Читать книгу Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout - Ortwin Meiss - Страница 44
Faule Kompromisse
ОглавлениеViele depressive Patienten haben nicht gelernt, konstruktive Auseinandersetzungen zu führen und zu tragfähigen Kompromissen und beidseitig akzeptierten Lösungen zu kommen. Oft besteht die Angst, wenn man sich für seine Interessen stark macht, nicht mehr gemocht zu werden oder daran schuld zu sein, dass es dann dem anderen nicht gut geht. Manchmal besteht eine grundlegende Angst vor Aggressionen und Auseinandersetzungen, insbesondere wenn der Patient in der Kindheit Einschüchterungen und Gewalterfahrungen ausgesetzt war. Es besteht keine konstruktive Streitkultur. Auseinandersetzungen werden als bedrohlich empfunden. Stattdessen geben depressive Menschen dem Druck oder den Wünschen ihrer sozialen Umgebung nach und leisten auf indirekte Weise Widerstand, indem sie schmollen, den Märtyrer spielen oder das Unbewusste ihnen zu Hilfe kommt und es nicht mehr geht.
Dieses Verhalten wird von ihrer Umgebung in der Regel nicht belohnt, sondern mit Ablehnung und Aggression beantwortet. Der depressive Patient macht dann nicht nur ein Minusgeschäft, indem er nachgibt, er erhält für seinen Verzicht keine Gratifikation, sondern für seinen passiven Widerstand Geringschätzung und Groll. Wer entgegen den eigenen Interessen in einen Urlaubsort fährt, der ihm nicht behagt, versaut den anderen den Urlaub mit seiner schlechten Laune. Wer dem Drängen eines anderen nachgibt und etwas erledigt, wozu er keine Lust hat, macht dies selten gut. Wenn eine Person etwas zusagt, was sie eigentlich nicht will, wird ihr Unbewusstes Widerstand leisten.
Eine Frau bringt ihren Freund, einen gut verdienenden Zahnarzt, zu mir in die Therapie, weist ihn an, auf dem Therapiestuhl Platz zu nehmen. Sie wendet sich mir zu und deutet mit den Worten auf ihn: »Er kann nicht! Er ist impotent!« Ihr Freund nickt mit gesenktem Kopf. Wie ich erfahre, kennen die beiden sich seit drei Monaten. Nach sechs Wochen hat sich die Frau schon mit seinem Steuerberater besprochen, wie hoch sich ihr Freund für ein gemeinsames Haus verschulden könne. Offenbar ist er nicht in der Lage, seiner Freundin Einhalt zu gebieten und Grenzen zu setzen. So muss sein Organismus für ihn einspringen und sich verweigern. Da es bei dem Tempo, dass die Dame bei dem Versuch anschlägt, die Beziehung verbindlich zu machen, nicht unwahrscheinlich ist, dass sie schnell schwanger wird, rettet sein Organismus ihn mit der Impotenz. Er will ja, aber es geht nicht.
In ähnlicher Weise kommuniziert der depressive Patient, dass er ja den Forderungen und Erwartungen seiner sozialen Umgebung nachkommen und deren Erwartungen gerecht werden möchte, er schafft es nur nicht. Die Depression hält ihn dann davon ab, sich weiter mit seinen Handlungen ins Minus zu bringen.
Ein Burnout kann in gleicher Weise als Verweigerung des Unbewussten gesehen werden, so weiterzumachen wie bisher. Der Burnout-Patient ist nicht in der Lage, sich gegen die Ansprüche der anderen und vor allem auch nicht gegen seine eigenen Ansprüche zur Wehr zu setzen. Das Burnout kann als unbewusste Totalverweigerung interpretiert werden. Der Patient möchte zwar, aber »es« will einfach nicht.