Читать книгу Pelle und die schöne Bertha - Oliver Witt - Страница 10

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Eine Dame von Welt

Nach vierzehn Tagen war es dann endlich so weit: ich durfte in meinen neuen Garten. Mir war auch schon ziemlich langweilig geworden. Eine Abwechslung gab es allerdings. Das pfundige Zauberwesen, diese umwerfende Schöne, dieser Ausbund an Eleganz tauchte hin und wieder vor meinen Augen auf. Jedes Mal fand ich sie anziehender. Sie hatte einfach Klasse – und dieser Ausdruck in ihren Augen ließ immer wieder meine Schnurrbarthaare erzittern. Es wurde Zeit, ich musste raus.

Der erste Freigang war mir enorm peinlich, und ich konnte nur hoffen, dass mich keiner meiner neuen Bekanntschaften dabei beobachtete. Denn eines war ja klar – mein Katzenpapa blieb erstmal in meiner Nähe und beobachtete jeden Schritt, den ich machte. Und dann seine Anmerkungen: „Nun lauf mal nicht so weit, Pelle.“ „Pass auf, da vorne ist ein Zaun, sei schön vorsichtig.“ „Nein, du darfst noch nicht aufs Nachbargrundstück.“ Wirklich, ich kam mir vor, als wäre ich ein Jahr alt. Ich freute mich deswegen umso mehr auf meinen ersten Gang in die Freiheit, den ich alleine unternehmen durfte.

Und tatsächlich: nach einer Woche des Übens („Nein, Pelle, nicht so weit!“) durfte ich endlich durch meine Katzenklappe ganz alleine nach draußen. Übrigens: Diese Katzenklappe war eine Beleidigung. Als mein Katzenpapa damit nach Hause kam, sagte er: „Tja, Pelle, in deiner Größe gab es keine mehr, ich musste eine Hundeklappe kaufen.“ Und sogar der Glaser, der die Klappe in die Terrassentür einsetzte, erdreistete sich festzustellen: „Du liebe Güte, Ihr Kater ist aber ein ganz schöner Brummer.“ Ich war empört.

Dabei konnten doch beide beobachten, wie ich lässig und voller Eleganz durch diese Katzentür nach draußen kam. Erst die linke Vorderpfote nach draußen, dann die rechte. Gut, als ich meinen Körper hindurchschieben wollte, wurde es mir etwas eng um den Bauch, aber wie gesagt, ich war ja auch ein stattlicher Kater. Dann noch die beiden Hinterpfoten nachgezogen – und ich saß frei und allein auf der Terrasse. Jetzt endlich hatte ich Zeit und Muße, mir alles genau zu betrachten und alles zu beschnuppern.

Das Wetter spielte auch mit. Die Sonne schien, die Vögel in den Bäumen zwitscherten fröhlich, die Bäume waren saftiggrün und die Blumen blühten. Mittlerweile war es Juni geworden und schön warm, eben so, wie wir Katzen es lieben. Ich lief langsam im Garten herum und roch an allem.

Ja, hier schien eine Menge los zu sein. Viele Botschaften konnte ich entziffern, und nicht alle waren freundlich. Eigentlich war keine freundlich. Alles, was ich erschnüffelte, waren Nachrichten, die mir die Benutzung der gesamten Gegend untersagten. Nun ja, ich musste mir schließlich nicht alles bieten lassen, ein Großteil des Katerlebens besteht daraus, sein eigenes Gebiet zu erobern, es zu behalten und zu vergrößern. Darin sind wir den Menschen gar nicht so unähnlich.

Wie auch immer, ich schnupperte vor mich hin, rollte mich ein paar Mal auf der warmen Erde im Blumenbeet, putzte mich und freute mich meines Lebens.

Das Ende des Gartens ging in ein kleines Wäldchen über, das hinter dem Haus anfing. Herrlich, wie es hier duftete. Während ich mir die Gegend besah, fauchte es plötzlich hinter mir. Ich drehte mich ganz langsam und mit aufgestellten Nackenhaaren um. Fast direkt vor mir saß ein schwarzer Kater mit bernsteinfarbenen Augen und einem zotteligen Pelz. Er sah nicht gerade aus wie jemand, der es gut mit mir meinte. Er fauchte wieder und sagte dann: „Wat bes du dann för einer?“

Ich verstand ihn nicht. „Wie bitte?“, fragte ich.

„Wat bes du dann för einer? Du häs he nix ze söke!“

Er blickte mich bösartig an und stieß ein wildes Knurren aus.

Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Was für eine Sprache war das bloß?

„Ähm, do you speak English?“, versuchte ich es höflich.

Der schwarze Kater plusterte sich gefährlich auf und wetzte seine Krallen.

„Jläuv ja nit, dat do och nur e Fitzche vun uns Foder kriss!“

Meine Verzweiflung wuchs. „Parlez-vous francais?“, versuchte ich es, jetzt schon ziemlich beunruhigt.

Der schwarze Kater lachte dreckig. „Du bes ävver janz schon blöd. Du versteihst ja noch net ens, wat isch sage.“

Er erhob eine Pfote und wollte mir eins überbraten. Ich duckte mich schon und bereitete mich innerlich auf einen Kampf vor, als plötzlich ein Stimme aus dem Gebüsch erklang, die sagte: „No loß en ens in Rau!“

Ich drehte mich um. Sprachen hier eigentlich alle nur so ein Kauderwelsch? Ich verstand immer noch kein Wort. Doch plötzlich folgte der Stimme die dazugehörige Katze – und was soll ich Ihnen sagen? Es war mein Hähnchen in Gelee, meine Vielpfünderin, meine unwiderstehliche, bisher nur aus der Ferne Angebetete – mit ihrem kecken Schleifchen auf dem Kopf! Und dann erst ihre Stimme. Ein bisschen tief, als hätte sie lange mit zu viel Katzengras gefeiert, aber dennoch betörend. Und offenbar hatte sie in dieser Gegend einen gewissen Einfluss, denn der fiese schwarze Kater fuhr seine Krallen ein und sah etwas einfallslos aus der Wäsche. Meine hübsche Verführerin fauchte ihn kurz an und sagte zischend: „Maach dich vum Acker, du Quadratschnüß. Söns kriss de eene op de Hot“.

Bei ihr klang diese merkwürdige Sprache irgendwie … anders. So anziehend. Herrje, mir wurde ganz warm unter meinem Pelz. Aber es schien zu funktionieren, denn der schwarze Kater trat grummelnd den Rückzug an.

Sie wandte sich mir zu und sagte: „Entschuldigen Sie, mein Herr. Sonst ist es nicht meine Art, so ausfallend zu werden. Aber dem schwarzen Ferdinand müssen Sie immer direkt die Meinung sagen, sonst macht er, was er will. Und Sie sind?“

Sie sah mich mit ihren herrlichen blauen Barockaugen an. Ich war so fasziniert, das ich versäumte zu antworten.

„Mein Herr, wollen Sie sich denn nicht vorstellen?“, fragte sie mit ihrer herrlich schnurrenden tiefen Stimme. Es schwang eine gewisse lässige Weltgewandtheit in ihrem Ton mit, aber gleichzeitig auch etwas sehr Bodenständiges.

„Ich?“, fragte ich dumm.

„Ja, Sie. Da ich Sie noch nie hier gesehen habe, wüsste ich doch als Dame sehr gerne, mit wem ich es zu tun habe.“

Ich riss mich zusammen. „Ich heiße Pelle und komme aus Plön.“

Sie betrachtete mich aufmerksam.

„Plön? Wo soll das sein? Von diesem Ort habe ich noch nie gehört.“

„Das ist ein wunderschöner Ort, hoch oben in Norddeutschland, ungefähr 600 Kilometer von hier.“

Sie staunte. „Da sind Sie aber lange und weit gereist. Seit wann wohnen Sie hier?“

„Sei zweieinhalb Wochen. Aber ich verstehe hier niemanden. Sprechen hier alle so wie der schwarze Fritz? Das klang ziemlich merkwürdig.“

Sie lächelte. „Ferdinand“, sagte sie.

„Wie bitte?“

Sie wiederholte den Namen. „Ferdinand heißt der schlechtgelaunte Kerl. Und die Sprache, die er spricht, nennt man Kölsch. Der hiesige Dialekt. Ich persönlich bevorzuge ja Hochdeutsch, wie es sich für eine Dame gehört.“

Diese Stimme! Einfach faszinierend. Und wie sie sich jetzt die Vorderpfote schleckte – tatsächlich ganz wie eine Dame. Ich wagte einen Vorstoß.

„Darf ich Sie denn auch fragen, wie Sie heißen, Verehrteste?“

Ich achtete auf meine Wortwahl. Hier ging es um alles.

„Sie dürfen, mein Lieber, Sie dürfen. Ich bin …“ – sie machte eine dramatische Pause – „Bertha von Hackenbroich.“

Eine geborene „von“. Ich war zutiefst beeindruckt. Und Bertha! Was für ein klangvoller Name. Wie passend für eine Dame von edlem Geblüt.

„Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen“, sagte ich formvollendet und versuchte eine elegante Verbeugung, die leider nur mittelprächtig gelang.

„Mich ebenfalls, lieber Herr Pelle. Die Freude ist ganz meinerseits. Sie sind ja ein so stattlicher Herr. Und so gepflegt, dass muss ich schon sagen. Ganz anders als diese ganzen ungehobelten Kerle hier. Sie glauben gar nicht, wie schwer man es hier manchmal als Dame hat in dieser Gegend.“

Augenblicklich schwor ich mir, sie in Zukunft vor jedem Angreifer zu beschützen. Ich plusterte mich ein bisschen auf, um größer zu wirken.

„Da machen Sie sich aber mal keine Sorgen mehr. Ich werde mich bemühen, dass Sie künftig nicht mehr belästigt werden.“

Wie redete ich denn plötzlich? So hochgeschwollen. Aber ihr schien es zu gefallen. Denn sie lächelte mich an und sagte: „Da Sie ja noch neu hier sind, darf ich Sie heute Abend zu einer kleinen privaten Soirée einladen? Ich würde Sie dann einigen wenigen Freunden vorstellen. Es gibt auch eine Kleinigkeit zu essen. Makrele, Lachsgelee und Sahne aus dem Becher. Machen Sie mir doch die Freude und schauen vorbei.“

Konnte ich da nein sagen? Hätte ich Bertha widerstehen sollen? Nein, sie hatte mit ihrer tiefen Stimme und ihrer propperen Figur mein Katerherz erobert.

„Wenn Sie mir noch verraten wollen, wo Sie zu Hause sind, Gnädigste, werde ich Sie gerne besuchen kommen.“

Sie warf den Kopf zurück und zeigte mit ihrem bildhübschen Pfötchen in Richtung Norden.

„Wenn Sie dort hinten durch den großen Garten gehen, kommen Sie auf einen Friedhof. Dort sind meine Ländereien und Sie werden mich dort mit meinen Freunden finden. Gleich rechts neben dem Eingang beginnt eine breite Mauer. Auf der treffen wir uns an schönen Sommertagen wie diesem hin und wieder auf einen Cocktail oder ein paar edle Canapés. Ich würde mich wirklich sehr freuen, Sie dort begrüßen zu dürfen. Pünktlich um 21 Uhr, wenn es dämmert. Zur l’heure bleu, sozusagen.“

Ich hatte zwar keine Ahnung, was das war, aber schließlich war Bertha von Hackenbroich eine Dame von Welt und ich nur ein Kater aus Stakendorf. Ich nickte begeistert.

„Ich werde da sein, Teuerste.“

Sie drehte sich hoheitsvoll um und wisperte etwas in meine Richtung, das klang wie „oh reh war“ oder „oorrewa“. Vielleicht wieder so ein typisch kölscher Ausdruck, dachte ich. Dass es „au revoir“ hieß, lernte ich erst später von Berha.

Ich ging verträumt meinen Weg nach Hause. Was für ein Geschöpf! Hatten mich meine Beobachtungen doch nicht getäuscht. Bertha war, so schien es mir auf Anhieb, einmalig. Eine Dame, von edlem Blut und mit Manieren, aber dennoch mit Temperament. Und ich hatte eine Verabredung mit ihr!

Mein neues Zuhause gefiel mir immer besser – von Bertha ganz zu schweigen.

Pelle und die schöne Bertha

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