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ОглавлениеNur ein Jahr litt es Schiff in Hamburg. 1837 und 1838 lebte er zuerst bei Verwandten in Ostfriesland, später in Emden. Namentlich der ostfriesische Aufenthalt ist für seine Entwicklung von der weitestreichenden Bedeutung. Hier fand er nämlich innerlich einigermaßen den Weg zum Judentum zurück, das er äußerlich bisher nicht aufgegeben hatte. Wagenseils merkwürdiges Buch »Die Kunst, hebräisch lesen zu lernen«, das er in Aurich bei einem Bankier aufstöberte, ergriff ihn so, daß er sich darin vertiefte und nun der Gedanke in ihm reifte, die Sagen der Juden zu sammeln und herauszugeben. Schon anfangs 1837 taucht in einem von Eduard Maria Oettinger in Hamburg herausgegebenen »Argus« (Nr. 1) die Nachricht auf, daß »der von dem Häringschen ›Freimütigen‹ längst totgesagte Dr. Schiff in Emden einen jüdischen Gil Blas vollende, der im nächsten Jahre bei Hoffmann und Campe erscheinen werde«. Vorläufig bestand indessen nur der Plan zu einem derartigen Werke, die Ausführung ließ noch auf sich warten, wahrscheinlich deshalb, weil Schiff mit seinen katholisierenden Neigungen noch nicht fertig war. Zu dieser Vermutung berechtigt die Tatsache, daß er 1838 sein vielleicht reifstes und echtestes romantisches Werk erscheinen ließ, die Märchennovelle »GevatterTod« (1838 bei Hoffmann und Campe). Goedeke hat »Gevatter Tod« Schiffs bestes Werk genannt, ein Urteil, dem man nicht zur Gänze beipflichten kann. Dieser »Gevatter Tod« verwebt eine Fülle alter Märchenmotive in von Schiff neu erfundene. Doch sind die ersteren weitaus besser und vor allem glaubhafter und künstlerischer. Schon der Doppeltitel «Märchen-Novelle« ist eigentlich ein Unding, weil sich märchenhafte Züge mit novellistischen nur sehr schwer vereinbaren lassen. So leidet denn Schiffs Komposition an den stärksten innerlichen Gebrechen, zumal sein unseliger Hang, Binnenerzählungen zu schaffen, hier am ärgsten ausartet. Immer wieder schiebt er eine Erzählung in eine andere und diese beiden in eine dritte. Eine Übersicht, ein Auseinanderhalten der Figuren der einzelnen Erzahlungen ist dadurch kaum möglich.
Mit einem ergreifenden Bilde setzt die Geschichte ein: Der Tod bei der Taufe eines Kindes. Dieses Märchenmotiv aus den Grimmschen »Kinder- und Hausmärchen« hat Schiff glücklich abgeändert. Weniger gelang ihm dies bei der Verwendung eines alten Sagenmotivs: Die Erscheinung des ewigen Juden ist verfehlt, zumal sie nicht im Zusammenhang mit dem Ganzen steht und mit diesem nur sehr lose verknüpft ist. Die gespenstische Figur der Ahnfrau ist eine schlechte Kopie der Grillparzerschen. Am unheilvollsten für das Werk ist freilich, daß Schiff sich krampfhaft bemüht, Tiecks novellistische Manier nachzubilden, womit er völlig in die Irre geht. Er führt einen kräftigen, leidenschaftlichen Ritter vor. der aber am Ende der Märchen-Novelle (ebenso wie die Helden in Tiecks Novellen der Dreißigerjahre) seine Kraft und Leidenschaft verliert und ganz in Weichlichkeit versinkt. Schiffs gefühlvoller Humor, der sonst so durchschlagende Wirkung übt, ist hier zu unpoetischer Ironie herabgesunken, die alles zerstört, was schön und heilig ist. Rühmenswert ist nur die eingelegte Lyrik, vor allem das prächtige Schmiedelied [* Vgl. auch das ablehnende Referat in den »Literarischen und kritischen Blättern der Börsenhalle«. 1838, Nr. 1593] .
Dieses schwer entwirrbare Werk hat Schiff immer als sein bestes angesehen. Zweimal hat er es Umarbeitungen unterzogen, wobei er sich bemühte, straffer zu konzentrieren und zu motivieren. Aber die überreiche Handlung widerstrebte namentlich den gewaltsamen Verkürzungen: die Verwicklung wurde in den Bearbeitungen noch unÜbersichtlicher, und die einzelnen seineren Details des Kolorits und der Charakteristik gingen völlig verloren. Weder »Die beiden Königstöchter« (im »Almanach für Frauen auf das Jahr 1851«) noch »Regina oder das Haus Todtenstein« (Altona. 1858) – wie »Gevatter Tod« umbenannt wurde – bedeuten in irgendeiner Hinsicht Verbesserungen der ursprünglichen Märchen-Novelle, an der Schiffs Herz im stärksten Maße gehängt zu haben scheint, der es sich nicht verdrießen ließ, zur Korrektur jedes einzelnen Vogens aus Ostfriesland nach Leipzig zu kommen, um dann wieder nach Hause zurückzukehren. So erzählt in der »Europa« (1866. Nr.7) ein anonymer Intimus Schiffs, der dort auch andere belangreiche Angaben über Schiffs Schrullenhaftigkeit und musikalische Begeisterung macht.
»Vor etwa zwanzig Jahren war Schiff eine Leipziger Merkwürdigkeit, die man sich zeigte, und von der man sich erzählte. Mit einem Freunde, dem ›Neffen Tiecks‹, repräsentierte er alles, was in Leipzig vom Nachwuchs der Romantiker noch übrig war. Beide waren Originale und Schiff das größte. Ein Kreisler des wirklichen Lebens, führte er den Geigenbogen noch besser als die Feder und war, solange seine Lebenssonne dem Zenith nahe stand, weil öfter Musiker als Dichter. Kenner, die ihn gehört haben, bezeichnen sein Geigenspiel als ein merkwürdiges, genial wildes, doch war nicht zu spielen, sondern ein Orchester zu leiten, seine Leidenschaft. Große Orchester konnte man ihm nicht übergeben, da er voll von Schrullen steckte und über Mode und Anstand Ideen hatte, die sich z. N. dadurch verrieten, daß er, zur Begleitung von Damen auf einem Spaziergange eingeladen, nach Hause eilte, um Toilette zu machen, und in Wasserstiefeln wieder erschien. Es waren das dieselben historischen Wasserstiefel, in denen er, so oft ein Korrekturbogen seines ›Gevatter Tod‹ fertig war, von Ostfriesland nach Leipzig lief, die Korrektur las und nach Ostfriesland zurücklief. Um seine Leidenschaft befriedigen zu können, leitete er die Musik kleiner Gesellschaften, bis schlimme Erfahrungen ihm das Pult des Dirigenten verleideten, worauf er die schriftstellerische Tätigkeit vorwalten ließ.«
Dieser Enthusiasmus für die Musik erfüllte Schiff während seines ganzen Lebens. Er entwickelte schon früh starke Begabung und spielte verschiedene Instrumente, fast leidenschllftlich die Bratsche, die er an Stelle der Violine zu Ehren bringen wollte. Hermann Landau (vgl. dessen »Neuer Deutscher Hausschatz«, 4. Auflage, Seite 1121 ff.) erzählt. Schiff sei der festen Meinung gewesen, die Bratsche mache jede Geige tot, wenn sie nur richtig gehandhabt werde. Er ging sogar damit um, eine eigens besaitete Bratsche zu erfinden, um darauf Konzerte zu geben. Tatsächlich trat er, da die Schriftstellerei ihm kaum den notdürftigsten Unterhalt gewährte, im Aktientheater zu St. Pauli als Bratschenspieler auf. Das machte ihn in Hamburg unmöglich, und er entschloß sich nun, neuerdings nach Leipzig zu übersiedeln, wo er von 1839 an weilte. Hier redigierte er sehr kurze Zeit gemeinsam mit Bernhardi die »Eisenbahn«, ein Blatt, das der Wiener Franz Wiest begründet hatte, der sich aber hier ebenso unmöglich machte wie in der österreichischen Hauptstadt. Schiff und Bernhardi leiteten »Die Eisenbahn« kaum drei Monate, dann übernahm Dr. Karl Tropus die Redaktion. (Vgl. »Nordlicht«, herausgegeben von Mettler und Hammer, 1840, Nr. 33.)
Wieder einmal hatte also Schiff rasch abgewirtschaftet – ein Los, das ihm noch oft in seinem ereignisreichen Leben beschieden sein sollte. Knapp vor dem Verluste seines eigenen Blattes traf ihn bei einer anderen Zeitung dasselbe Schicksal. Die »Halleschen Jahrbücher« öffneten ihm ihre Spalten, aber nur zwei Rezensionen, die freilich von besonderer Bedeutung sind, erschienen dort. Schiff eröffnete seine Referententätigkeit mit einer Besprechung der Immermannschen »Epigonen« (»Hallesche Jahrbücher«, 1839, Nr. 148–150). Schon im »Gesellschafter« (1834, Nr. 5) hatte er sich mit Immermann beschäftigt, dessen »Reisejournal« er würdigte. In seinem Jahrbuchreferate begegnen kritische Anschauungen Schiffs, die er bereits in der Novelle »Die Genialen« verfochten hatte. Wiederum vertritt er den Gegensatz von poetischer und historischer Wahrheit und das Entstehen aller Geschichte aus dem Mythos. Über die große poetische Leerheit, die die ganze Zeit erfülle, fallen die feinsten und melancholischesten Betrachtungen:
»Wohl möglich, daß gegenwärtig in der Literatur Aschermittwoch ist. Wir haben den Karneval lustig, zu lustig gefeiert. Wir haben die Maskenfreiheit übertrieben, alle ausgezeichneten und Charaktermasken verjagt, dann uns selber Larven und Dominos abgerissen, um uns die bittersten Schmähungen ins Angesicht zu werfen. Und der Lauteste, der Wildeste, der Rücksichtsloseste ward allemal König: wir hätten ihn gesalbt und gekrönt, hätten wir ihn seines raschen Nachfolgers halber nicht vergessen. Aber nun ist das Fest aus. Man ist satt und müde, die Lichter verlöschen, der Tag bricht an. Die Nachwehen des Rausches; die Leere in Kopf und Herzen und endlich das Gewissen: wir haben zu arg gewirtschaftet, zu viel verschwelgt! – Die Nachwehen wollen überstanden sein, die Erinnerungen müssen erbleichen, bevor wir wieder die Alten sein können! Immermann hätte uns daher noch eine Erholungsfrist gönnen sollen, bevor er mit seinen »Epigonen« uns heimsuchte, die, bereits drei Jahre alt, selbst heute noch zu früh kommen würden. Unsere Zeit ist nicht so unpoetisch, als sie gemeinhin verschrien wird. Die Gegenwart ist sich ihrer bewußt und fordert das geschichtliche Bewußtsein auch vom Dichter. Dazu hat sie ein vollkommenes Recht, und die Poesie kann es ihr nicht versagen. Historisches Bewußtsein ist Poesie, und zwar die höchste, folglich muß in kultivierten Zeiten die Poesie einen historischen Boden zu gewinnen streben, wie ja auch die Geschichte mit dem Mythos anfängt und zur faktischen Wahrheit sich vervollkommnet. Wer weiß, ob nicht Zeiten kommen, wo Poesie und Geschichte wieder ineinanderfallen, wie es Zeiten gab, wo Poesie und Geschichte im Mythos verbunden entstanden. Immermann hat sich nicht als den Dichter erwiesen, der mit seiner Zeit sympathisiert; im Gegenteil, er gefällt sich, mit ihr im Zwiespalt zu stehen, sich als ihr Gegenteil zu betrachten. Er schildert, überzeugt und benimmt sich überall als Dichter, die Zeit schilt und schildert er überall als unpoetisch. ... Der Gegensatz von Natur und Kultur, der Zwiespalt zwischen Dichter und Stoff veranlaßte und erklärt alle Unvollkommenheiten des Buches. Der Dichter, statt sich für seinen Stoff zu begeistern, zürnte demselben, er ließ ihn roh und stellte sich nur als Dichter ihm gegenüber. Der Kritiker soll sich als Anwalt der Kunst betrachten. Bleibt die Zeit einem Dichter Anerkennung schuldig, so entspringt dem Dichter kein Recht daraus, ihr aus Vornehmheit und Bequemlichkeit das, was ein Dichter geben soll, schuldig zu bleiben. Der Kritiker aber hat das Recht, die Vornehmheit und Bequemlichkeit zu mahnen, und ich bin nicht gesonnen, Immermann etwas zu schenken.«
Er tadelt es, daß Immermann mit einem großen Effekte seinen Roman beginne, denn dieser Effekt sei sehr wohlfeil. Auch habe es Immermann nicht nötig gehabt, schon auf der ersten Seite sein Inkognito zu lüften und fortwährend zu versichern, daß er Wahres berichte. »Kommt es darauf an, ob eine Dichtung sich ganz, zum Teile oder gar nicht ereignet hat? Die Wirklichkeit einer Dichtung kann nur illusorisch sein, und diese Illusion läßt sich bewerkstelligen, wenn man den Leser einladet, sich der Täuschung hinzugeben. Für eine wahre Geschichte sind die Charaktere zu markiert, die Situationen fast sämtlich zu sehr auf die Spitze gestellt. Der Haupteffekt der Tieckschen Novelle ist das sogenannte »Umschlagen der Charaktere«, das heißt, infolge der Begebenheiten entwickeln die Novellencharaktere eine ihrem äußern Schein entgegengesetzte innere Wahrheit. Tiecks Novellen aber sind streng dramatisch, d.h. die Charaktere treten selbständig (objektiv) auf, handeln und reden ohne Nachhilfe des Dichters, und dem Leser wird nicht vorgeschrieben, was er über sie denken soll. Ganz anders verfährt Immermann. Er täuscht den Leser durch Schilderungen und schreibt ihm dann ein Urteil vor. Immermann glaubt, sich alles erlauben zu dürfen, wenn er sich nur einigermaßen aushelfen kann.« So tadelt Schiff fast das ganze Werk, besonders das achte Buch, nur den Anhang »Inhalt einer Brieftasche« lobt er sehr. »Ein meisterhaftes Genrebild, dessen Handlung charakteristisch ist, und wo jedes Wort die Handlung charakterisiert und motiviert.«
Diese Auseinandersetzung (weniger mit Immermann als mit der ganzen poetischen Richtung seiner Zeit) beweist, wie sehr sich Schiff über die gesamte, völliger Dekadenz stark zustrebende Literatur der ausgehenden Dreißigerjahre klar war. Mit einem der angesehensten Wortführer hatte er in der Immermann-Rezension abgerechnet; nun ging er noch um einen Schritt weiter und legte mit rücksichtsloser Schärfe die Schäden bloß, die Heine, der Tonangebendste dieser Periode, verschuldet hatte. Sein Gelegenheitswerk »Shakespeares Mädchen und Frauen« lieferte ihn den willkommenen Anlaß dazu. Wie sehr Schiff Shakespeare verehrte, hatte er bereits im »Elendsfell« dargelegt; in einer Rezension der von Philipp Kaufmann besorgten Übersetzung der dramatischen Werke (»Gesellschafter«, 1834, Nr. 20) und in »Glück und Geld«, der drei Jahre vor der Heinerezension erschienenen Novelle, hatte er seiner schwärmerischen Verehrung für den englischen Dichter ausführlichen Ausdruck gegeben. Schon in »Glück und Geld« geht er vom »Kaufmann von Venedig« aus, den er außerordentlich fein analysiert. Um so abstoßender mußte ihn Heines oberflächlicher Kommentar berühren, gegen den er mit erbarmungslosester Rücksichtslosigkeit ankämpft. (»Hallische Jahrbücher«, 1839, Nr. 160–161).
Er nennt Heines Erläuterungen eine der originellsten Literaturtorheiten, die es irgend gebe. Wenigstens seit langer Zeit habe sich keine Torheit so dreist und großartig hingestellt wie Heines jüdischer Kosmopolitismus und die abgedroschene Hohlheit dieser Erläuterungen, die nur Heines ausgepumpten Wißborn, keineswegs aber Shakespeare erläuterten. Ja, diesmal sei Heine redlich gewesen. »Er gibt sich, wie er ist, und sagt mit aller Unwahrheit nur die Wahrheit: daß er nichts mehr zu sagen hat.«
Die scharfe Stellungnahme Schiffs gegen Heine erklärt sich aus verschiedenen Ursachen, vor allem aus der, daß dieser den »Kaufmann von Venedig« gegen des Rezensenten Überzeugung als Tragödie aufgefaßt hatte. Von Christenhaß wollte Schiff in dem Stück nichts sehen, weil Shakespeare ebensogut als Türkenfeind angesehen werden müßte, wenn man die Gestalt des Prinzen von Marokko betrachte. Heine lasse Shakespeare das angebliche Wagnis, Juden auf die Bühne zu bringen, entgelten. Darin wollte Schiff keinen Frevel sehen; er sträubte sich mit aller Macht dagegen, in Shakespeare Shylocks wegen einen Judenhasser zu erkennen. Heine habe nur sein jüdischer Kosmopolitismus, der Schiff höchst verächtlich erscheint, verleitet, so sehr die tiefen dichterischen Absichten Shakespeares zu verkennen, dessen Shylock übrigens auch kein Schreier für jüdisches Menschenrecht sei, als den ihn die Schauspieler meistens auffaßten.
Aus dem heftigen Angriff Schiffs ergeben sich wichtige Schlußfolgerungen für seine Stellung zum Judentum. Er hatte noch immer nichts dafür übrig, obwohl er sich gerade in dieser Zeit mit der Sammlung jüdischer Volkssagen lebhaft beschäftigte. Aber sein Herz hing fest am Christentum, das warm zu preisen, er nimmermüde war. Noch zweimal kam er auf den »Kaufmann von Venedig« zurück, immer aber blieb er sich in der Darlegung seiner Anschauungen über das Stück gleich. In einem Aufsatze des »Komet« (Literaturblatt, 1844, Nr. 20) »Thema mit Variationen aus Shakespeares Kaufmann von Venedig« und in »Heinrich Heine und der Neuisraelitismus« (Seite 68 ff., wo er übrigens nur eine weitläufige Paraphrase seines Jahrbücheraufsatzes gab) betonte er ebenfalls offen seine Abneigung, das Stück im antijüdischen Sinne auszudeuten, was Shakespeare, »dessen Größe eine mythische sei, dessen Werke auf dem Gipfel des Menschenmöglichen stünden«, niemand zutrauen dürfe. Dagegen hat er für Heine auch hier nur Worte tiefster Gegnerschaft; seine Berühmtheit sei eine zweifelhafte und dürfte leicht eine Berüchtigtheit sein.
Der redlich gemeinte Jahrbücher-Aufsatz, der über Veranlassung Arnold Ruges geschrieben worden war und Schiff ein Dankschreiben des Herausgebers der »Jahrbücher« eintrug, hatte die bösesten Folgen. Die Rezension wurde übel aufgenommen und machte Schiff und die Jahrbücher mißliebig. »Ihr Artikel hat den Jahrbüchern mehr Schaden getan als Nutzen gebracht«, meinte Ruge und gestattete eine weitere Mitarbeit Schiffs nicht.
So war ihm also wieder eine Türe verschlossen worden. Mit vollem Unrecht, kann man heute wohl sagen. Gewiß war der Angriff auf Heine sehr stark und vielleicht manchmal sogar übertrieben streng. Aber Schiff konnte nicht lügen, und als Rezensent am allerwenigsten. Hier kam noch dazu, daß er in jüdischen Fragen seine unantastbaren Grundsätze hatte, an denen er nicht rütteln ließ. Er war kein blinder Anbeter und Bewunderer des Judentums und verargte es Heine immer, daß dieser trotz seiner Taufe innerlich Jude geblieben war. Gewiß war Schiff (wie dies »Johann Faust in Paris« bewiesen hat) damals kein rückhaltsloser Verehrer des Christentums mehr; aber sein Haß, wo sich dieser offenbarte, war immer ein Haß der Liebe; er fühlte, daß er trotz eventueller Konversion niemals als vollwertiger Christ angesehen werden würde, und das allein rief gelegentliche Ausfälle auf das Christentum hervor, dem Schiff immer noch wohlwollender gegenüberstand als seiner eigenen Religion. Er war kein Judenfeind, wie etwa im 16. Jahrhundert der getaufte Jude Pfefferkorn, der gegen seine früheren Glaubensgenossen in seinen Schriften mit Feuer und Schwert wütete. Aber er übersah niemals die schweren Gebrechen, die dem Judentum seiner Zeit anhafteten, das zwischen Assimilation und Aufrechterhaltung der angeborenen Stammeseigenart haltlos einherging. Namentlich gegen die jüdische Orthodoxie, die er für weit unduldsamer hielt als die christliche, wandte er sich immer wieder in der auffallendsten Weise. Ihm war jede Spur einer spezifisch jüdischen Sentimentalität, wie sie etwa Leopold Kompert eigen ist, völlig fremd. Er scheute sich nicht, auf Wunden im Leben seiner jüdischen Zeitgenossen unbarmherzig die Finger zu legen, aber bloß deshalb, um den Weg zur Heilung zu weisen. Natürlich konnte dieser nach Schiffs Auffassung nur der des vollständigen Aufgehens im deutschen Volke sein, dem er selbst seinen köstlichsten intellektuellen Besitz verdankte, und dem zu dienen, er sich mit seinen leider zu schwachen Kräften emsig bemühte. Deshalb war ihm jede Verherrlichung des Judentums, die notwendigerweise zu dessen dauernder Erhaltung führen mußte, gründlich verhaßt. Denn er sah nur zu gut, daß damit von selbst auch der feste Bestand seiner schlimmen Eigenschaften – vor allem seiner zelotischen Unduldsamkeit – gegeben war. Von diesem Standpunkte aus betrachtete er denn auch das Shakespearebuch Heines, der aus blindem Glaubenseifer eine Ehrenrettung des Judentums dadurch zu vollbringen glaubte, daß er Schiffs Abgott, wenn auch nur in der Kommentierung der einzigen Gestalt des Shylock, nahetrat.
Folgerichtig ergab sich aus diesen Grundsätzen Schiffs auch seine eigene Darstellung jüdischen Lebens und jüdischer Charaktere. Immer wieder begegnet man bei ihm fanatischen Juden, die noch immer in dem Wahne, die Verehrer der alleinigen wahren Religion zu sein, dahinlebten, denen jeder Blick für die Fortschritte der Zeit und Kultur fehlte, und die in einem erstarrten religiösen Konservativismus den Pferch des Ghettos jeder anderen freieren und freundlicheren Behausung vorzogen. Für solche Selbsterniedrigung und Selbstzurücksetzung fehlte Schiff der Sinn. Er kämpfte eigentlich für dasselbe, wofür sich die Zunz, in dessen Haus er in Berlin auch verkehrt hatte, Moses Moser, Immanuel Wolf vergeblich exponiert hatten. Von Bestrebungen für eine Reform des Kults erwartete er ebensowenig wie Heine, nur daß sich bei Schiff niemals eine so ausgesprochen christenfeindliche Tendenz, wie etwa im »Almansor«, findet. Denn er war zu sehr in den Segnungen der deutschen Kultur und Literatur aufgewachsen, als daß er die Vorteile übersehen hätte, die sich für die Juden durch das unbedingte Aufgehen in der deutschen Nation ergeben mußten. Wer die Juden ob ihrer Besonderheiten, die er niemals als Vorzüge anerkannte, verherrlichte, gegen den trat er in die Schranken. So tadelte er es an Herder in seiner ersten Sammlung, die jüdische Sujets enthält, in »Hundert und ein Sabbath oder Geschichten und Sagen des jüdischen Volkes« (Leipzig 1842)[* Eine Geschichte daraus »Simon Abeles« ist bereits 1840 in der »Zeitung für die elegante Welt« (Nr. 24ff.) veröffentlicht und erschien noch einmal, 1851 im Hamburger »Freischütz« (Nr. 144–152; hier aus »Hundert und ein Sabbath« auch »Die Geschichte von dem Fisch des Josef Moker Schabbes«); 1858 findet sich in einem »Novellen-Bukett«, das Fr. Wilibald Wulff zugunsten Schiffs herausgab »Das Tollhaus«. Von »Hundert und ein Sabbath« (Goedeke sagt fälschlich »Tausend und ein Sabbath«) ist leider nur das erste Bändchen erschienen] , daß ihm die Poesie an sich nicht Tendenz genug war und er noch eine besondere Tendenz haben mußte, weshalb er nur solche jüdische Sagen bearbeitete, die zufällig einen moralischen Sinn haben. Das erschien Schiff nicht objektiv; er verlangte, daß man alle Sagen erzählen müsse, denn was sich von Geschlecht zu Geschlecht forterbe, habe seine Bedeutung als Volkspoesie. Deshalb spottete er auch über alle von Judenfreundlichkeit überfließenden Emanzipationsnovellen, die ja seit der jungdeutschen Bewegung beängstigend um sich gegriffen hatten.
Auch nur einen beiläufigen Überblick über diese ganze Judenliteratur vor Schiff und zu seiner Zeit zu geben, wäre ein vergebliches Beginnen. Nur die bedeutendsten Produkte dieser Art (Tendenzschriften für und gegen das Judentum, sowie Belletristica) seien hier angeführt:
Für Schiff von der größten Bedeutung waren zwei Werke: »Die Sagen der Hebräer. Nebst einer Abhandlung über den Talmud« von Hurwitz, (Leipzig 1826, bei Engelmann) und »Eine gründliche Darstellung über das Erziehungswesen der Juden und ihren moralischen Standpunkt«. Von einem Glaubensgenossen der Juden (Marburg,1827). Hier wird Verbesserung der jüdischen Schulen und Entgegenwirken gegen den Einfluß der hartnäckigen Rabbiner gefordert. Ob Schiff eine Schrift »Das Judentum und seine Reform« von J. L. Glaser (Bayreuth, 1828), die viel Aufsehen machte, kannte, bleibt zweifelhaft. Auch hier wird die Abstellung von Mißbräuchen unter den Juden gefordert. Die jüdische Kirche solle eine ähnliche Verfassung wie die protestantische erhalten, der Klingelbeutel statt der öffentlichen Versteigerung der Thora eingeführt werden usw. Für ein bekanntes Werk von Joel Jacoby »Zur Kenntnis der jüdischen Verhältnisse« hatte Schiff wohl nichts übrig. Jacoby polemisierte gegen eine Schrift von Streckfuß, der für die Einführung einer strengen Judenordnung plädiert hatte. Joels Widerlegung schwelgte stark in süß-schmeichelnder Hegelscher Romantik, die Schiff keineswegs zusagte. Auch von Berthold Auerbachs Judenromanen »Ephraim Moses Kuh« und »Dichter und Kaufmann« (1836, beziehungsweise 1840; über das letztgenannte Werk vgl. besonders »Hallische Jahrbücher«, 1840, Seite 325–328 und Bettelheims Auerbachbiographie, Seite 125) wird Schiff nicht sehr erbaut gewesen sein. Die modischen Judenromane, die stark in wässeriger Sentimentalität herumplätscherten, behagten ja auch Auerbach nicht, der deshalb in seinem »Spinoza« eine Reihe historischer Zeit- und Sittengemälde nach der Natur beginnen wollte. Diese zahllosen judenfreundlichen Romane setzten bald nach der extrem antisemitischen dramatischenLiteratur ein, die mit Maertens »Unser Verkehr« (vgl. darüber meine Ausführungen im »Anzeiger für deutsches Altertum«, 1902, Seite 90) anhob, größtes Gefolge und nur in Michael Beers »Paria« Widerspruch fand; dagegen sind die Romane überladen tendenziös, was verstimmend wirkt. Sie wollen für das Judentum Propaganda machen, gehen aber dabei über das Maß des dem guten Geschmacke Erlaubten weit hinaus, so z. B. die aus dem Dänischen von J. P. Sternhagen übersetzte Novelle »Der alte Israelit« (von B. S. Ingemann, Lesefrüchte, 1828, I. Band, 1. Stück), »Die Jüdin« von Eugenie Foa (Leipzig 1835), die zahlreichen Judenromane von dem Wiener Eduard Breier, »Jenny« von Fanny Lewald (von Levin Schücking in der Beilage der »Allgemeinen Zeitung«, 1845, Nr. 11, mit Recht als verlogen in der Emanzipationsidee bezeichnet), Ernst Ortlepps »Israels Erhebung und der ewige Jude«, Spindlers »Der Jude«, Sternbergs »Die Jüdin«, Heinrich Königs »Regine«, L. Buttlers »Kosciusko und der Jude« (Lesefrüchte 1847, IV. Band, Seite 225 ff.), Robert Saltgirts »Der Jude und die Christin« (ib. Seite 145 ff.), Elijas »Nur ein Jude« (Leipzig 1847), »Die Jüdin und der Großinquisitor« (Spanische Erzählung von Charles Rowley, Lesefrüchte 1848, Seite 1 ff.), »Des Juden Tochter« (von Gräfin Blemington, ib. Seite 209 ff.), »Nathanael, der Jude« (nach dem Schwedischen von Hans Wachenhusen, 1852 im »Freischütz« Nr. 136 ff.), »Der alte Rabbiner« von B.S. Ingemann (Lesefrüchte, 1857, I. Band, Seite 257 ff.), Romane von Ludwig Horwitz, der Chézy, Gundling, Caspari, Philippsohn, Wangenheim, Tauber, Formstecher, August Becker, Isidor Heller, Siegfried Kapper, Aron Bernstein u. v. a. Dagegen können Gutzkows »Sadducäer von Amsterdam« und sein »Uriel Acosta« schon teilweise als objektivere Darstellungen jüdischen Lebens gelten. Eine anscheinend scharf oppositionelle Judennovelle von David Russa rühmt Börne im 57. Pariser Brief (Ausgabe von Klaar, V, 268). Sie heißt »Jom Kippur, der Versöhnungstag« und »soll das Herz der Juden auflockern, damit man nach ausgejäteten Metalliques etwas Liebe und Menschlichkeit hineinsäen könne.« Das scheinen dieselben Ideen zu sein, die bei Schiff immer begegnen [*Inwieweit diese auf die Gestaltung der Judenfiguren in Gustav Freytags »Soll und Haben« einwirkten, wäre einer eigenen Untersuchung wert] .
In seinem Buche »Hundert und ein Sabbath« [* Der Titel ist Öttingers »Hundert und Eins« (1833), einer 1835 erschienenen Sammlung »Russisches Hundert und Eins« und Lysers »Abendländische Hundert und eine Nacht« nachgebildet] , wovon aber nur acht Sabbathe geschildert werden, erzählt Schiff weniger Sagen als tendenziöse Judengeschichten. Er schlingt um diese einen Rahmen nach der Art der »Serapionsbrüder« oder des »Wirtshauses im Spessart«, indem er eine Gesellschaft an jedem Samstag zusammenkommen läßt, in der man die Geschichten vorträgt. Eingeleitet wird das Ganze durch drei Briefe, »Ein Genrebild aus dem heutigen Leben der Juden«, worin sich das unter Juden unerhörte Vorkommnis einer Entführung, die dann zur Heirat führt, begibt. Unter den eingeschalteten Erzählungen findet sich eine Sage »Ein Abenteuer Alexanders des Großen« (er kommt bis zum Himmel, erhält von Petrus zum Andenken einen Totenkopf, der so schwer ist, daß ihn niemand tragen kann, bis Aristoteles rät, Erde darauf zu streuen, worauf es gelingt, ihn aufzuheben), eine Geschichte voll talmudischer Spitzfindigkeiten; dann die schaurige Novelle »Das Tollhaus«, in der ein Rabbi seinen gesunden Sohn ins Narrenhaus sperren läßt, damit er dort weise werde (eingeschaltet ist die Wagenseils »Kunst, hebräisch lesen zu lernen«, Seite 326 nachgebildete Geschichte des Abba Chilkia), das unbedeutende Märchen »Die Weisheit Salamonis« und das beste Stück der ganzen Sammlung, die erschütternde Novelle »Simon Abeles«. Die Handlung geht im ausgehenden 17. Jahrhundert in Prag vor sich. Schiff nimmt hier energisch Stellung gegen jüdische Unduldsamkeit, die so weit geht, daß ein schuldloser Knabe, der von Christen geraubt wurde, um getauft zu werden, von dem eigenen Vater auf Wunsch der ganzen Judengemeinde grausam mißhandelt und sogar getötet wird. Für solche Barbarei findet der Erzähler Worte flammendster Empörung; er ist nicht mehr objektiv, indem er auch das Vorgehen der Jesuiten, die den Knaben zur Taufe zwingen wollten, anklagt, ihm handelt es sich nur um die Bekämpfung des jüdischen Fanatismus, dem sogar die Menschlichkeit völlig verloren gehe, wenn die Religion in Gefahr sei, verletzt zu werden [*Schiffs Novelle geht zurück auf den »Processus inquisitorius« (Prag, bei Balthasar Joachim Endler, 1696), worin die gegen den Vater des Simon Abeles, »ex odio christianae fidei« anhängig gemachte Anklage geschildert ist] . – Die köstliche Satire auf jüdische Großsprecherei »Die Sabbathehre« mit der eingelegten »Geschichte von dem Fische des Joseph Moker Schabbes« (bei Wagenseil, Seite 324 ff.) bildet den Schluß des Buches. Diese Fischgeschichte weist Anklänge an den »Ring des Polykrates« auf, indem nämlich ein Börsenspekulant sein ganzes Vermögen zum Ankaufe eines unendlich kostbaren Ringes verwendet, damit ihm in der Zeit der Gefahr von seinem Reichtum nichts verloren gehe. Den Ring verschlingt ein Fisch, den ein armer Mann kauft, der seinen unversehens gewonnenen Reichtum mit dem arm gewordenen Reichen teilt. –
Die Erzählungen Schiffs besitzen ein zwiespältiges Aussehen; naive, anspruchslose Sagen stehen neben aufreizenden, dramatisch bewegten Novellen. Nirgends erkennt der Leser eine Lichtseite des Judentums, deren es gewiß manche nicht zu übersehende hat. Schiff ist immer nur unerbittlicher Richter, fast Scharfrichter. Ein grausamer, unbarmherziger Humor und Sarkasmus durchzieht jede einzelne Erzählung. Dialektische Kunststücke und bis zum Gipfel gesteigerte Spitzfindigkeiten sind immer anzutreffen. Das hat Schiff aus dem Talmud gelernt, den er zwar zu lieben vorgibt, dem er aber zweifellos feindlich gegenübersteht. Er sieht in der bohrenden Rabulistik der Rabbinen, die sich über unwürdige Nichtigkeiten die größten Bedenken machen, ein schweres Hindernis für eine tiefer schürfende Gelehrsamkeit. Mit ihrer Weisheit seien die Rabbinen seit jeher sogar dem lieben Gotte nur beschwerlich gefallen, mit dem sie, weil »Juden nicht genug bekommen können«, vollständig zerfallen seien. Ausgesprochene Oppositionsgesinnung ist also die sichtliche Tendenz des ganzen Buches, in dessen Einleitung Schiff zwar seine vollste Objektivität betont, an die indes kein Leser glauben kann[*Vgl. die Besprechung im Literaturblatt des »Komet«, 1842, Nr. 30] .
Von dieser überdeutlichen Abneigung gegen alles Jüdische und dem Abfall vom Judentum war nur mehr ein kleiner Schritt, und diesen mußte Schiff, der innerlich längst Apostat war, machen. Er hat sich denn auch in Glaubitz bei Großenhain (in Sachsen) taufen lassen. (Diese Tatsache wird hier nach amtlichen Ausweisen zum erstenmale mitgeteilt und widerlegt alle Behauptungen z. B. in Schröders »Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller« VI, 52, in Haarbleichers »Zwei Epochen« (1867), Seite 316 ff., daß Schiff bis zu seinem Tode Jude geblieben sei.)
Diese letzte Konsequenz aus seiner unverkennbaren Gesinnung mußte er ziehen. Wer innerlich mit dem Judentum so völlig fertig war wie Schiff, durfte ihm auch äußerlich nicht mehr angehören. Ein Umstand mag übrigens diesen Entschluß, Christ zu werden, beschleunigt haben; der Vierzigjährige hatte sich in eine neunzehnjährige Schauspielerin, Luise Karoline Auguste Leidhold [* So ist die Schreibung des Namens im Trauscheine; in anderen Dokumenten erscheint er als Leuthold] , die Tochter des Aufwärters in der Neukirche zu Leipzig, Gotthelf Leidhold, verliebt und heiratete sie am 27. November 1841 in der evangelischen Kirche zu Schkeuditz [* Frdl. Mitteilung des Pfarrers Bröse in Schkeuditz] . Es war die törichteste, folgenschwerste Tat seines an Extravaganzen überreichen Lebens. Schiff, der sich selbst dem leisesten Zwang niemals fügen konnte, dem der Begriff eines geordneten und geregelten Lebens stets fremd war, hätte vielleicht durch eine energische, kluge, feinfühlige Frau, die durch scheinbares Eingehen auf seine Schrullen ihren Willen durchgesetzt hätte, in ruhige Bahnen gelenkt werden können. So aber war er mit seinem rohen, undisziplinierbaren Naturell an eine leichtfertige Kokette geraten, der er übrigens das Leben recht schwer gemacht haben mag, weshalb sie ihm einen Tag nach der Trauung davonlief. Ein wichtiger und unbedingt glaubwürdiger Gewährsmann, von Corvin, erzählt in seinen »Erinnerungen aus dem Leben eines Volkskämpfers« (Band II. Kap. 9. Seite 330–331):
»Einst traf ich ihn im Hotel de Bavière (in Leipzig). Ich freute mich natürlich und setzte mich in seine Nähe. Nach einer Pause sagte er: ›Ich habe mich gestern verheiratet.‹ – Das klang fast noch unglaublicher als sein Geld haben [* Davon spricht Corvin im Vorhergehenden]. ›Mit wem?‹ rief ich erstaunt. ›Und wo ist denn Ihre Frau?« – »Ach – sie ist mir heute wieder davongelaufen« sagte Schiff und kaute gleichgültig weiter. Die Sache war indessen genau, wie er mir sie erzählte.« – So gleichmütig hätte Schiff das Davonlaufen seiner Frau nicht hinnehmen dürfen. Denn er blieb verheiratet und mußte die Folgen dieser Tatsache auf das grausamste während vieler Jahre verspüren. Doch war er so taktvoll, der Frau, der er die bittersten Stunden seines Lebens verdanken sollte, nie ein gehässiges oder zorniges Wort nachzusagen. Er fand nicht einmal die Kraft, sich von ihr, die nie sein war, scheiden zu lassen oder die Vaterschaft der Kinder, die sie gebar, abzulehnen.
Drückende Not, der er überhaupt nicht mehr entrinnen konnte, mag das ihrige beigetragen haben, daß Schiff so lethargisch wurde. Er durfte sich in Leipzig nicht beklagen, daß er übersehen oder verkannt worden wäre. Die »Zeitung für die elegante Welt«, der »Komet« und dessen Literaturblatt standen ihm offen; sogar als ständiger Mitarbeiter der »Grenzboten« wird er auf dem Titelblatt des 2. Jahrganges angeführt, doch schrieb er nur zweimal für sie. Wichtig ist eine im 2. Novellenhefte der »Grenzboten« (1842) abgedruckte Märchennovelle Schiffs »Ohnespaß«, die Geschichte eines vom Himmel gefallenen Engels oder Marienkindes, die vielleicht identisch ist mit »Das Marienkind. Geschichte eines Engels«. Vom Verfasser des »Gevatter Tod«. (Leipzig. 1842. Hartung.) Die besten Beiträge finden sich in Herloßsohns »Komet«, vor allem drastische Parodierungen der Lyrik Heines, mit dem er jetzt wegen seiner Angriffe, die der unversöhnliche Hasser Heine nicht verzieh, schlechter denn je stand. Es klingt ganz Heinisch, wenn Schiff (»Das Teleskop«, Beilage des »Komet«. 1842, Nr. 2) singt:
»Die Träume sind verflogen,
Erstorben mein Jugendmut,
Mein Glaube hat mich betrogen.
Der Magen allein ist noch gut« [* Noch im hohen Alter rühmte er sich gegenüber Strodtmann (vgl. Heines Leben I, 374) dieser Parodien] .
Was er an Novellen veröffentlichte, verrät leider durchwegs tiefgehende seelische Depression, die auf die Dichtungen höchst nachteilig einwirkte. »Die Schneehexe« und «Der Freischöffe« (in der »Zeitung für die elegante Welt«) sind kaum lesbar, und »Die Seherin« (1843 von Gubitz aus Erbarmen in eine »Novellenmappe« aufgenommen) ist derart unheimlich, krankhaft und wüst [* Vgl. auch Lorenz Dieffenbachs vernichtendes Urteil im »Telegraph für Deutschland« 1844, Nr. 33] , daß man von dem damaligen Geisteszustand des Verfassers nur die schlimmsten Vorstellungen haben kann. So mußten sich ihm denn auch allmählich alle Journale verschließen, und er war gezwungen, als Tänzer, Notenschreiber, Schauspieler und Fechtmeister seinen Unterhalt zu suchen. Damals fiel er auch der Leipziger Polizei beschwerlich: in den Jahren 1840 und 1841 wurden sub I17887, I20703 und I20994 geringfügige Ordnungsstrafen gegen ihn erlassen. Am schlimmsten war es freilich, daß er nirgends recht seßhaft werden konnte; auch in Leipzig duldete es ihn nicht; nach einer Mitteilung von »Ost und West« vom 4. Oktober 1844, (Seile 327) »hauste der Ruhelose in Reidnitz«.
Die Nachricht von Schiffs bemitleidenswertem Zustande verbreitete sich damals in ganz Deutschland. Heinrich Landesmann schrieb darüber an Moriz Hartmann 29. September 1844 (vgl. Wittner, Briefe aus dem Vormärz, Seite 267): »... Hermann Schiff hat mir Herzbrechen gemacht, schon als ich in der »Allgemeinen« in einem, ich glaube, von Laube geschriebenen Artikel von seinem seltsam traurigen Schicksal gelesen. Vielleicht bewege ich den Todesco, ihn reich zu machen . . .« Laube scheint von Schiff viel gehalten zu haben. 1845 saßen sie oft zechend im Hotel de Pologne beisammen. Und der Gedanke ist wohl nicht ferneliegend, daß Laube Schiff auf bessere Wege leitete, ihn zur Schriftstellerei zurückführte, sie aber in seinem Sinne nachdrücklichst beeinflußte. Denn aus dieser Zeit stammt das Buch, in dem sich Schiff recht wie ein jungdeutscher Schriftsteller mit dem Katholizismus auseinandersetzte. (1846.) Es enthält zwei »katholische« Novellen: »Das Margaretenfest« und »Des Teufels Schwabenstreich«. In beiden wird der Katholizismus empfindlich lächerlich gemacht. Für den Wunderglauben hat Schiff diesmal nur Worte höhnendster Verachtung: recht im Gegensätze zu »Ohnespaß«, wo er noch in seiner schrankenlosen Verherrlichung schwelgt. Im »Margaretenfest«, der anspruchsloseren der zwei »katholischen« Novellen, wird ein Mönch, der sich für den Teufel Weltis ausgibt und in dieser Gestalt ein junges Mädchen verführen will – von dem Bräutigam des Mädchens jämmerlich geprügelt. Mit breitestem Behagen malt Schiff diese Prügelei aus [* Derartige rohe Szenen finden sich damals auch sonst bei Schiff, z. B. in seiner in Schumachers »Gegenwart« (Wien, 1845, Nr. 8–10) veröffentlichten Novelle, »Spleen und Peitsche«] . Noch entschiedener tritt seine Gesinnnung in »Des Teufels Schwabenstreich« hervor, einer der bedeutungsvollsten Arbeiten Schiffs, deshalb nämlich, weil sie in vielen Zügen ein wichtiges Vorspiel seines Hauptwerkes, »Schief-Levinche«, ist.
Hier ist ein italienischer Maler in sich gegangen und hat nach einem tollen Jugendleben Aufenthalt in einem schwäbischen Kloster genommen. Der Teufel sieht das nicht gerne und trachtet, dem Maler Possen zu spielen. Er überzeugt die Mönche, daß ihr Konfrater ein junger Maler sei, und auf deren Geheiß muß dieser nun Altarbilder malen. Eines, wie Maria den Teufel mit Füßen tritt, wird ein Meisterstück und veranlaßt die zwanzig reichsten Jungfrauen des Ortes, den Schleier zu nehmen. Die schönste von ihnen, Hulda, ist aber auf das Bild eifersüchtig und weiß, durch List und Gewalt den Bischof zu überzeugen, daß Maria nicht dunkelhaarig, wie die auf dem Bilde dargestellte, sein könne, sondern blond sein müsse wie sie selbst. Der Maler muß das Bild abändern, und nun wird also das Mädchen, das alle leibhaftig kennen, als Gottesmutter verehrt. Bald aber wollen auch die anderen Mädchen als Gottesmütter angebetet werden, und der Maler überzeichnet immer seine eigenen Bilder, bis ihm dies lästig fällt und er aus dem Kloster mit großen Wertgegenständen fliehen will. Er wird aber entdeckt, in den Kerker geworfen, aus dem ihn der Teufel befreit, unter der Bedingung, daß er ihn selbst auf dem Altarbilde liebenswürdiger darstelle. Der Maler tut das. Bald glaubt man im Kloster an seine Unschuld, da sich der Teufel statt des gefangenen Malers in den Kerker begeben hat, wo ihn der Bischof exorzisiert. Der Maler wird Bischof und Erzbischof, alles aber als Freund des Teufels. Und da er als Erzbischof stirbt, setzt ihm der Teufel ein Grabmal mit der Inschrift: »Hier ruht mein bester Freund.«
Schon aus dieser Schlußpointe läßt sich der christentumsfeindliche Charakter der Absichten Schiffs gut erkennen: wenn das Eingreifen des Teufels und sein steter Beistand einem sehr weltlich gesinnten Maler zu den höchsten Ehrenstellen in der kirchlichen Hierarchie verhelfen kann [* Der Teufel als Helfer auch in »Ohnespaß«] , so liegt darin ebenso eine satirische Spitze, wie in dem Motiv, daß man irgendein beliebiges Mädchen als Modell für ein Marienbild, das dann angebetet wird, verwenden könne. Vor allem zeigt aber der Zug, daß es der Eitelkeit von zwanzig jungen Mädchen sehr schmeichelt, als Gottesmütter dargestellt zu werden, und daß der Maler bei Ausführung eines Bildes nicht von göttlicher Inspiration, sondern von sehr irdischen Wünschen geleitet wird, welch starke Veränderung in Schiffs Anschauung über den Katholizismus jetzt vor sich gegangen war. Denn jetzt stand er ihm durchaus feindlich und ironisch gegenüber. Er blieb auf dieser Stufe nicht stehen, sondern ging noch um einen bedeutsamen Schritt weiter. Charakteristisch hierfür ist es, daß er in demselben Jahre 1846 noch eine antikatholische Dichtung bearbeitete, nämlich Eugen Sues »Ewigen Juden« (ein Lieferungsroman: Leipzig 1846, bei Naumburg: mit zweiundvierzig Stahlstichen). Dazu wird ihn wohl nur der Haß des französischen Dichters gegen den Jesuitismus, den Schiff in seiner Bearbeitung noch verstärkt hat, veranlaßt haben [* Von solchen populären, in Heftform erschienenen Werken lebte Schiff damals. 1846 veröffentlichte er die erste und zweite Lieferung einer volkstümlichen »Geschichte Napoleons« (mit zwei Stahlstichen, Leipzig 1846, Naumburg). Das ganze Werk – in fünf Lieferungen mit sechs Stahlstichen – erschien 1847] . Den Höhepunkt seiner antichristlichen Schriftstellerei erreichte er aber 1848 mit seinem besten und bekanntesten Werke, worin er in gleicher Weise Christentum und Judentum satirisch auf das bitterste verhöhnte. Es ist der komische Roman »Schief-Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirtschaft«, ein Werk, das wieder bei Hoffmann und Campe erschien, nachdem Schiff 1847 aus Leipzig ausgewiesen worden und in seine Vaterstadt zurückgekehrt war. (Seine anhaltende Subsistenzlosigkeit hatte der Leipziger Polizei den willkommenen Anlaß hierfür geboten; seit 1835 verfuhr sie so mit allen im Verdacht des Liberalismus stehenden Schriftstellern, die nicht den Nachweis eines ausreichenden Unterhaltes erbringen konnten. Ein größeres Vergehen ließ sich Schiff nicht zuschulden kommen.)
»Schief-Levinche« variiert das Motiv aus: »Des Teufels Schwabenstreich«, daß ein seiner kleinen Gemeinde wohlbekanntes Mädchen als Modell für ein Marienbild dient. Nur geht der Dichter hier insofern weiter, als ein Judenmädchen aus dem Ghetto als Mutter Gottes gemalt wird. Eine arge Blasphemie enthalten beide Wendungen, ob der Maler veranlaßt wird, ein Mädchen, das sich bei einem Bischof in Gunst zu setzen weiß, als Gottesmutter zu malen, oder ob er dies mit einem Judenmädchen tut. Beide Male beabsichtigt Schiff nur, zu zeigen, wie wenig göttlich die Personen seien, die im Bilde angebetet werden. (Noch ein drittes Mal in der »Waise von Tamaris« begegnet dieser Zug in Schiffs Dichtung.) Wie sehr er übrigens im »Schief-Levinche« von »Des Teufels Schwabenstreich« abhängig ist, beweist auch der Umstand, daß die Schönheit der beiden Heldinnen auf dieselbe Weise erhöht wird: Hunger und Mißhandlungen machen sie blasser, dadurch schöner; durchgeistigter, himmlischer. –
Nun begnügt sich Schiff aber keineswegs damit, den Katholizismus und die Bilderverehrung satirisch zu verunglimpfen; in weit höherem Maße ist es ihm darum zu tun, auch hier die fanatische Unduldsamkeit des Judentums anzuklagen. Ihm erscheint religiöse Beschränktheit bei allen Konfessionen ein arges Übel, das er dadurch, daß er es lächerlich macht, ausrotten will. Deshalb zeigt er in »Schief-Levinche«, in vieler Hinsicht einem Seitenstück zu »Simon Abeles«, welche furchtbaren Mißhandlungen einem armen, gedrückten Judenkinde zuteil werden, wenn es ohne sein Hinzutun in unschuldige Berührung mit Christen komme. Daß darin auch nur die geringste Schuld liegen könne, daß darauf die schwersten Bußen gesetzt sein sollten – dagegen bäumt sich Schiff auf, dafür findet er nur die spöttischesten Worte der Entrüstung.
Dem Roman liegt das alte Motiv der Gegnerschaft zwischen Vater und Sohn bei der Bewerbung um ein schönes Mädchen zugrunde. Der alte Israel Levin und sein Sohn Levin Israel (Schief-Levinche genannt) sind in die schöne Rabbinerstochter Mariamne verliebt. Da Schief-Levinche für seinen geizigen Vater kein Geschäft mehr machen will, wenn er Mariamne nicht heiraten dürfe, gibt der Vater nach und gestattet die Hochzeit, unter der Bedingung, daß der Brautstand drei Monate dauern müsse. Denn er glaubt nicht, daß zwischen Mariamne und Schief-Levinche je Zuneigung zustande kommen könne.
Das kontrastierende Paar, die schöne Mariamne und der krummbeinige, schiefgewachsene Levinche, ist ausgezeichnet charakterisiert, wie sich überhaupt Schiffs Kunst der Charakteristik und der Milieuzeichnung hier am besten offenbart. Wie er Schief-Levinches groteske Verliebtheit und Ungeschicklichkeit, seine Sucht, um jeden Preis zu verdienen, selbst wenn er Prügel und Schelte erhält, schildert, das ergibt ein kulturhistorisch ungemein wertvolles Bild. Mariamne könnte von Balzacs Feder gezeichnet sein; die Zergliederung ihrer Schönheit in die kleinsten Einzelheiten und die Art, wie ihre Reize hervorgehoben werden [* Eine 1847 in der »Gegenwart« (Nr. 3–21) erschienene Novelle »Die Russen in Paris« ist in allen Details von Balzac abhängig] , hat Schiff zweifellos Balzac abgelernt. Dagegen sind die anderen Gestalten des Romans vortrefflichen eigenen Beobachtungen erwachsen; der zelotische Rabbiner, der Geld leicht zugänglich ist, der zu Ehren seiner Religion die eigene Tochter seelisch und körperlich mißhandelt und in seiner Borniertheit sogar der eigenen Frau befiehlt, der Tochter das Gesicht zu zerfleischen, damit es dem Bild, auf dem sie gemalt ist, nicht mehr ähnlich sei, ist eine in ihrer erschreckenden Wahrheit ungemein glaubwürdige Gestalt; ebenso seine fanatische Frau, aus der – echt weiblich – ein bißchen Eitelkeit spricht, daß ihrer schönen Tochter fast göttliche Ehren erwiesen werden, und die sie deshalb mit wahrer Wollust entstellt; der Vater Schief-Levinches, ein Wucherer schlimmster Sorte, der aber in einer jüdischen Gemeinde die erste Rolle spielt, der Talmudist Löbel Kurzweil, der für hundert Taler zu allem fähig ist – er gleicht Zug um Zug dem Löbel Kurzweil aus »Hundert und ein Sabbath« – und die einzelnen Nebenpersonen, die vorzüglich differenziert und abschattiert sind – all das zusammen ergibt voll erbarmungsloser Wahrhaftigkeit ein plastisches, abgerundetes Bild eines jüdischen Ghettos.
Und aus diesem Milieu erklärt sich dann sehr leicht der schwere Konflikt, in den Mariamne gerät, die dem Maler für das Muttergottesbild Modell steht. Die ganze Judenschaft empört sich um so heftiger gegen das Mädchen, als Bilderverehrung nach jüdischem Glauben ein arger Frevel ist. Es verschlägt nichts, daß Mariamne, eine durchaus schwärmerische Natur, die immer vom Paradiese träumt und in Gedanken daran schon auf Erden Seligkeiten empfindet, fast durch hypnotische Gewalt von dem Maler überredet wird, sich malen zu lassen. Unbarmherzig wird sie gefoltert: aber wie sie als echtes Judenmädchen immer gehorsam ist und sich sogar dazu verstanden hat, einen häßlichen Schacherjuden auf Befehl ihrer Eltern zu heiraten, so erduldet sie jetzt alles mit stoischer Selbstüberwindung. Endlich flieht sie, aber nur weil sie geträumt hat, sie werde – eine zweite Jungfrau von Orleans – ihrem Volke eine Retterin werden.
Mariamne bei den Christen ist der schwächere Teil des Werkes. Es ist wieder nur eine Motivwiederholung (aus »Das Margaretenfest«), wenn Schiff das Mädchen von dem Pastor Vitepsky heiß lieben und diesen, um sie in seine Gewalt zu bringen, sogar ein Verbrechen begehen läßt. Auch der tragische Schluß, der sich dem Gefüge eines »komischen« Romans wohl nur schlecht anpaßt, muß als verfehlt, wenn auch dichterisch schön gelten. Unglaubhaft ist er nicht: Die seelischen Erregungen der letzten Zeit haben Mariamne so angegriffen, daß sie, die durch Hunger und Mißhandlungen ohnehin sehr geschwächt ist, bei der Exorzisierung von einem Nervenschlag getroffen wird und daran stirbt.
Aus der Erzählung Schiffs spricht der ungebändigte Haß gegen das Judentum; ihm scheint es nicht wie Heine (vgl. Alfred Meißners »Erinnerungen«, Seite 148) ebenso lächerlich wie ehrwürdig zu sein, sondern er findet es bloß lächerlich und erbärmlich. Die Gestalt des gepeinigten Judenmädchens soll tiefste Rührung, aber auch Erbitterung über einen Fanatismus erwecken, der es noch für Glaubenstreue hält, wenn er zur höheren Ehre Gottes martert und mordet. Es soll nur Schiffs Objektivität (im Hassen) beweisen, wenn er auch Schattenseiten des Christentums herausfindet und lächerlich macht (die Bestattung Mariamnes als einer Art Heiligen usw.). Ernstlich kam es ihm nur darauf an, den Schäden des jüdischen Klerikalismus heftig und wirkungsvoll zu Leibe zu gehen [* Der Roman erschien unter dem charakteristischen Pseudonym Isaak Bernays. Isaak Bernays war orthodoxer Rabbiner in Hamburg (vgl. »Schröders Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller«, II. 233 ff.) und Schiff beabsichtigte wohl mit der Wahl dieses Decknamens gerade in den Kreisen, die er so unsanft angriff, erhöhtes Interesse zu finden. Bruchstücke aus dem Roman erschienen im »Freimütigen« (1848, Nr. 40–46) und im »Freischütz«. Über das Werk vgl. »Blätter für literarische Unterhaltung« (1848, Nr. 207)] .
So vortrefflich die Tendenz und der satirische Ton des Verfassers ist, so wenig kann sein Vortrag befriedigen. Wieder macht sich der Hang Schiffs, Binnenerzählungen einzuschieben, unliebsam bemerkbar. Dabei ist er so skrupellos, von ihm bereits veröffentlichte jüdische Geschichten einzuflechten, wie zum Beispiel aus »Hundert und ein Sabbath« das Märchen vom »Rabbi Chanina« (allerdings in etwas veränderter Form). Von der größten Bedeutung ist die Vorrede des Romans, in der Schiff seine Absichten genau darlegt. Er schreibt an seinen Verleger:
»In der deutschen Literatur gibt es noch wenig komische Romane und in dieser Art vielleicht noch keinen; er ist kein satirisch-, kein fantastisch-, kein sentimental-, kein humoristisch-komischer Roman, sondern ganz einfach ein komischer Roman. Dieses Buch entspringt aus dem einzigen Spaß, der alle Situationen herbeiführt. Daß eine jüdische Rabbinerstochter als Mutter Gottes auf einem Hochaltar einer Kathedrale gemalt ist, bringt Katholiken und Juden in Harnisch.
Die Gegenwart hat mir den Stoff nahegebracht. Wir haben jetzt einen Neu-Katholizismus, einen Neu-Protestantismus. einen Neu-Israelitismus. Jeder hadert mit seiner Religion und die Gegenwart mit allen Religionen insgesamt. Ein Dichter lernt von seiner Zeit. Ursprünglich liebt er alle Religionen, jede hat ihre Merkwürdigkeiten, sinnreichen Mythen, und der Dichter kann sich keinen würdigeren Stoff wünschen als diesen. Aber zwei Religionen sind etwas anderes als eine, und zwei Religionen auf einmal anzunehmen, ist unmöglich. Zwei Religionen sind zwei Auguren, die sich nicht ansehen können, ohne sich auszulachen. Und deshalb kann ein Dichter aus zwei Religionen einen komischen Roman machen. Ernst läßt sich dieses Thema nicht behandeln. Wenn sich bei Calderon zwei Religionen begegnen, ergreift er für eine Partei. Lessing macht aus drei Religionen eine. Denn er ist Kosmopolit und will aufklären. Allerdings kann diese Versöhnung Lessings nur dauern, bis der Vorhang fällt. Diese eine Familie wird nie einen Hausstand bilden können – eine polnische Wirtschaft ist unausbleiblich. Nach meiner Ansicht schwindet sofort alles Würdige und Edle, wenn sich zwei Religionen im Geiste des schaffenden Dichters begegnen.« Schiff entwirft dann eine fiktive Charakteristik seines schriftstellerischen Lebens. Als Sohn blutarmer Leute mußte er Bittbriefe schreiben, man ließ ihn studieren, aber nirgends fand sich für ihn ein Amt, und deshalb wurde er Schriftsteller. Er will aber nur die «Sympathien und Antipathien der niederen Klassen« zur Sprache bringen. Er will ein literarischer Plebejer sein. »Die deutsche Literatur hat seit achtzehn Jahren nur in großen Worten geschwelgt, ohne etwas geleistet zu haben. Sie gleicht dem Zeitgeiste, der nicht demokratisch ist, obwohl er als solcher gerühmt wird. Er ist ein Geldgeist, ein Kaufmannsgeist, ein Rechengeist, ein Judengeist, der uns das Brot abknappt und uns unsere Weiber mißgönnt. Die deutsche Literatur hat sich durch siebzehn Jahre nur nach den Bedürfnissen der Reichen gerichtet, sie hat ihnen Pikantes serviert, weil Pikantes von ihr verlangt wurde. Der Reiche hat alles und kann alles bezahlen, der Arme hat nichts. Will er einmal für sein geringes Geld etwas genießen, so ist es ihm unmöglich; nicht einmal ins Theater kann er gehen. Nur eine Kunst kann sich des Armen annehmen: die des Dichters. Das Buch hat für alle denselben Preis.« Man hatte den Fürsten literarisch lange genug geschmeichelt, nun möge man einmal dem Volke schmeicheln. Man möge die Feinde des Volkes verhöhnen und nichts vom deutschen Michel erzählen, keine sentimentalen Dorfgeschichten, keine Polizeinovellen, keine Geheimnisse von Paris, übertriebene Schilderungen von Lastern (was er aber selbst sehr oft getan hat). Nicht dem Zeitgeiste, sondern dem deutschen Volksgeiste möge man huldigen, das sei der einzige wahre, ewige Gott, der Gott seiner Väter. Im Namen des Volkes und für das Volk will er die Willkür des Genies, seinen Übermut des Talentes rechtfertigen gegen seine Mitliteraten. Seine Devise ist: Es lebe der deutsche Geist.
Aus dieser Vorrede sprechen starke demokratische Anschauungen, die Schiff voll erbitterter Wut und Wucht vorträgt. Zweierlei mag dies veranlaßt haben: Die Zeitstimmung, in der »Schief-Levinche« entstand (die Revolution des Jahres 1848) und die Mißachtung, über die er sich gerade jetzt zu beklagen hatte. Die Volkserhebungen im »tollen Jahre« machten aus ihm einen begeisterten Demokraten. Er beabsichtigte damals die Abfassung einer Reihe von Flugschriften unter dem gemeinsamen Titel »Die Ehrentaten der Bluse oder die Revolutionen des Jahres 1848«, wovon jetzt nur das erste Heft »Die französische Revolution« (mit vier lithographierten Bildern, Hamburg 1849) erschien. Die Begeisterung für die achtundvierziger Revolution muß wundernehmen, denn gerade sie war der Anlaß, daß »Schief-Levinche« vollkommen spurlos vorüberging. So war es Schiff ja immer ergangen: jedem seiner bedeutenderen Werke (Agnes Bernauer, Gevatter Tod, Hundertundein Sabbath) wurde durch ein unvorhergesehenes äußeres Ereignis jedes Interesse geraubt. Wegen des Hamburger Brandes unterblieb die Fortsetzung von »Hundert und ein Sabbath«, und ebenso schrieb Schiff niemals den angekündigten zweiten Teil des »Schief-Levinche«, wovon der Titel lauten sollte: »Schlemiehligkeiten Löbel Kurzweils, des Missionärs«. Man darf es bedauern, daß dieses Buch niemals erschien (vielleicht war es verfaßt worden, und den Verleger hielt nur der geschäftliche Mißerfolg »Schief-Levinches« von der Drucklegung ab) und daß Schiff niemals mehr einen so echten, treffenden und wirkungsvollen Judenroman schrieb wie »Schief-Levinche«.
Es ist Heines Verdienst, auf das Buch, nachdem es drei Jahre hindurch völlig unbeachtet geblieben war, mit größtem Nachdruck hingewiesen zu haben. Zwar wollte ihm die erbarmungslose Kritik, die Schiff an den Fehlern des fanatisierten Judentums übt, nicht ganz gefallen, doch veröffentlichte er über das Buch ein herzliches Lob:
»Dieser dumme Kerl ist ein wahres Genie! Er hat mehr plastische Darstellungsgabe als alle neueren Poeten zusammen, die jetzt in Deutschland leben. Es ist kaum zu begreifen, daß er so wenig Anerkennung gefunden hat. Sein Buch ist tiefsinnig, voll sprudelnden Witzes, wahrhaft künstlerisch, und was die Hauptsache ist – es hat das Verdienst, mich unendlich amüsiert zu haben. Schiff hat jedoch die Schmutzseite des jüdischen Lebens zu grell beleuchtet. Hinter dem Schmutze der gemeinsten Schacherjuden aber ist sehr oft Edelsinn und Großmut verborgen. Sie verstecken diese Glanzseite oft absichtlich – wie sie in den Zeiten des Druckes ihren Reichtum hinter dem Scheine der Dürftigkeit vor den Augen der Habsucht zu sichern wußten.«
Mit dieser warmen Empfehlung Heines, die in allen, selbst den kleinsten deutschen Zeltungen erschien, war die Verstimmung zwischen ihm und Schiff geschwunden; sie nahmen schriftlich den Verkehr wieder auf, Heine gedachte in den Briefen an Campe sehr oft seines Jugendfreundes (vgl. u. a. Brief vom 29. September und 8. Oktober 1851, 28. Jänner 1852, 26. Juni 1854 [* Vgl. »Hermann Schiff an Heinrich Heine«. (»Europa«, 1854, Nr. 43.)] , 1. November 1855) und noch einmal am 30. Mai 1854 kam er auf »Schief-Levinche« zurück (an Campe): »Von Schiffs Buch (es sind die 1854 erschienenen ›Luftschlösser‹) habe ich noch keine Zeile lesen können. Ich werde es mit größtem Interesse mir vorlesen lassen. Unterdessen grüßen Sie mir ihn dankbarlichst. Der närrische Kauz amüsiert mich sehr. Sein ›Schief-Levinche‹ war vortrefflich.« Auch sonst erinnerte man sich jetzt Schiffs allenthalben; Varnhagen notierte in seinem Tagebuche (VIII, 387): »Der von Heine gelobte Roman: toll genug, ernst und spaßhaft, ein gutgefaßter Stoff, aber nicht von Künstlerhand gefaßt, nur von kundiger und auch nicht ungeschickter.« »Der Freischütz« (1851, Nr. 33) brachte eine ausführliche Charakteristik der literarischen Wirksamkeit Schiffs, und sogar bis nach Frankreich drang sein Ruhm; die »revue des deux mondes« erging sich in Lobeserhebungen und stellte ihn dem französischen Dichter Gombert an die Seite.
Allerdings waren das durchaus ideelle Erfolge; ein materieller stellte sich bei dem Erscheinen des Buches nicht ein. Und so war Schiff wieder einmal gezwungen, seinen Aufenthaltsort zu verändern. Diesmal ging er nach Hannover, wo er von 1848 bis Mitte 1851 verblieb. Er ernährte sich recht kümmerlich durch Mitarbeit an dem von Wilhelm Schröder herausgegebenen »Hannoverschen Volksblatt für Leser aller Stände«, das er mit recht schwachen Novellen (»Aschenbrödels Lackstiefel, eine Schustergeschichte«, »Ali mit den sechs Fingern, eine marokkanische Geschichte«, «Die Odaliske« [* In orientalischem Milieu spielt auch Schiffs »merkantilisches Märchen« »Kredit und Gewissen«. (L. A. Frankls »Sonntagsblätter«, 1846, Nr. 4.)] und noch schwächeren politischen Aufsätzen anfüllte. Lange dauerten die Beziehungen zum »Volksfreund« nicht; als Schiff während einer kurzen Krankheit Schröders die Redaktion selbst führen mußte, beging er derartige Mißgriffe, daß der Verleger das Verhältnis rasch löste. Er gründete nun in Hannover zwei eigene Wochenblätter, den »Beobachter an der Leine«, der sehr bald einging, und den »Krakehler«, als dessen Redakteur er vom April bis Anfang Oktober 1851 auf dem Kopfe des Blattes genannt ist; er leitete es aber nur wenige Wochen. Als Politiker macht er eine recht traurige Figur; er ist in seinen Anschauungen recht wankelmütig. Gleich bleibt er sich nur in seinem Hasse gegen Oesterreich, von dem er befürchtet (vgl. z.B. »Krakehler« No. 5) daß es die Aufhebung aller deutschen Verfassungen durchsetzen und Schleswig-Holstein preisgeben werde. In vielen Gedichten und Aufsätzen betont er diese starke Abneigung gegen die österreichische Politik. Wichtig sind im »Krakehler« jüdisch-politische Gespräche (vgl. z.B. No. 6 »Rabbe Nachmanns Politik«), weil Schiff hier zum ersten Male, wie er es später noch oft tat, im deutsch-jüdischen Jargon politische Zustände persiflierte.
Im »Volksfreund« und in seinen eigenen Blättern machte Schiff aus seiner demokratischen Gesinnung kein Hehl. Auf konservative Gegner war er sehr schlecht zu sprechen (was mit der Gesinnung, die aus seinen poetischen Produkten spricht, schwer vereinbarlich erscheint) und wo es nur anging, bekämpfte er sie. So ist sein Aufsatz im »Volksfreund« (1848, No. 33) »Die Geheimnisse des Neuen Hannoverschen Volksfreundes. Ein konservativ-liberaler Skandal« eine scharfe Abrechnung mit seinen politischen Gegnern, die wegen der Schilderung eigener Erlebnisse Schiffs in Hannover und wegen der Darstellung seiner früheren Beziehungen zu bedeutenden Zeitgenossen ihren besonderen Wert hat. Leider beschränkte sich Schiff nicht darauf, gegen politische Gegner aufzutreten [* Wegen Preßvergehens befand er sich 1848 in Untersuchung] , er verwickelte sich auch in kleinliche literarische Plänkeleien, und eine davon trug ihm (im Juni 1851) eine dreiwöchige Arreststrafe ein. Er zieh nämlich Seelig, den Herausgeber des »Theaterfreund«, der Unverschämtheit und Lügenhaftigkeit, weshalb er verurteilt wurde. Während seiner Haft stellte es sich heraus, daß er den Abonnenten den »Krakehler« höchst unregelmäßig hatte zustellen lassen; deshalb beschimpfte ihn der Verleger öffentlich und übergab das Blatt einem anderen Redakteur [* Bis Ende September 1852 hieß das Blatt weiter der »Krakehler«, von da an der »Flaneur«, doch ging es bald nach dieser Namensänderung ein] .
Von eigenen Büchern Schiffs ist in Hannover nur ein »Almanach für Frauen« (1851; mit vier Stahlstichen) erschienen. Er enthält die bereits besprochene Neubearbeitung des »Gevatter Tod« und eine Novelle »Thusnelda«, die 1852 (Nr. 92–98) auch in der Hamburger »Reform« erschien. Dieses Blatt und sein Verleger Jakob Friedrich Richter wurden die Erhalter Schiffs, als er Anfangs August 1851 nach Hamburg zurückkehrte (vgl. die Notiz im »Freischütz«, 1851, Nr. 92). Er hatte in Richter nicht nur einen wirklich aufopfernden, gegen all seine Extravaganzen nachsichtigen Freund, sondern in der »Reform« auch ein Blatt gefunden, das ihm jederzeit offen stand. Ungetrübt verlief freilich – bei Schiffs Veranlagung wenig wunderlich – die Verbindung mit Richter nicht; auch hier gab es schlimme Mißhelligkeiten, die lediglich Schiff verschuldete, dem namentlich das Gefühl der Dankbarkeit immer fremd blieb.
Bevor er mit der »Reform« in Berührung kam, war er Mitarbeiter des Hamburger »Freischütz«, der in den fünfziger Jahren die skrupellose Manier, schauspielerische Leistungen nach Geldleistungen zu bewerten, aufgegeben hatte und ein gutgeleitetes, populär geschriebenes Blatt geworden war. Hier und in der »Reform« veröffentlichte Schiff hauptsächlich Hamburger Lokalnovellen, die zwar in der Erfindung und Ausführung oft viel zu wünschen übrig lassen, aber ihren lokalhistorischen Wert besitzen. Besonders die genaue Kenntnis der Lebensgewohnheiten kleinbürgerlicher und proletarischer Bewohner Hamburgs ist dem Verfasser nachzurühmen. Überraschend leicht und gewandt wußte Schiff in dieser Zeit zu erzählen. Seine schriftstellerischen Absonderlichkeiten, (gespreizter Stil, Einflechtung philosophischer Betrachtungen, Unübersichtlichkeit der geschilderten Gegebenheiten) hat er glücklich abgelegt. Seine Novellen aus dieser Zeit lesen sich angenehm, sie erzeugen immer Spannung und Interesse; Charakteristik und Milieuzeichnung weniger der vornehmen Stände als der niedrigeren Klassen sind immer gut angelegt und durchgeführt.