Читать книгу Pelle und die schöne Bertha - Oliver Witt - Страница 11
ОглавлениеKatzenboulevard der Dämmerung
Eines war mir klar: Für die ör blö oder hör blöd – ich wusste noch immer nicht, was das war – musste ich mich ordentlich vorbereiten. Schließlich war es nicht ausgeschlossen, dass dort noch mehr feine Damen von Welt auftauchen würden. Ich putzte mich den ganzen Nachmittag von oben bis unten, von vorne nach hinten, sortierte meinen Pelz und wälzte mich ausgiebig auf meinem Baldriankissen. Für Bertha wollte ich gut riechen, wie es bei einem stattlichen Kater der Fall sein sollte. Als Gastgeschenk mopste ich aus dem Küchenschrank, von dem ich wusste, wie man ihn aufbekommt, noch ein Päckchen Kaninchen Royal. Um neun Uhr war es schließlich soweit: Ich verschwand durch die Katzenklappe in Richtung Friedhof.
Für uns Katzen ist das immer besonders spannend, so im Halbdunkel durch fremde Gärten und Gebiete zu schleichen. Nach ungefähr zehn Minuten näherte ich mich der verabredeten Stelle und sah schon von weitem, dass dort drei Katzen auf mich warteten. Bertha erkannte ich sofort, an ihrer üppigen Figur und ihrem wundervollen Aussehen. Offensichtlich hatte sie auch wieder diese reizende Schleife im Haar. Die beiden anderen Damen kannte ich nicht, aber ich war mir sicher, dass Bertha sie mir formvollendet vorstellen würde. Und so war es auch, als ich ankam.
„Oh, Herr Pelle, einen wunderschönen guten Abend“, sagte Bertha sanft. Sie sah auf das mitgebrachte Päckchen Kaninchen Royal. „Das wäre doch nicht nötig gewesen. Schauen Sie, wir haben alles hier. Als Gastgeberin achte ich natürlich darauf, dass alles vorhanden ist.“
Sie zeigte auf eine Stelle direkt an der Friedhofsmauer.
„Wir haben einen Mäusespieß, Knabberzeug, einen halben Fisch und für den Spaß reichlich Katzenminze. Aber zunächst möchte ich Ihnen meine Freundinnen vorstellen. Das hier ist Fräulein Flöckchen.“
Eine schlanke, vollkommen weiße Katze erhob sich, kam auf mich zu und sagte mit sanfter Stimme: „Guten Abend, Herr Pelle, ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.“
Fräulein Flöckchen schien ebenfalls eine Dame zu sein, sie bewegte sich sehr grazil, sah edel aus und schien recht selbstbewusst. Etwas dünn für meinen Geschmack und etwas geziert, aber sie machte einen freundlichen Eindruck auf mich.
Ich machte eine Verbeugung mit dem Kopf.
„Guten Abend, Fräulein Flöckchen, ich bin ebenfalls erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
Zu mehr kam ich nicht, denn Bertha stellte mir gleich ihre zweite Freundin vor.
„Herr Pelle, nun möchte ich Ihnen Gudrun vorstellen.“
Gudrun nun hatte so gar nichts Zierliches an sich. Im Gegenteil, sie sah etwas zerrupft und heruntergekommen aus. Ihr Fell war ein einigen Stellen glanzlos und sie wirkte, als hätte sie schon bessere Zeiten gesehen. Trotzdem sagte ich höflich: „Frau Gudrun, ich bin entzückt, Sie kennenzulernen. Gudrun – das ist ja ein recht außergewöhnlicher Name für eine Katze.“
Gudrun sah mich mit einem leicht ironischen Blick an. Dann sagte sie mit heiserer Stimme: „Tja, wat willste maache? Meine Katzenmama hatte eine Oma, die so hieß, nach der hat sie mich benannt, da kann ich nix für. Ich finde den Namen eher zum Weglaufen, aber nach all den Jahren habe ich mich dran gewöhnt, auch wenn ich ihn lächerlich finde, denn schließlich heißt so …“
Bertha unterbrach Gudruns Wortschwall.
„So, jetzt haben wir uns alle vorgestellt. Nun wollen wir es uns aber gemütlich machen. Ich schlage vor, als Aperitif gönnen wir uns etwas von dem Mäusespieß.“
Als vollendete Gastgeberin bot Bertha mir zuerst etwas an. Die Mäuse waren etwas knurpselig, schmeckten aber nicht schlecht. Kaum war ich fertig, drängelte Gudrun sich heran und wollte ebenfalls an dem Spieß knabbern. Leider muss ich sagen, dass ihr Duft, der mir dabei in die Nase stieg, etwas moderig war. Ganz anders als Bertha – die roch wieder wie ein Blumenfeld voller Minze und Rosen. Und dann dieses kecke Schleifchen auf dem Kopf – einfach hinreißend.
Erstaunlicherweise wollte Gudrun aber dann doch gar nichts von dem Mäusespieß, sondern nahm sich eine ordentliche Portion von der Katzenminze, was Fräulein Flöckchen dazu bewog, zu sagen: „Gudrun, halte dich bitte etwas zurück. Der Abend fängt doch erst an – und du weißt, was Katzenminze bei dir anrichtet.“
Gudrun würdigte sie keines Blickes, hörte aber doch auf, die Katzenminze zu vertilgen. Bertha beeilte sich, die Situation etwas zu entschärfen. „Herr Pelle, vielleicht erzählen Sie meinen Freundinnen, wo Sie herkommen. Mir wollte man ja nicht glauben, dass Sie 600 Kilometer weit gereist sind.“
Fräulein Flöckchen sah mich interessiert an und meinte: „Ja, das ist doch ein bisschen ungewöhnlich. Ich hörte, Sie haben an einem See gelebt. Das muss ja herrlich gewesen sein.“
Ich nickte: „Das war es auch. Immer frische Luft, mein bester Kumpel und ich waren jede Nacht unterwegs, wir hatten viel Spaß, und Mäuse gab es satt. Aber am herrlichsten war doch die Luft. Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber hier in Köln scheint es mir etwas stickig zu sein.“
Fräulein Flöckchen nickte. „Ja, im Sommer kann es hier recht anstrengend sein. Besonders mit unserem Fell. Deswegen treffen wir uns ja so gerne auf dem Friedhof, wo die Bäume viel Schatten geben. Außerdem ist es so schön ruhig.“
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Gudrun sich wieder eine große Portion Katzenminze einverleibte. Bertha hatte es offensichtlich nicht bemerkt, denn sie unterhielt sich weiter mit Fräulein Flöckchen und mir. „Ja, für eine Dame ist es manchmal wirklich ein wenig schwül hier. Wenn es richtig heiß wird, verbringe ich meine Zeit meistens auf meiner großen Terrasse, auf meinem Stuhl unter dem gepunkteten Sonnenschirm.“
Mampf! Schon wieder nahm Gudrun von der Katzenminze.
„Frau Bertha“, fragte ich nun, „ich möchte nicht neugierig erscheinen, aber wo sind Sie denn geboren worden?“
Bertha ließ den Blick in die Ferne schweifen und sagte mit ihrer tiefen wunderschönen Stimme: „Geboren wurde ich in der Eifel auf einem herrlichen Gestüt. Dort machte mein Katzenpapa Urlaub und adoptierte mich. Seitdem bin ich eine von Hackenbroich.“
Sie schwieg. Mitten in die Stille hinein ließ Gudrun einen mächtigen Rülpser los.
„Tschlligung, Mädels. War vielleicht doch ‘n bissch‘n viel Minze auf einmal.“
Bertha sah sie mit einem Blick an, den ich am ehesten als „leicht angewidert“ beschreiben würde.
„Gudrun“, sagte sie streng, „wann lernst du endlich, dich wie eine Dame zu benehmen? Was soll denn Herr Pelle von dir denken?“
Eigentlich dachte ich, dass Gudrun eine ganz schöne Katzenminzeholikerin war, aber stattdessen sagte ich: „Das macht doch nichts, Frau Bertha. Schließlich sind wir doch zu einem entspannten unterhaltsamen Abend hier.“
„Ach, Herr Pelle“, meinte Bertha mit einem Seufzer, während Gudrun weiterhin Katzenminze vertilgte, „Sie müssen Gudrun entschuldigen, aber sie hat es nicht leicht. Sie kommt aus einem Haushalt, in dem sie recht knapp gehalten wird und wo es immer nur das billigste Dosenfutter gibt. Deswegen schlägt sie bei meinen Soiréen immer so zu. Sie kann einfach nicht an sich halten. Als Freundin mag sie ja eine treue Seele sein, aber ihr Benehmen lässt manchmal zu wünschen übrig. Fräulein Flöckchen und ich sind meistens machtlos. Aber was soll man machen – Gudrun ist eben keine Dame wie ich eine bin.“
Irgendwie war es Gudrun gelungen, trotz ihres ständigen Geknabbers an der Katzenminze den letzten Satz von Bertha aufzufangen.
„Jaja, die feine Dame von Welt. Meine llieebe Bertha, wie oft wills du uns das eintlch noch erzähln? Ich kann‘s nich mehr hörn.“
Berthas Augen begannen ein wenig zu glitzern.
„Ach ja? Wenn du dich wie eine Dame benehmen würdest, müsste ich dir auch nicht immer wieder erzählen, was man tut und was man besser lässt – besonders in so vornehmer Gesellschaft wie der von Herrn Pelle.“ Sie lächelte mich an.
Ich war geschmeichelt, aber Gudrun wollte partout das letzte Wort haben.
„Hömma gut zu, Bertha! Du bis vielleicht ne ganz Hübsche, aba wen willse eintlich verscheißern mit dies‘m ganzen ‚Dame von Welt-Gedöns‘? Bis au nich besser als wir.“ Rülps.
Bertha verspannte sich nun doch ein wenig.
„Judrun! Wöödst do effe ding verdammp Schnüss halde – et reicht!“
Plötzlich sprach Bertha wieder in dieser sonderbaren Sprache, die ich so schlecht verstand. Gudrun kam auf Bertha zu, wobei ihr Gang schon etwas wackelig war und ihr Blick in zwei entgegengesetzte Richtungen ging. Sie setzte sich direkt vor Bertha hin.
„Du kanns es auch nich lassen, wie? Immer heititei und huh und was bin ich doch Besonneres. Alles gelogen. Von Hackbroich! Dassichnichlache. ‘ne ganz Gewöhnliche bissu. Einfach nur ‘ne Hackenbroich, sonst nix. Und zu dick bisse auch.“
Ich bemerkte eine gewisse Spannung zwischen den Damen, die sich unter anderem dadurch ausdrückte, dass beide ihre Krallen ausfuhren und sich ihnen die Nackenhaare aufstellten.
Bertha sagte scharf: „Gudrun, noch ei Wood, und ich …“
Gudrun lachte unverschämt: „Un dann wat? Einfach nur ‘ne Hackenbroich, ‘ne Hackebroich, lalala, Hackenbroich, ‘ne gewöhnliche Hacken …“
Weiter kam Gudrun nicht, denn Bertha hatte ihr mit der rechten Pfote und gezückten Krallen eins übergezogen.
Gudrun blickte zuerst erstaunt, dann schlug sie zurück. Berthas Schleifchen verrutschte auf ihrem Kopf.
„Aber meine Damen, meine Damen, ich bitte Sie …“ versuchte ich die Situation diplomatisch zu entschärfen.
„Halt dich da raus, wer bis‘n du überhaupt? Auch so‘n Schnösl, der meint, was Bessres su sein? Zieh Leine!“
Rülps und rums – denn Bertha hatte Gudrun schon wieder eins über den Schädel gezogen. Dieses Mal aber schlug Gudrun zurück. Beide fauchten sich an, und ehe Fräulein Flöckchen und ich eingreifen konnte, wälzten sich die zwei kreischend und kämpfend am Boden. Irgendwie imponierte mir Bertha. Sie war nicht nur eine Dame von Welt, sondern wusste sich auch noch zu verteidigen.
„Fräulein Flöckchen“, rief ich durch das Geschrei, „sollten wir nicht etwas unternehmen?“
Sie schüttelte ihren eleganten Kopf. „Nein, da kann man nichts machen. Das ist bei den beiden schon häufig passiert. Am besten lässt man sie sich austoben – die kriegen sich schon wieder ein.“
Ich beobachtete Gudrun und Bertha mit leichtem Unbehagen. Mittlerweile lag Gudrun auf dem Rücken und strampelte mit allen vieren in der Luft, während Bertha schnaufend auf ihr lag und sie am Hals kratzte.
„Judrun, du doof Stück. Häs do jetz endlich jenooch?“ schrie Bertha.
Gudrun atmete schwer unter der auf ihr liegenden Last. „Geh von mir runter, du bist zu dick, ich krieg keine Luft mehr.“ Und sie rülpste Bertha mitten ins Gesicht, was diese mit einem neuerlichen Hieb auf Gudruns Ohren quittierte.
„Bertha“, kreischte Gudrun nun, „lass gut sein. Ich bin doch nur ‘n bissch‘n blau, du bis aba auch empfindlich. Du verstehst eb‘n kein Spaß.“
Bertha blieb eisern auf ihr liegen. „Entweder entschuldigste dich sofort beim Herrn Pelle un mir – oder ich blieve op dir lige bis de platz.“
Gudrun begann einzusehen, dass ihre Lage nicht die beste war.
„Is ja schon gut. Tschulligung, Herr Pelé, Tschulligung, Frau VON Hackenbroich, es soll nich wieda vorkomm‘n.“
Bertha, immer noch sehr erregt, stieg von Gudrun herab. Die wiederum versuchte, schleunigst wieder auf ihre wackeligen Beine zu kommen.
„Das wirssu noch bereun, Bertha VON Hackenbroich, ich rede nie wieder ein Wort mir dir. Und der da“ – sie zeigte auf mich – „kann mich auch ma.“ Dann schlich sie sich davon und verschwand geschlagen und zerrupft in dem kleinen Wäldchen nahe dem Friedhof.
Bertha versuchte, ihr derangiertes Aussehen zu beheben.
„Sie müssen entschuldigen, Herr Pelle, für eine Dame gehört es sich eigentlich nicht, sich zu prügeln wie eine heruntergekommene Bardame, aber manchmal muss man bei Gudrun leider die Krallen sprechen lassen. Es ist mir ein wenig peinlich.“
Wie sie da so vor mir saß, mit zerzaustem Fell und verrutschtem Schleifchen, war sie fast noch hübscher als sonst. Ich wagte einen Versuch.
„Fräulein Bertha, dürfte ich Ihnen eventuell behilflich sein, Ihre Schleife wieder zu befestigen?“
Bertha schlug die Augen nieder und kicherte verlegen.
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann dürfen Sie.“
Ich richtete ihr Schleifchen, so gut ich konnte. Dabei entdeckte ich, dass mittlerweile ein praller üppiger Sommermond am Himmel stand.
„Schauen Sie nur, Fräulein Bertha“, sagte ich und kuschelte mich ganz verwegen ein wenig näher an sie heran, „ist das nicht ein herrlicher Mond? Da sollten wir diese kleine Auseinandersetzung doch wohl vergessen können.“
Sie blieb nah bei mir sitzen. „Ach, Herr Pelle, das haben Sie schön gesagt. Ja, und Sie haben recht, wir sollten Gudrun einfach vergessen und uns an dieser lauen Sommernacht erfreuen.“
Völlig vergessen hatten wir peinlicherweise auch Fräulein Flöckchen. Als wir uns umdrehten, war sie gerade im Begriff zu gehen und rief uns zu: „Bertha, es war wie immer eine herrliche Soirée. Und äußerst unterhaltsam. Ich gehe noch eine Runde über den Friedhof und halte nach Gudrun Ausschau. Du weißt ja, ihr wird immer übel, wenn sie so viel Katzenminze gefressen hat.“
Bertha nickte: „Danke, Fräulein Flöckchen. Au revoir, bis bald!“
Bertha und ich blieben noch einen Augenblick Seite an Seite sitzen. Eine Frage musste ich ihr aber nun doch noch stellen.
„Sagen Sie, werte Bertha, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber warum ist eine Dame von Welt mit jemandem wie Gudrun befreundet? Es liegt mir fern, etwas Schlechtes über sie zu sagen, aber sie scheint mir doch eher etwas … gewöhnlich.“
Bertha dachte einen Moment nach, bevor sie antwortete.
„Es stimmt, Herr Pelle. Gudrun hat nicht die besten Manieren und unter zu viel Katzenminze kann sie ziemlich ausfallend werden, aber unter diesem ganzen Gehabe ist sie durch und durch ehrlich und gutmütig. Sie hat mir schon so manches Mal aus einer schwierigen Situation geholfen. Sie hätten erleben sollen, wie Gudrun auf diesen Hund losging, der mich mal angegriffen hat. Der kam gegen sie nicht an und suchte heulend das Weite. Nein, Gudrun mag nicht die Ordentlichste sein und vielleicht auch nicht die Vornehmste, aber sie ist, wenn es drauf ankommt, eine gute Freundin.“
Ich war ganz verzaubert von meinem fellgewordenen Hähnchen in Gelee. Sie war nicht nur wunderschön, sondern auch noch loyal und eine treue Freundin. Und nun saß ich neben ihr in dieser wunderschönen Sommernacht. Ein herrlicher Moment.
„Herr Pelle“, schnurrte Bertha plötzlich mit ihrer tiefen Stimme in mein Ohr, „der Kampf hat mich etwas hungrig gemacht. Was halten Sie davon, wenn wir es uns auf der Friedhofsmauer bequem machen und dort das Stückchen Fisch zu uns nehmen?“
Ich war entzückt. „Sehr gerne, Frau Bertha, damit würden Sie mir eine große Freude machen.“
Und so saßen wir in dieser mondhellen Sommernacht auf der Friedhofsmauer, aßen Fisch und waren zufrieden.