Читать книгу Entwicklungspädagogik - Oliver Hechler - Страница 11

2.2.1 Das Zeigen

Оглавление

Das Zeigen ist die zentrale Signatur des handelnden Erziehers. Thomas Fuhr, Professor für Erwachsenenbildung in Freiburg, fasst die Forschungsergebnisse der Operativen Pädagogik, deren Gegenstand die phänomenologische Analyse der Operationen des Erziehens ist, prägnant zusammen und stellt fest: »(…) wenn pädagogisch gehandelt wird, wird immer etwas gezeigt, und wenn nichts gezeigt wird, so wird nicht pädagogisch gehandelt« (Fuhr 1999, 110). Das Zeigen als die zentrale Signatur der Erziehung verweist direkt auf den Ursprung erzieherischen Handelns. Zeigen und Erziehung sind untrennbar miteinander verbunden. Und die Quellen, die auf diese Grundgebärde des Erziehens Bezug nehmen, reichen bis in die Antike. Das Zeigen als das Sichtbarmachen des Unsichtbaren, also als die Darstellung und das zum Erscheinen Bringen des nicht direkt Gegebenen, kann auf den Vorsokratiker Anaxagoras (499–428 v. Chr.) zurückgeführt werden (Mansfeld 2007).

Anaxagoras benutzte dem Vernehmen nach bereits Diagramme für die Darstellung von Gedanken. Ebenso kann ein Beleg für die Zeigestruktur des Erziehens in Platons Menon (1994) gefunden werden. Dort bedient sich Sokrates einer Zeichnung im Sand, um Menon zu zeigen, wie man ein Quadrat verdoppelt. Beim Erziehen geht es – damals wie heute – darum, Sachverhalte und Situationen oder ganz allgemein Themen so zur Darstellung zu bringen, dass sich der Zögling diese potentiell auch anzueignen vermag.

Nach Klaus Prange und Gabriele Strobel-Eisele (2006) lässt sich die Zeigegeste in pädagogischer Hinsicht in vier elementare Formen unterteilen:

Das ostensive Zeigen konzeptualisiert das übende Zeigen. »Die Übung stellt eine pädagogische Handlungsform dar, in der auf die elementaren kindlichen Lernbewegungen immer wieder mit unterstützenden, auffordernden Eingriffen von Seiten des Erziehers geantwortet wird« (ebd., 53). Ziel des übenden Zeigens ist das Hervorbringen von Gewohnheiten und lebenspraktischen Routinen, die dem Menschen helfen, sein Leben teilweise gewissermaßen automatisiert zu leben. Gewohnheiten und Routinen erleichtern in diesem Sinne das Leben, weil nicht immer alles jeden Tag neu durchdacht und eingeübt werden muss. Gleichwohl zeichnen sich die dadurch hervorgebrachten Gewohnheiten und Routinen durch eine Offenheit für ihre Überwindung durch neue und alternative Routinen und Ansichten aus. Ostensiv gezeigt wird also, wenn man als Erzieher etwas vormacht, mitmacht und mit Blick auf das anschaulich Gezeigte zur übenden Aneignung anhält.

Das repräsentative Zeigen zielt auf die Darstellung. Pädagogisches Handeln im repräsentativen Modus ist die »Darstellung der Welt, ein Zeigen und Sehenlassen des Unsichtbaren« (ebd., 61). Repräsentatives Zeigen ist im Kern unterrichtendes Zeigen. Durch Unterrichtung werden Sachverhalte und Situationen, die außerhalb der erzieherischen Situation angesiedelt sind und damit überwiegend nicht anschaulich vor Augen geführt werden können, in der erzieherischen Situation zur Darstellung gebracht. Das macht die Kunst des repräsentativen Zeigens aus. Hat man beim ostensiven Zeigen immer das Thema vor Augen, um das es geht, bezieht sich das repräsentative Zeigen auf Themen, die eben nicht so ohne Weiteres vergegenständlicht werden können und trotzdem für eine funktionierende Lebenspraxis in personaler Selbstbestimmung von Relevanz sind.

Das direktive Zeigen kann als Aufforderung zur Selbsttätigkeit begriffen werden. So paradox es klingen mag, doch Selbstbestimmung, Freiheit von inneren und äußeren Zwängen und Mündigkeit als zentrale Ziele der Erziehung sind zunächst in einem hohen Maße auf Fremdbestimmung angewiesen. Erst durch die Aufforderung kann der Mensch etwas tun oder es auch sein lassen – er muss aber Stellung beziehen. Das auffordernde Zeigen, will es die Motive, Absichten und Haltungen der Menschen erreichen, muss sich immer am Lernstand des Menschen orientieren und es muss berücksichtigen, was bereits an Fertigkeiten und Kenntnissen, die ostensiv und repräsentativ gezeigt wurden, vorhanden ist. Das auffordernde Zeigen ist letztendlich eine relativ »schwache« Form erzieherischen Handelns, weil es sich eher durch einen appellativen Charakter auszeichnet. Lehrer und Erzieher müssen »ertragen«, dass nicht klar ist, was aus der Aufforderung wird. Damit ist aber auch die Stärke der Aufforderung benannt – immer geht es um die Ansprache der selbstbestimmten Anteile der Person und das hat positive Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen.

Das reaktive Zeigen schließlich fasst konzeptuell die Rückmeldung. Rückmeldung als pädagogische Form thematisiert das Lernen selbst und verweist darauf, was aus Sicht des Erziehers aus dem übenden, darstellenden oder auffordernden Zeigen geworden ist oder gemacht wurde. Bei der Rückmeldung ist besonderer Takt geboten, da die Gefahr besteht, dass sich das reaktive Zeigen direkt an die Person des Zöglings richtet. Folgen einer solchen Fehlform des reaktiven Zeigens können Kränkungen und Demütigungen sein. Zu berücksichtigen gilt bei allen Formen erzieherischen Handelns, dass es immer versucht, die Zustände von Personen durch Lernen zu verändern. Es geht nie darum, direkt den Menschen zu manipulieren, sondern ein Lernen zu erreichen, das der Mensch für sich selbst im Sinne der Entwicklung von Mündigkeit nutzen kann.

Dem handelnden Erzieher stehen also zunächst vier elementare Grundformen des Zeigens zur Verfügung. Er kann etwas vormachen oder mitmachen und dann die Aneignung anleiten, er kann einen Sachverhalt oder eine Situation zur Darstellung bringen, er kann zum Tätigwerden oder zur Unterlassung auffordern oder er kann eine Rückmeldung über das Ergebnis der Aneignungsbemühungen geben. Hat man als Erzieher Kenntnis über diese Möglichkeiten, dann ist schon viel gewonnen. Allerdings muss angemerkt werden, dass sich die skizzierten elementaren Zeigeformen in der Praxis des Erziehens nie in solcher Reinform zeigen beziehungsweise zur Anwendung gebracht werden können. Vielmehr ist die analytische Trennung dem Versuch der systematischen Darstellung geschuldet. Die Formen pädagogischen Handelns, die wir als Erziehungsmittel kennen, sind überwiegend komplexe Formen. Das heißt, sie zeichnen sich durch eine Kopräsenz unterschiedlicher elementarer Formen aus, wobei sicherlich der Fokus auf eine bestimmte elementare Form gelegt wird, weil ja der Lernbedarf des Zöglings vorgibt, ob nun mehr geübt, Wissen vermittelt oder an die Einsicht appelliert werden sollte. Erziehungsmittel sind komplexe Formen pädagogischen Handelns, die sich dadurch zu erkennen geben, dass Sachverhalte und/oder Situationen aus dem Selbst-Welt-Bezug und dem Selbstbezug in den Dienst des Lernens genommen werden. Ausgangspunkt der pädagogischen Bemühungen ist dabei immer der Lernbedarf des Lernenden. So können beispielsweise im Spiel Fertigkeiten geübt, Kenntnisse erworben oder auch Willenseinstellungen ausgebildet und modifiziert werden (Einsiedler 1999). Auch das erzieherisch wirksame Gespräch kann es sowohl auf einen Verhaltenswandel, auf eine Umstimmung der Gefühlslage als auch auf eine Änderung der Gedanken absehen (Bang 1971). Ähnlich verhält es sich mit dem Arrangement, das nicht selten in den Dienst sozialpädagogisch inspirierter Zeigebemühungen genommen wird. Zwar liegt hier der Fokus wahrscheinlich mehr auf der Lerndimension des Wollens, doch kommen sicherlich auch Fertigkeiten und Kenntnisse zum Tragen. Relativ eindeutig lässt sich der Unterricht als die pädagogische Handlungsform bestimmen, die es darauf abgesehen hat, Kenntnisse zu vermitteln (Glöckel 1996; Prange 1986). Aber auch hier bedient sich der Unterricht häufig einer weiteren Form pädagogischen Handelns, die es nicht nur auf neue Kenntnisse abgesehen hat, sondern auch das Lernen von Ausdauer und Geduld (Willenseinstellungen) und motorischen Fertigkeiten (Können) im Blick hat. Gemeint ist hier das erzieherisch bedeutsame Mittel der Arbeit (Weinstock 1954). Selbst die Beratung, die zwar als Lernhilfe auf einen Lernbedarf antwortet, der sich aus der Schnittmenge von Themen aus der Lerndimension des Wollens und aus dem pädagogischen Raum der Selbsterziehung ergibt, weist Elemente des Informierens und Anleitens auf, die streng genommen nicht als Beratung aufzufassen sind (Hechler 2014).

Entwicklungspädagogik

Подняться наверх