Читать книгу Erlebnisse eines freiwilligen bayerischen Jägers im Feldzuge 1870/71 - Oskar Leibig - Страница 5

I. Der Ausbruch des Krieges

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Es war am 21. Juli des Jahres 1870, dass auf einem bekannten Keller in Erlangen eine erhebende patriotische Feier stattfand. In buntem Gemisch bewegten sich die Bürger und Beamten der Stadt, die Lehrer der Universität, die Scharen der Musensöhne. Und noch jemand war anwesend, ja, es schien, als ob sie die Hauptpersonen des Abends sein sollten, so herzlicher Willkomm, so freudiger Zuruf wurde ihnen allerseits zu teil. Das waren die kräftigen Gestalten der in der Stadt liegenden Jäger vom 6. Bataillone. Vollzählig, vom Kommandeur bis zum jüngsten Manne herab, waren sie heute erschienen inmitten der Bürgerschaft, inmitten der Universitätsfamilie, die sich‘s nicht hatten nehmen lassen, noch einen Abend mit ihren Jägern zusammen zu sein, bevor sie dem Feinde die tapfere Brust entgegenwerfen sollten. Der alte böse Nachbar hatte wieder einmal den Fehdehandschuh herübergeworfen über den Rhein, ganz Deutschland von der Nordsee bis zu den Alpen, vom Memel bis an die Vogesen hatte ihn aufgehoben, und in den allernächsten Tagen schon sollte das Bataillon hinübereilen an die Landesmark zum ernsten Waffengang. Darum ließ die Musik so kriegerische Weisen ertönen; darum sangen die Tausende, Jung und Alt, voll Hingebung die „Wacht am Rhein“, das Losungswort für all die deutschen Brüder, welche sich auf dem Kriegspfad begegneten; darum ertönte feierlich und mit unwiderstehlicher Gewalt die Herzen dahinnehmend der deutsche Hochgesang: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“.

Aber auch an edeln Worten fehlte es nicht; einer unsrer gefeiertsten Lehrer gab der in allen Anwesenden lebenden Stimmung trefflichen Ausdruck, woraus auch die Gefeierten erkennen mussten, wie lieb man sie habe, mit welch inniger Teilnahme man sie begleite auf dem Felde der Ehren; ja die glänzenden Augen manches jungen Festgenossen verrieten deutlich des Herzens heißen Wunsch, sogleich mithinaus zu dürfen in den Kampf mit dem gehassten Erbfeind, ein Wunsch, den die kraftvollen Worte, mit welchen der Anführer des Bataillons erwiderte, nur noch erhöhten.

Andern Tags sind die Jäger fort; für manchen unter ihnen ist der beschriebene Festabend der letzte seiner Art geworden. Wenige Wochen nur, dann deckte den Tapferen die im ersten Anlauf wiedergewonnene, mit viel edlem deutschen Blut getränkte elsässische Erde.

Mein erstes Universitätsjahr neigte sich dem Ende zu, da ich als Mitglied einer studentischen Vereinigung, in welcher die Vaterlandsliebe bis zur Stunde eine hohe Stätte hat, jenen Abend mitfeierte. Je und je hatten ihre Glieder für des Vaterlandes Größe gestritten und gelitten, „auf dass es einig sei und frei“; gelitten, wie der Frost die Blumen versengt, die sich zu frühe herauswagen an die noch raue Luft. Jetzt endlich, unter dem Eindruck einer großen Gefahr, war es Frühling geworden in Deutschland, echter, voller Frühling, jetzt durfte es jeder zeigen, wie die Sehnsucht nach einem einigen freien Deutschland ihm die Brust erfüllte. Demgemäß gestaltete sich das Leben unter uns, als die Kriegswetter herauszogen, als immer deutlicher der Krieg mit Frankreich in Sicht trat. Mit dem Studieren ging‘s nimmer recht, voll Spannung wurde jede neue Nachricht erwartet und das konnte man doch nicht allein auf seinem Zimmer tun. Mehr und mehr bemächtigte sich unser aller ein kriegerischer, kampflustiger Geist, und mächtiger Jubel begrüßte den Bundesbruder, der mit der sichern Botschaft „der Krieg ist erklärt!“ aus dem Lesezimmer der „Harmonie“ herbeigestürzt kam. Wir saßen gerade beim Frühschoppen auf der Straße vor der Kneipe; als die erste Aufregung sich gelegt, ertönte brausend das Lied: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!“, und von allen Seiten eilten die Leute herbei und sangen mit. Wer kann ohne Bewegung seines Herzens zurückdenken an jene Stunden der reinsten heiligsten Begeisterung? In den stillen Sommernächten im Freien sitzend hatten wir voll Kraft und Feuer unsre köstlichen Vaterlands- und Kriegslieder erschallen lassen, niemand hatte sich beschwert oder uns gestört, auch nicht die zunächst wohnende Polizei. Waren ja diese Gesänge nur der Ausdruck dessen, was damals in jedem deutschen Herzen lebte: Kampfesmut, Gottvertrauen, Siegeszuversicht. Jedermann hörte sie gerne und ward gleich uns davon ergriffen.

Eine erhebende Abschiedsfeier unmittelbar vor dem Ergehen der Mobilmachungsordre vereinigte uns nochmal im Dorfe B. bei Erlangen. Der Ernst der Trennung, die Größe der Gefahr, die Sorge, ob wir nach diesem voraussichtlich furchtbaren Ringen auch alle wieder zurückkehren würden, kamen an diesem Abende wohl zu ihrem Recht, aber nichts vermochte unsre glühende Begeisterung, unsre feste Siegeshoffnung niederzudrücken, und Dieser und Jener gab laut seinen Entschluss kund, dem Vaterlande Leib und Leben zu weihen. „Den Burschen reißt es fort mit Sturmeswehen, fürs Vaterland in Kampf und Tod zu geh’n.“

Auch in mir ist an jenem unvergesslichen Abend der Entschluss, in die Reihen der Vaterlandsverteidiger zu treten; zur Reife gediehen. Es hatte nicht mehr viel dazu gehört, denn von Anfang an stand es bei mir fest, dass ich diesen Krieg nicht als müßiger Zuschauer von weitem mitansehen würde, sondern in diesem Alter dem Vaterlande meine Kräfte leihen müsste; am fruchtbringendsten schien mir das zu geschehen, wenn ich ihm mit der Waffe diente. Schon einige Tage vorher hatte einer meiner Freunde, ein Landwehrlieutenant, mir gesagt, dass er derartiges von mir erwarte; wie groß war seine Freude, als ich mich auf dem Marktplatz in Bar le Duc, in nächster Nähe des den meisten deutschen Soldaten bekannt gewordenen Cafès mit den ausländischen Vögeln, bei ihm zur Stelle meldete.

Ich war im Mai vorher bis zum 24. Lebensjahr zurückgestellt worden und hätte, da ich bis dahin voraussichtlich ordiniert war, niemals im Leben nötig gehabt, den Soldatenrock anzuziehen. Wenigstens hat von meinen Bekannten, die in gleichem Fall waren, keiner während des Kriegs einrücken müssen. Nun habe ich mich freiwillig hineingesteckt und bin darob stolz mein Leben lang; und eben der Rock, den ich neun Monate ununterbrochen getragen, ist noch in meinem Besitz, ein alter ehrenvoller Freund trotz seiner Abgeschabtheit an Schultern und Lenden, trotz der Aufschläge aus französischem Billardtuch. Schon in früher Jugend hatte ich eine große Vorliebe für die Jäger und es war mein Vorsatz geworden, wenn ich einmal Soldat werden müsste oder freiwillig würde, so müsste es ein Jäger sein. War’s in jungen Jahren vielleicht mehr der Reiz, einer so schmucken Truppe anzugehören, so zog den Jüngling vor allem der erhöhte Anspruch an, der an die körperliche Gewandtheit und Findigkeit dieser Truppe gemacht zu werden pflegt. War ich doch auf dem Gymnasium in allen körperlichen Übungen, im Turnen, Springen, Klettern, Schwimmen unter meinen Mitschülern der tüchtigste gewesen; dazu kamen auf der Universität noch die Arm und Auge stärkenden und schulenden Fechtübungen.

Nun saß ich ja sozusagen an der Quelle, was war natürlicher, als dass ich in das hier liegende 6. Jägerbataillon eintrat? Es geschah am 26. Juli, nachdem von zu Hause die Einwilligung eingetroffen war und die ärztliche Untersuchung mich als völlig feldtauglich erfunden hatte. Am 3. August leistete ich auf dem Bezirksamt mit noch etlichen Kameraden den Soldateneid, indem wir mangels einer Fahne die Finger an die Säbelklinge eines Unteroffiziers legten. Es war eine harte Bedingung, dass wir nicht anders, denn als Dreijährig-Freiwillige angenommen wurden, da es bei uns nicht wie in Preußen und Baden Freiwillige auf Kriegsdauer gab. Aber unser Patriotismus ließ auch dies Opfer sich auferlegen. Eine gute Anzahl meiner nächsten Freunde tat das Gleiche, während andere je nach ihrer Heimat in die Reihen anderer bayerischer oder deutscher Abteilungen eintraten. Mit 34 Mann hatten wir das Semester geschlossen; als, das neue begann, waren hievon so wenige zu Hause, dass sie kaum als Verbindung sich auftun konnten. Alles war draußen im Felde, der große Hauptteil unter der Waffe, die andern als Ärzte und Krankenpfleger. —

Es war eine liebe prächtige Gesellschaft, die sich nun im Simmerleinshause schlechten Angedenkens an die Überbleibsel des Bataillons ankristallisierte, von Verlangen brennend, ihm als die ersten so bald als möglich ins Feld nachgesandt zu werden. Da traf ich außer acht Freunden je einige Mitglieder der andern in Erlangen bestehenden Vereinigungen, mit welchen allen in kürzester Zeit ein echt kameradschaftliches Verhältnis hergestellt war. Da gab es Rechtspraktikanten, ausstudierte Mathematiker, Pharmazeuten, Studierende aller Fakultäten, alte Knaben mit vielen Mensuren, Füchse mit der ersten und zweiten aus dem Rücken, Absolventen des humanistischen und des Real-Gymnasiums. Auch der Handelsstand war durch einige Kameraden vertreten. Endlich fehlten auch nicht Grafen, Freiherrn und Barone. Einer derselben war Besitzer eines schönen schwarzen Hühnerhundes, welcher auf den Exerzierplatz mitlief und vor der Front herumsprang, bis der Hauptmann seinem Herrn bedeutete, sein Hund habe seine Gastrollen anderswo zu geben. Den eben bezeichneten, etwa 50 an der Zahl, reihten sich einige Erlanger aus dem Handwerkerstand, sowie eine Anzahl Bamberger Gärtnersburschen an, derbe Jungen, die mit den Franzosen nicht viel Umstände machten; unter ihnen ein 17jähriger schneidiger Bursche, von der ganzen Truppe nur „Napoleon“ geheißen, weil er bei seinem Eintritt erklärt hatte, den Napoleon erschießen zu wollen. So sind wir am 17. August 1870 ausmarschiert.

Das Waffenhandwerk wurde nunmehr mit viel Liebe und Eifer betrieben. Unter fröhlichem Gesang besonders der Lieder: „Ach! welche Freude, welche Lust Soldat zu sein!“ und des andern: „Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, halb rechts, halb links, grad aus, Marsch! Stehen die Mädchen hinter ihrem Laden. Warum? Darum. Warum? Darum. Bloß wegen dem Tschintatarassah!“ zogen wir immer durch Erlangens noch stille Straßen auf den Exerzierplatz. Nach wenigen Tagen Einzelunterricht von tüchtigen Unteroffizieren, die sich dabei in Bier und Zigarren nicht schlecht standen, wurden wir in Züge zusammengestellt, deren Kommando neben Hauptmann N. meist unser geliebter, hochverehrter Oberlieutenant Frhr. von Feilitzsch führte, der es sich zur Ehre und Freude rechnete, so viele gebildete, begeisterte Leute zu kommandieren. Die ersten paar Tage machten wir die Übungen im Zivilanzug mit, bald aber prangten wir in einer schmucken, funkelneuen Uniform, die uns der Bataillonsschneider unter Darannahme unserer Kommissuniform nebst 4 Gulden aus feinerem Tuch nach dem Maß hergestellt hatte; auch feinere Knöpfe waren daran, um welcher willen mancher meiner Kameraden vor Paris Anstand bekam und sie entfernen musste, als die Kanonen schwiegen und die liebenswürdigen Propretätsparaden begannen. Ich habe die meinigen durchgerettet.

Auf großen und kleinen Übungsmärschen in die Umgegend Erlangens mit Marschsicherung und den mannigfachen Arten von Patrouillen wurde der Felddienst geübt und gelernt, aber alles wurde erläutert, erweitert und vervollkommnet in dem gediegenen theoretischen Unterricht unseres Oberlieutenants, in welchem er uns das genaue Bild eines allezeit und in allen Lagen tüchtigen Soldaten, in species eines Jägers gab, und die Erwartung aussprach, dass wir zumal im Patrouillendienst Hervorragendes leisten würden. Und in dieser Erwartung hat er sich nicht getäuscht: Die meisten und gefährlichsten Patrouillen, die von unserm Bataillon vor Paris überhaupt gemacht wurden, haben wir Freiwillige geleistet! Auch guten Gewehrunterricht erhielten wir durch einen Sekondjäger, und bald ging es denn auch vor den Scheibenstand, wo ich zum ersten Mal im Leben unter einiger Aufregung einen Schuss abgab; und siehe da, es war eine Eins, zu der mir der Herr Oberlieutenant gratulierte. Es reihten sich ihr bald noch bessere Treffer an, sogar einige Viere. Unser Gewehr war das abgeänderte Podewilsgewehr. Mit dem Werdergewehr konnten für den Feldzug nur erst fünf Jägerbataillone ausgerüstet werden; sie wurden durch das Los bestimmt. Die Gewehre waren gut, nur das Aufsetzen des in die Papierpatrone eingelassenen Zündhütchens auf den Zündkegel war unschön, machte sich aber auch ganz gut, wenn man einen gewissen Vorteil, bei kräftigem Druck einen drehenden Ruck, alles in Einem Moment heraushatte. In den Gewehren waren wir also zu kurz gekommen, dagegen hatten wir neue, leichte, fast elegante Heime gefasst. Ich erinnere mich hiebei eines hübschen Vorganges in Weißenburg. Wir begegneten vor dessen Toren einer gleichfalls nach Frankreich marschierenden Ersatztruppe des I. Jägerbataillons. Die Leute hatten wahre Kästen von Helmen auf dem Kopf, es müssen die ältesten gewesen sein, die noch auszutreiben gewesen waren — aber Werdergewehre hatten sie. Wir begrüßten uns mit Hurra und bald ging‘s denn hinüber und herüber: „Gebt uns eure Gewehre, wir geben euch unsere Helme!“ und umgekehrt. Vierzig Schüsse hat jeder von uns auf die Scheibe abgegeben, natürlich auf verschiedene Distanzen. Mit blinden Patronen wurde auf dem Exerzierplatz das Feuern aus Kommando geübt. Eines köstlichen Auftritts beim Exerzieren muss ich noch gedenken. Es war auf dem Exerzierplatz zwischen Erlangen und Bruck, welcher näher bei Bruck von links nach rechts von einem starken, gerade damals sehr wasserreichen Graben durchzogen wird. Als wir eines Tags zwei Züge stark im rückwärtigen Frontmarsch in der Richtung nach Bruck manövrierten, scheint der kommandierende aber weit hinten gebliebene Hauptmann die Existenz dieses Grabens ganz vergessen zu haben.

Immer deutlicher hörten wir des Baches Gemurmel, immer näher blinkte das verdächtige Wasser. Was tun, wenn kein Halt kommt? Die am rechten Flügel trafs zuerst, die am linken konnten der Entwicklung der Sache mit mehr Ruhe entgegensehen. Von Sekunde zu Sekunde erwartete man das erlösende Halt, aber es erschallte keins. „Nur Ruhe! — Ruhe! und Ruh!“ hörte man aus dem Hintergrunde, aber die Ruhe ward immer schwerer und schwerer zu halten. Kurz, es half nichts: die Vordermänner des rechten Flügels mussten den gefürchteten Schritt tun und standen im Augenblick fast bis an die Lenden im Wasser. Noch sehe ich das verlegene, unbehagliche Gesicht unseres an meiner Seite marschierenden Grafen. Jetzt plötzlich hatte der Hauptmann durch die Füße der Hintermänner hindurch die um so viel niedriger befindlichen Vordermänner erblickt und augenblicklich Halt! Ruht! kommandiert, noch eben im rechten Moment für mich, denn ich war der nächste nach dem Grafen. Sofort machten wir uns an die Bergung der Wassermänner; mit Hand und hingereichtem Gewehr wurde ihnen herausgeholfen. Der herbeigekommene Hauptmann musste selbst herzlich lachen, knüpfte aber daran die Bemerkung: Wo es sich darum handle Deckung zu gewinnen, scheue man auch weder Wasser noch Morast noch tiefsten Schmutz noch Düngerhaufen oder andere schöne Dinge.

Wir lagen, wie schon erwähnt, im sog. Simmerleinshause in der Friedrichsstraße; es war eine herzlich schlechte Kaserne, wie überhaupt die Kasernierungsverhältnisse zu Erlangen damals über allen Begriff waren. Teile des Bataillons lagen im Glückshaus, in der Lilienkaserne, im Redoutenhaus, das wir alltäglich beim Gang auf den Fechtboden passierten und wohin wir jetzt alle Mittage um 1 Uhr zum Befehl mussten, wobei mich der Oberjäger mit Konsequenz L . . ., Oksar verlas. Ja, eine kleine Abteilung lag sogar in dem Tanzsaal eines Wirtshauses vor dem Nürnberger Tor. —

Während der Freistunden des Tags herrschte in unserm Simmerleinshause ein frisches, fröhliches Leben, genährt von dem trefflichen Bier in der Hausmeisterei, und die Abendkneipen dehnten wir immer bis zur letzten möglichen Sekunde aus. Denn vor dem Schlafengehen graute einem halb und halb. Es war nicht sowohl der harte Strohsack und das Strohsäckchen als Unterlage des müden Hauptes; wir waren ja nun Soldaten: der feste Wille, der Reiz der Neuheit, die Kameradschaft halfen darüber hinweg. Am meisten schwer empfanden wir außer dem Mangel an jeglicher Waschgelegenheit die Unreinlichkeit und Ruhelosigkeit, die uns das Ungeziefer verursachte, besonders Wanzen, deren Geschlecht in Erlangen überhaupt in Blüte stehen soll. Mit Humor wurde auch diese Belästigung ertragen, es half sonst nichts darüber hinweg: denn reichlich eingestreuter „Wanzentod“, „Insektentod“ und „kaukasisches Pflanzenpulver“ ließ die Tierchen völlig unberührt; nur etwas breitspurig, im Übrigen wie aus einem Bade tauchten sie aus den gelben Meeren hervor.

Inzwischen waren die ersten Siegesnachrichten von Weißenburg, Wörth und Spicherer Höhen eingetroffen und hatten ganz Deutschland in die freudigste Aufregung versetzt. Auch unsere Brust haben sie geschwellt mit dankbarer Freude ob des Siegesglücks unseres Vaterlandes, ob der Tapferkeit der Brüder aus Süd und Nord. Aber immer ungeduldiger ward unsere Kampfeslust, immer dringender unser Verlangen, es ihnen gleichtun zu dürfen. Denn es ging uns wie weiland dem jungen Alexander bei den Erfolgen seines Vaters Philipp; es beschlich uns die Sorge: ja was bleibt uns noch zu tun, wenn die Tapferkeit unsrer Brüder dergestalt mit den Franzosen aufräumt! Und Freunde und Bekannte nährten diese Sorge, indem sie uns sagten: „Ach, ihr kommt gar nicht mehr hinaus ins Feld!“

Ab und zu gab‘s auch ein freies Stündchen, das man benützte, sein Haus zu bestellen, Schulden zu bezahlen, mit diesem und jenem Freund oder Bekannten einen Abschiedstrunk zu tun, schriftlich und mündlich bei Verwandten und Bekannten sich zu verabschieden. War mir‘s gleich nicht so zu Mute, als ob ich nicht wieder zurückkehren sollte aus dem Kriege, so lag mir doch nichts ferner als leichtsinnig und gedankenlos in denselben zu ziehen; das wäre mir vorgekommen wie eine Entweihung der schönen Sache. Immerhin bei der allgemeinen Annahme, dass dieser Krieg mit einigen Hauptschlachten sein Ende erreicht haben werde, hofften auch wir mit Beginn des nächsten Semesters im November an den Sitz der Musen, zu den Freunden, zu den Studien, in die Arme der teuern Angehörigen zurückkehren zu dürfen.

Die Siege unsrer Brüder bewirkten, dass wir noch in der Heimat die ersten Franzosen zu sehen bekamen. Zahlreiche leicht- und schwerverwundete Franzosen waren in Erlangen angekommen. Sie wurden zum Teil in dem geräumten Lilienhause einlogiert und mit scharfen Patronen bewacht. Als ich eines Tags mit einigen Kameraden sie besuchte, fragten wir einen schönen Mann, wo er verwundet worden und in welchem Regiment er gestanden sei. Im zweiten Zuavenregiment, antwortete er Französisch, langte dabei nach seinen über ihm hängenden Monturstücken, Jäckchen und Pumphose und entfaltete sie vor unsren Augen mit einem Blick, als wollte er sagen: da habt ihr den ganzen Plunder!

Erlebnisse eines freiwilligen bayerischen Jägers im Feldzuge 1870/71

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