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Babylon, Long Island

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Eine Woche später

Die schwere Limousine hatte den Highway bereits verlassen und bog in eine Stichstraße ab, die hinab zum Wasser führte. Debby saß auf dem Rücksitz und blickte aus dem Panoramafenster, das sie einen Spalt breit geöffnet hatte. Sie genoss diese Fahrt jedes Mal aufs Neue und sog die salzige Meeresluft tief in ihre Lungen. Schon als sie am Bahnhof von Babylon aus dem Zug gestiegen war, hatte sie von Ferne das vertraute Kreischen der Möwen vernommen.

Verborgen hinter hohen Hecken zogen herrschaftliche Anwesen im Landhausstil an ihr vorbei, von denen die meisten nur kurz durch die Tore der privaten Zufahrtswege zu erahnen waren. Am Ende der Straße fiel ihr Blick auf ein gusseisernes Portal, dessen Flügel sich soeben öffneten. Die Limousine glitt hindurch und rollte über den weißen Kiesweg. In einem Bogen zog der Chauffeur das Gefährt um einen venezianischen Brunnen herum, aus dem vier Löwenköpfe Wasser spien, und brachte es vor der Veranda einer Villa zum Stehen. Ein Hausangestellter in Livree eilte herbei, holte das leichte Gepäck aus dem Kofferraum und trug es die Stufen hinauf. Peinlich berührt blickte Debby ihm nach, bis er in der Eingangstür verschwunden war.

Sie umrundete das Gebäude und trat auf die sonnenbeschienene Terrasse des Anwesens. Wie gewöhnlich um diese Zeit saß Ihre Mutter in einem Korbsessel, hatte die Füße auf einen gepolsterten Hocker hochgelegt und ließ den Blick entlang des Horizonts wandern. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie die Anwesenheit ihrer Tochter bemerkte. Debby fiel ihr um den Hals und umarmte sie innig.

»Hallo Mom.«

»Mein gutes Mädchen. Wie schön, dass du da bist«, erwiderte ihre Mutter und tätschelte Debbies Hände. »Ich bin so stolz auf dich.«

Nachdem die Frauen einige Zeit geplaudert und die Strahlen der hoch stehenden Sonne genossen hatten, hob Debby den Kopf und blickte sich suchend um.

»Wo ist eigentlich Pa?«

»Na wo wohl?«, deutete ihre Mutter mit einer Kopfbewegung in Richtung des offenen Meeres. »In der Dämmerung ist er mit deinem Bruder mal wieder zu einem Duell ausgelaufen, aber die beiden wollten eigentlich schon längst zurück sein.«

In einiger Entfernung zum Ufer machte Debby einen weißen Punkt auf dem Wasser aus, der sich gemächlich tuckernd der Küste näherte. Als sie ihre Augen fixierte, erkannte sie die Gwendolyn. Wenig später erstarb das Motorengeräusch und Debbies Vater legte die Yacht in einem gekonnten Manöver an. Mit einem Satz sprang ihr Bruder Max auf den hauseigenen Steg und vertäute die Leinen. Während die beiden Männer die Stufen zur Terrasse erklommen, reckte Max triumphierend eine Anglerbox in die Höhe, die er sogleich an den herbeieilenden Hausangestellten weiterreichte.

»Fünf Blaubarsche und zwei Meerbrassen haben wir rausgeholt. Das Mittagessen ist gesichert. Wir hatten sogar einen Marlin auf dem Schirm, aber kurz hinter Hampton Bays hat der dämliche Detektor das Vieh wieder verloren.«

Debbies Vater seufzte vernehmlich und klopfte seinem Sohn auf die Schulter.

»Fünf zu zwei ist leider auch unser Duell ausgegangen. Ich muss allmählich einsehen, dass ich gegen den Kerl keine Chance mehr habe.«

Debby gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und zwinkerte ihm zu.

»Vielleicht solltest du künftig nur noch deine Geschäftsfreunde mitnehmen, Dad. Auf der anderen Seite hast du ja bald wieder Zeit, um in Übung zu kommen. Hast du dich mit dem Gedanken inzwischen angefreundet?«

Die beiden Männer ließen sich nieder und nahmen gekühlte Erfrischungsgetränke zu sich, die der Hausangestellte auf einem Tablett servierte.

»Was bleibt mir schon übrig?«, erwiderte ihr Vater achselzuckend. »Dem Fallbeil des Ruhestands ist schließlich noch niemand entkommen.«

»Mom hat mir eben erzählt, dass ihr euch nach deinem Ausstand Europa anschauen wollt.«

»Ob die Zeit für ganz Europa reicht, werden wir sehen. Wie ich eben erfahren habe, müssen wir nach zwei Wochen wieder hier sein. Denn dann gibt es richtig was zu feiern.«

Er legte eine Pause ein und strahlte über das ganze Gesicht, während er seinem Sohn die Nachricht überließ.

»Ich werde zum Partner ernannt.«

Debby knuffte ihn freundschaftlich in die Seite, während ihre Mutter vor Freude die Hände vor den Mund schlug.

Als Fahrzeugbauingenieur hatte Debbies Bruder die Entwicklung eines autonomen Steuerungssystems verantwortet, das sich anschickte, in absehbarer Zeit zum Branchenstandard zu werden.

»Gratuliere, Bruderherz!«

»Danke. Das Gesamtpaket kann sich wirklich sehen lassen. Inklusive Prämien komme ich auf drei Millionen pro Jahr. Und meinen Dienstwagen darf ich natürlich frei wählen. Hast du vielleicht eine Empfehlung für mich?«

Debby versuchte, die kleine Provokation zu überhören, zeigte ihr Bruder doch bei jeder Gelegenheit aufs Neue seine Verwunderung über ihren Lebensstil. Auf seiner letzten Party hatte er in ihrem Beisein einen Witz über Menschen gemacht, die mit Anfang dreißig noch immer in Wohngemeinschaften lebten.

»Da kann ich dir leider nicht helfen, Bruderherz. Und selbst wenn ich ein Auto hätte, wäre ich bestimmt kein guter Ratgeber für das Luxussegment.«

»Was hast du bloß gegen Autos?«, seufzte Debbies Vater kopfschüttelnd. »Dank Max lenken sich die Dinger bald sogar von selbst, doch du benutzt immer noch diese öffentlichen Verkehrsmittel.«

»Was soll ich sagen, Dad? In der Bahn oder im Bus musste ich noch nie lenken.«

»Wenn du eine Ahnung hättest, wie viel Zeit meines Lebens ich hinter dem Steuer verschwendet habe. Ganz zu schweigen von dem Stau auf der verdammten 495 nach Manhattan – jeden Tag!«

»Und damit bist du nicht der Einzige«, bestätigte Max. »Allein für berufliche Fahrten wendet ein durchschnittlicher Erwerbstätiger fast fünfhundert Stunden pro Jahr auf. Fünfhundert Stunden, die er nicht sinnvoll nutzen kann, weil er die Hände am Steuer behalten muss. Aber wir schenken den Menschen diese Zeit zurück.«

»Wäre da bloß nicht dieser kleine Unterschied zwischen freier Zeit und Freizeit, Bruderherz. Wer surft auf dem Weg zur Arbeit schon im Internet oder stöbert in einer Illustrierten, wenn E-Mails vom Chef warten? Für die Menschen in meinem Umfeld wären die zusätzlichen Stunden jedenfalls ein vergiftetes Geschenk. Der Arbeitsdruck würde den größten Teil davon aufzehren.«

»Nun streitet euch doch nicht schon ...«, setzte Debbies Mutter in versöhnlichem Tonfall an.

»Lass sie, Gwen!«

»Ich verstehe dich nicht, Deb. Hätte ich vielleicht etwas erfinden sollen, das die Menschen daran hindert, ihre Arbeit effizient zu erledigen? Nur als Tipp unter Geschwistern: Innovation ist, wenn der Markt Hurra! schreit. Und Milliarden Dollar an Wertschöpfung, die unserer Volkswirtschaft künftig nicht mehr durch die Lappen gehen, sind ein ziemlich lautes Hurra.«

»Tut mir leid, aber bis nach Brooklyn habe ich das Hurra noch nicht gehört. Muss am Großstadtlärm liegen.«

In New York hatte die Taxi Workers’ Alliance ihre 45.000 Cabs zu einem Streik aufgerufen, um einen Testbetrieb selbststeuernder Autos zu verhindern und die Arbeitsplätze der Fahrer zu erhalten. Busse und Bahnen hatten sich angeschlossen und der Aktion einen durchschlagenden Erfolg beschert. Bei dem Gedanken daran blies Debbies Vater verächtlich Luft zwischen den Zähnen hervor.

»Selig sind die Ewiggestrigen. Aber welche Innovation hätten die Gewerkschaften denn auch zur Abwechslung mal nicht blockiert?«

»Unsere zum Beispiel«, erwiderte Debby. »Wir erhalten dafür umso heftigere Anfeindungen aus dem konservativen Lager.«

»Also bitte, du willst doch jetzt nicht ernst zu nehmende moralische Warnungen mit den erpresserischen Maßnahmen der Linken vergleichen, oder?«

»Ich halte mich an Tatsachen, Dad. Gestern hat unsere Hochschule einen Anruf ihres wichtigsten Mäzens erhalten. Er will seine kompletten Fördermittel streichen, wenn wir unser Patent nicht zurückziehen. Soll ich das jetzt als ernst zu nehmende moralische Warnung oder als erpresserische Maßnahme verstehen?«

»Ich glaube, ich sollte dringend mal ein paar Worte mit eurem Mäzen wechseln«, bemerkte Max. Während Debby noch die Bedeutung seiner Worte einzuschätzen versuchte, erklang aus dem Inneren der Villa ein Gongschlag. Der Hausangestellte erschien auf der Terrasse und deutete eine Verbeugung an.

»Verehrte Herrschaften, das Essen ist bereitet.«

Drop-outs

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