Читать книгу Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout - Ortwin Meiss - Страница 33
3Minusgeschäfte und Gratifikationskrisen
ОглавлениеDie Natur belohnt Investitionen, die im Verhältnis zum Ertrag ein positives Ergebnis aufweisen, mit Freude, Lust und Zufriedenheit. Aktionen, die einen ins Minus bringen, lösen unangenehme Gefühle aus. Wenn eine Person über einen längeren Zeitraum erlebt hat, dass ihre Bemühungen keine angemessenen Resultate erbracht haben, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Depressionen kommt. Der folgende Fall zeigt, wie bei einem zuvor leistungsstarken und kompetenten Unternehmer Depressionen entstehen, indem er, beim Versuch, seine Frau zufriedenzustellen, Entscheidungen trifft und Handlungen vollzieht, die ihn selbst ins Minus bringen.
Chippendalemöbel
Der Mann berichtet, er habe seine Frau in Südafrika kennengelernt. Sie sei damals noch in einer anderen Ehe gewesen. Sie habe darüber geklagt, dass ihr Ehemann sie übel behandle und dass sie den Glauben an die Männer verloren habe. Er habe sich daraufhin zum Ziel gesetzt, sie nicht nur von diesem grässlichen Ehemann zu befreien, sondern ihr auch zu zeigen, dass es Männer gebe, die ihre Frau glücklich machen. Er habe sie nach Deutschland, nach Hamburg, gebracht. In der Stadt habe sie sich aber nicht wohlgefühlt, da sie, wie sie betonte, kein Stadtmensch sei. Also habe er ein Haus in der Nähe Hamburgs auf dem Land gekauft, das sie beide bezogen haben. Auf dem Land habe sie sich einsam und beschäftigungslos gefühlt, weshalb er zugestimmt habe, Tiere anzuschaffen. Es hätte begonnen mit einem Pferd, aber da Pferde Herdentiere seien und alleine depressiv würden, habe sie weitere Pferde gekauft. Er habe das notgedrungen mitgetragen. Pferde waren der Frau dann zu einseitig, denn nach ihrer Meinung gehöre zu einem Landleben auch ein Hund. So wurden zwei Hunde angeschafft. Schließlich habe seine Ehefrau auch noch Katzen angeschleppt, sodass augenblicklich in dem Haushalt neben den Pferden zwei Hunde und acht Katzen leben.
Neben der Vorliebe für allerlei Getier hat die Frau jedoch noch eine andere Leidenschaft. Sie sammelt echte Chippendalemöbel, die sie mit Hingabe pflegt. Ihrem Mann gegenüber besteht sie darauf, dass dies Teil ihrer Persönlichkeit sei. Sie brauche das, um sich wohlzufühlen. Da es sich bei den Möbeln um echte Antiquitäten handelt, dürfen nun die sechs Zimmer des Hauses, die damit ausgestattet sind, kaum betreten werden. Da vor allem Tiere keinen Sinn für echte Antiquitäten haben, sammelt sich alles in den restlichen zwei Wohnräumen des Hauses. Da es mir schwerfällt, mir vorzustellen, wie man mit acht Katzen und zwei Hunden in zwei Wohnräumen leben kann, frage ich den Patienten: »Sind Sie Katzenliebhaber?«, worauf dieser antwortet, er könne das Viehzeug nicht ausstehen. »Wie sind sie dann zu acht Katzen gekommen?«, will ich von ihm wissen. Er berichtet, es sei immer gleich gelaufen. Seine Frau habe ein Kätzchen angebracht und gesagt: »Die wollten sie ersäufen, wenn wir sie nicht nehmen, dann ist sie tot.« Er wollte dann nicht schuld sein und als moralisches Schwein dastehen und verantwortlich dafür sein, dass das Kätzchen umgebracht würde, und schon hatten sie eine weitere Katze.
Ich erkundige mich, wie man sich das häusliche Leben vorzustellen habe, und er berichtet, dass die Tiere zu Hause in den zwei Zimmern Narrenfreiheit besitzen, auf Tischen und anderen Möbeln umherspringen, alle halbwegs bequemen Sitzmöbel belagern und man sich kaum bewegen kann. Wenn er dann genervt eines der Tiere etwas unwirsch vom Tisch oder Sessel schubse, um sich Bewegungsfreiheit zu verschaffen, bekomme er zu hören, er solle sich nicht so aggressiv den Tieren gegenüber verhalten, schließlich seien sie auch Lebewesen und außerdem schutzbedürftig.
Bei den Schilderungen bekommt man den Eindruck, dass man in der Familie als Ehemann deutlich schlechter dran ist als als Hund oder Katze. Schließlich entwickelt sich bei dem Mann die depressive Symptomatik, er kommt nicht mehr aus dem Bett, sitzt nur noch untätig herum und bekommt von seiner Frau zu hören, was für eine armselige Gestalt er sei. Er sei nur noch eine Belastung für sie. Wegen ihm habe sie das schöne Südafrika verlassen, und nun könne sie nicht zurück. Auch dafür gibt sie ihm die Schuld.
Der Fall erinnert an das Märchen »Vom Fischer und seiner Frau«, die mit nichts zufriedenzustellen ist. Er zeigt, wie jemand seine Minuskonten anwachsen lassen kann. Mit der Bemerkung, sie habe den Glauben an die Männer verloren, lockt die Frau ihren späteren Mann auf eine Leimspur, auf der er kleben bleibt. Die Bemühungen, seine Frau zufriedenzustellen, sind vergeblich, stattdessen erfährt er Kritik. Die eigenen Bedürfnisse werden weit zurückgestellt, das damit verbundene Ziel der Anerkennung seiner Großzügigkeit wird nicht erreicht. Seine zunehmenden Aggressionen werden als Zeichen von Egoismus und Egozentrik gedeutet. Egoistisch und selbstbezogen möchte er jedoch auf keinen Fall sein. Mit Schuldzuweisungen wird er dann noch weiter in die Defensive gedrückt. Auch wenn er versucht, ihr alle Wünsche zu erfüllen, es will ihm nicht gelingen.
Wie es schon der deutsche Dichter und Karikaturist Wilhelm Busch ausdrückte:
Wonach du sehnlich ausgeschaut,
es wurde dir beschieden.
Du triumphierst und jubelst laut:
jetzt hab ich endlich Frieden!
Ach, Freundchen, rede nicht so wild,
Bezähme deine Zunge!
Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt,
kriegt augenblicklich Junge.