Читать книгу Entwicklungspädagogik - Oliver Hechler - Страница 12

2.2.2 Das Lernen

Оглавление

Das Zeigen ist also die zentrale Geste der Erziehung und die grundlegende Kompetenz des berufsmäßigen Erziehers. In medizinischen Zusammenhängen gehört der kunstfertige Eingriff zu den Erkennungsmerkmalen eines »guten« Arztes. Er weiß nicht nur viel über den menschlichen Körper, sondern kann auch entsprechend eingreifen. Dies geschieht durch eine Operation, eine chiropraktische, medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung oder im Rahmen eines ärztlichen Gesprächs. In ähnlicher Weise gibt sich der »gute« Erzieher dadurch zu erkennen, dass er neben umfassenden pädagogischen Wissensbeständen in der Lage ist, die lebensalter- und lerndimensionbezogenen Themen, die für die Ausbildung einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Lebenspraxis nötig sind, angemessen zu vermitteln, so dass eine potentielle Aneignung durch den Zögling möglich wird. Das Zeigen kann als zentrale Signatur erzieherischen Handelns bezeichnet werden. Die Bedeutung des Zeigens und insbesondere die hierfür in Gebrauch zu nehmende Hand ist für die Humanontogenese durch die Primatenforschung mehr als belegt. 2009 titelten die Medien »Am Anfang war der Zeigefinger« (Der Tagesspiegel vom 15.12.2009) und »Es beginnt mit dem Zeigefinger« (Zeit Online vom 10.12.2009) und bezogen sich auf die Verleihung des Stuttgarter Hegel-Preises an den amerikanischen Kulturanthropologe Michael Tomasello für seine Untersuchungen über »Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation« (Tomasello 2009). Der pädagogische Zeigefinger ist alles andere als eine drohende oder gar strafende Geste, sondern repräsentiert zwei gleichzeitige Operationen: die der Sicherung der Aufmerksamkeit und die des Hinweises auf das Thema, das gezeigt werden soll. Damit werden »Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit« (Tomasello 2002, 117) hergestellt, die sowohl für erfolgreiche zeigende als auch für gelingende aneignende Bemühungen als Voraussetzung anzusehen sind.

So wird ersichtlich, dass die Zeigegeste im Allgemeinen und die immanente Zeigestruktur der Erziehungsmittel nie Selbstzweck sind, sondern immer das über Themen vermittelte Lernen des Zöglings im Blick haben. Diese Blickrichtung ist ebenfalls mit dem oft missverstandenen oder fehlinterpretierten Lehrer Lämpel verbunden, denn in Max und Moritz´ viertem Streich heißt es: »Also lautet ein Beschluß, daß der Mensch was lernen muß. Nicht allein das Abc bringt den Menschen in die Höh´, nicht allein in Schreiben, Lesen übt sich ein vernünftig Wesen; nicht allein in Rechnungssachen soll der Mensch sich Mühe machen, sondern auch der Weisheit Lehren muß man mit Vergnügen hören. Daß dies mit Verstand geschah, war Herr Lehrer Lämpel da« (Busch 2013). Der Mensch muss also etwas lernen, um das eigene Leben gestalten zu können, und die Themen der Lernaufgaben, die sich dem Menschen stellen, erstrecken sich über unterschiedliche Lebensalter und werden dort spezifiziert – »Abc, Schreiben, Lesen, der Weisheit lehren« (s. o.). Darüber hinaus scheint sich das Lernen aber nur bedingt und eingeschränkt von selbst zu ergeben. Vielmehr braucht es andere Personen (Lehrer Lämpel), die das Lernen anleiten, begleiten, anstoßen und vielleicht gelegentlich auch hemmen. Die Pädagogik als Disziplin und Profession macht aber nicht nur Aussagen darüber, dass der Mensch lernt, wie er lernt und wie sich dieses Lernen zeigt (Brumlik et al. 2013; Konrad/Schultheis 2008), sondern sie fragt auch danach, was der Mensch lernen sollte, um potentiell ein »glückendes« Leben führen zu können, und was ihn zu einem »guten« Leben befähigt (Brumlik 2011). Damit ist die Pädagogik sowohl phänomenologisch als auch normativ ausgerichtet.

Seit den griechischen Sophisten in der Antike ist man sich unter Pädagogen und Philosophen einig, dass für die Befähigung zu einer potentiell »glückenden« und »guten« Lebensführung, mindestens drei Dimensionen ausgebildet und aufeinander bezogen sein müssen. Immer geht es um den Erwerb von Fertigkeiten, von Kenntnissen und von Einstellungen und Haltungen, kurz: um die Lerndimensionen und Lerninhalte des Könnens, des Wissens und des Wollens. Es ist diese »Dreifaltigkeit des Lernens«, wie Prange (2005) sagt, die von Otto Willmann (1909) als pädagogischer Ternar bezeichnet wird und die sich durch die Geschichte der Pädagogik und der Erziehung mit Variation bis heute durchzieht. Sprach man seit Platons Menon (2007) in der griechischen Antike von physis (Natur), mathesis (Belehrung) und áskesis (Übung), auf die sich Aristoteles (2006) mit der Dreiheit physis (Natur), ethos (Gewohnheit) und logos (Wissen) bezogen hat, so benennt Rousseau (1998) die Natur, den Menschen und die Dinge als die maßgeblichen drei Erzieher, und Pestalozzi (1954) verweist auf das Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Schließlich ist noch Sünkel (2011) zu nennen, der von Kenntnissen, Fertigkeiten und Willenseinstellungen spricht, die sich der Mensch lernend aneignen muss, um sein Leben in personaler Selbstbestimmung zu führen. Der Blick auf die Theoriegeschichte des so genannten pädagogischen Ternars ermöglicht im Grunde die Konzeptualisierung des pädagogischen Aufbaus der Person: Können, Wissen und Wollen verweisen auf Lerndimensionen, deren Inhalte für die Gestaltung einer autonomen Lebenspraxis von Belang sind.

Vor diesem Hintergrund hat es die entwicklungspädagogische Theoriebildung gewissermaßen mit einem Dilemma zu tun. So soll einerseits, im Sinne wissenschaftlicher Erkenntnisbildung, der Mensch in seine pädagogischen (Einzel-)Teile zerlegt werden, obwohl andererseits dem pädagogischen Aufbau der Person, so wie sie sich uns zeigt, immer schon ein Zusammenwirken der drei Lerndimensionen vorausgegangen ist. In diesem Sinne sind die entwicklungspädagogischen Bemühungen strenggenommen als eine notwendige Abstraktion zu verstehen. Allerdings vermag erst der differenzierende Blick auf den pädagogischen Aufbau der Person im Ganzen wieder die pädagogische Funktionsweise deutlich zu machen. Erst so ergibt sich eine fundierte, pädagogisch begründete Basis für erzieherisches Handeln. Das heißt, die Lernaufgaben der Lerndimensionen geben vor, mit welchen erzieherischen Mitteln wir das Lernen des Zöglings zu erreichen versuchen. Diesem Verständnis folgend, sollen nun die grundlegenden inhaltlichen Bestimmungsmerkmale der Lerndimensionen kurz umrissen werden. Die Beschreibung hat zunächst nur die Absicht, die spezifische Charakteristik der Lerndimensionen zu verdeutlichen, um diese so voneinander abgrenzbar zu machen.

Entwicklungspädagogik

Подняться наверх