Читать книгу Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout - Ortwin Meiss - Страница 34
Depression und Burnout durch die Entstehung eines Minusgeschäfts
ОглавлениеMinusgeschäfte führen langfristig zu depressiven Reaktionen und sind oft der Auslöser für ein Burnout. Ein Burnout entsteht dabei selten allein durch eine chronische Überforderung. Viele Menschen sind in der Lage, über weite Strecken übermäßig viel zu arbeiten, solange die Arbeit einem sinnvollen Ziel dient. Geht dieses Ziel verloren oder zeigt sich, dass es unerreichbar wird, besteht die Gefahr, in eine Depression zu rauschen.
Der Patient, ein Mann Anfang vierzig, leidet unter schweren Depressionen. Er gilt als arbeitsunfähig und kann sich zu nichts aufraffen. Es ergibt sich die folgende Lebensgeschichte. Sein älterer Bruder hat zwölf Jahre zuvor ein Unternehmen gegründet. Nach kurzer Zeit wächst dem Älteren die Arbeit über den Kopf, und er bietet seinem jüngeren Bruder an, in den Betrieb einzusteigen und ihn mit ihm gemeinsam zu führen. Die Firma entwickelt sich zu einem größeren mittelständischen Unternehmen. Der Ältere kümmert sich um die Verwaltung und die Geschäftsführung, der Jüngere ist mit dem Überwachen der Produktion betraut. Der Patient berichtet, dass er über die zwölf Jahre bis zu 70 Stunden in der Woche gearbeitet und keinen einzigen Urlaub genommen hat. In seiner wenigen Freizeit hat er über viele Jahre stilvoll ein auf dem Firmengelände gelegenes altes Fachwerkhaus renoviert, in das er mit seiner Lebensgefährtin einziehen will. Als das Haus nahezu fertig ist und das Unternehmen gute Gewinne einfährt, er also die Früchte der Arbeit ernten könnte, verwüstet ein schwerer Brand große Teile der Firmengebäude. Auch das Fachwerkhaus des Patienten geht in Flammen auf. Wie sich nun herausstellt, sind die zerstörten Gebäude unterversichert, sodass der entstandene Schaden nicht ausreichend ausgeglichen wird. Die Firma steht vor der Pleite und das angesparte Vermögen hat sich in Rauch aufgelöst. Die mühsame Renovierung des Fachwerkhauses war umsonst.
Da die administrative Führung des Unternehmens und somit auch die Versicherung der Gebäude in der Verantwortung des älteren Bruders liegen und dieser es offenbar versäumt hat, die Versicherungssumme in Anpassung an den Wertzuwachs der Gebäude anzugleichen, macht der Jüngere dem Älteren nun schwere Vorwürfe. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern. Während dieses Streits erinnert sich der Ältere, wer der eigentliche Besitzer der Firma ist. Tatsächlich ist der Jüngere kurz nach der Gründung des Unternehmens eingestiegen, die Rechts- und Besitzverhältnisse sind jedoch nicht entsprechend angepasst worden. Man war der Meinung, innerhalb der Familie wäre das nicht notwendig, und man könnte sich erst einmal die Notarkosten, die eine Anpassung mit sich brächte, sparen. Später wurde über das Thema nicht mehr geredet. Kurzerhand kündigt nun der Ältere dem Jüngeren die Zusammenarbeit.
Wenn man durch die Fehlhandlung eines anderen um den Lohn seiner jahrelangen Arbeit gebracht wird, entstehen verständlicherweise Aggressionen. Verweigert einem der andere den Ausgleich des Schadens, entwickeln sich Bestrafungswünsche. Wird man nun auch noch ungerecht behandelt, so als wäre man selbst der Schuldige, und von dem Schädiger erniedrigt, dadurch dass dieser einen hinauswirft, entwickeln sich die Aggressionen zu Gewaltfantasien. Kann man den anderen nicht haftbar machen, und kann sich die Aggression nicht ausleben, ist der Weg frei für die Depression.
In dem beschriebenen Fall spielt die Mutter der beiden Brüder eine wichtige Rolle. Während der Jüngere Impulse verspürt, dem Älteren an die Gurgel zu gehen, will die Mutter keinen Streit zwischen ihren Söhnen. Sie besteht darauf, dass beide wie bisher jeden zweiten Sonntag bei ihr zum Essen erscheinen sowie zu bestimmten Feiertagen und Familienfesten anwesend sind. Dieser Forderung fügt sich der jüngere Bruder. So sitzt er am Tisch der Mutter dem Älteren schräg gegenüber und versucht das Essen in sich hineinzuwürgen.