Читать книгу Drei Kraniche im Himmel - Olga Kelm - Страница 5
In Fatimas Haus
Оглавление„Fatima“, sagte der Vater zu ihr, „morgen werden wir Gäste haben. Bitte serviere den Tee ganz frisch und ziehe dich hübsch an. Es ist sehr ernst.“
In letzter Zeit passierte es oft, dass sie den Tee den Gästen servieren sollte. Es war jedoch als Übung gedacht, Fatima musste dazu erzogen werden, die Gäste zu bedienen. Diesmal musste es anders sein, deutete ihr Vater deutlicher als sonst und das könnte nun bedeuten, dass es keine Übung ist, sondern … Dieser Gedanke spaltete sie wie ein Schlag.
„Aber Vater!“, meinte Fatima. „Ich will die Schule beenden! Ich will nicht heiraten!“
„Du bist schon sechzehn, je früher es geschieht, desto besser ist es. Eine Frau in deinem Alter könnte schon einen Mann haben“, meinte der Vater zu ihr.
Auch ihre Mutter schließ sich den Worten ihres Mannes dazu:
„Als ich in deinem Alter war, wurde jedes Mädchen schon in die Gesellschaft eingeführt und als Braut vorgestellt“
Fatima seufzte tief. Alles war vorgeschrieben. Wie sie sich verkleiden sollte, wohin sie gehen dürfe, mit wem sie befreundet werden darf – das alles schrieb ihr ihr Vater zu, es war ein festgeschriebener Kodex in ihrer Kultur, dass die Väter ihren Töchtern alles vorschreiben und damit auch über ihr Leben bestimmen durften. Die Worte ihres Vaters stellten in Fatimas Leben lediglich eine Fußnote dar.
„Was ist deine größte Aufgabe, Fatima?“, belehrte ihr Vater erneut, obwohl sie ihm tausend Mal zugehört hatte. „Eine ehrbare Frau für ein Mann zu sein – das ist deine größte Aufgabe“, antwortete er auf seine Frage selbst.
An dem Tag konnte Fatima nicht wie gewöhnlich mit ihren Freundinnen auf der Bank sitzen und reden. Sie musste zuerst alle Zimmer sauber putzen. Für die Gäste servierte sie den Tisch im Wohnzimmer vor. Sie stellte darauf schöne Teetassen mit dem vergoldeten Rand, buk Kekse mit Rosinen. Angezogen hatte sie sich in ein frommes dunkel-rotes langes Kleid aus prächtigem Stoff, welches ihr eine namhafte Schneiderin zuschnitt. Die Verzierungen hatte sie selbst bestickt. Außerdem, waren um die Ärmel Perlen drauf genäht.
Jedoch wollte Fatima nicht als Braut ausgewählt werden. Sie saß in der Küche, während die Gäste im Wohnzimmer sich kennenlernten und wartete nur auf ein Zeichen, den Tee bringen zu müssen. Sie warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und vergewisserte sich, dass ihre Haare ordentlich waren. Wie konnte sie nur ihrem Schicksal entkommen? Manche, junge Frauen verschütten in solchen Fällen den Tee oder servieren ihn falsch. Je geschickten die Frauen sind und je besser sie den Tee servieren, desto besser sind sie als gute Hausfrau geeignet und desto schneller werden sie als Braut ausgewählt, dass wussten alle jungen Frauen im Heiratsalter. Die Liste der Eigenschaften, die eine Braut vorweisen musste, war endlos, doch der geschickte Umgang an hauswirtschaftlichen Arbeiten zählte zu den Wichtigsten. Und wenn einer nicht heiraten wollte, stellte er etwas an: zu dem zählte den Tee oder den Zucker verschütten. Am liebsten hätte Fatima auch etwas verschütten wollen. Jedoch warnte ihr Vater sie, dies nicht zu tun. Er würde solche Tricks durchschauen. Den väterlichen Befehl zu missachten, erwies sich als unmöglich, seine Worte standen an vorderster Stelle. Seine Forderungen ließ sie noch einmal in Gedanken durchgehen: den Tee servieren, ins Zimmer rein tragen …
„Und unbedingt muss du die Gäste begrüßen! Jedoch schau den Bräutigam nicht an, du musst den Eindruck eines frommen Mädchens vermitteln …“, belehrte der Vater.
Hoffentlich wird sie nichts vergessen. Aber sie darf kein Tee verschütten …
Dann überlegte sich Fatima etwas anderes: Sie setzte sich absichtlich einen großen Fettfleck an ihr Kleid. In dem Moment wurde sie ins Wohnzimmer gerufen.
„Fatima, bring uns bitte den Tee!“
Es war der entscheidende Moment in ihrem Leben. Das Tablett trug sie mit zitternden Händen und stellte ihn anschließend auf den Tisch. Jetzt musste sie nur ihre Kunst der guten Wirtschaftlerin zeigen … Sie schenkte den Tee mit mildem Lächeln in die Tassen ein. Dabei bediente sie die Gäste so, dass nur sie diesen Fettfleck sehen könnten, vor den Augen ihres Vaters blieb der Fleck unsichtbar. Die Gäste musterten sie unablässig und ihr kam es vor, als ob sie einschätzen wollten, ob die angebotene Ware wertvoll war. Die Familie des Bräutigams merkte den Fleck, sie ließen ihre Enttäuschung sich nicht anmerken, verabschiedeten sich jedoch schnell und meldeten sich nach dieser Teezeremonie nicht mehr. Fatimas Vater war von solch einer Reaktion seiner Teegästen überrascht, er wusste nicht, was seine Tochter falsch getan hatte. Die Kekse und der Tee schmeckten außergewöhnlich gut, Fatima war bescheiden und höflich. Was könnte denn nun schief gegangen sein bei diesem Treffen?
Am nächsten Tag lachten drei Freundinnen ganz laut, als Fatima über ihrem überlegten Missgeschick erzählte.
„Ich hoffe, ich werde schon schaffen, die Schule zu beenden“, sagte sie. Doch in dem Augenblick, als Fatima es aussprach, schien es ihren Freundinnen, als würden die Ängste Fatima bedrücken.