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2.2. Zain-ul-Abidin
ОглавлениеMann des Glaubens, Mann der Kunst
Als Shahi Khan, genannt Zain-ul-Abidin, aus der Shah Mir-Dynastie im Jahre 1417 n. Chr. den Thron in Kaschmir bestieg, folgte er seinem grausamen Vater Sultan Sikander. Hatte sich Sikander noch gebrüstet, dass er den „Hinduismus im Tal ausgelöscht“ habe, so beschritt sein Sohn Zain-ul-Abidin den entgegengesetzten Weg. Er ermutigte die zwangskonvertierten und vertriebenen Hindus zur Rückkehr nach Kaschmir, schaffte die Zwangssteuern für sie ab und erließ ein allgemeines Verbot der Rinderschlachtung. Daneben zeigte er sich als Mann des Handwerks und der Kunst. Ihm werden einige der wichtigsten Kulturgüter Kaschmirs zugeschrieben: die Kunst des Pashmina-Stickens, die Teppichknüpferei und die Lackboxen-Herstellung. Dies alles machte ihn im kollektiven Gedächtnis vieler Kaschmiris zum Budshah, zum großen König, dessen Toleranz und Kreativität auch heute in Kaschmir noch sprichwörtlich sind.
Foto: Grabmal der Mutter Zain-ul-Abidins.
Die Regierungszeit seines Vaters war von der Verfolgung Andersgläubiger sowie der Zerstörung ihrer Tempel geprägt. Gleichzeitig war dieser bemüht, sich durch den Bau von Moscheen, wie der prachtvollen Freitagsmoschee in Srinagar, unsterblich zu machen. Hatten unter seiner Herrschaft benachbarte Länder wie Tibet noch um ihre Existenz fürchten müssen, so setzte Zain-ul-Abidin auf diplomatische und freundschaftliche Beziehungen, was freilich durch eine starke Armee unterstützt wurde. Er entsandte Botschafter bis nach Aserbaidschan, in die Türkei und Ägypten und bemühte sich als Staatsmann um politisches Gleichgewicht. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass er ausschließlich mit weicher Hand regierte hätte oder dass er ein Friedensaktivist gewesen wäre. Was aus heutiger Sicht jedoch selbstverständlich scheint - gelebte Toleranz und Weltoffenheit -, muss für die damalige Zeit geradezu revolutionär gewesen sein. Dennoch wurden Gesetzesverstöße unter seiner Herrschaft ebenso hart bestraft wie unter der anderer Regenten. Allerdings hatte Zain-ul-Abidin bereits zu Beginn seiner Amtszeit die bis dahin bestehenden Gesetze und Verordnungen einer gründlichen Revision unterzogen. Die von nun an gültigen Regeln wurden in Kupferplatten eingraviert und sowohl auf öffentlichen Plätzen wie in Gerichtsgebäuden zur Schau gestellt (vgl. Dhar 1999, S. 60). Es sollte niemand sagen, er habe die Gesetze nicht gekannt.
Den unter seinem Vater vertriebenen Hindus versprach er Freiheit in der Ausübung ihres Glaubens, und er versah sie mit denselben Bürgerrechten wie seine muslimischen Untertanen sie auch genossen - ein wichtiger Schritt zur Etablierung einer gerechten Gesellschaftsordnung. Folgerichtig kehrten viele Hindus nach Kaschmir zurück, wo sie zu einem verlässlichen Bestandteil der staatlichen Verwaltung avancierten. Zain-ul-Abidin, selbst ein Mann des Wortes und der Gelehrsamkeit, versammelte zahlreiche persische, arabische und hinduistische Gelehrte an seinem Hof, wo sie ihr Wissen in die Staatsführung des toleranten Regenten einfließen ließen. Persisch wurde die offizielle Hofsprache. In seine Amtszeit fallen auch bedeutende Bauten und infrastrukturelle Verbesserungen in Kaschmir, von denen einige noch heute existieren. So ließ er Wasserkanäle graben, um den Warentransport im Tal zu erleichtern, und lange vor Errichtung der berühmten „Mogulgärten“ ließ er bereits an verschiedenen Stellen Parkanlagen erbauen (vgl. Dhar 1999, S. 60). Als ausgewiesener Kenner der Handwerkskünste Samarkands ermutigte Zain-ul-Abidin Handwerker und Künstler dieser Region, nach Kaschmir zu kommen, um, so will es die Legende, die Kaschmiris dieser Kenntnisse teilhaftig werden zu lassen. Die Meister kamen, und so ist es der Weltoffenheit Zain-ul-Abidins zu verdanken, dass wir heute prachtvolle Teppiche aus Kaschmir bestaunen und erwerben können. Tausende kleine Teppichknüpfereien sind über das Kaschmir-Tal verstreut, und auch die unter seiner Herrschaft eingeführte Seidenproduktion existiert noch, wenngleich in bescheidenem Rahmen. Beim Städtchen Pampore und nahe des Dorfes Pahalgam werden die dazu benötigten Maulbeerbäume gezüchtet.
Foto: Ein für das Opferfest vorgesehenes Schaf wird auf dem Gelände des Schreins gehütet.
Kein Wunder also, dass sich die Untertanen Zain-ul-Abidins unter seiner Regentschaft wohl gefühlt haben müssen und ihn deshalb zum Budshah erklärten. Vereinte er doch, im Gegensatz zu seinem grausamen Vater, sämtliche Eigenschaften eines verantwortungsbewussten Staatsmannes, der - um es neudeutsch zu umschreiben - auf Kommunikation, Integration und politische Allianzen setzte, nicht auf Konfrontation. Gegen Ende seines Lebens wurde das Reich Zain-ul-Abidins von Naturkatastrophen heimgesucht. Überschwemmungen und Hungersnöte bedrohten die wirtschaftliche Existenz des Königreiches Kaschmir, und auch innenpolitisch stand nicht mehr alles zum Besten. Die Sayyiden, welche auch die gleichnamige Dynastie in Delhi gründeten, breiteten sich in Kaschmir aus. Seine Söhne stritten miteinander um die Macht und die Nachfolge des Vaters. Die Machtverhältnisse wurden zunehmend instabil. Im Jahr 1470 starb der beliebte Regent. Nach dem Tod Zain-ul-Abidins gewannen immer wieder wechselnde Stammesführer an Einfluss, dem sich auch die jeweiligen Herrscher kaum widersetzen konnten. Kaschmir versank erneut für einige Zeit in politischer Unsicherheit und religiösem Zwist, den auch Schiiten und Sunniten miteinander austrugen (vgl. Dhar 1999, S. 60).
So waren die soziopolitischen Errungenschaften des Budshah zwar nicht von Dauer, die kollektive Erinnerung an die entsprechenden Werte lebt aber bis heute im kulturellen Selbstverständnis vieler Kaschmiris weiter. Auch von seiner Weltoffenheit kündet in der Altstadt Srinagars noch ein weithin sichtbares Monument. Es ist das Grabmal seiner Mutter, das er im persischen Stil für sie errichten ließ. Hinter dem großartigen Bau befindet sich ein kleiner Friedhof, umgeben von einer Mauer. Darin, so glaubt man, befindet sich auch das Grab des Budshah höchst selbst (Archeological Survey of India). Fast scheint es, als wolle er bis in alle Ewigkeit darüber wachen, dass die fragilen Werte religiöser Toleranz und politischer Weltoffenheit nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.