Читать книгу Pelle und die schöne Bertha - Oliver Witt - Страница 8

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Pelle zieht um

Ich sag’s ja nicht gerne, aber irgendwann muss es mal raus: Die meisten Menschen machen einfach alles verkehrt. Immer sind sie in Hektik, immer wollen sie noch mehr verdienen, immer wollen sie sich verändern. Das ist doch anstrengend! Ich verstehe das überhaupt nicht – und ich gebe Ihnen mein großes Katerehrenwort, dass mindestens 90 Prozent aller Katzen das genauso sehen. Warum immer dieses Durcheinander? Würden die Menschen es mehr machen wie wir, würde in der Welt nicht so ein Chaos herrschen.

Das fängt schon mit den Ruhepausen an. Natürlich stehe ich morgens auf, wenn ich höre, dass mein Napf gefüllt wird. Das ist dann quasi meine Tasse Kaffee. Am liebsten übrigens mit Thunfisch. Also, nicht im Kaffee, sondern im Napf. Aber was machen die Menschen dann? Waschen sich schnell, ziehen sich an, stürzen aus dem Haus und hetzen zur Arbeit. So etwas würde ich niemals tun! Nach dem Frühstück springe ich ganz entspannt auf mein Lieblingssofa und wasche mich ebenfalls – aber in aller Ruhe und sehr gründlich. Erst die Pfoten, dann die Vorder-und Hinterbeine, dann wird alles hinter den Ohren gereinigt – und am Schluss kommt dann noch der Pö… nein, das würde jetzt zu weit führen.

Jedenfalls sind Menschen im Vergleich zu uns Katzen richtig kleine Ferkelchen, soviel muss ich schon sagen. Denn wir putzen und säubern uns mehrmals am Tag – bei einem Menschen habe ich das noch nie erlebt.

Und dann diese Hektik mit der Arbeit! Wenn ich gefrühstückt und mich gewaschen habe, beginne ich den Tag mit einem ausgiebigen Schläfchen. Man verpasst doch nichts, wenn man so ganz in Ruhe vor sich hindöst. Aber nein, der Mensch muss immer irgendwohin. Ich nicht. Von meinem Sofa bekommt mich zwischen neun und zwei keiner runter.

Dann, wenn ich gemütlich aufwache, wasche ich mich natürlich erstmal wieder – und erst dann gehe ich durch meine Katzenklappe nach draußen. Aber nur im Sommer. Im Winter und Herbst ist es zu kalt. Bei Regen bleibe ich ebenfalls drin, esse um zwei eine Kleinigkeit und schlafe dann gemütlich weiter. Und bei starkem Wind gibt’s auch keinen Spaziergang durch den Garten, da gerät mir mein sorgfältig geputzter Pelz durcheinander. Menschen hingegen müssen immer raus. Egal, ob es stürmt oder schneit – Hauptsache, man geht zur Arbeit.

Manchmal sagt mein Katzenpapa zur mir: „So, Pelle, ich gehe dann mal arbeiten, um Geld für Katzenfutter zu verdienen.“ Wie oft habe ich dann geantwortet: „Musst du gar nicht, ich könnte uns auch einen schönen großen Vorrat an Mäusen und Ratten anlegen, die schmecken und sind nahrhaft“ – aber verstanden hat er mich bis jetzt noch nie. Meistens tätschelt er mir dann den Kopf und meint: „Na, wir sind aber heute wieder gesprächig“. Ich meine, meistens kapiert er ja ganz gut, was ich von mir gebe, aber zu richtigem Kätzisch reicht es bei ihm selbst nach all den Jahren nicht. Trotzdem habe ich ihn gern, denn er behandelt mich gut.

Nur eines treibt mich zur Weißglut. Wenn ich manchmal so richtig schön gemütlich abends auf dem Sofa auf seinem Bauch liege, gibt er mir ab und zu ein Küsschen auf die Nase … Widerlich!!! Ekelhaft!!! Würde er wenigstens nach Lachs oder Hühnchen in Gelee riechen, würde ich mir das vielleicht noch gefallen lassen, aber mich einfach so zu küssen – nein, da bin ich aber ganz schnell runter vom Sofa und renne in den Garten.

Trotzdem – eigentlich haben wir es ganz schön so zu zweit. Oder ich sollte besser sagen: hatten. Denn obwohl für mich im schönen Plön alles perfekt war – Grundstück am See, kleine Entenküken zum Jagen, mein Freund Otto wohnte gleich nebenan, dieser schwarze Kater, vor dem sie alle Angst haben, wenig Verkehr auf der Straße – hörte ich in Telefonaten immer öfter den Namen „Köln“. Ich bin ja nicht doof. Ich weiß, was das ist, dieses Köln. Ich habe mal zufällig auf dem Sofa gelegen, als mein Katzenpapa so eine merkwürdige Sendung guckte. Da hatten die Menschen alle ganz alberne Kostüme an, sangen unentwegt schreckliche Lieder, bevor wieder ein Redner ans Pult trat und stundelang redete. Und nach jedem schlechten Witz riefen dann alle: „Kölle Alaaf!“

Ich wusste also ganz genau, wie es in dieser Stadt zuging. Wahrscheinlich verkleideten diese Verrückten dort auch noch ihre Tiere. Also hielt ich meine wohlgeformten Katerohren offen und versuchte, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen, wenn mal wieder das Wort „Köln“ fiel. Ich weiß noch, als Otto und ich ganz erschöpft vom Entenerschrecken auf der Hollywood-Schaukel im Garten von Heckenreuthers lagen – das waren Ottos Katzeneltern …

Ich sagte: „Otto, mir gefällt das nicht. Ich befürchte, wir werden umziehen. Ständig ist von Köln die Rede, dass er eine Wohnung sucht und wir da wohl hinziehen werden. Ich will aber nicht.“

Otto brummte mit halbgeschlossenen Augen: „Ausgerechnet Köln. Ich habe da mal einen Bericht im Fernsehen gesehen. Meine menschliche Mitbewohnerin ist ganz verrückt nach diesen Sendungen. ‚Köln wie es singt und lacht‘ heißen die.“

Ich gähnte. „Die gibt’s nicht. Das heißt ‚Mainz, wie es singt und lacht‘ und hat mit Köln gar nichts zu tun.“

Otto überlegte kurz. Dann meinte er: „Stimmt, das heißt ‚Köln bei Tag und Nacht‘. Da spielen nur Verrückte mit, die nichts anderes tun, als warmes Bier zu trinken und mit so einem ganz komischen Dialekt zu sprechen. Na, wenn du dahin musst, mein herzliches Beileid.“

Ich starrte vor mich hin: „Mich hat natürlich mal wieder keiner gefragt.“

Und da komme ich wieder zu meinem Anfangsargument: Menschen machen einfach alles verkehrt. Da haben sie endlich einen gemütlichen Platz zum Wohnen gefunden, fühlen sich wohl – und paff! schon kommt wieder alles anders und man wird über 500 Kilometer weiter nach Westen verschleppt. Wir Katzen mögen nun einmal keine Veränderungen. Ich will meinen Napf morgens genau da sehen, wo ich ihn abends stehengelassen habe. Ich möchte, dass mein Katzenklo immer schön sauber an derselben Stelle steht. Ich bestehe darauf, dass mir mein Schlafplatz freigehalten wird. Der Tagesrhythmus folgt meinem ganz bestimmten Muster. Und nun sollte so ein Umzug alles verändern.

Aus lauter Ärger verdrückte ich an diesem Abend statt einer Portion Lamm in Gelee gleich noch einen Napf Rind in Sauce. Wen kümmert denn bei so einer furchtbaren Umzugsidee noch die Figur? Wie gesagt, ich bin ja sowieso eher stattlich. Stattlich, nicht dick, bitteschön. Und ich frage Sie: Wie würde es Ihnen gefallen, eingesperrt in einem Käfig in einem rumpelnden Auto über sechs Stunden auf der Autobahn herumzufahren?

Sehen Sie, wusste ich es doch.

Aber Menschen reisen ja auch viel komfortabler als wir Tiere. Da gibt’s hier mal eine Erfrischung, dann geht man dort auf die Toilette, vertritt sich etwas die Beine – nur wir, wir müssen bis ans Ende der Fahrt an uns halten, können uns nicht wirklich bewegen in unserem Katzentransporter, selbst wenn er noch so geräumig ist. Und wenn uns dann wirklich mal ein Stinkie entflutscht, dann ist aber Land unter. Ja, glauben Sie denn, wir machen das gerne? So sauber, wie wir sind? Aber trotzdem gibt’s erstmal Gemecker: „Iiiih, lass‘ uns bloß das Fenster aufmachen, das riecht ja ekelhaft“. Und obwohl keine Katze gerne in ihrem eigenen Mist sitzt, ist das immer der Moment, in dem ich dann doch einen klitzekleinen Hauch von Schadenfreude verspüre, während der Mensch am Steuer einen Hauch von Sch… verspürt.

Und wissen Sie was? Ich hatte mit allem Recht. Im Grunde habe ich damit unseren Umzug beschrieben. Denn genau so, wie von mir befürchtet, kam es. Zuerst wurden immer mehr Dinge eingepackt, dann verschwanden die Bücher, dann ein Großteil der Möbel. Ich wurde am Umzugstag im Schlafzimmer eingesperrt mit meinem Napf, meiner Wasserschale und meinem Katzenklo. Da würde ich auch gerne mal fragen: Wie würde es Ihnen denn gefallen, wenn man Sie stundenlang in der Nähe Ihrer Toilette gefangen hält und Ihnen Ihr Essen direkt daneben stellt?

Aber wohlerzogen, wie ich bin, ließ ich das alles über mich ergehen. Kurzfristig hatte ich ja vorher mit dem Gedanken geliebäugelt, einfach nicht mehr nach Hause zu kommen und meinen Katzenpapa alleine umziehen zu lassen. Aber wir Katzen haben eine große Schwachstelle: Wenn uns ein Mensch gut behandelt, trennen wir uns nie von ihm und gehen mit ihm durch dick und dünn. Und wenn es gut für uns läuft, beruht diese Zuneigung dann auf Gegenseitigkeit.

Ich kannte meinen Katzenpapa, seit ich acht Wochen alt war. Als Notfallkätzchen hatte er mich aufgenommen und aufgepäppelt. Nein, ich konnte ihn nicht verlassen. Und bei aller Abschiedswehmut keimte in mir ein neuer Gedanke: Wir würden diese wildfremde Stadt namens Köln gemeinsam erobern. Irgendjemand musste doch schließlich wissen, wo es langgeht – und das war eben ich.

Am Abend, bevor es losging mit unserem Umzug, ließen Otto und ich es nochmal so richtig schön krachen. Wir wussten, wir würden uns nie wiedersehen. Also machten wir nochmal eine richtig schöne Katersause. Zuerst lockerten wir uns mit einer großen Portion Katzenminze etwas auf, dann gaben wir in der stillen Sommernacht noch ein schönes Konzert – und zum Abschluss pinkelten wir noch ausgiebig in den schrecklichen Steingarten von Hermine Schleglmeier.

Bevor Sie jetzt irgendetwas sagen: sie hatte es verdient. Sie verjagte jede Katze, mochte keine Vögel, Hunde waren ihr verhasst, und die Natur im Allgemeinen war ihr geradezu widerwärtig. Nein, die durfte sich gerne wundern, warum es bei ihr auf der Terrasse und auf ihren Steinen plötzlich so streng roch.

Als es Zeit war, nach Hause zu gehen, sahen Otto und ich uns lange an. Dann machten wir das, was ausgewachsene Kater immer machen. Ohne großes Brimborium sagten wir „Tschüss, mach’s gut“ und drehten uns um. Sentimental sind wir Kater nämlich nicht. Daran konnten auch unsere paar heimlichen Tränen nichts ändern.

Keine vierundzwanzig Stunden später war ich dann Kölner. Und lernte kurz darauf Bertha kennen.

Pelle und die schöne Bertha

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