Читать книгу Erlebnisse eines freiwilligen bayerischen Jägers im Feldzuge 1870/71 - Oskar Leibig - Страница 6

II. Der Ausmarsch.

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Da zerstreute endlich der 17. August alle unsere Befürchtungen und brachte uns den ersehnten Ausmarsch. Schon waren wir auch in den letzten Tagen ruhiger geworden: hinauskommen müssten wir unter allen Umständen, sagten wir uns, denn die bei Weißenburg und Wörth gefallenen und verwundeten Mannschaften des Bataillons, 70 — 80 an der Zahl, müssten doch auf jeden Fall ergänzt werden.

Seit dem 14. hatten wir strengste Marschbereitschaft und durften nur auf ganz kurze Zeit die Kaserne verlassen, so dass es gar nicht möglich war, überall, wo man es noch gerne getan hätte, einen Abschiedsbesuch zu machen. In diesen und den vorhergehenden Tagen waren wir auch nach und nach vollständig ausgerüstet worden; es geschah das im Hofe des neuen Schulhauses, den wir dann immer reicher behangen verließen. Es war ein Genuss, unter dieser Masse von Feldflaschen, Gewehren und Büchsen, Brotsäcken, Mänteln, Helmen und wie die großen und kleinen Ausrüstungsgegenstände alle heißen, sich das schönste und passendste herauszuwählen. Besonders imponierte uns der aus einem Stück Zucker und einigen Lot Kaffee bestehende „eiserne Bestand“, in getrennten Säckchen im Tornister zu tragen, und die vorschriftsmäßig in der linken Hosentasche aufzubewahrende leinene Verbandrolle; es hat sie wohl jeder meiner Kameraden mit dem Gedanken da hineingeschoben: Wird‘ ich dich wohl brauchen? Ich habe sie auch getreulich bis ans Ende des Krieges darin getragen.

Es interessiert vielleicht manchen und tut mir selbst wohl, wieder einmal den ganzen Haushalt zu überblicken, welchen man dem Soldaten mit ins Feld gibt. Außer den großen, schon von außen hin sichtbaren Gegenständen, welche Fülle von kleinen verbirgt sich in dem geringen Raum, welchen der Mann mit Tornister, Brotsack und Patrontasche bietet! Da ist alles aufs klügste ausgesonnen, ihn möglichst vor allen Ungelegenheiten zu bewahren und ihn durchaus selbständig zu machen. Denn da diente zum Exempel die Patrontasche nicht nur dazu, um 40 Patronen aufzunehmen, sondern sie war zu der Zeit auch der Aufbewahrungsort eines Schraubenziehers, eines Reservezündkegels, einer Anzahl Zündhütchen, der sog. Ramnadel zum Säubern des Zündkegels, eines Blechbüchschens, dessen eine Hälfte mit Hammerschlag, dessen andere Hälfte mit einem Ölgläschen gefüllt war, beides zum Reinigen und Reinhalten der Waffen. Passiert dem Soldaten etwas an der Montur, so ist er mit Nadel, Faden und Knöpfen wohl ausgestattet, diese Schäden zu heilen; will er Hoffart treiben, so steht ihm ein ganzes Heer von Mitteln zu Gebote, von der Blechbüchse mit Wichse oder Fett bis zum Kamm, seine schlichten Kommisshaare vorschriftsmäßig zu glätten. Das Putzsäckchen speit allein dreierlei Schuh-Bürsten aus, ferner eine Knopfgabel, Hirschhorn und ein Bürstchen zum Putzen der Knöpfe; auch ein Stückchen Seife und ein Spiegel verbergen sich im Tornister. Ebenso die unter gesitteten Menschen gebräuchlichen Gegenstände zum Essen: Messer, Gabel, Löffel werden in einem ledernen Futteral dem Soldaten mitgegeben, letztere besonders wert gehalten, während Messer und Gabeln bald ersetzt wurden von französischen requirierten oder entlehnten. Ein Tellerchen von Blech und eine dito Menageschüssel auf den Tornister geschnallt bereiteten viele Umstände, weshalb sie bald in diesem oder jenem Lokal stehen blieben; mein Tellerchen ist bei der Rast auf dem Schlachtfeld von Wörth zurückgeblieben. Auf dem Marsch mussten die Franzosen Geschirr leihen und vor Paris griffen wir so recht ins Volle, denn sowohl in den leerstehenden Häusern als besonders in einer Porzellanfabrik in Bourg la Reine gab es Geschirr in Hülle und Fülle und in allen Sorten. In vollster Geltung stand der Feldkessel, sowie der zum Weinfassen und -finden, zum Wasserholen und Kochen unentbehrliche Feldbecher. Eine Schirmmütze, die ihren Platz unter dem Tornisterdeckel hatte, war nach dem Marsch eine große Wohltat; nur wurde sie von vielen bald verloren oder vergessen.

Das werden ungefähr die Ausrüstungsgeget"1stände sein, mit denen wir ins Feld rückten. Nimmt man hinzu nochmals 40 Patronen im Tornister, ein Hemd, ein paar Unterhosen, ein paar Stiefel, zwei paar Strümpfe, über dem allem den gerollten Mantel, den Säbel mit Bajonett und endlich das acht Pfund schwere Gewehr, so wird man einsehen, welche Kraft dazu gehört, diese 50 Pfund wochenlang bergauf, bergab, unter Gluthitze und strömendem Regen, unter quälendem Durst und nach durchwachten Nächten in sechs- bis zehnstündigem Marsch zu tragen und dann noch frisch genug zu sein, um nötigenfalls sofort ins Gefecht eingreifen zu können. Ich will auch gerne gestehen, dass mir manchmal, als bei den Proben die Last des gepackten Tornisters immer schwerer wurde, als der Mantel so eng um die Brust sich legte, bange wurde, ob die Kraft meiner Lunge und Glieder groß genug sein würde, dies alles, Gott weiß wie weit und wohin zu tragen. — Und der Mensch hat doch auch noch seine Bedürfnisse, Dinge, die ihm ans Herz gewachsen sind und die er nicht missen kann, als da sind: Pfeife, Zigarren, Schnupftabaksdose, Uhr, Notizbuch, Gebetbüchlein, neues Testament, Mundharmonika, Maultrommel, Schokolade, Opium, Hirschtalg, Heftpflaster, Cervelatwurst, Spielkarten, Briefpapier, Korrespondenzkarten und sonstige hier nicht genannte Gegenstände, die zumeist im Brotsack ihren Platz hatten, weshalb denn Einem dieser auch stets ein lieber Freund war, wenn er gleich manchmal versiegt war und seinen Herrn im Elend sitzen ließ.

Die Mehrzahl meiner Kameraden hatte sich zwei Flanellhemden angeschafft und hat wohl daran getan; mir selbst widerstrebte dies; ich hatte im ganzen Leben nichts Wollenes als nur im strengsten Winter wollene Socken an den Leib gebracht, und nun sollte ich mich mitten im hellen Sommer und in Aussicht auf starke Märsche auf einmal ganz in Wolle stecken! Ich hätte indessen gleichwohl die Belehrungen meiner Freunde angenommen, die ich seitdem als absolut richtig anerkennen gelernt habe, wenn ich auch kein Jägerianer geworden bin, und hätte mir auch ein Flanellhemd gekauft, wenn nicht mein ohnedies kleiner Wechsel durch Anschaffungen und Bereinigung kleiner Schuldpöstchen gar sehr zusammengeschmolzen gewesen wäre. Ich hätte mich vollends entblößen oder das Hemd schuldig bleiben müssen, und der letztere Gedanke war mir höchst störend: soll‘s mein Sterbehemd werden, so soll’s wenigstens bezahlt sein, dachte ich. So nahm ich denn zwei treffliche leinene Hemden mit und bereute es auch nicht; sie sind aber in Frankreich geblieben, nachdem ich es auf drei Flanellhemden, ein gefasstes und zwei nachgeschickte, gebracht hatte.

Während meine Kameraden zum Teil mit reichen Geldmitteln versehen ausmarschierten, betrug meine ganze Barschaft 2 Gulden 30 Kreuzer, sage mit Worten: Zwei Gulden dreißig Kreuzer. Mehr als ich besaß wohl jeder im ersten Halbzuge, aber zur Beruhigung will ich gleich hersetzen, dass ich mit diesen 2 Gulden 30 Kreuzern bis nach Sedan gekommen bin, ohne dass ich mir etwa weniger Erquickungen und Erleichterungen hätte bieten können als die reich ausgestatteten; es gab ja wenig und selten zu kaufen. Von Sedan an hatten wir alle Geld in Hülle und Fülle. Endlich nahmen wir auch alle unser Burschenband mit; es wurde unter dem Rock und später auf dem bloßen Leib getragen.

Und nun fort, hinaus in Gottes Namen!

So freudig und schnell hatten wir niemals unser Lager verlassen als am Mittwoch, den 17. August; so morgenfrisch und schneidig, so allen willkommen hatte niemals das Horn die gemütlichen Töne der Tagreveille durchs Haus erschallen lassen, von uns im Chor begleitet mit dem alten Soldatenvers: „Steht auf ihr faulen Jäger, die Sonne steigt über die Dächer, wird nichts gekocht, wird nichts gekocht!“ — War uns doch am Abend vorher expediert worden, dass wir morgen unter Führung unsres verehrten Oberlieutenants Frhr. v. F. ausmarschieren sollten. Als zweiter Offizier fungierte mein Landsmann, Reservelieutenant W. Kammerer, den wir um seines humanen Wesens willen gleichfalls alle sehr lieb gehabt haben.

Nachdem wir nochmal mit größter Pünktlichkeit die Propretät hergestellt, eine solenne Frühkneipe abgehalten und unsern Nachlass, in Kommissbrot, Hausröcken und alten Stiefeln bestehend, an herbeigekommene Erlanger Arme übermacht hatten, traten wir um 9 Uhr unters Gewehr und marschierten unter Führung unseres Sekondjägers auf den Platz vor dem Redoutenhaus, wo soeben auch der zweite Halbzug angetreten war. Dort war das Offizierskorps versammelt, die beiden mitausmarschierenden Offiziere setzten sich an die Spitze ihrer Halbzüge, Frhr. v. Feilitzsch an die des ersten, Kammerer des zweiten; Dann nahm Hauptmann Neumann die Parade ab, mit befriedigtem Blick unsere erlesene Truppe musternd. Ein Unteroffizier las mit lauter Stimme die Kriegsartikel vor, und nachdem der Hauptmann eine kurze, kräftige Ansprache gehalten, wurde „Zum Gebet“ kommandiert. Ich weiß nicht, was meine Kameraden gebetet haben, aber mir selbst kam das Kommando so überraschend, dass ich nichts Besseres zu beten wusste, als ein recht kräftiges Vaterunser. Noch eine kleine Pause, während welcher unsere beiden Offiziere sich von ihren Herrn Kameraden verabschiedeten, dann erschallte schneidig wie immer aus dem Munde unseres Führers das uns in Bewegung setzende: „Mit Zweien rechtsum! Marsch!“ Mein Platz befand sich im Vorderglied der vorletzten Rotte des ersten Halbzugs.

Umgeben und gefolgt von einer zahlreichen Menge ging unser Marsch durch die Hauptstraße und über den Holzmarkt auf den Bahnhof. Rechts und links öffneten sich die Fenster, mit Händen und Tüchern wurde uns Abschied zugewinkt und mancher meiner Kameraden hat wohl an dies und jenes Fenster nochmal recht herzlich hinaufgesehen. Auf dem Bahnhof hatten uns in kürzester Zeit einige Güterwagen für je 30 Mann, in denen Bänke aufgeschlagen waren, aufgenommen; wir hatten uns darin bald wohnlich eingerichtet, nachdem wir Gewehr, Tornister und Mantel abgelegt und den Helm mit der Mütze vertauscht hatten. Noch brachte der oder jener Bekannte einen Abschiedstrunk, noch brachten wir und die ganze anwesende Menge dem deutschen Vaterlande ein begeistert Hoch: da setzte sich der Zug in Bewegung und entführte uns unter allgemeinem stürmischem Hurra der lieben Musenstadt und ihren freundlichen Bewohnern, aus den letzten Häusern der Stadt noch herzlich begrüßt von bekannten Familien.

Fort waren wir also! Das war das erste, was wir, nachdem wir unter uns waren, mit hoher Befriedigung konstatierten; es war uns zu Mute wie einem, der bei zweifelhaftem Wetter sich lange besinnt, ob er einen Ausgang wagen soll oder nicht; hat er aber einmal den Schritt getan, so ist er froh und auch bereit, alle Folgen aus sich zu nehmen. Wir waren fort! Unsere Anzahl betrug 100 Jäger, 5 Unteroffiziere und 2 Hornisten, einen alten und einen jungen.

Unser Weg ging zunächst nicht weit. Vorüber an den bekannten Dörfern zwischen Erlangen und Nürnberg ging‘s bis zur Fürther Kreuzung. Hier gab‘s einen Aufenthalt von einer halben Stunde; so viel ich mich erinnern kann, wurde unser Extrazug um eine bedeutende Anzahl Wagen verlängert, in welchen ein Transport des 14. Infanterieregiments untergebracht war. Wir durften aussteigen, was manche zu einem Stehseidel an einer ganz nahe gelegenen Gartenwirtschaft benützten; mehrere Nürnberger Familien waren hierhergekommen, um ihre Söhne und Brüder nochmals zu sehen.

Nachdem wieder eingestiegen war, ging die Fahrt fast ununterbrochen nach Würzburg, vorüber an Neustadt a. A. und Diespeck, wo ich die Pfingstferien zugebracht hatte, vorüber an den schönen Gegenden von Einersheim und Schwarzenberg, die ich als Gymnasiast schon durchwandert hatte. Ob ich euch nochmals sehen werde? der Gedanke durchflog doch manchmal mein Herz. Im Übrigen herrschte unter uns eine fröhliche Stimmung: es wurde gesungen, zumal beim Passieren von Bahnhöfen, gescherzt, getrunken und geraucht, die mitgenommenen Vorräte einer gegenseitigen Prüfung unterzogen. Und so kamen wir nach Würzburg. ehe wir‘s uns versahen. Daselbst wurde ausgestiegen, angetreten und etwa fünf Minuten weit in die Vorstadt hineinmarschiert. Wir betraten eine Gartenwirtschaft, woselbst eine Reihe Tafeln für uns gedeckt waren und sofort, nachdem wir uns niedergelassen, Suppe. Braten und Salat, Brot und ein Glas Bier antanzten. Ich habe nicht in Erfahrung gebracht, wem wir diesen Genuss verdankten, ob der Militärverwaltung oder einem wohltätigen Verein; aber so viel weiß ich aus Erkundigungen bei Gliedern anderer Abteilungen, dass hier, wie es scheint, alle durchreisenden Truppen, wenigstens bayerische, gespeist wurden. Gesättigt erhoben wir uns und bestiegen sofort wieder den Zug, welcher schon in Erlangen mit einem Transport des 5. Regiments beschwert angekommen war; beim Einsteigen waren wir gar nicht dahinter gekommen.

Bald lag das schöne Würzburg, bald die Grenze unseres engern Vaterlandes hinter uns, die Fahrt ging unaufhaltsam weiter. Aus einem der Bahnlinie nahe gelegenen Schlosse, es wird Reichenberg gewesen sein, wurden unserem Zuge Abschiedsgrüße nachgewinkt, die von uns lebhaft erwidert wurden. Dann brach der Abend an und mit dem Sinken der Sonne ließ auch allgemach die Spannkraft nach, die uns bisher frisch und munter erhalten hatte; die Aufregung des Tages vom frühesten Morgen an, die Anstrengungen der ununterbrochenen Fahrt, die besonders dadurch erhöht wurden, dass wir uns nicht anlehnen konnten, machten sich immer mehr geltend; und je mehr die Sonne zur Rüste ging, mit dem feurigsten Rot unsere herrliche Heimat bemalend, um so stiller ward‘s bei uns. Die beiden Öffnungen des Wagens, die den ganzen Tag über besetzt waren, wurden verlassen und, als es vollends dunkel war, die Türen bis auf eine kleine Spalte zugeschoben. Es war ein ungemütlicher Zustand in dem engen unbeleuchteten Wagen. Um wenigstens dem Mangel des Sichanlehnenkönnens einigermaßen abzuhelfen, hatte man verabredet, sich bankweise Rücken gegen Rücken zu setzen und sich so gegenseitig zu stützen. Aber der Schlaf wollte gleichwohl nicht sofort kommen, mancher zündete noch eine Zigarre an und gab seinen Gedanken Audienz, die sich nach der Heimat lenkten, wie die Rauchwölkchen nach der Zugluft. Man saß mit den Seinen um den väterlichen Tisch her, hörte ihre Gespräche, sah ihre Beschäftigungen und jetzt — weit weg von ihnen auf gefährlichem Kriegspfad. Wirst du sie wiedersehen? Oder man saß unter den fröhlichen Bundesbrüdern beim schäumenden Glas und hellem Gesang im Vollgenuss der akademischen Freiheit und jetzt — wie war die Freiheit dahingegeben gegen den eisernen Gehorsam des Soldaten, wie war aus dem jungen Studenten ein ernster Kriegsmann geworden! Wie wird‘s kommen, wie wird‘s gehen, wirst du es aushalten? Das waren so Fragen, die in dieser stillen Nacht einen überkamen und fast selbst eine kleine Nacht heraufzurufen suchten. Aber ist‘s nicht auch ein Glück und eine Ehre fürs Vaterland kämpfen und leiden zu dürfen! Und ist‘s beschlossen im Rate Gottes, dass du fällst, du stirbst den schönsten Tod, den es gibt! Und kehrst du siegreich zurück, wie werden alle Leiden vergessen und tausendmal aufgewogen sein von dem herrlichen Bewusstsein: Du hast auch mitgearbeitet, mitgekämpft, mitgelitten für die Größe des Vaterlands; wie es der treue Gott macht, so wird es recht werden, das hast du in deinem kurzen Leben schon oft genug erfahren. Solche Gedanken verdrängten dies erste Mal und alle Zeit die durch jene erzeugte düstere Stimmung und wandelten sie um in die Empfindung eines stillen Glückes darüber, dass es nun so und nicht anders war. Endlich kam doch Müdigkeit und Schlaf über einen wie ein gewappneter Mann; man schlief, nachdem man nochmals den rückwärtigen Stützpunkt fest genommen hatte. Aber ach! was war das für ein Schlafen! Weiß Gott, mit Hilfe welcher Kraft es geschah: der Stützpunkt war immer merkwürdig schnell verloren; bald hing das Gegenüber halb über einen herüber, bald. vermeinte man selbst rechts oder links in einen Abgrund zu stürzen, bald lag einem der Nachbar halb im Schoß, bald — kurz es war ein Schlafen mit Hindernissen, aber es gingen doch einige Stunden herum und Mitternacht wird nicht mehr ferne gewesen sein, als nach einem auffallend langen Pfiff der Lokomotive gehalten wurde. Also bald erscholl das Kommando: Jäger aussteigen und antreten! Sofort wurden wir über etliche Gekeife eines ziemlich bedeutenden, erleuchteten Bahnhofs hinweg auf einen freien Platz geführt, und ehe wir es uns versahen, kamen Männer mit mächtigen Sprengern, aus welchen sie jedem von uns den Feldbecher voll Bier gossen, während ein anderer jedem ein Stück Brot mit Fleisch überreichte. Nachdem das Bier ausgetrunken, wurden die Becher nochmals gefüllt, diesmal mit schwarzem Kaffee, den wir sämtlich in die Feldflasche schütteten. Es war Mosbach in Baden, wo wir also in der Mitternachtsstunde gespeist wurden, und diese Speisung hat uns allen imponiert, nicht sowohl wegen des materiellen Genusses — waren wir doch selbst noch mit Brot und Wurst reichlich versehen — sondern wegen der darin liegenden Anerkennung als vollgültiger Feldsoldaten. Genau zehn Jahre darnach habe ich auf diesem Bahnhof einen kurzen Aufenthalt gehabt und den dazu benützt festzustellen, auf welchem Platz ich wohl damals als Kriegsmann gestanden bin.

Die Fahrt ging weiter. Mit dem Schlafen war‘s nicht mehr viel: immer mehr Kameraden steckten die Morgenpfeife oder Zigarre an, die Unterhaltung kam wieder auf den Damm, bald wurden mit Gesang die anderen Wagen angerufen. Von Heidelberg war gar nichts zu sehen, so finster war‘s noch; aber bis wir nach Mannheim kamen, war es ziemlich helle geworden. Auf dem dortigen prächtigen Bahnhof empfing wer da wollte von einem Wohltätigkeitskomiteeherrn ein Glas Wein, Wurst und Brot. Wie viel Opfer an Zeit, Geld und Nachtruhe haben doch auch diese Männer und Frauen dem Vaterlande gebracht! Den Vater Rhein begrüßten wir mit donnerndem Hurra, aber es wird wohl mancher, als er dem Gesicht entschwunden war, mit mir gedacht haben: so, drüben bist du, nun sieh‘ zu, wie du wieder glücklich herüber kommst.

Hinein ging‘s in die sonnige Pfalz, das Vorland der feindlichen Grenze. Es entflammte uns der Gedanke an die Schandtaten der Franzosen in diesem herrlichen Land mit heiligem Zorn. Wie sie so dalag, von leuchtender Morgensonne übergossen, war es ein hoher Genuss, sie zu durchfahren und ein erhebender Gedanke, dass den Raubgelüsten der Franzosen durch die bisher gewonnenen Schlachten ein gewaltiger Riegel vorgeschoben war. Auf dem Bahnhof in Mutterstadt wurde der Erlanger Praterwirt, der als Landwehrmann hier Dienst hatte, mit Hurra begrüßt. Noch sehe ich Neustadt, dieses Schmuckkästchen mit dem gewaltigen Hambacher Schlosse über sich, noch das liebliche Edenkoben mit der hellglänzenden Ludwigshöhe. Es ging auf Mittag, als wir Winden, die letzte bayerische Station, passierten. Der Bahnhof erschien wie gesperrt von der Masse Eisenbahnmaterials, das hier stand, und öfters wurde gehalten, so dass wir alle Augenblicke das Kommando zum Aussteigen erwarteten, um die Strecke nach Weißenburg vollends zu Fuß zurückzulegen.

Mit großem Interesse beobachteten wir jetzt alles und als wir nach Übersetzung der windungsreichen Lauter französischen Boden unter uns hatten, erscholl ein kräftiges Hurra. Da und dort ein frisch aufgeworfener Hügel erinnerte lebhaft an den ersten für die deutschen Waffen siegreichen Kampf. Noch eine Ecke und vor uns lagen die Bahnhofsgebäude von Weißenburg, durch Schussscharten und eingeschlagene Kugeln die Spuren des Kampfes aufweisend. Hier verließen wir unsere Wagen nach sechsundzwanzigstündiger Fahrt mit müdem Kopf und ziemlich kreuzlahm marschierten bis vor die Stadt hin, setzten auf einer schönen Straße und gerade gegenüber einem Hause, in welches eine Granate ein furchtbares Loch gerissen hatte, die Gewehre zusammen, legten ab und blieben zunächst hier, während unser Führer in die Stadt ging, um uns anzumelden und Menage für uns auszumachen. So standen wir also im Angesicht der ersten französischen Stadt — mit deutschem Namen, deutschem Aussehen und bereits wieder in deutschen Händen.

Nach reichlich einer Stunde, welche viele von uns dazu benützten, die erste Feldpostkarte nach Hause zu jagen und während welcher wir auch vorüberziehende Ersatztruppen“ des 1. Jäger-Bataillons begrüßt hatten, erschien unser Führer wieder. Wir marschierten stramm weiter der Stadt zu, die nach kurzer Zeit sich zeigte und in ihrem Kranz von Festungsmauern und Laufgräben an Forchheim mich erinnert hat. Das Tor, durch welches wir einzogen, war von unserer bayerischen Artillerie nach einigen Schüssen eingelegt worden, wie mir die Leute unseres Bataillons erzählten, welche in der Nähe postiert gewesen waren.

Die Straßen der Stadt hatten nach meiner Erinnerung ganz das Aussehen derjenigen kleiner deutscher Städte; nur hin und wieder ein französisches Schild erinnerte daran, dass wir auf französischem Boden standen. So weit sich Bewohner zeigten, trugen ihre Gesichter einen verbissenen Ausdruck, wie auch einzelne Häuser noch deutliche Spuren des Straßenkampfs aufwiesen, an welchem auch die Bewohner teilgenommen hatten. Sonst habe ich an Weißenburg keine Erinnerungen mehr. Es hat keinen guten und schönen Eindruck auf mich gemacht. In einem Anwesen war inzwischen für uns Menage gekocht worden, bestehend aus angebranntem Reis und Rindfleisch. In einem Gasthaus verzehrten wir sie; einer meiner Kameraden hatte sich dabei als Sitz das Büffet ausersehen, worüber der Besitzer in großen Zorn geriet. Nach der Menage verließen wir leichten Herzens die Stadt, kehrten auf unsern alten Platz zurück und nach kurzer Zeit — es mag vier Uhr gewesen sein — brachen wir auf — „ins Frankreich hinein.“ —

Erlebnisse eines freiwilligen bayerischen Jägers im Feldzuge 1870/71

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