Читать книгу Unrast - Olga Tokarczuk - Страница 23
Reiseführer
ОглавлениеBeschreiben ist wie benutzen – es verschleißt. Die Farben verblassen, die Kanten werden stumpf, das Beschriebene verblasst allmählich und verschwindet. Das betrifft insbesondere Orte. Die Reiseliteratur hat große Verheerungen angerichtet, wie eine Invasion, eine Epidemie. Die Baedekers haben den größten Teil der Welt ein für alle Mal zerstört, in Millionen von Auflagen und unzähligen Sprachen gedruckt, haben sie die Orte geschwächt, sie festgenagelt, benannt und die Umrisse verwischt.
In meiner jugendlichen Naivität habe ich mich früher selbst ans Beschreiben von Orten gemacht. Wenn ich später an diese Orte zurückkehrte, tief Luft holen und mich noch einmal an der Intensität ihrer Präsenz berauschen, mein Ohr ihrem Wispern öffnen wollte – erlebte ich einen Schock. Die Wahrheit ist schrecklich: Beschreiben heißt vernichten.
Deshalb passe man besser auf. Am besten nennt man keine Namen. Man sollte verschlüsseln und verschleiern, Ortsangaben vorsichtig behandeln, um niemanden zu einer Pilgerfahrt zu verführen. Was würde der Pilger dort finden? Einen toten Ort, Staub, einen abgenagten Butzen.
In dem bereits erwähnten »Buch der Syndrome« findet sich auch das »Pariser Syndrom«, das in erster Linie japanische Touristen befällt, die Paris besuchen. Kennzeichnend dafür ist ein Schock mit etlichen vegetativen Symptomen wie flacher Atem, Herzrhythmusstörungen, Schweißausbrüche und Erregungszustände. Manchmal treten sogar Halluzinationen auf. In solchen Fällen verabreicht man Beruhigungsmittel und rät zur Heimreise. Diese Störungen lassen sich durch die Abweichung der Wirklichkeit von den Erwartungen der Pilger erklären. Das Paris, das sie vorfinden, ähnelt in nichts der Stadt, die sie aus Reiseführern, Film und Fernsehen kennen.