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Mensch ein soziales Wesen

Der antike Philosoph Aristoteles, ein Schüler Platons, konstatierte in seinem wissenschaftlichen Werk, der Mensch ist ein «Zoon Politicon». Will sagen, er ist ein soziales Wesen. Jeder ist auf einen anderen angewiesen. Physisch und Psychisch. Praktisch und intellektuell. Mehr noch emotional. Denn Dazugehören ist ein Grundbedürfnis, das eine Gemeinschaft vermittelt. Sicherheit und Vertrauen. Ob in Religion, Partei, Sport, Gesang oder Kegelklub. Einer Mode folgt aus demselben Grund. Auch der Eremit zieht sich zurück, ein neues Gegenüber zu finden. Sich gedanklich mit ihm auseinanderzusetzen. Vertrauen zu gewinnen. Die Geschichte der Menschheit beweist, Aristoteles’ These ist Realität.

Eva fand zu Adam und gebar nach Abel und Kain noch viele Kinder. Die Familie entstand, Völker, Staaten, Dörfer, Städte, Vereine. Alle mit der Vorstellung, wir gehören zusammen. Sprechen die gleiche Sprache. Haben gleiche Primär-Interessen, die gleiche Kultur. Einig im Glauben an einen Gott und religiöser Praxis. Gemeinschaft macht uns stärker, politisch können wir mehr bewirken als der einzelne Bürger. Und alle in Grundsatzfragen einer Meinung. So wäre es im Idealfall.

Spielte nicht die Natur des Menschen eine entscheidende Rolle. Emotionen, eine ganze Gefühlsskala beeinflusst jedes Einzelnen Denken und Handeln. Mal positiv, mal negativ. Meinungen gewechselt alle Nase lang. Mal das Bedürfnis, in Frieden miteinander zu leben, mal den eigenen Vorteil wahrzunehmen. Auch mit Gewalt zu erzwingen, wenn Umstände es erfordern oder Machthunger sie treibt.

Sehnsucht nach Harmonie aber lebt in jedem Menschen, auch wenn er es nach außen nicht zeigt. Jeder, der sich erinnert, wird zugeben müssen, Streit, Missgunst erzeugen innere Spannung. Machen unzufrieden, unfähig, objektiv zu denken und zu entscheiden. Die Geschichte der Völker beweist, dass egoistisches Verhalten Neid und Machtgelüste zur Folge haben. Die zu Kriegen führten und immer noch führen. Denken wir an Syrien, Jemen, Ruanda mit Millionen unschuldiger Opfer.

Ungezählte auch, die ihre Heimat, ihre Freiheit verlieren. In den Familien drangsaliert werden, geprügelt, sogar umgebracht. Weil sie anderer Meinung sind. Bei Muslimen die Tochter, wenn sie keinen Moslem, sondern einen Christen liebt und heiraten will. Die Ehre ihrer Familie müsse gerettet werden. Sogenannte Ehrenmorde auch bei uns in Deutschland finden keinen Richter, der die Täter verurteilen könnte. Weil ihre streng gläubigen Familien sie schützen. Schuld ihnen schwerlich nachzuweisen ist.

Seit der Koran, die Bibel der Moslems, von Salafisten, Dschihadisten falsch interpretiert wird, hat sich vieles geändert. In den Köpfen junger Männer geistert die Idee: Sprenge ich mich in die Luft, um Feinde Allahs zu töten, werde ich belohnt. Im Himmel warten zweiundsiebzig Jungfrauen, die mich verwöhnen werden. Ein Feindbild, das mit anderen Zielvorstellungen auch in den Köpfen vieler Politiker virulent ist.

Eine neuere Interpretation dieser oft zitierten Koranstelle lässt aufhorchen. Ganz andere Töne von modernen Religionswissenschaftlern, auch des Islam: Im Koran steht zwar, wer an Allah glaubt, muss seine Ehre verteidigen und deshalb seine Feinde töten. Es sei aber anders gemeint. Mohameds Religion will, wie die christliche, dass Menschen friedlich zusammenleben.

Andersgläubige töten heißt nicht, sie körperlich umbringen. Sondern sich bemühen, sie mit Worten zu überzeugen, dass Allah der größte ist. Gelingt es ihm, existiert er als Feind Allahs nicht mehr. Er ist tot im Sinne des Korans.

Nicht viel anders ist die These: «Auge um Auge, Zahn um Zahn.» Unvollständig zitiert aus dem Alten Testament. Viele nutzen sie verkürzt, um sich für Racheakte zu rechtfertigen. Der Herr aber sprach: «Vergeltet nicht Auge um Auge, Zahn um Zahn, sondern versöhnt euch.»

Feindbilder bestimmen heute Politik und Gesellschaft. Putin, Chomeini, Flüchtlinge an den Grenzen, Muslime generell, die AfD. Woran mag es liegen? In jedem von uns ist Gut und Böse immanent. «Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust» klagt Goethes Faust. «Oh lerne nie die andre kennen», warnt derselbe Faust. In Grenzfällen denkt ein jeder, ich bin gut. Zeigt mit dem Finger auf einen, der böse zu sein hat. Flüchtling und Muslim obendrein. Weil er anders ist. Einig mit denen, die als sogenannte Verfechter des Guten das Böse bekämpfen, wo immer es ist. Meinungen beherrschen politisches Handeln, nicht Tatsachen. Begründet mit sogenannten Meinungsumfragen.

Unberücksichtigt, dass Meinungen sich täglich ändern. Beeinflusst von persönlichen Erlebnissen, Vertretern bestimmter Interessen. Mehr noch von Meinungsmachern in Medien und im Internet. Politik aber wäre ohnehin nicht flexibel genug, ihnen zu folgen. Leicht entständen Verhältnisse wie in der Weimarer Republik nach dem ersten Weltkrieg. «Das Parlament eine Quatschbude», lästerte Hitler 1933 und gewann die Wahl.

Man wirft der AfD vor, undemokratisch zu sein. Vergisst oder verdrängt aber, dass Menschen die AfD demokratisch gewählt haben. Und ganz bestimmt Gründe dafür gehabt. Nicht die Parolen dieser Partei sind Ursache für die große Zahl ihrer Wähler. Sondern unleugbare Fakten: Viele Bürger, vor allem in der ehemaligen DDR sind bis heute benachteiligt.

Kurz nach der Wiedervereinigung erwarben betuchte westdeutsche Bürger Firmen, Ländereien und Immobilien für Appel und Ei. Das große Geld damit zu machen. Betriebe, Fabriken modernisiert oder liquidiert. Millionen ehemals Beschäftigte waren arbeitslos. Häuser modernisiert, sodass ihre Bewohner die höheren Mieten nicht mehr bezahlen konnten, obdachlos wurden.

Bis heute fühlen sie sich ungerecht behandelt. Junge, gut ausgebildete gingen in den Westen. Zurück blieben Ältere und Unqualifizierte, die jetzt die AfD gewählt. In der Hoffnung, es könnte wieder so sein, wie es vorher einmal war. Auch hier eine Solidargemeinschaft der Benachteiligten. Ihre Meinung geprägt von gemeinsamen Erfahrungen. Aristoteles hat Recht, der Mensch sei ein Gemeinschaftswesen. Jeder ist angewiesen auf andere. Sein Charakter aber auch angelegt, Gutes zu tun, wenn Wissen ihn überzeugt. Moralische Pflicht bei denen, die Verantwortung für andere haben.

Es muss gerecht zugehen. Platon und Aristoteles, in diesem Buch schon öfter zitiert, hielten Gerechtigkeit für den Inbegriff der Tugend schlechthin. Wie sieht es in der Praxis aus? Immer schon, auch heute erwarten Politiker, dass Menschen den Staat und seine ausführenden Organe akzeptieren. Tatsache aber ist, immer mehr bleiben Wahlen fern, weil sie Versprechen der Politiker nicht mehr glauben. Zu oft schon wurden sie enttäuscht. Besonders die Menschen in Ostdeutschland. Sie mussten in den letzten Jahrzehnten erfahren, sie sind abgehängt. Ihre Rente geringer als im Westen immer noch. Weil Bürokraten in den Ministerien westliche Maßstäbe anlegen. Im Sinne eines vereinigten Deutschlands also nicht gerecht verfahren.

«Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern - in keiner Not uns trennen und Gefahr»

heißt es in Schillers «Tell». Man könnte die Schweiz zum Vorbild nehmen. 8,7 Millionen Menschen leben in 26 Kantonen, sprechen vier verschiedene Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch und Romanisch. Und trotzdem herrscht Einigkeit und Wohlstand im ganzen Land. Brüder und Schwestern im Osten des vereinigten Deutschlands aber verelenden. Statt ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Als Folge der Politik in Bonn und Berlin müssen Läden schließen, weil die Kaufkraft niedrig. Ganze Landstriche entvölkert, Straßenzüge. Ärzte fehlen, Polizisten, Rechtsanwälte. Grotesk, dass Politiker sich noch erdreisten, vom Segen der Wiedervereinigung zu reden. Kohl hatte blühende Landschaften versprochen. Es gibt sie da und dort in städtischen Agglomerationen. Aber auf dem Land herrscht vielfach Armut und trostloser Alltag. Ob man es wahr haben will oder nicht, die AfD profitiert als einzige davon.

Menschen suchen Übereinstimmung mit ihresgleichen. Fühlen sich verstanden. Und merken nicht, dass auch AfD- Politiker nichts anderes im Kopf haben, als Macht zu erringen. Das Dilemma ist groß und nichts deutet darauf hin, dass es sich ändert. Im Parlament und in Interviews wirft man der AfD undemokratisches Verhalten vor, nationalistisch, rassistisch zu sein. Die Grenzen schließen zu wollen, um eine Islamisierung Deutschlands zu verhindern.

Wo ist im Deutschen Bundestag ein Politiker, der nicht die AfD beschimpft, sondern sie ad absurdum führt? Mit intelligenten Fragen in Widersprüche verwickelt. Oder einer, der beim Flüchtlingsthema offen seine Meinung äußert. Nicht von Geld, Quoten und Maßnahmen redet. Fehlendes gesamteuropäisches Konzept bedauert. Sondern Worte des Mitgefühls äußert und nicht mit technokratischen Begriffen um sich wirft. Humanere Gesetze vorschlägt, sich für finanzielle Hilfe einsetzt. Endlich Worte und keine Phrasen. Worte, die alle verstehen. Bei Flüchtlingen Hoffnung wecken. Trotz ihres Elends haben viele Flüchtlinge ein Smartphon. Sie wissen, wie Europa über sie denkt. Was ihre Politiker planen.

So komplex und wahrlich kompliziert das Flüchtlingsthema auch ist: es sind Menschen wie du und ich. Menschen, die nichts anderes wünschen, als Menschen wahrgenommen und behandelt zu werden. Menschen, die laut Aristoteles, Teil einer Gemeinschaft sein wollen. Nachdem sie diese Community in ihrer Heimat verloren haben. Politisch verfolgt fliehen mussten. Aus wirtschaftlichen Gründen gekommen, um bessere Arbeitsbedingungen zu haben. Von denen sie und ihre Familien leben können. Ihre Kinder eine bessere Zukunft haben.

Es kommen aber auch solche, die hier mit Terror-Attacken Unschuldige umbringen. Sie zu erkennen ist ein Problem. Islamisten haben überall Freunde oder Sympathisanten, mehr als der Staat weiß. Die Eingeschleusten lassen per Email oder Video wissen, sie seien beauftragt, Allahs Feinde umzubringen. Nicht der islamische Glaube ist die Gefahr, sondern Menschen, die ihn zum Anlass nehmen, Macht über das Leben anderer zu haben. Niederste Instinkte zu befriedigen. Wie auch Päpste der katholischen Kirche viel zu lange Macht ausübten statt zu dienen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Der Polnische Papst Johannes Paul II. einer, der Menschen nicht bekehren wollte, sondern ihnen als Mensch begegnen. Abertausende umarmte er auf seinen Reisen. Fand tröstende Worte in vielen Sprachen der Welt. Und jeder von ihnen fühlte sich verstanden. Harmonie schien eingekehrt, der Abstand zwischen Oben und Unten keiner mehr. Vielleicht muss auch ein Papst die Diktatur erleben, um Mensch zu bleiben. Wie Karol Wojtyla in Polen, seinem Heimatland.

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