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Das also war die große, seit Ge­ne­ra­tio­nen ver­kün­de­te, be­sun­ge­ne, an­ge­dich­te­te deut­sche Re­vo­lu­ti­on – ein Schau­spiel von ei­ner so fürch­ter­li­chen Iro­nie, dass es des Ab­stan­des von Jahr­zehn­ten be­darf, be­vor sie dem Deut­schen fühl­bar wird, eine Re­vo­lu­ti­on, die das um­warf, was sie woll­te und nun will, ohne zu wis­sen was.

Be­trach­tet man von die­ser künf­ti­gen Höhe aus die drei Re­vo­lu­tio­nen, die ehr­wür­di­ge, die groß­ar­ti­ge, die lä­cher­li­che, so lässt sich sa­gen: Die drei spä­tes­ten Völ­ker des Abend­lan­des ha­ben hier drei idea­le For­men des Da­seins an­ge­strebt. Berühm­te Schlag­wor­te kenn­zeich­nen sie: Frei­heit, Gleich­heit, Ge­mein­sam­keit. Sie er­schei­nen in den po­li­ti­schen Fas­sun­gen des li­be­ra­len Par­la­men­ta­ris­mus, der ge­sell­schaft­li­chen De­mo­kra­tie, des au­to­ri­ta­ti­ven So­zia­lis­mus: schein­bar ein neu­er Be­sitz, in Wahr­heit nur die äu­ßers­te rei­ne Ge­stal­tung des un­ver­än­der­li­chen Le­bens­stils die­ser Völ­ker, je­dem ganz und al­lein ei­gen und kei­nem an­de­ren mit­teil­bar. An­ti­ke Re­vo­lu­tio­nen stel­len le­dig­lich den Ver­such dar, eine Le­bens­la­ge zu er­rei­chen, in der ein in sich ru­hen­des Da­sein über­haupt mög­lich und er­träg­lich ist. Trotz der Lei­den­schaft­lich­keit des äu­ße­ren Bil­des sind sie sämt­lich de­fen­si­ver Na­tur. Von Kre­on bis her­ab zu Spar­ta­cus hat nie­mand dar­an ge­dacht, über die eig­ne Not des Au­gen­blicks hin­aus sich für eine all­ge­mei­ne Neu­ord­nung der an­ti­ken Da­seins­be­din­gun­gen ein­zu­set­zen. Die drei großen Re­vo­lu­tio­nen des Abend­lan­des aber ent­rol­len eine Macht­fra­ge: Ist der Wil­le des ein­zel­nen dem Ge­samt­wil­len zu un­ter­wer­fen oder um­ge­kehr­t? Und man ist ent­schlos­sen, die eig­ne Ent­schei­dung der gan­zen Welt auf­zu­zwin­gen.

Der eng­li­sche In­stinkt ent­schied: die Macht ge­hört dem ein­zel­nen. Frei­er Kampf des einen ge­gen den an­de­ren; Tri­umph des Stär­ke­ren: Li­be­ra­lis­mus, Un­gleich­heit. Kein Staat mehr. Wenn je­der für sich kämpft, kommt es in letz­ter Li­nie al­len zu­gu­te.

Der fran­zö­si­sche In­stinkt: die Macht ge­hört nie­mand. Kei­ne Un­ter­ord­nung, also kei­ne Ord­nung. Kein Staat, son­dern nichts: Gleich­heit al­ler, idea­ler An­ar­chis­mus, in der Pra­xis im­mer wie­der (1799, 1851, 1871, 1918) durch den Des­po­tis­mus von Ge­ne­ra­len oder Prä­si­den­ten le­bens­fä­hig er­hal­ten.

Bei­des heißt De­mo­kra­tie, aber in sehr ver­schie­de­ner Be­deu­tung. Von ei­nem Klas­sen­kampf im mar­xis­ti­schen Sin­ne ist nicht die Rede. Die eng­li­sche Re­vo­lu­ti­on, die den Ty­pus des un­ab­hän­gi­gen, nur sich selbst ver­ant­wort­li­chen Pri­vat­man­nes her­vor­brach­te, be­zog sich über­haupt nicht auf Stän­de, son­dern auf den Staat. Der Staat wur­de, welt­lich wie geist­lich, ab­ge­schafft und durch den Vor­zug der In­sel­la­ge er­setzt. Die Stän­de be­ste­hen noch heu­te, all­ge­mein ge­ach­tet, in­stink­tiv auch von der Ar­beiter­schaft an­er­kannt. Die fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­on al­lein ist ein »Klas­sen­kampf« aber von Rang-, nicht von Wirt­schafts­klas­sen. Die we­nig zahl­rei­chen Pri­vi­le­gier­ten wer­den der gleich­för­mi­gen Volks­mas­se, der Bour­geoi­sie, ein­ver­leibt.

Die deut­sche Re­vo­lu­ti­on aber ist aus ei­ner Theo­rie her­vor­ge­gan­gen. Der deut­sche, ge­nau­er preu­ßi­sche In­stink­t war: die Macht ge­hört dem Gan­zen. Der ein­zel­ne dient ihm. Das Gan­ze ist sou­ve­rän. Der Kö­nig ist nur der ers­te Die­ner sei­nes Staa­tes (Fried­rich der Gro­ße). Je­der er­hält sei­nen Platz. Es wird be­foh­len und ge­horcht. Dies ist, seit dem 18. Jahr­hun­der­t, au­to­ri­ta­ti­ver So­zia­lis­mus, dem We­sen nach il­li­be­ral und an­ti­de­mo­kra­tisch, so­weit es sich um eng­li­schen Li­be­ra­lis­mus und fran­zö­si­sche De­mo­kra­tie han­delt. Es ist aber auch klar, dass der preu­ßi­sche In­stinkt an­ti­re­vo­lu­tio­när ist. Den Or­ga­nis­mus aus dem Geis­te des 18. Jahr­hun­derts in den des 20. zu über­füh­ren – was man in ei­nem ganz an­de­ren, spe­zi­fisch preu­ßi­schen Sin­ne li­be­ral und de­mo­kra­tisch nen­nen kann – war eine Auf­ga­be für Or­ga­ni­sa­to­ren. Die ra­di­ka­le Theo­rie aber mach­te aus ei­nem Teil des Vol­kes einen vier­ten Stand zu­recht – sinn­los in ei­nem Lan­de der Bau­ern und Be­am­ten. Sie gab dem über­wie­gen­den, in zahl­lo­se Be­rufs­stän­de ge­glie­der­ten Teil den Na­men »drit­ter Stand« und be­zeich­ne­te ihn da­mit als Ob­jekt ei­nes Klas­sen­kamp­fes. Sie mach­te den so­zia­lis­ti­schen Ge­dan­ken end­lich zum Pri­vi­le­gi­um des vier­ten Stan­des. Im Ban­ne die­ser Kon­struk­tio­nen zog man denn im No­vem­ber aus, um das zu er­rei­chen, was im Grun­de längst da war. Und da man es im Ne­bel der Schlag­wor­te nicht er­kann­te, zer­schlug man es. Nicht nur der Staat, auch die Par­tei Be­bels, das Meis­ter­werk ei­nes echt so­zia­lis­ti­schen Tat­sa­chen­menschen, durch und durch mi­li­tä­risch und au­to­ri­ta­tiv und eben da­mit die un­ver­gleich­li­che Waf­fe der Ar­beiter­schaft, wenn sie dem Staat den Geist des neu­en Jahr­hun­derts ein­imp­fen woll­te, ging in Trüm­mer. Das macht die­se Re­vo­lu­ti­on so ver­zwei­felt lä­cher­lich: sie brach auf, um ihr eig­nes Haus an­zu­zün­den. Was 1914 das deut­sche Volk sich selbst ver­spro­chen, was es be­reits lang­sam, ohne Pa­thos zu ver­wirk­li­chen be­gon­nen hat­te, wo­für zwei Mil­lio­nen Män­ner ge­fal­len wa­ren, wur­de ver­leug­net und ver­nich­tet. Und dann stand man rat­los, ohne zu wis­sen, was nun ver­an­stal­tet wer­den soll­te, um sich selbst das Vor­han­den­sein ei­ner fort­schrei­ten­den Re­vo­lu­ti­on zu be­wei­sen. Es war sehr nö­tig, denn der Ar­bei­ter, der et­was ganz andres er­war­tet hat­te, schau­te miss­trau­isch auf, aber mit dem täg­li­chen Aus­ru­fen der Schlag­wor­te in die lee­re Luft hin­ein war es nicht ge­tan.

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