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Drittes Kapitel

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Als die ersten blauen Lichter in das Zimmer sinterten, war Hermine wach. Die Wände traten deutlich auseinander. Schon wurde die hellgrüne Farbe der Tapete sichtbar mit den schwarzen Ranken, und auch die hinein gezeichneten feuerroten Quadrate tanzten noch immer mit einer ihrer Ecken gleichsam auf der Nase, eine Reihe über der anderen. Zwei Fenster schauten blöde nach der Straße hinaus, zwei nach dem Garten. Unbehaglich waren die Dielen anzusehen, deren unendlich lange Ritzen unter den Bettstellen hervorgelaufen kamen und an der gegenüberliegenden Wand verschwanden. Der Hausrat genügte nicht, die breite Leere zu füllen.

Hermine wußte nicht, was sie beginnen sollte. Das Kindermädchen zu ihren Füßen schlief noch. Sollte sie aufstehen? Wohin dann? Sie sprang aus dem Bette und bekam eine Gänsehaut. Sie trat ans Fenster und legte sich wieder sogleich.

Der bläuliche Schimmer hier drinnen war eine Täuschung gewesen und nun verschwunden. Draußen zogen fahle Wolken vorüber, in deren zerrissenen Klunkern ihren verklebten Augen hin und wieder Sterne zu sitzen schienen gleich kleinen silbernen Kletten.

Wohl eine Stunde verging. Das Kindermädchen wurde wach und kleidete sich an. Hermine suchte immer den Atem anzuhalten, bis es hinaus war. Dann wartete sie noch lange auf die steigende Helle, doch blieb das Licht mottenfarb. Ein Regentropfen klopfte ans Glas, und binnen kurzem schlängelte es sich auf den Scheiben wie von dünnen weißen Aalen.

Hermine hob auf einem Beine das Deckbett hoch in die Schwebe, bekam wiederum eine Gänsehaut, drückte die Arme dicht an den warmen Körper und warf das Bett ganz hinaus. Das Regnen hörte auf, noch unfreundlichere Helle trat ein. Grelerts Tauben flogen wohl an den Fenstern vorüber, denn ein paar schwarze Blitze huschten über ihr Hemd. „Ja, ja, Totengräber, nun komme ich doch,“ sagte sie gedankenlos und zog mit dem Finger auf dem Laken Kreise und Halbmonde, wie sie die Mutter gestern abend ausgeschnitten hatte.

Die Kirchturmuhr schlug zehn. Das Blut schoß Hermine in den Kopf darüber, daß sie nicht aufhören wollte zu schlagen. Möchte doch nur die Mutter nicht herauf kommen, dachte sie, stellte sich die Jagdgesellschaft vor, die gewiß jetzt unten beisammen wäre und praßte, und wurde glühend aufgeregt trotz unbestimmter Leere in sich, blieb aber dennoch im Bette. Als es dann wieder regnete und zwar noch heftiger als vorhin, kleidete sie sich an.

Sollte sie in das Schlafzimmer oder in das große zu den vielen Leuten treten? Sie war schon ganz ruhig und wollte nur ihr Frühstück verzehren. Ein unbestimmtes Suchen, etwas wie die Witterung nach Modergeruch zog sie in die Gesellschaft hinein. Sie prallte mit einem Gelächter zusammen, dessen Töne wie grausame, klatschende Peitschenhiebe auf sie eindrangen. Doch es brach sofort ab, und sie begegnete mitleidig warmen Blicken, unter denen ihr Schmerz um die Freundin sich sogleich erneuerte. Alle Augen schienen sie weit von sich wegzuschieben, immer rückwärts, bis ihre Fersen anstießen und sie sich auf einen Sarg setzen mußte; aber ihr war, als müßte sie ihren Peinigern danken; sie ging zu jedem einzelnen, gab ihm die Hand und sagte laut: „Guten Tag!“ Sie sah jedem fest ins Auge, alle Blicke wurden natürlich verwundert und neugierig, machten ihr Qual und schienen daher herzlos zu glotzen. Ihr blinder Wunsch war erfüllt. Zum Überlegen und Prüfen war sie noch zu jung und jetzt zu kummervoll, aber die Gefühle fanden ihr Gleis: wer mit Dagott verkehrte, den konnte sie sich nicht anders als ihm verwandt vorstellen.

Vineta

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