Читать книгу Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout - Ortwin Meiss - Страница 43
Verbitterung
ОглавлениеEnttäuschung bezüglich des nicht gewährten Ausgleichs von Geleistetem kann die Form von Verbitterung annehmen. Der Patient zieht sich dann in sich selbst zurück und weigert sich, weiter am Leben teilzunehmen.
Eine Patientin hat sich ein Leben lang um ihre Mutter gekümmert und sie in deren letzten Lebensjahren bei sich zu Hause gepflegt. Auf dem Totenbett bedankt die Mutter sich im Beisein ihrer Tochter bei ihrer Schwägerin dafür, dass diese ihr Enkelkinder geschenkt habe und vermacht ihr ihren Ring. Die Tochter geht dagegen leer aus. Die Mutter stirbt, ohne ihr in irgendeiner Form Anerkennung für die jahrelange Pflege zu geben. Bei der Testamentseröffnung wird deutlich, dass sie nur den Pflichtteil bekommt. Den größten Teil erbt der Bruder. Von ihrer Tante wird ihr noch vorgeworfen, das Begräbnis falsch organisiert zu haben.
Verbitterung kann auch entstehen, wenn man erkennen muss, dass trotz enormer Anstrengung und beträchtlicher Bemühungen die Lebensbilanz deutlich negativ ist. Viele Menschen haben zum Leben ein Verhältnis wie zu einem Elternteil, das den einen bevorzugt und den anderen benachteiligt. Manche Patienten fühlen sich nicht nur von anderen hintergangen, sondern auch vom Leben betrogen. »Wie kann das Leben so ungerecht sein?« ist eine Frage, die ich einige Male gehört habe.
Ein ehemaliger Zahnarzt ist während seiner Berufszeit zwischen drei Stühlen hin und her gesprungen, hat sich kaum Freizeit gegönnt und das Geld zusammengescheffelt, um sich später einen geruhsamen Lebensabend zu gestalten und dann das Leben zu genießen. Als er das Pensionsalter erreicht, verliert er einen Großteil seines Vermögens durch betrügerische Immobilienspekulationen. Zudem hat er sich ein chronisches Rückenleiden zugezogen, das ihm ständige Schmerzen bereitet. Sein Leben erscheint ihm als ein riesiges Minusgeschäft. Seine Investitionen haben sich nicht rentiert.
Verbitterung entsteht oft dann, wenn jemand ein großes Opfer für einen anderen oder die Allgemeinheit geleistet hat und er nicht nur keine Gegenleistung bekommt, sondern auch noch abgewertet wird. In manchen Fällen wird dann auch jedes Hilfsangebot abgewiesen, denn die Wut und die Enttäuschung ist zu groß, als dass man Hilfe akzeptieren könnte. Es ist dann notwendig, das Geschehene ausführlich zu würdigen, den Gefühlen des Patienten ausreichend Raum zu geben und Verständnis für seine Verbitterung und seine Enttäuschung zu zeigen. Ohne diese Voraussetzungen ist der Patient oft nicht bereit, sich helfen zu lassen.