Читать книгу Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout - Ortwin Meiss - Страница 42
Vorleistungen, die nicht zurückgezahlt werden
ОглавлениеAllgemein gilt, dass man erst dann eine Beziehung lösen darf, wenn man seine Schulden bezahlt hat. Die Äußerung: »Das kannst du nie wieder gutmachen«, ist oft ein Versuch, den anderen in der Bindung zu halten, denn er hat nun für ewige Zeit abzuarbeiten, was er angerichtet hat. Bedingt durch ihr geringes Selbstwertgefühl, neigen viele depressive Menschen dazu, in ihren Beziehungen Vorleistungen zu erbringen, um Beziehungspartner in eine Schuld zu bringen, die jene auszugleichen haben. Manche Mutter verzichtet den Kindern zuliebe auf die Verwirklichung ihrer eigenen Bedürfnisse in der Erwartung, dass diese sich dann, wenn sie alt ist, um sie kümmern werden. Die Ehefrau kümmert sich um den pflegebedürftigen Schwiegervater und hofft auf den Ausgleich durch ihren Ehemann und auf dessen Wertschätzung. Der junge Mann beschenkt seine Angebetete. Wenn sie die Geschenke annimmt, interpretiert er es als Zeichen, dass sie ihn erhört.
Wird die Vorleistung angenommen, aber der Ausgleich verweigert, fühlt man sich betrogen, abgelehnt und abgewertet. Abgelehnt und abgewertet aus dem folgenden Grund: Statusgleiche befinden sich in einem Verhältnis des gegenseitigen Ausgleichs. Was man genommen hat, hat man auch zurückzugeben. Dieses Prinzip des Ausgleichs gilt nicht in gleicher Weise unter Statusungleichen. Der Statushöhere nimmt oft, ohne Entsprechendes zurückzugeben. Der König oder der Adlige hatte kein Bedürfnis, dem Volk das zurückzuzahlen, was er ihm genommen hatte. Es war Zeichen der Anständigkeit, Menschlichkeit, Güte oder Gnade, wenn er es dennoch tat. Auf der anderen Seite war es ein Zeichen der Überlegenheit, wenn er den Ausgleich verweigerte.
Hat man etwas gegeben und bekommt nichts zurück, wird dies als Erniedrigung und Abwertung empfunden. Der andere verweigert eine gleichrangige Beziehung und maßt sich einen höheren Status an. Wenn man sich dann weder gegen die Abwertung auflehnt noch darüber empört, akzeptiert man die Abwertung und wird sich dementsprechend schlecht fühlen. Viele depressive Patienten haben Vorleistungen erbracht, die nie zurückgezahlt wurden. Da sie zudem oft nicht gelernt haben, ihre Rechte einzufordern und sich für die eigenen Interessen stark zu machen, produzieren sie in ihren Beziehungen Minusgeschäfte und ruinieren zudem ihr Selbstwertgefühl. Es sind genau solche Erfahrungen, die Depressionen zur Folge haben und die das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der Patienten zugrunde richten.
Andersherum sollte man sich gut überlegen, ob man ein Geschenk annimmt, denn oft steht ein Beziehungswunsch dahinter, und als Gegenleistung wird erwartet, dass man den anderen in seinen persönlichen Kreis aufnimmt oder eine partnerschaftliche Beziehung mit ihm eingeht.