Читать книгу Ach du dicker Hund - Oyen Monika - Страница 4
Unfall
ОглавлениеHeute schreibt Sissy-Fuß für mich. Tatsächlich brauche ich zur Zeit eine Privatsekretärin, Herrchen hat ja auch eine. Nicht, dass die kleine Töle das aus freien Stücken für mich tut, nein, eine Woche lang muss ich ihr abends mein Schweineohr abtreten. Vielleicht platzt sie ja bald. Nun, was ist passiert, warum kann ich nicht selbst schreiben?
Lange Geschichte. Es war einmal:
Ein Kangal, der uns nur einmal beim Hundespielen die Ehre gab. Endlich, dachte ich so bei mir, endlich mal einer, der in meiner Liga spielt. Nicht nur immer die halben Hähnchen, mit denen ich nichts anfangen kann. Mit dem kann ich toben und rennen, bis meine Zunge über den Rasen schleift.
Beim Anpfiff sind alle losgerannt, außer Toffee. Die junge Dame legt sich immer sofort auf den Rücken sobald Kerle anwesend sind. Ich habe so die leise Ahnung, dass sie aus dem horizontalen Gewebe kommt. Ja, und Sissy macht wieder einen auf Sportreporterin Töpperwin, Killercocker Ben steht wie eine Statue. Er spielt nur wenn er für jemand Sympathie empfindet. Matze haut durch das Gitter ab und latscht Richtung Herren-WC. Mir ist das egal, heute habe ich den Kangal im Visier, ich fordere ihn zum Spielen auf. Wie hieß der nochmal? Ach, Namen sind Schall und Rauch. Keine Reaktion von dem Riesenvieh, ich kreise ihn ein und stolpere fast über die vorwitzige Luna. „Geh aus dem Weg!“ raune ich ihr zu.
Der Kangal steht regungslos! Er guckt mich nicht mal an! Ist der wirklich echt?
Herrjeh, wie arrogant ist der denn? So eine schöne Spielgefährtin muss er lange suchen, er sieht mich nicht mal an, stattdessen macht er einen auf Arbeiterdenkmal.
Laila meint: „Lass ihn gehen, Angel, er passt nicht zu uns.“ Rammstein nickt mit dem Kopf und sagt, dass Laila recht hat, der will nur gut aussehen. So ein Gigolo, das wollen wir doch mal sehen! Ich gehe aufs Ganze, nehme weit Anlauf und renne auf Mr. Angeberschnauze zu. Volle Kanne, alles was meine Beine hergeben, und das sind schon ein paar PS und Kilos. Ich gebe alles, und was macht er? Er bewegt sich keinen Millimeter, steht wie ein Baum, und genauso laufe ich gegen ihn. Schlage in ein Meter Höhe drei Saltos und lande auf der Schulter. Einige Meter rutsche ich noch auf der Seite weiter, bis ich mich fangen kann. Erst mal war ich komplett durch den Wind, musste erst Knochen und Gehirnzellen sortieren. Herr Grossmaulkangal putzt sich die Pfote als ob nichts gewesen wäre. Als ich mich gesammelt habe und aufstehe, tut mein rechter Arm höllisch weh. Aber ich tue so, als wäre alles ok. Gehe hocherhobenen Hauptes über den Platz. Vorsichtshalber Richtung Frauchen. Luna fragt, ob ich Schmerzen habe. „Halb so schlimm“ antworte ich. Frauchen untersucht meinen Huf und sagt zu Tante Sonja, dass nichts gebrochen ist, wohl nur eine Prellung. Gut so, dann ist das in ein paar Tagen weg, und Frauchen singt mir zum Einschlafen heute Abend: „Heile, heile Gänschen...“
Es ist gar nicht so einfach die Schmerzen zu verbergen, aber eher breche ich mir einen Zacken aus der Krone, als dem Kangal gegenüber zuzugeben, dass er stärker ist.
Mit der Zeit wird mein Bein wirklich besser, aber nicht lange. Erst tut es manchmal weh, dann immer. Ich humpele schlimmer denn je. Herrchen erbarmt sich und schleift mich zu Frau Doktor Piesack Becker und Hornkamp. Die Damen ziehen an meinen Beinen, als würden sie Spaghetti herstellen. Geröntgt werde ich auch, und gelobt weil ich mir all das demütig gefallen lasse. Die müssten mal meine Schmerzen haben, wollen nur wieder Pluspunkte bei mir sammeln. Frau Doktor sagt, dass sie mich überweisen muss, in eine Spezialklinik. Herrchen macht viele Überweisungen, steckt der mich jetzt in seinen Computer, oder wie? Ich bekomme Tabletten und gute Wünsche mit auf den Weg, können die sich dahin stecken wo der Mond nicht hin scheint. Ich komme vom Arzt, und mein Bein tut trotzdem noch weh.
Ja, letzten Donnerstag haben meine Leute mich überwiesen, wegen meiner Größe aber dann mit dem Auto. Bis auf die Katze wurde alles eingeladen, auch ein gut gefüllter Fresskorb. Sah fast so aus, als würden wir wandern gehen, aber als Frau Navi tönte: "Sie haben ihr Ziel erreicht!" konnte meine Supernase riechen, dass wir bei einem Tierarzt sind. Und der dreht und biegt meine Marilyn-Monroe-Beine genauso wie Frau Doktor Piesack. Er macht das sehr gründlich, sieht mir laufend ins Antlitz. Nach langer, langer Zeit sagt er zu meinen Leuten: ich warte eigentlich darauf, dass Angel Schmerzreaktion zeigt. Du mich auch! Niemals würde ich meinen Schmerz nach außen tragen, da kannst du warten bis du schwarz wirst, denke ich leise. Er labert, als wollte er uns eine Versicherung verkaufen. Nachdem dann allen klar war, dass meine Schulter defekt ist, habe ich geistig abgeschaltet. Das wusste ich ja nun schon. Waren sowieso zuviele lateinische Wörter, bin froh, dass ich einigermaßen Deutsch kann. "...nächsten Dienstag" kriege ich so am Rande mit. Verflixt, was ist denn Dienstag schon wieder? Frauchen grummelt, dass das sehr früh ist, dass wir dann nachts los müssen, wegen Berufsverkehr. Und wirklich, Dienstag werde ich vor dem Frühstück geweckt. Das ist keine Zeit für einen Boerboel, um aufzustehen. Ich bestehe auf meinen Schönheitsschlaf. Apropos Frühstück, wo bleiben meine Spiegeleier? Nüchtern soll ich dahin kommen. Leute, ich saufe nie! Nur essen würde ich gerne was. Außerdem ist es noch dunkel. Mitten in der Nacht! Traue mich aber nicht, zu meckern. Das ganze Auto stinkt nach Adrenalin, meine Leute scheinen ziemlich nervös zu sein, und das wegen mir. Bis zur Klinik ist das große Schweigen angesagt. Bei Ankunft nimmt mich eine hübsche Dame in Empfang und führt mich fort von meinem Rudel. Sie hat Angst, sagt Herrchen leise, der Schwanz ist eingeklemmt bis zum Zäpfchen.
Frauchen zerdrückt eine Träne.
Als ich Stunden später erwache, bin ich Hundeseelenallein und traurig. Ich höre Andere weinen und klagen, wo sind meine Leute? Ich weine auch klein bisschen, sieht ja keiner. Nur kurz, bis ich feststelle, dass mir jemand, während ich schlief, Löcher in mein teures Fell geschnitten hat, meine Trauer schlägt um in Wut. Klammern wurden in mein Fleisch gemacht. Hilfe, ich bin total entstellt, kommen meine Leute deshalb nicht wieder, weil ich jetzt Narben kriege? Stümper! Sobald es mir einigermaßen gut geht, suche ich mir einen chinesischen Pelzschneider. Mein Gehirn läuft Amok. Lande ich jetzt wieder im Tierheim, als der hässlichste Boerboel des Jahrhunderts? Das überlebe ich nicht. Ich weine ein bisschen mehr. Und dann höre ich vertraute Stimmen, noch weit weg, aber das ist eindeutig mein herzallerliebstes Herrchen. Sie sind gekommen, mich zu holen. Nächstes Mal, beim Spazierengehen, spende ich in der Kapelle die Kerzen, nehme ich mir fest vor. Zuerst muss Herrchen wieder die Plastikkarte abgeben, die ist in den letzten Tagen ganz schön geschrumpft. Was passiert, wenn die alle ist? Frauchen kauft doch immer mein Essen damit ein, kriege ich dann nichts mehr? Über dieses Wahnsinnsproblem müssen wir morgen mal reden, jetzt bin ich noch traumatisiert. Der Augenblick der Wahrheit ist da, sie stehen vor mir. Und dann, ja dann, werde ich geherzt und gedrückt, geknuddelt und abgeknutscht. Küsse und Grüße von meinem Fanclub, von Tanten Sonja und Claudia. Von Oma und und und… Kann ich mir alles gar nicht merken, bin einfach nur glücklich. Sie tragen mich auf Händen ins Auto zu Sissytöle, und im Moment liebe ich sogar die kleine Ratte. Schnell weg von den Ärzten, bevor denen noch mehr Gemeinheiten einfallen. Ich will nur noch auf meine Couch.
So war das, und nun sitze ich etwas lädiert im Krankenbett und muss andere am Allerwertesten lecken, damit sie mir Gefallen tun.