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Einleitung

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Die­se klei­ne Schrift ist aus Auf­zeich­nun­gen her­vor­ge­gan­gen, die für den »Un­ter­gang des Abend­lan­des«, na­ment­lich den zwei­ten Band be­stimmt, die teil­wei­se so­gar der Keim wa­ren, aus dem die­se gan­ze Phi­lo­so­phie sich ent­wi­ckelt hat.1

Das Wort So­zia­lis­mus be­zeich­net nicht die tiefs­te, aber die lau­tes­te Fra­ge der Zeit. Je­der ge­braucht es. Je­der denkt da­bei et­was andres. Je­der legt in die­ses Schlag­wort al­ler Schlag­wor­te das hin­ein, was er liebt oder hasst, fürch­tet oder wünscht. Aber nie­mand über­sieht die his­to­ri­schen Be­din­gun­gen in ih­rer Enge und Wei­te. Ist So­zia­lis­mus ein In­stinkt oder ein Sys­tem? Das End­ziel der Mensch­heit oder ein Zu­stand von heu­te und mor­gen? Oder ist er nur die For­de­rung ei­ner ein­zel­nen Klas­se? Ist er mit dem Mar­xis­mus iden­tisch?

Der Feh­ler al­ler Wol­len­den ist, dass sie das, was sein soll­te, mit dem ver­wech­seln, was sein wird. Wie sel­ten ist der frei­e Blick über das Wer­den hin! Noch sehe ich nie­mand, der den Weg die­ser Re­vo­lu­ti­on be­grif­fen, ih­ren Sinn, ihre Dau­er, ihr Ende über­schaut hät­te. Man ver­wech­selt Au­gen­bli­cke mit Epo­chen, das nächs­te Jahr mit dem nächs­ten Jahr­hun­dert, Ein­fäl­le mit Ide­en, Bü­cher mit Men­schen. Die­se Marxis­ten sind nur im Ver­nei­nen stark, im Po­si­ti­ven sind sie hilf­los. Sie ver­ra­ten end­lich, dass ihr Meis­ter nur ein Kri­ti­ker, kein Schöp­fer war. Für eine Welt von Le­sern hat er Be­grif­fe hin­ter­las­sen. Sein von Li­te­ra­tur ge­sät­tig­tes, durch Li­te­ra­tur ge­bil­de­tes und zu­sam­men­ge­hal­te­nes Pro­le­ta­ri­at war nur so lan­ge Wirk­lich­keit, als es die Wirk­lich­keit des Ta­ges ab­lehn­te, nicht dar­stell­te. Heu­te ahnt man es – Marx war nur der Stief­va­ter des So­zia­lis­mus. Es gibt äl­te­re, stär­ke­re, tiefe­re Züge in ihm als des­sen Ge­sell­schafts­kri­tik. Sie wa­ren ohne ihn da und ha­ben sich ohne ihn und ge­gen ihn wei­ter ent­fal­tet. Sie ste­hen nicht auf dem Pa­pier, sie lie­gen im Blut. Und nur das Blut ent­schei­det über die Zu­kunft.

Wenn aber der So­zia­lis­mus nicht Mar­xis­mus ist – was ist er dann? Hier steht die Ant­wort. Heu­te schon ahnt man sie, aber den Kopf vol­ler Plä­ne, Stand­punk­te, Zie­le, wagt man nicht, sie zu wis­sen. Man flüch­tet vor Ent­schei­dun­gen von der ehe­ma­li­gen ener­gi­schen Hal­tung zu mitt­le­ren, ver­al­te­ten, mil­de­ren Auf­fas­sun­gen, selbst zu Rous­seau, zu Adam Smith, zu ir­gen­det­was. Schon ist je­der Schritt ge­gen Marx ge­rich­tet, aber bei je­dem ruft man ihn an. In­des­sen ist die Zeit der Pro­gramm­po­li­tik vor­bei. Wir spä­ten Men­schen des Abend­lan­des sind Skep­ti­ker ge­wor­den. Ideo­lo­gi­sche Sys­te­me wer­den uns nicht mehr den Kopf ver­wir­ren. Pro­gram­me ge­hö­ren in das vo­ri­ge Jahr­hun­dert. Wir wol­len kei­ne Sät­ze mehr, wir wol­len uns selbst.

Und da­mit ist die Auf­ga­be ge­stellt: es gilt, den deut­schen So­zia­lis­mus von Marx zu be­frei­en. Den deut­schen, denn es gibt kei­nen an­de­ren. Auch das ge­hört zu den Ein­sich­ten, die nicht län­ger ver­bor­gen blei­ben. Wir Deut­sche sind So­zia­lis­ten, auch wenn nie­mals da­von ge­re­det wor­den wäre. Die an­de­ren kön­nen es gar nicht sein.

Ich zeich­ne hier nicht eine je­ner »Ver­söh­nun­gen«, kein Zu­rück oder Bei­sei­te, son­dern ein Schick­sal. Man ent­geht ihm nicht, wenn man die Au­gen schließt, es ver­leug­net, be­kämpft, vor ihm flüch­tet. Das sind nur an­de­re Ar­ten es zu er­fül­len. Du­cunt vo­len­tem fata, no­len­tem tra­hunt. Alt­preu­ßi­scher Geist und so­zia­lis­ti­sche Ge­sin­nung, die sich heu­te mit dem Has­se von Brü­dern has­sen, sind ein und das­sel­be. Das lehrt nicht die Li­te­ra­tur, son­dern die un­er­bitt­li­che Wirk­lich­keit der Ge­schich­te, in der das Blut, die durch nie aus­ge­sproch­ne Ide­en ge­züch­te­te Ras­se, der zur ein­heit­li­chen Hal­tung von Leib und See­le ge­w­ord­ne Ge­dan­ke über blo­ße Idea­le, über Sät­ze und Schlüs­se hin­weg­schrei­tet.

Ich zäh­le da­mit auf den Teil un­se­rer Ju­gend, der tief ge­nug ist, um hin­ter dem ge­mei­nen Tun, dem plat­ten Re­den, dem wert­lo­sen Plä­ne­ma­chen das Star­ke und Un­be­sieg­te zu füh­len, das sei­nen Weg vor­wärts geht, trotz al­lem; die Ju­gend, in wel­cher der Geist der Vä­ter sich zu le­ben­di­gen For­men ge­sam­melt hat, die sie fä­hig ma­chen, auch in Ar­mut und Ent­sa­gung, rö­misch im Stolz des Die­nens, in der De­mut des Be­feh­lens, nicht Rech­te von an­de­ren, son­dern Pf­lich­ten von sich selbst for­dernd, alle oh­ne Aus­nah­me, ohne Un­ter­schie­d, ein Schick­sal zu er­fül­len, das sie in sich füh­len, das sie sind. Ein wort­lo­ses Be­wusst­sein, das den ein­zel­nen in ein Gan­zes fügt, un­ser Hei­ligs­tes und Tiefs­tes, ein Erbe har­ter Jahr­hun­der­te, das uns vor al­len an­de­ren Völ­kern aus­zeich­net, uns, das jüngs­te und letz­te uns­rer Kul­tur.

An die­se Ju­gend wen­de ich mich. Möge sie ver­ste­hen, was da­mit ih­rer Zu­kunft auf­er­legt wird; möge sie stolz dar­auf sein, dass man es darf.

1 »Un­ter­gang des Abend­lan­des«, bei Null Pa­pier er­schie­nen. <<<

Preußentum und Sozialismus

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