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2.4. Starb Jesus in Kaschmir?

Fakten und Meinungen zur These vom Tode Jesu Christi in Srinagar

Stellen Sie sich vor, Jesus Christus sei nicht am Kreuz auf dem Hügel Golgatha in Jerusalem gestorben. Vielmehr sei er auf dem Landweg nach Kaschmir gewandert, wo er geheiratet habe und schließlich in hohem Alter eines natürlichen Todes gestorben sei. Unmöglich? Genau das glauben aber nicht wenige Menschen, und das wird in verschiedenen Publikationen und Pamphleten mehr oder weniger sachlich begründet vertreten. Es gibt auch einen geografischen Ort, an dem sich diese These festmachen lässt. Die kaschmiri Muslime nennen ihn Rozabal. Das ist ein kleiner Schrein am Rande der Altstadt von Srinagar, im Stadtteil Khanyar gelegen.

Foto: Der Rozabal-Schrein in Khanyar.

Immer wieder stößt man in Publikationen auf die These, dass Christus seine letzten Tage im lieblichen Kaschmir-Tal verbracht habe. Selbst renommierte deutsche Magazine wie der Stern und die Bunte widmeten sich diesem Thema bereits. Auch das ZDF und 3Sat mochten da nicht zurück-stehen und griffen die Fragestellung in der Sendung „Terra X“ auf. Derzeitiger Hauptprotagonist der These vom Leben Jesu in Kaschmir ist ein indischer „Historiker“ namens Fida Hassnain. Ausgangspunkt seiner zweifelhaften Ausführungen ist der Text einer alten Sanskrit-Schrift aus dem 2. Jahrhundert, die freilich nur mehr als Kopie existiert und daher nicht als Primärquelle für eine derartige Behauptung herhalten kann.


Bereits vor über hundert Jahren verfasste Mirza Ghulam Ahmad, der Gründer der Ahmadiyya-Gemeinschaft, die von vielen Muslimen nicht als „wahre“ Muslime angesehen wird, ein Pamphlet mit dem Titel ,Jesus starb in Indien“ (Ahmad 1998). Ahmad kann in gewisser Weise als „Vater“ dieser noch heute anzutreffenden These gelten, wenngleich seine Ausführungen und „Beweise“ fernab jeder wissenschaftlichen Fundierung liegen. In seine Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts fallen auch einige Reiseberichte, deren Autoren bestrebt waren, die Anwesenheit Jesus in Nordindien nachzuweisen. Die meisten der aufgestellten Behauptungen und Verweise können mittlerweile wohl als widerlegt betrachtet werden (vgl. Grönbold 1985), aber nach wie vor hält sich hartnäckig das Gerücht, Christus sei in Srinagar begraben.

Foto: Heiligengrab im Rozabal-Schrein.

Die Argumente der Verfechter dieser These

Mirza Ghulam Ahmad begründet in seinem Pamphlet die These vom Leben und Sterben Jesu Christi in Kaschmir auf zwei Ebenen - religiös und historisch. Auch Fida Hassnain stützt sich in seiner Argumentation primär auf vermeintliche geschichtliche Originalquellen. Schließlich bemühen zahlreiche Autoren den Reisebericht eines gewissen Kosaken-Offiziers Notowitsch, der bereits im Jahr 1894 seine Ergebnisse einer staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Folgt man den Ausführungen Mirza Ghulam Ahmads, so hatte Jesus Christus den göttlichen Auftrag, die „verlorenen Stämme Israels“ zu finden, die er im Gebiet zwischen Afghanistan und dem Punjab lokalisierte. Er beruft sich dabei auf „Beweise“ im Koran und macht sich die Tatsache zunutze, dass der Islam davon ausgeht, Christus sei eben nicht am Kreuz gestorben. Fragwürdige Kausalitätsketten gipfeln in der Aussage, dass „Kaschmir Scham (Syrien und das darumliegende Land - d. Autor.) ähnelt.“ und er daher geradezu verdammt war, „seinen Wohnsitz in diesem Land“ zu nehmen. Aus der Sicht Ahmads avanciert Jesus Christus quasi zu einer Art Proto-Tourist mit göttlicher Beauftragung. Immerhin sollte er nicht nur die „verlorenen Stämme“ ausfindig machen und ihnen die christliche Botschaft übermitteln, sondern er verband das Nützliche mit dem Angenehmen, denn Jesus, so Ahmad, „kam in den Punjab, wobei er letztlich die Absicht hatte, nach Kaschmir zu gehen, wenn er den Punjab und Hindustan gesehen hätte“.

Die Quellenlage

Sowohl Ahmad als auch Hassnain und Notowitsch führen buddhistische und Sanskrit-Quellen als Beleg für ihre These vom Leben, Missionieren und Sterben Jesu Christi in der Himalaja-Region an. Bedauerlicherweise wirken all diese Belege konstruiert, denn es findet sich in den zitierten Schriften kein eindeutiger Hinweis, der die Behauptungen der entsprechenden Autoren belegen würde, wenngleich Fida Hassnain der Meinung ist, dass seine Beweiskette „lückenlos“ sei und sie „vor jedem Gericht bestehen“ könne. Schlimmer noch, der russische Reisende Notowitsch versteigt sich in seinem Bericht zu der gewagten Aussage, er habe die entsprechenden Quellen auf seinem Trip durch den Himalaja selbst gesehen. Pech für ihn, dass der deutsche Indologe Max Müller herausfand, dass in den von Notowitsch aufgeführten Klöstern Ladakhs kein Mann seines Namens bekannt war. Weitere Unvereinbarkeiten im Bericht des russischen Reisenden werden von zeitgenössischen Kolonialbeamten und Forschern als Scharlatanerie des fantasievollen Kosaken entlarvt.


Mirza Ghulam Ahmad selbst scheint niemals in Kaschmir gewesen zu sein, ganz im Gegensatz zu Hassnain und Notowitsch. Somit spielen in seinen Ausführungen kulturhistorische Belege keine Rolle. Auch die beiden anderen Autoren können nicht mit entsprechenden Nachweisen dienen, ganz einfach weil sie nicht existieren. Dies ist insofern bezeichnend, als die Geschichte Kaschmirs vergleichsweise gut dokumentiert ist. Wäre ein Mann in dieser Region aufgetaucht, der sich selbst Ishaputram (Gottes Sohn) nannte, so wäre dies nicht ohne Auswirkungen auf die historische und orale Tradierung in der Gesellschaft Kaschmirs geblieben, die wohl als ausgesprochen volksfrömmig gelten kann. Doch weder das Rajatarangini noch mündlich überlieferte Geschichten aus der Bevölkerung erwähnen eine Person mit den beschriebenen Attributen. Das ist umso bedeutsamer, als ansonsten die Reihe „heiliger Männer“, die sich im Verlauf der Jahrhunderte in Kaschmir betätigt haben, äußerst präsent im kulturellen Gedächtnis dieser Region ist.


Foto: Tür zum Rozabal-Schrein

Ungeachtet dessen besteht Fida Hassnain darauf, das Jesus-Grab in Srinagar ausfindig gemacht zu haben. Als Beleg für seine bahnbrechende „Entdeckung“ führt Hassnain ein Holzkreuz, einen Sarkophag und zwei Fußabdrücke auf einer Steinplatte an, die sogar die Wundmale der Kreuzigung Christi aufweisen sollen. Selbst wenn man akzeptiert, dass es sich bei diesen Abdrücken um stilisierte Artefakte handelt, die von Gläubigen der damaligen Zeit angefertigt wurden, um ihrer Verehrung Ausdruck zu verleihen, fehlen die korrespondierenden volksreligiösen Überzeugungen in der kaschmiri Gesellschaft gänzlich. Selbst in der unmittelbaren Nachbarschaft des kleinen Rozabal-Schreins, der die drei „Reliquien“ Jesu Christi enthält, gilt der Schrein als das, was er vermutlich ist - das Heiligtum zweier Sufis, die hier verehrt werden, und sonst nichts. Es ist selbstverständlich nicht auszuschließen, dass frühe Christen - immerhin soll der Heilige Thomas bereits im Jahre 52 n. Chr. die christliche Lehre nach Südindien gebracht haben - an dieser Stelle eine Verehrungsstätte für ihren verstorbenen Meister errichteten, die zu einem späteren Zeitpunkt in einen Sufi-Schrein umgewandelt wurde. Entsprechende Belege hierfür existieren jedoch ebenfalls nicht.

Mythos Kaschmir

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