof ist’s, halb Meer, halb Land.“

Schon immer haben die Goodwin Sands die Fantasie angeregt. Seit dem Mittelalter hielt sich die Legende, dass die Goodwin Sands einst eine niedrig liegende Insel namens Lomea gewesen sein soll, die Godwin gehörte, einem Earl von Wessex. Heute gehen Geologen davon aus, dass keine geheimnisvolle, versunkene Insel der Ursprung der Goodwin Sands ist, sondern schlicht die starke Tide in der Straße von Dover.

In der Nähe der Stadt Dover, direkt an den Rand der weißen Klippe, baute man einen Leuchtturm, um die Kapitäne zu warnen. Bis heute ist die Mechanik des South-Foreland-Leuchtturms erhalten, inklusive einer Handkurbel im oberen Stockwerk. Wer den Turm besucht, taucht ein in die Welt eines viktorianischen Leuchtturmwärters. Der Turm selbst wurde 1898 weltberühmt. Erstmals gelang es von hier aus, eine Morse-Nachricht auf ein Schiff zu übertragen.

Was die Sandbänke so gefährlich macht, ist eine Mischung, die Seeleute fürchten: starke Strömungen, flaches Wasser und eine enorme Brandung bei schlechtem Wetter, das im Süden Englands in den Herbst- und Wintermonaten nicht unüblich ist. Die Strömung sorgt dafür, dass die Sände ständig ihre Lage verändern. Bei Hochwasser sind die vollständig überflutet. Bei Niedrigwasser ragen sie bis zu vier Meter aus dem Wasser hinaus, weshalb auf den Goodwin Sands gelegentlich Cricketspiele ausgetragen werden. Was ein wenig makaber erscheint, denn es ist fast wie ein Spielplatz auf einem großen Friedhof.

Hatte der Sturm ein Schiff auf die Sandbank getrieben, gab es für die Menschen an Bord kein Entkommen. Dann zerschlugen die Brecher das Schiff und alles Leben an Bord. Schiffe aus Holz hatten gar keine Chance, doch auch Rümpfe aus Stahl brachen in der Regel auseinander. Es war nur eine Frage der Zeit. Besonders dann, wenn das Schiff am Rande der Sandbank feststeckte und der Tidenhub von bis zu sechs Metern das Metall bei einer Schräglage schon durch das eigene Gewicht extrem belastete. Manche Havaristen wurden vom Sand, durch die Strömung aufgewirbelt, regelrecht „verschlungen“, wie von einem Monster in der See. Der große Schlucker von Schiffen.

Das kleine Buch vom Meer: Leuchttürme

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