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Ein großer Mann aus der Provinz in Paris Erster Teil

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Weder Lucien, noch Frau von Bargeton, noch Gentil, noch Albertine, die Kammerfrau, sprachen jemals von den Vorfällen dieser Reise; aber man darf annehmen, dass die fortwährende Anwesenheit der Dienerschaft sie für einen Liebhaber, der alle Wonnen einer Entführung erwartet hatte, sehr verdrießlich gestaltete. Lucien, der zum erstenmal in seinem Leben Extrapost fuhr, war wie aus den Wolken gefallen, als er fast die ganze Summe, die er für ein Jahr seines Lebens bestimmt hatte, auf der Straße von Angoulême nach Paris verschwinden sah. Wie alle Menschen, die die Reize der Kindlichkeit mit der Kraft der Begabung vereinigen, hatte er den Fehler, dass er beim Anblick von Dingen, die für ihn neu waren, seine naive Verwunderung nicht unterdrückte. Ein Mann muss eine Frau gut studieren und darf seine Gefühle und Gedanken nicht gleich im Entstehen sehen lassen. Eine Geliebte, die Zärtlichkeit und Größe verbindet, lächelt über Kindereien und versteht sie; aber wenn sie nur ein bisschen Eitelkeit hat, verzeiht sie ihrem Geliebten nicht, wenn er sich kindisch, eitel oder kleinlich zeigt. Viele Frauen übertreiben den Kultus mit ihrem Geliebten so sehr, dass sie immer einen Abgott in ihm finden wollen; während die, die einen Mann um seiner selbst willen und nicht zuerst in Bezug auf sich lieben, seine kleinen Züge ebenso verehren wie seine Größe. Lucien hatte noch nicht gemerkt, dass die Liebe bei Frau von Bargeton auf die Eitelkeit gepfropft war. Er beging den Fehler, das Lächeln nicht zu beachten, das Louise während dieser Reise manchmal nicht unterdrücken konnte, wenn er sich das possierliche Benehmen einer jungen, zum erstenmal aus ihrem Loch kommenden Ratte erlaubte, anstatt sich zurückzuhalten.

Die Reisenden stiegen im Hotel du Gaillard-Bois in der Rue de l'Echelle vor Tagesanbruch ab. Die beiden Liebenden waren so ermüdet, dass sich Louise vor allem hinlegen wollte, was sie auch tat. Sie versäumte aber nicht, Lucien vorher anzuempfehlen, er solle sich ein Zimmer über ihrem Gemach nehmen. Lucien schlief bis vier Uhr nachmittags. Frau von Bargeton ließ ihn zum Diner wecken; er kleidete sich, als er hörte, wieviel Uhr es wäre, schnell an und fand Louise in einer der elenden Kammern, die die Schande von Paris sind, wo es trotz aller Ansprüche auf Eleganz kein einziges Hotel gibt, in dem ein reicher Reisender sich zu Hause fühlen kann. Obwohl Lucien sich von seinem plötzlichen Erwachen noch benommen fühlte, erkannte er doch seine Louise in dieser kalten, sonnenlosen Kammer nicht wieder. Die Vorhänge waren verblichen, der Fußboden war in schlechtem Zustande, die Möbel waren unansehnlich, abgeschmackt, entweder alt oder aus zweiter Hand gekauft. Es gibt tatsächlich manche Frauen, die, wenn sie einmal von den Gestalten, den Dingen, den Räumen, die ihnen als Umrahmung dienen, getrennt sind, nicht mehr dasselbe Aussehen und nicht denselben Wert haben. Die lebendigen Physiognomien besitzen eine Art Atmosphäre, die zu ihnen gehört, wie das Helldunkel der flämischen Gemälde ein notwendiges Zubehör des Lebens der Gestalten ist, die das Genie der Maler hineingestellt hat. Die Menschen der Provinz sind fast alle so. Und dann schien Frau von Bargeton würdevoller und nachdenklicher, als sie es in einem Augenblick sein durfte, wo ein schrankenloses Glück beginnen sollte. Lucien war zunächst nicht in der Lage, sich zu beklagen; Gentil und Albertine bedienten sie. Das Diner hatte nicht mehr den verschwenderischen und vorzüglichen Charakter, der für das Provinzleben kennzeichnend ist. Die Gerichte, die aus einem benachbarten Restaurant kamen, boten sich, von der Gewinnsucht bemessen, recht armselig; sie schmeckten nach kleinen Leuten. Paris ist in diesen kleinen Dingen, zu denen die Leute mit geringem Vermögen verurteilt sind, recht hässlich. Lucien wartete auf das Ende der Mahlzeit, um Louise zu befragen, deren Veränderung ihm unerklärlich war. Er täuschte sich nicht: ein ernstes Ereignis – denn die Überlegungen sind die Ereignisse des innern Lebens – war während seines Schlafes eingetreten.

Gegen zwei Uhr nachmittags war Sixtus du Châtelet im Hotel erschienen, hatte Albertine wecken lassen, den Wunsch ausgesprochen, ihre Herrin zu sprechen, und war dann zurückgekommen, nachdem er Frau von Bargeton kaum Zeit gelassen hatte, sich anzukleiden. Anaïs, deren Neugier durch dieses seltsame Auftauchen des Herrn du Châtelet erregt war – glaubte sie doch, vor allen verborgen zu sein –, hatte ihn gegen drei Uhr empfangen.

»Ich bin Ihnen gefolgt, auf die Gefahr hin, von meinen Vorgesetzten einen Rüffel zu bekommen,« so begrüßte er sie, »denn ich sah voraus, wie es mit Ihnen steht. Aber selbst wenn ich meine Stelle verliere, ist es besser, als dass Sie eine Verlorene werden!«

»Was soll das heißen?« rief Frau von Bargeton.

»Ich sehe wohl. Sie lieben Lucien,« fuhr er mit einer Miene fort, in der sich Zärtlichkeit und Resignation mischten; »denn man muss wohl einen Mann lieben, wenn man an gar nichts denkt, wenn man alle Schicklichkeit außer acht lässt, wenn Sie es tun, die Sie so gut wissen, was sich schickt! Glauben Sie denn, liebe, angebetete Naïs, dass Sie bei Madame d'Espard oder in irgendeinem Salon von Paris empfangen werden, wenn man erfährt, dass Sie mit einem jungen Manne, und dazu noch nach dem Duell Herrn von Bargetons mit Herrn von Chandour, aus Angoulême so gut wie geflüchtet sind? Der Aufenthalt Ihres Mannes in l'Escarbas sieht wie eine Trennung aus. In einem solchen Falle pflegen sich Männer von Stande für ihre Frauen zu schlagen und lassen sie dann laufen. Lieben Sie Herrn von Rubempré, beschützen Sie ihn, machen Sie, was Sie wollen, aber wohnen Sie nicht zusammen! Wenn hier irgend jemand erführe, dass Sie im selben Wagen gereist sind, wäre Ihnen die Tür zu der Welt, die Sie aufsuchen wollen, verschlossen. Überdies, Naïs, bringen Sie einem jungen Mann, den Sie noch mit niemand verglichen haben, der noch keine Probe abgelegt hat, der Sie hier vielleicht für irgendeine Pariserin, die er seinem Ehrgeiz dienlicher findet, vergisst, bringen Sie ihm keine solchen Opfer. Ich will dem, den Sie lieben, nicht schaden, aber Sie müssen mir gestatten, Ihre Interessen den seinen vorzuziehen und Ihnen zu sagen: Erforschen Sie ihn, bedenken Sie die ganze Bedeutung Ihres Schritts. Wenn Sie die Türen geschlossen finden, wenn die Frauen sich weigern, Sie zu empfangen, dann sollen Sie wenigstens so große Opfer nicht zu bedauern haben; Sie sollen wissen, dass der, dem Sie sie bringen, sie immer verdient und sie würdigt. Madame d'Espard ist um so mehr prüde und streng, als sie selbst von ihrem Manne getrennt lebt, ohne dass die Welt in das Geheimnis ihres Zwists hat dringen können; aber die Navarreins, die Blamont-Chauvré, die Lenoncourt, alle ihre Verwandten stehen auf ihrer Seite, die prüdesten Frauen verkehren bei ihr und empfangen sie respektvoll, so dass der Marquis d'Espard ins Unrecht gesetzt scheint. Schon beim ersten Besuch, den Sie ihr machen, werden Sie merken, wie richtig meine Ratschläge sind. Ohne Frage, ich kann es Ihnen voraussagen, ich kenne Paris: kaum sind Sie bei der Marquise eingetreten, kommen Ihnen verzweifelte Gedanken, sie könnte erfahren, dass Sie im Hotel du Gaillard-Bois mit dem Sohn eines Apothekers abgestiegen sind, mag er übrigens auch Herr von Rubempré heißen wollen. Sie müssen sich hier auf Rivalinnen gefasst machen, die in ganz anderer Art verschlagen und schlau sind wie Amélie; sie werden schnell herausgefunden haben, wer Sie sind, wo Sie sind, woher Sie kommen, was Sie treiben. Sie haben auf Inkognito gerechnet; aber Sie gehören zu den Menschen, für die es kein Inkognito gibt. Werden Sie nicht überall Angoulême treffen? Da sind die Deputierten der Charente, die zur Kammereröffnung kommen; da ist der General, der in Paris auf Urlaub ist; aber es genügt ja, dass ein einziger Einwohner Angoulêmes Sie sieht, damit Ihr Leben eine seltsame Wendung nimmt: Sie werden nur noch die Geliebte Luciens sein. Wenn Sie mich zu irgend etwas brauchen, was es auch sei, ich bin bei dem Generalsteuerdirektor, Rue du Faubourg St.-Honoré, zwei Schritte von dem Hause Madame d'Espards, zu treffen. Ich kenne die Marschallin von Carigliano, Frau von Sérizy und den Ministerpräsidenten gut genug; um Sie dort einzuführen; aber Sie lernen bei Madame d'Espard so viele Leute kennen, dass Sie mich nicht brauchen. Sie werden den Wunsch nicht nötig haben, in diesen oder jenen Salon zu gehen, Sie werden in allen Salons erwünscht sein.«

Châtelet konnte sprechen, ohne dass Frau von Bargeton ihn unterbrach, sie war von der Richtigkeit seiner Bemerkungen niedergeschlagen. Die Königin von Angoulême hatte in der Tat auf das Inkognito gerechnet.

»Sie haben recht, lieber Freund,« sagte sie, »aber was tun?«

»Gestatten Sie mir,« antwortete Châtelet, »Ihnen eine passende möblierte Wohnung zu suchen; Sie führen dann ein billigeres Leben als in den Gasthöfen und sind bei sich zu Hause; und wenn Sie meinem Rat folgen, bringen Sie da schon die heutige Nacht zu.«

»Aber woher haben Sie meine Adresse erfahren?« fragte sie.

»Ihr Wagen war leicht zu erkennen, und überdies war ich Ihnen gefolgt. In Sèvres sagte der Postillion, der Sie geführt hat, meinem Ihre Adresse. Wollen Sie mir gestatten, für Ihre Wohnung zu sorgen? Ich werde Ihnen bald schreiben, wo ich Sie untergebracht habe.«

»Gut, tun Sie das«, erwiderte sie.

Dieses Wort schien nichts und war alles. Der Baron du Châtelet hatte zu einer Frau von Welt die Sprache der Welt geredet. Er war in der ganzen Eleganz einer Pariser Kleidung aufgetreten; ein hübsches Kabriolett mit einem schmucken Pferd davor hatte ihn hergebracht. Zufällig stellte sich Frau von Bargeton ans Fenster, um über ihre Lage nachzudenken, und sah den alten Stutzer abfahren. Einige Augenblicke später stellte sich Lucien, der plötzlich geweckt worden war und sich eilig angezogen hatte, in seiner Nankinghose vom vorigen Jahre und seinem kümmerlichen Rock vor ihre Blicke. Er war schön; aber lächerlich gekleidet. Man ziehe den Apollo des Belvedere oder den Antinous als Wasserträger an: wer wird dann die göttliche Gestalt des griechischen oder römischen Meißels erkennen? Die Augen vergleichen, ehe das Herz das rasche mechanische Urteil richtiggestellt hat. Der Gegensatz zwischen Lucien und Châtelet war zu heftig, als dass er nicht die Augen Louisens frappieren musste. Als gegen sechs Uhr das Diner zu Ende war, winkte Frau von Bargeton Lucien zu sich auf ein erbärmliches Kanapee aus rotem, gelbgeblümtem Kattun, auf das sie sich gesetzt hatte.

»Mein Lucien,« sagte sie, »meinst du nicht, wenn wir eine Torheit begangen haben, die uns beide in gleicher Weise in tödliche Gefahr bringt, dass es vernünftig ist, sie wieder gutzumachen? Liebes Kind, wir dürfen in Paris nicht zusammen wohnen, und dürfen den Verdacht nicht aufkommen lassen, dass wir zusammen hierhergekommen sind. Deine Zukunft hängt sehr von meiner Stellung ab, und ich darf sie auf keine Weise aufs Spiel setzen. Ich werde mir also noch heute Abend ein paar Schritte von hier eine Wohnung nehmen, aber du bleibst in diesem Hotel wohnen, und wir können uns alle Tage sehen, ohne dass jemand etwas dagegen sagen kann.«

Louise erklärte Lucien, der sie mit großen Augen ansah, die Gesetze der großen Welt. Er wusste zwar nicht, dass die Frauen, die ihre Torheiten korrigieren, damit auch ihre Liebe korrigieren, aber er merkte, dass er nicht mehr der Lucien von Angoulême war. Louise sprach ihm nur von sich, von ihren Interessen, von ihrem Ruf, von der Welt; und um ihren Egoismus zu entschuldigen, versuchte sie, ihn glauben zu machen, es handele sich um ihn. Er hatte kein Recht auf Louise, die so schnell wieder Frau von Bargeton geworden war, und was schlimmer war, er hatte keine Macht über sie. So konnte er schwere Tränen nicht zurückhalten, die ihm aus den Augen stürzten.

»Wenn ich dein Ruhm bin, bist du für mich noch mehr: du bist meine einzige Hoffnung und meine ganze Zukunft. Ich hatte gedacht, dass du, wie du meine Erfolge teilst, auch mein Unglück teilen solltest, und nun sollen wir uns jetzt schon trennen!«

»Du tadelst mein Verhalten,« versetzte sie, »du liebst mich nicht.«

Lucien sah sie so schmerzlich an, dass sie sich nicht enthalten konnte, hinzuzufügen: »Lieber Junge, ich bleibe, wenn du willst. Wir gehen zugrunde und stehen ohne jeden Beistand da. Aber wenn wir beide in gleicher Weise im Elend und beide von der Welt verstoßen sind; wenn der Misserfolg – denn man muss alles ins Auge fassen – uns bis nach l'Escarbas zurückgeworfen hat, dann erinnere dich, mein Lieber, dass ich dieses Ende vorausgesehen habe und dir vorschlug, nach den Gesetzen der Welt ans Ziel zu gelangen und ihnen zu gehorchen.«

»Louise,« antwortete er und umarmte sie, »ich bin erschreckt, dass ich dich so klug sehe. Vergiss nicht, dass ich ein Kind bin, dass ich mich ganz und völlig deinem lieben Willen überlassen habe. Ich wollte über Menschen und Dinge aus eigener Kraft siegen; aber wenn ich mit deiner Hilfe schneller ans Ziel kommen kann als allein, werde ich sehr glücklich sein, dir all mein Glück zu verdanken. Verzeih! Ich habe zuviel auf dich gesetzt, um nicht alles fürchten zu müssen. Für mich ist eine Trennung der Vorläufer des Verlassenwerdens; und verlassen zu werden ist der Tod.«

»Aber, liebes Kind, die Welt verlangt wenig von dir«, erwiderte sie. »Es handelt sich nur darum, dass du hier die Nacht zubringst, und du kannst den ganzen Tag bei mir sein, ohne dass jemand etwas daran finden darf.«

Einige Zärtlichkeiten beruhigten Lucien vollends. Eine Stunde später brachte Gentil ein paar Zeilen von Châtelet, der Frau von Bargeton mitteilte, dass er ihr in der Rue Neuve-de-Luxembourg eine Wohnung gemietet hätte. Sie ließ sich die Lage dieser Straße erklären, die von der Rue de l'Echelle nicht sehr entfernt war, und sagte zu Lucien: »Wir sind Nachbarn.«

Zwei Stunden später bestieg sie einen Wagen, den ihr Châtelet geschickt hatte, und fuhr in ihre neue Wohnung. Es war eine von denen, in die die Möbelhändler Möbel stellen, um sie an reiche Deputierte oder an hohe Persönlichkeiten zu vermieten, die für kurze Zeit nach Paris gekommen sind; sie war üppig, aber unbequem eingerichtet. Lucien kehrte gegen elf Uhr in sein kleines Hotel zurück und hatte von Paris noch nichts gesehen als den kleinen Teil der Rue St.-Honoré, der zwischen der Rue Neuve-de-Luxembourg und der Rue de l'Echelle liegt. Er legte sich in seiner elenden kleinen Kammer schlafen, die er unwillkürlich mit dem prächtigen Gemach Louisens vergleichen musste. Kaum hatte er Frau von Bargeton verlassen, als der Baron du Châtelet anlangte. Er kam in strahlender Balltoilelte von einer Gesellschaft beim Minister des Äußern zurück. Er wollte Frau von Bargeton über alle seine Veranstaltungen Rechenschaft ablegen. Louise war unruhig, dieser Luxus ängstigte sie. Die Provinzgewohnheiten hatten schließlich auch sie erfasst, sie war in ihren Ausgaben genau geworden; sie sah so auf Sparsamkeit, dass sie in Paris für geizig gelten konnte. Sie hatte etwa zwanzigtausend Franken in Form einer Anweisung auf den Generalsteuerdirektor mitgebracht und hatte diese Summe zur Deckung ihrer Ausgaben während der nächsten vier Jahre bestimmt. Jetzt fürchtete sie schon, nicht genug zu haben und Schulden zu machen. Châtelet teilte ihr mit, dass ihre Wohnung sie nur sechshundert Franken im Monat kostete.

»Was ist daran Schlimmes?« fragte er, als er den Ruck bemerkte, den diese Mitteilung bei Naîs erzielte. »Sie haben einen Wagen für fünfhundert Franken im Monat zu Ihrer Verfügung, das macht im ganzen fünfzig Louis. Sie haben im übrigen nur noch an Ihre Toilette zu denken. Wenn Sie aus Herrn von Bargeton einen Generalsteuerdirektor machen oder ihm eine Stellung im Haushalt des Königs verschaffen wollen, dürfen Sie nicht wie eine arme Frau aussehen. Hier wird nur den Reichen gegeben. Es ist sehr gut, dass Sie Gentil zur Begleitung und Albertine als Zofe haben, denn die Bedienten in Paris ruinieren einen. Essen werden Sie selten zu Hause, so eingeführt wie Sie bald sein werden.«

Frau von Bargeton und der Baron plauderten von Paris. Châlelet erzählte die Neuigkeiten des Tages, die tausend Nichtigkeiten, die man wissen muss, wenn man für einen Pariser gelten will. Er gab bald Naïs Ratschläge über die Geschäfte, in denen sie kaufen sollte: er nannte ihr Herbault für die Barette, Juliette für die Hüte und Häubchen; er gab ihr die Adresse der Schneiderin, die Viktorine ersetzen sollte, kurz, er machte ihr die Notwendigkeit begreiflich, sich zu entangoulèmieren. Dann verabschiedete er sich nach dem letzten guten Einfall, auf den er noch glücklich gekommen war.

»Morgen«, sagte er nachlässig, »habe ich ohne Zweifel eine Loge in einem Theater; ich werde Sie und Herrn von Rubemprè abholen; Sie gestatten mir doch gewiss. Sie beide in Paris einzuführen.«

»Er hat mehr Adel im Charakter, als ich dachte«, sagte sich Frau von Bargeton, als sie hörte, dass er auch Lucien einladen wollte.

Im Juni wissen die Minister nicht, was sie mit ihren Theaterlogen anfangen sollen; die ministeriellen Deputierten und ihre Mandanten sind in den Weinbergen beschäftigt oder besorgen ihre Ernte, ihre anspruchsvollsten Bekannten sind auf dem Lande oder verreist, daher sehen die schönsten Logen der Pariser Theater um diese Zeit sehr seltsame Gäste, die von den gewohnten Besuchern nie wiedergesehen werden und die dem Publikum das Aussehen eines abgenutzten Teppichs geben. Châtelet hatte schon daran gedacht, dass er infolge dieses Umstandes ohne viel Kosten Naïs die Vergnügungen verschaffen könnte, nach denen die Provinzialen am gierigsten sind. Als am nächsten Tag Lucien zum erstenmal hinging, traf er Louise nicht an. Frau von Bargeton war ausgegangen, um einige unumgängliche Einkäufe zu besorgen. Sie musste mit den würdigen und berühmten Autoritäten in Sachen der Frauentoilette Rats pflegen, die Châtelet ihr genannt hatte, denn sie hatte der Marquise d'Espard ihre Ankunft mitgeteilt. Obwohl Frau von Bargeton das Selbstvertrauen besaß, das die gebietende Stellung langer Jahre mit sich bringt, hatte sie seltsamerweise Angst, sie könnte als Provinzialin erscheinen. Es fehlte ihr nicht an Takt, um zu wissen, wie sehr die Beziehungen zwischen Frauen von den ersten Eindrücken abhängen; und obwohl sie sich imstande wusste, sehr schnell auf das Niveau der überlegenen Frauen, wie Madame d'Espard, zu gelangen, fühlte sie doch, dass sie bei ihrem ersten Auftreten Wohlwollen brauchte, und wollte es an keinem Faktor des Erfolgs fehlen lassen. Daher war sie Châtelet überaus dankbar, dass er ihr die Mittel angegeben hatte, sich mit der vornehmen Welt von Paris in Einklang zu setzen. Durch einen seltsamen Zufall befand sich die Marquise in einer Lage, die es ihr sehr erwünscht machte, jemandem aus der Familie ihres Gatten einen Dienst zu erweisen. Ohne ersichtlichen Grund hatte sich der Marquis d'Espard von der Welt zurückgezogen, er kümmerte sich weder um seine Geschäfte, noch um Politik, noch um seine Familie, noch um seine Frau. Die Marquise, die so ihre eigene Herrin geworden war, fühlte das Bedürfnis, nach wie vor die Billigung der Gesellschaft zu genießen; daher war sie glücklich, unter diesen Umständen den Marquis so zu ersetzen, dass sie die Protektion seiner Familie übernahm. Sie wollte sich dieser Gönnerschaft ostentativ unterziehen, um das Unrecht ihres Gatten zu unterstreichen. Am selben Tage noch schrieb sie an Frau von Vargeton, geborene Nègrepelisse, eines der reizenden Briefchen, deren Form so hübsch ist, dass man Zeit braucht, um hinter ihren Mangel an Inhalt zu kommen:

»Sie wäre glücklich über einen Umstand, der eine Frau ihrer Familie ihr näher brächte, von der sie sprechen gehört hätte und die sie kennen zu lernen wünschte, denn die freundschaftlichen Beziehungen in Paris wären nicht so fest gegründet, dass man nicht wünschen müsste, einen mehr auf Erden zu haben, den man lieben könnte, und wenn das nicht sein könnte, wäre es nur eine Illusion mehr, die man mit den übrigen bestatten müsste. Sie stelle sich ihrer Cousine ganz zur Verfügung und hätte sie schon aufgesucht, wenn nicht ein Unwohlsein sie zu Hause festhielte; aber sie wäre ihr schon sehr verbunden, dass sie an sie gedacht hätte.«

Während seines ersten Herumstreifens über die Boulevards und die Rue de la Paix beschäftigte sich Lucien, wie alle Ankömmlinge, viel mehr mit den Dingen als mit den Personen. In Paris ziehen die Massen zuallererst die Aufmerksamkeit auf sich: der Luxus der Läden, die Höhe der Häuser, das Wagengerassel, die fortwährenden Gegensätze zwischen dem größten Luxus und dem äußersten Elend springen zuerst in die Augen. Dieser Phantasiemensch war wie benommen von der Menge, in der er ein Fremder war, und verspürte eine Art ungeheurer Verkleinerung seiner selbst. Menschen, die in der Provinz eine Art Ansehen genießen und dort bei jedem Schritt auf einen Beweis ihrer Wichtigkeit stoßen, können sich nicht an diesen völligen und plötzlichen Verlust ihres Wertes gewöhnen. Bei sich zu Hause etwas sein und in Paris nichts sein, das sind zwei so verschiedene Zustände, dass ein Übergang nötig ist; und wer zu plötzlich vom einen zum andern übergeht, kommt sich wie vernichtet vor. Für einen jungen Dichter, der ein Echo für all seine Gefühle, einen Vertrauten für alle Gedanken, eine Seele gefunden hatte, mit der er seine kleinsten Stimmungen teilen konnte, musste Paris eine entsetzliche Wüste sein. Lucien hatte seinen schönen blauen Anzug noch nicht abgeholt, so dass er durch die Armseligkeit, um nicht zu sagen die Abgenutztheit seiner Kleidung geniert war, als er sich zu der Stunde, wo Frau von Bargeton zurückgekehrt sein sollte, zu ihr begab; er traf bei ihr den Baron du Châtelet, der sie beide in den Nocher de Cancale zum Diner fuhr. Lucien, der von dem Wirbel des Pariser Lebens wie betäubt war, konnte nichts zu Louise sagen; sie waren zu dritt im Wagen; aber er drückte ihr die Hand, und sie erwiderte freundschaftlich alle Gedanken, die er so zum Ausdruck brachte. Nach dem Essen führte Châtelet seine beiden Gäste nach dem Vaudeville. Lucien empfand bei dem Anblick Châtelets eine geheime Verstimmung; er verfluchte den Zufall, der ihn nach Paris gebracht hatte. Der Steuerdirektor schob den Grund seiner Reise auf seinen Ehrgeiz: er hoffte, zum Generalsekretär einer Behörde ernannt zu werden und als vortragender Rat ins Ministerium zu kommen; er wollte sehen, wie es mit den Versprechungen stünde, die man ihm gemacht hatte, denn ein Mann wie er konnte nicht Steuerdirektor bleiben; er wollte lieber gar nichts sein, Abgeordneter werden, in den diplomatischen Dienst zurückkehren. Er war gewachsen; Lucien musste in diesem alten Gecken die Überlegenheit des Mannes von Welt anerkennen, der auf der Höhe des Pariser Lebens stand; besonders schämte er sich, ihm ein Vergnügen zu verdanken. Wo der Dichter unruhig und geniert war, benahm sich der frühere Privatsekretär wie ein Fisch im Wasser. Er lächelte über das Zögern, das Staunen, die Fragen, die kleinen Irrtümer, zu denen der Mangel an Übung seinen Nebenbuhler brachte, wie die alten Seebären sich über die Neulinge lustig machen, die zum erstenmal aufs Wasser kommen. Das Vergnügen, das Lucien empfand, als er zum erstenmal in Paris im Theater war, wog die Verstimmung auf, in die ihn sein Unbehagen versetzte. Dieser Abend war dadurch bemerkenswert, dass er ihm, ohne dass er sich dessen bewusst wurde, eine große Menge seiner Ideen über das Provinzleben raubte. Der Kreis erweiterte sich, die Gesellschaft nahm andere Dimensionen an. Einige hübsche Pariserinnen, die so elegant und frisch gekleidet waren, gaben ihm Gelegenheit zu der Wahrnehmung, wie altmodisch, obwohl anspruchsvoll genug, die Toilette der Frau von Bargeton war; weder die Stoffe, noch der Zuschnitt, noch die Farben waren mehr in Mode. Die Haartracht, die ihn in Angoulême so bezaubert hatte, schien ihm nun im Vergleich mit den feinen Kunstwerken, die er bei jeder zweiten Frau sah, schrecklich geschmacklos.

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