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Isla d´amor.

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In meinem Kopf wirbeln taudend Gedanken übereinander, untereinander. Schlagen Purzelbäume. Rose, meine geliebte Rose fliegt mit mir nach Mallorca. Ich werde wahnsinnig. Schöner Wahnsinn. Bilder im Kopf: Rose unter Kaskaden pinkfarbener Bougainvilleas am Ziegelsims unserer Finka.

Sehe sie flanieren auf Palmas Palmenalleen. Azulejos im Almudainapalast bewundern, auf den Stufen der Kathedrale La Seu innehalten. Rose vor dem Blau der cala Mondrago, so blau wie auf retuschierten Postkarten. Die ersten Spuren meiner Rose im Sand. Rose interessiert den Jungen beobachten, der ein ganzes Schwein am Spieß dreht. Von Mittag bis Abend. Bis es schmeckt wie es soll. Rose hingerissen vom roten Wein in grünen Gläsern. Deren Ränder weich geschmolzen wie Küsse sind. Zikadenchöre, die unsere Nächte erfüllen. Nichts mehr ohne meine Rose.

Unüberhörbar das Meer bei seinen pausenlosen Angriffen auf das steinige Ufer. Rauschen, klatschen, rauschen, klatschen. Drei Wochen lang. Und ganze Ewigkeiten davor und danach. Mir brennt die Insel wieder im Kopf, füllt Nase, Ohren und Bauch mit bitterer Süße. Wie aber wird Rose reagieren auf all das Wunderbare? Wird sie es so erleben wie ich? Es wäre der Himmel. Für die dreiundvierzigjährige Frau und den vierundfünfzigjährigen Mann.

Rose ist überhaupt nicht aufgeregt. Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, mit mir nach Mallorca zu fliegen. Und drei Wochen zu bleiben. Ob das gut geht? Ganz allein, wir zwei? Nach den vier Monaten, die wir uns kennen, lieben wir uns immer noch. Wage trotzdem nicht, mir vorzustellen, zwanzig heiße, lange Vierundzwanzigstundentage allein mit ihr zu sein. In einer engen Finka.

Ohne Fluchtmöglichkeiten. Besser darüber nicht nachgrübeln, sage ich mir. Lange gehegten Wünschen folgen ist das einzig Mögliche. Mit ihr zusammen sein. Aus ihren strahlenden Augen Zuversicht trinken. Den biegsamen Leib umfassen. Und küssen, was sich küssen lässt unter der Sonne. Was aber denkt Rose von alledem?

Es könnte ihr alles fremd sein. Italien kennt sie, liebt es mehr als Deutschland. Spanien kennt sie nicht. Die Menschen sind anders. Stolzer, distanzierter. Umarmungen erst, wenn man sich kennt und schätzt. Wie wird sie ihnen begegnen? Ich weiss es nicht. Vermutlich so, wie sie mir begegnete.

Rose erzählte mir einmal, dass alles Fremde sie anzieht. Sie will herausfinden, ob nicht ein Stückchen Glück darin steckt. Ein Widerstand, den sie besiegen könnte. Eine Schönheit, die sie noch nicht kennt. Vielleicht ist es viel mehr, als ich jetzt weiss. Ahne aber schon, sie besitzt ein sicheres Gespür für alles. Das begeistert oder warnt. Sie das tun lässt, was richtig ist. Ich dagegen bin einer, der sich blind in jedes Abenteuer stürzt. Ohne Alternative für den Fall des Falles. Jetzt nehme ich mir vor, achtsam zu sein.

Es steht zu viel auf dem Spiel. Will nach dem plötzlichen Tod meiner Frau endlich wieder glücklich sein. Und Rose glücklich machen. Mit allen Verlockungen der Insel und der Liebe. Mich selbst neu entdecken.

Erst einmal Koffer packen. Mein Gott, ist sie schnell. Und ordentlich wie meine Mutter. Kein Wunder, daß sie weiss, wo alles ist. Das Notpflaster da, wo man es schnell greift. In der Handtasche. Ich überlege: Wohin mit dem Fotoapparat? Umhängen? Lästig. Er wiegt fast ein Kilo. Oder ins Kleingepäck? Nicht zur Hand für den Schnappschuss.

Habe mir vorgenommen, Fotos meiner neuen Frau zu machen. Rose beim Einsteigen auf der Gangway. Rose im Fliegersitz Zeitung lesend. Rose mit der Tasse am Mund. Rose lachend. Roses Augendeckel geschlossen. Der blassblaue Lidschatten sollte an Marlene Dietrich erinnern. Alles das hatte ich mir vorgenommen.

Nur, wohin mit der verflixten Kamera? Höre ihre Stimme, leise, aber bestimmt: „Das Taxi ist da“. Also die Kamera rasch ins geöffnete Handgepäck. Reißverschlüsse ritsch ratsch zu. Fotoapparat ausser Reichweite. Schnappschüsse nicht möglich. Ärgere mich. Keine Ahnung, dass meine Rose mich ein paar Tage später zu viel schöneren Motiven animierte.

Taxi zum Flughafen. Einchecken. Mit Glück bekommen wir den einzigen Doppelsitz hinter der Kombüse. Können die Beine zwanzig Zentimeter weiter ausstrecken.

Rose schweigt. Reckt sich zu Recht. Nimmt die „WELT“, eine Zeitung mit großen Buchstaben. Im schwachen Licht besser zu lesen. Stewards und Stewardessen winden sich durch den engen Gang. Von vorn nach hinten, von hinten nach vorn. Der glatte Stoff ihrer Uniform streift meinen Arm. Hinterlässt dezente Frische.

Aus Lautsprechern quakt eine Stimme Notfall-Anweisungen zweisprachig. Während eine Stewardess Schwimmweste und Sauerstoffmaske pantomimisch interpretiert. Die Düsen donnern los, werden leiser, flüstern. Zwei Stunden bis Palma de Mallorca. Hophopsahophop setzen die Räder auf. Alle klatschen. Hören nicht auf zu klatschen. Als wären sie froh, dem Tod entronnen zu sein.

Kaum draussen auf der Gangway überfällt uns Kerosin. Die schöne blaue Luft geschwängert von den Emissionen aus hundert Düsen. Dick zum Ersticken. Koffergedränge am Laufband. Aus allen Lautsprechern gellt Spanischenglischdeutsch. So laut, dass ich es kaum verstehe. Leihwagen organisiert. Rückwärtsgang gesucht, gefunden und ab in Richtung Colonia de Sant Jordi. Alle Fenster offen. Noch kämpft Pinienduft gegen das Kerosin. Wird stärker, je weiter wir uns vom Aeropuerto entfernen. Gewinnt die Überhand.

Endlich Pinienduft pur. Wind treibt die Sonne über rot ausgetrocknetes Land. Flügellahm recken sich Windmühlen ins Blau. Ehemalige für die Felder-Wirtschaft notwendige Wasserschöpfer. Das bröckelig bröselnde Mauerrechteck unter ihnen ein „Safareig“, Behälter, in den die Flügelwesen das Wasser aus den Bergen pumpten. An rotockerziegelgedeckten Häusern eins, zwei, drei Palmen. Wie Hausheilige. Wir riechen die Trockenheit und jagen dem Meer entgegen.

Der kleine Seat gibt sein Bestes. Vorbei an endlosen Trockenmauern aus schräg zusammengepassten Steinbrocken. Sie halten die Erde fest, wenn der Frühjahrsregen alles wegschwemmen will. Auf den Feldern dahinter wachsen, blühen und gedeihen Mandeln, Orangen, Limonen und Aprikosen. Wuchernde Kakteenfeigenbüsche an den Mauern der Bauernhäuser wie festgeklebt. Ihre süßlichen Stachelfrüchte mögen Schweine zum Fressen gern. Neuerdings werden sie in deutschen Supermärkten als südländische Delikatesse angeboten.

Durch zwei Landstädtchen, Lucchmajor und Campos. Sehen aus, als leisteten sie noch erfolgreich Widerstand gegen den zunehmenden Autoverkehr. Scheinen sammelndes Zentrum zu sein, das sie immer schon waren. Noch. Weit hinaus streckt sich die Treppe zur Kirche, als holte sie die Beter von der Strasse. Noch.

An einer Straßenkreuzung eine Gruppe von fünf hochgewachsenen Pinien. Ein unübersehbarer Wegweiser zum „Baño san Joan“. Vielleicht gelingt es mir, Rose in das schwefelige, siebenunddreißig Grad warme Wasser zu bugsieren. Ihrer Haut zuliebe natürlich.

Ich kenne die großen steinrauen Tröge, in denen man eine Viertelstunde aushalten muß. Den Nacken an die harte Kante gelehnt. Zum Abschluss der Prozedur holt man sich frischkühles Wasser aus dem messingdunkel aufgerissenen Schnabel einer Ente. Bevor das Zweiquadratmeterlinnen den Körper im Nu getrocknet hat.

Unsere Finka nicht mehr weit. Die alte Dorfstrasse mit neuen Bogenlampen. Vorbei am „Marisol“, in dem wir ganz sicher manche Tage ausklingen lassen. Bei Kerzenschein und rotem Wein aus grünen Gläsern. Achtung, zweite Abbiegung links. Das weiße, geranienüberwucherte Mäuerchen führt uns mit Schwung bis vor das Tor aus geschmiedetem Eisen. Schlüssel passt.

Die pinkfarbigen Bougainvillea unter dem auskragenden Dachgesims winken uns zu. Die Läden geschlossen. Drinnen ist es kühl. Und alles noch am alten Platz. Blaugelbe Kacheln schmusen mit piniendunklem Holz. Geruch von Kaffee und dunkel Gebratenem in den Schrankritzen. Schiebe das Fenster in der Küche auf. Im abschüssigen Garten schleicht vorsichtig eine Katze um vielerlei stachelige Gewächse. Beäugt die neuen Gäste.

Ich höre das Meer rauschen und klatschen. In gleichmäßigen Abständen Schaum über die Steine schütten. Das muß ich sehen und einatmen. In mich aufsaugen, bis ich genug habe. Wird es je sein? Frage ich mich. Rasch die zehn Meter hinunter zum steinklüftigen Strand. Wo bleibt Rose? „Rose!“

Sie läuft auf mich zu, an mir vorbei. Wirft ihre Schuhe ab und springt auf den erstbesten größeren Stein und von da in ein Wasserloch. Jauchzt. Lacht: „Hier bleibe ich.“ Derweil versickert Welle um Welle im Sand zwischen den grauen Basaltbrocken. Und hört nicht auf, solange wir dort sind. Die Steine glitzern von Wasser und schräg einfallendem Sonnenlicht. Wir sind angekommen. Auf Mallorca, meiner Insel der Liebe. Isla d´amor. So nenne ich sie ab heute.

„du hast dich mir und ich mich dir überlassen – von den Rändern der Zeit sind wir gesprungen in die Mitte des Augenblicks – wir haben die Lichter angezündet in unseren Augen – und sind davon geschwommen – hoffnungsvoll“

Mallorca mit allen Sinnen

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