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KAPITEL V – Letzte Hoffnung

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Über der Landstraße lag der milde Glanz der Abendsonne, während sich über den Bergen zu ihrer Linken ein zweites Gebirge aus Wolken türmte. Über die Hänge glitten in rascher Folge Licht und Schatten, als würden Hell und Dunkel einander jagen. Im gleichen Takt wechselten die Farben der Bäume von gedecktem Grün zu leuchtenden Tönen, die bis ins Gelb und Blau reichten.

Kanhiro konnte nicht anders, als die Schönheit der Landschaft zu bewundern. Hinter jeder Wegbiegung wartete ein neuer, atemberaubender Ausblick. Er vermochte die Wasserfälle und Rinnsale nicht zu zählen, die sie passiert oder aus der Ferne gesehen hatten, seit sie vor wenigen Tagen aus Soshime aufgebrochen waren. Dazu das üppige Grün der Wiesen und Wälder, der blaue Himmel und die Felsen, die von braunen, gelben und roten Adern durchzogen waren, als hätten die Götter zum Zeitvertreib Landkarten darauf gezeichnet. Doch zwischen den Kämpfen und der Notwendigkeit, sich zu verbergen, war er kaum dazu gekommen, ihrer Umgebung mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es die Suche nach Feinden oder Gefahren erforderte. Er wünschte sich, dass er irgendwann Gelegenheit haben würde, seine Heimat in Ruhe zu bereisen – zusammen mit Ishira.

Sein Herz zog sich zusammen wie jedes Mal, wenn er an sie dachte. Indem sie ihren Bruder Kenjin als Geisel entführt hatten, hatten die Gohari Ishira dazu gezwungen, mit ihnen ins Zentrum Inagis zu ziehen, was immer sie sich von ihrer Fähigkeit versprachen. Wo mochte sie jetzt sein? Und – viel wichtiger – ging es ihr gut? Je näher die goharische Armee ihrem Ziel kam, desto öfter würde es zu Zusammenstößen mit den Echsen kommen. Selbst wenn Ishiras Fähigkeiten den Gohari noch so wichtig waren und ihnen daran lag, dass sie überlebte: Konnte dieser Drachenjäger sie vor den Amanori beschützen?

Er seufzte verhalten. Auch für ihn und die Rebellen würde es bald kein Versteck mehr geben. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Statthalter seine Soldaten aussenden würde, um den Aufstand niederzuschlagen.

Kanhiro drehte sich um und blickte über seine Schulter auf den Tross der Inagiri. Er schätzte ihre Zahl mittlerweile auf etwa zehnmal vierzig Männer, Frauen und Kinder. Doch auch wenn es ihn mit Stolz erfüllte, dass sie bereits so viele Inagiri um sich geschart hatten, waren es noch längst nicht genug Kämpfer, um sich gegen eine goharische Streitmacht zu behaupten.

Aber ihr nächstes Ziel mochte dies ändern. Laut Aussage Ishiras und der Karte, die sie im Haus des Hemak an sich gebracht hatten, war Ebosagi eine der größten Minensiedlungen Inagis. Die dort lebenden Bergleute könnten ihre Anzahl glatt verdoppeln. Der Ort lag nur noch etwa anderthalb Tagesmärsche entfernt. Obwohl die Kireshi in der Garnison nach der versuchten Flucht des Hemak gewarnt sein dürften, war Kanhiro davon überzeugt, dass die Rebellen siegen würden. Schon morgen Abend konnte Ebosagi in ihrer Hand sein.

Die Berge rückten immer dichter an die Straße heran. Die Hänge wurden steiler, die Bäume von nacktem Gestein abgelöst. Nur vereinzelt krallte sich eine Kaori-Kiefer in einen Felsspalt, die Wurzeln halb in der Luft. Löcher und Höhlen klafften im Fels, die den Weg der Rebellen wie dunkle Augen zu verfolgen schienen.

Plötzlich hatte Kanhiro den Eindruck, der Boden unter seinen Füßen würde sich bewegen. Kleine Steine rollten den Hang hinunter.

Er wich von den Felsen zurück. „Vorsicht! Steinschlag!“

Der Tross geriet in Unordnung, als mehrere Inagiri stehenblieben und die Nachfolgenden ihn sie hineinliefen. Im nächsten Moment knackte es über ihren Köpfen, als würden Holzscheite in Flammen aufgehen. Erschrocken sah Kanhiro zu den Felsen hoch. Aus einer kleinen Höhlenöffnung, vielleicht zehn Schritte über dem Boden, drang heller Lichtschein.

„Gütige Ahnen, was ist das?“ rief jemand.

„Muss eine Kristallader sein“, mutmaßte ein anderer.

Die Erde kam wieder zur Ruhe, das Licht verblasste. Doch wenn Kanhiro genau hinsah, konnte er es immer noch sehen. Nur Augenblicke später flammte es erneut auf. Wieder war das Knacken zu hören, gefolgt von dumpfem Rumpeln. Der Boden unter seinen Füßen schwankte. Ein Mädchen schrie auf.

„Bestimmt nur eine Energiewelle“, versuchte er die Rebellen zu beruhigen.

„Zweimal so kurz hintereinander?“ widersprach Goemon.

„Was sollte es sonst gewesen sein?“

„Keine Ahnung. Aber kommt Shigen nicht lautlos? Und diese Erdstöße passen auch nicht dazu, oder?“

„Lasst uns hier verschwinden“, drängte Tasuke. „Bevor die Erde noch mal bebt.“

Unvermittelt wandelte sich seine Miene zu einem verwirrten Ausdruck. Er bewegte unbehaglich die Schultern und beäugte seine Hände.

Fragend sah Kanhiro ihn an. „Was ist los?“

„Spürst du das auch? Dieses komische Prickeln auf der Haut?“

Jetzt merkte Kanhiro es ebenfalls. Bei der Erinnerung an das letzte Mal, als er dieses Prickeln gespürt hatte, rieselte es ihm kalt den Rücken hinunter. „Fühlt sich an wie Kristallenergie.“

Tasuke warf ihm einen verschreckten Blick zu. „Hier draußen?“

„Irgendetwas Seltsames geht hier vor sich“, murmelte Kogen. „Wie kann die Energie außerhalb des Kristalls fließen?“

Die Umstehenden begannen weiter zurückzuweichen. In ihren Gesichtern stand Angst. Kanhiro hob abwiegelnd die Hände. „Beruhigt euch. Es ebbt schon wieder ab. Oder spürt einer von euch noch etwas?“

Die Inagiri schauten einander an und schüttelten langsam den Kopf. Dennoch sahen sie immer wieder unruhig zu der Höhlenöffnung hoch.

„Wir sollten machen, dass wir hier wegkommen“, wiederholte Tasuke. „Mir ist das nicht geheuer.“

„Was tust du da?“ rief einer der Rebellen. „Bist du von Sinnen?“

Kanhiro fuhr herum. Tissoto war dabei, den Hang zu erklimmen. „Was hast du vor?“

„Ich wollte schon immer mal so eine Ader sehen“, rief der Junge. „Geht ruhig weiter. Ich komme nach.“

Kanhiro zögerte einen Moment, bevor er einen Entschluss fasst. „Warte, ich komme mit.“

Tasuke sah ihn an, als wäre er übergeschnappt. „Hast du jetzt auch den Verstand verloren?“

„Ich hoffe nicht.“

Er wusste selbst nicht genau, ob es Neugier war oder etwas anderes, das ihn dazu trieb, Tissoto zu folgen. Er holte den Jungen ein, als dieser sich durch die niedrige Öffnung in eine kleine Höhle schob. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass an der hinteren Wand tatsächlich eine Kristallader endete. Das Licht brach sich in ihren unzähligen Facetten und ließ sie aufschimmern. Auf diese Entfernung konnte Kanhiro das Prickeln wieder spüren. Dann kniff er die Augen zusammen. Der Kristall war gesprungen. In der Mitte der Ader sah es aus, als ob…

„Lass uns gehen. Das gefällt mir nicht.“

Tissotos Blick hing an der Ader. „Das ist unheimlicher, als ich es mir vorgestellt hatte.“ Doch er klang eher fasziniert als ängstlich.

Als er Anstalten machte, sich dem Kristall noch weiter zu nähern, packte Kanhiro ihn am Arm. „Nein. Das hier ist nicht normal. Möglicherweise fliegt uns der Kristall gleich um die Ohren.“

Er kroch so schnell er konnte rückwärts. Tissoto, auf den seine Unruhe abgefärbt haben musste, folgte ihm dichtauf.

„Und?“ empfing ihn Tasuke.

„So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich könnte schwören, dass die Ader begonnen hat sich aufzulösen.“

Sein Freund sah ihn irritiert an. „Wie meinst du das?“

„Wie ich es sage. Der Kristall ... Ich weiß nicht, wie es erklären soll. Als wäre er im Innern … durchlässig geworden. Flüssig oder was weiß ich.“

„Wahrscheinlich konnte die Energie deshalb austreten“, meinte Kogen.

„Aber wie kann so etwas geschehen?“

Tasuke blickte nervös zur Höhle hoch. „Diese Frage zu beantworten überlassen wir lieber anderen.“

Kanhiro widersprach nicht. Während sie weitergingen, fragte er sich beklommen, ob es möglich war, dass dieses seltsame Phänomen mit dem goharischen Feldzug zusammenhing.

***

Verlöschen, das plötzliche Gefühl von Verlust. Augenblicklich wusste Ishira, dass ein weiterer ihrer Brüder gestorben war. Im ersten Augenblick fürchtete sie, dass es Mahati war, der verkrümmt neben ihr lag, hingestreckt von der Energie, doch dann bemerkte sie, dass sich sein Brustkorb leicht hob und senkte.

„Yuroka ist von uns gegangen“, sagte Otaru dicht an ihrem Ohr. Seine Stimme klang schleppend, als fiele es ihm schwer, die Worte zu formen. Sie lehnte noch immer an seiner Brust, doch der Arm, mit dem er sie hielt, hatte kaum noch Spannung, und sein Kopf hing beinahe auf ihrer Schulter. Er würde der Energie nicht viel länger standhalten.

Sie griff nach seiner Hand, die auf ihren Oberschenkel gefallen war. Im ersten Moment zuckte er zurück, doch dann ließ er die Berührung zu. „Es tut mir leid“, flüsterte sie.

Über ihr in den Ruinen tobte die Schlacht und sie saß hier in der Höhle, ohne irgendetwas tun zu können. Nicht einmal die Amanori in der Höhle schenkten ihnen Beachtung. Wahrscheinlich glaubten sie, dass sie keine Gefahr mehr darstellten, weil die Energie sie über kurz oder lang töten würde, und wie es aussah, lagen sie damit richtig. Ishira spürte die Energie überall in sich. Sie war nicht länger angenehm, sondern piesackte sie wie tausend Nadeln. Das Licht war noch gleißender geworden. Sie kniff die Augen zusammen, doch sie hatte den Eindruck, die Helligkeit würde sich durch ihre Lider in ihren Kopf brennen.

Sollte es so enden? Sollten die Seelen der Verstorbenen sie nur hierher geführt haben, damit sie in dieser Höhle selbst den Tod fand? Sollte all das Wissen, das die Geister ihr geschenkt hatten, verloren sein? Oder würde ihre Seele ebenfalls in die Energie eingehen und darauf warten, dass eines Tages jemand anderer käme, um zu Ende zu bringen, was ihr nicht vergönnt gewesen war.

Eine neue Energiewelle spülte über sie hinweg. Otarus Finger verkrampften sich und erschlafften dann. Sein Lebensfunke wurde schwächer. Ishira umklammerte seine Hand, als könnte sie sein Leben auf diese Weise festhalten. Tränen rannen unter ihren geschlossenen Lidern hervor und zogen glühende Spuren über ihre Wangen. Sie würden sterben – ebenso wie Yaren, Kenjin und all die anderen.

Von Diron hatte sie irgendwann einen kurzen Gedanken empfangen. Lebte er noch? Lebte überhaupt noch einer von ihnen?

Durchdringender Geruch nach Blut und Schweiß stach ihr in die Nase. Sie lag auf grasigem Untergrund. Ihre linke Hand war in etwas Nasses und Klebriges getaucht. Um sie herum herrschte ein Chaos aus wogenden Leibern, Schreien und Waffengeklirr. Ihr Körper zitterte vor Energie. Mühsam richtete sie sich auf. Durch ihr linkes Bein schoss Schmerz, als sie es bewegte. Als sie ihre Hand ans Gesicht führte, sah sie Blut von ihren Fingern tropfen, doch es war nicht ihr eigenes. Es war das Blut der Echse, deren Kopf so dicht vor ihr lag, dass sie ihn hätte berühren können. Ihr Entsetzen wandelte sich zu Verblüffung, als sie die Schuppen auf ihrem Handrücken musterte. Sie blickte an sich hinab. Diron! Sie sah durch Dirons Augen!

Neben sich entdeckte sie ihren Vater. Er lag auf dem Rücken, die Augen geschlossen. Ein notdürftig angebrachter Verband aus einem Seidengürtel um sein linkes Bein war blutgetränkt. Als ihr Blick weiterwanderte, stockte ihr Herzschlag. Keine drei Schritte entfernt war Yaren hingesunken, den Kopf halb auf den Armen. Seine Rüstung war voller Blut und er gab keinerlei Lebenszeichen von sich. Angst grub sich in ihren Magen wie ein Pfeil. War er tot?

Etwas schlug dicht neben ihr auf den Boden. Der Schwanz eines Amanori. Instinktiv warf Diron sich nach rechts, packte Ralan und rollte mit ihm von dem peitschenden Echsenschwanz weg, bis sie gegen einen anderen Körper prallten. Der Amanori folgte ihnen. Erbarmungslos trampelte er über die Leiber der Gefallenen hinweg. Erst jetzt wurde Ishira gewahr, wie wenige Soldaten noch auf den Beinen waren. Überall um sie herum wälzten sich Männer in ihrem Blut. Dazwischen ragten die verdrehten Leiber toter Echsen auf. Das war kein Kampf mehr, das war ein Abschlachten!

Der Amanori ragte vor Diron in die Höhe. Ihr Bruder spannte seine Muskeln. Seine Waffe war unterwegs verloren gegangen, aber er zögerte nicht, mit bloßen Händen zu kämpfen, um seinen Kommandanten zu schützen.

Hinter sich nahm sie eine Bewegung wahr. Etwas schob sich in Dirons Hand. Der Griff eines Kesh. Die blutverschmierte Klinge glänzte bläulich.

Yarens Waffe hätte Ishira überall erkannt. Die plötzliche Erleichterung ließ sie beinahe die Gefahr vergessen, doch für ihren Bruder galt das glücklicherweise nicht. Dirons Hand schloss sich fest um das Heft. Die Klinge schnitt durch die Luft und traf den Amanori am Hals. Blut spritzte aus der Wunde. Die Echse brüllte überrascht und zog sich zurück. Aus ihren goldenen Augen leuchtete Schmerz.

Ein heftiger Stoß ließ die Erde erzittern. Um Diron herum peitschte die Energie auf. Das Kesh entglitt seinen Fingern und er krümmte sich vornüber.

Das Bild löste sich auf. Ishira hatte den Kontakt zu ihrem Bruder verloren. Neue Angst schwemmte über sie hinweg, doch plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte. Ihr blieb noch ein letzter Weg, das Töten zu beenden. Eine allerletzte Chance, Yaren, Diron und ihren Vater zu retten.

***

Diron sein Kesh zu geben, hatte Yaren seine letzten Reserven gekostet. Er wusste nicht einmal, was er sich davon versprochen hatte. Auch wenn Ishiras Bruder noch Gebrauch davon hatte machen können, würde es ihren Tod höchstens um ein paar Herzschläge hinauszögern. Schon hatte der Drache erkannt, dass seine Gegner ihm nicht mehr gefährlich werden konnten, und kam mit lauernd gesenktem Kopf näher.

Die Energie riss an Yaren wie ein lebendes Wesen. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, die Götter für ihre Gleichgültigkeit zu verfluchen. Er wartete darauf, dass der Drache seine Klauen in sein Fleisch schlug oder seine Knochen zermalmte, doch beides blieb aus. Stattdessen hielt das Vieh inne, als würde es einer unhörbaren Stimme lauschen, bevor es sich völlig unerwartet in die Luft erhob. Schwingenschlag verkündete, dass weitere Echsen sich in die Höhe schraubten. Was hatte das zu bedeuten?

Endlich schaffte Yaren es, sich auf Hände und Knie hochzustemmen. Als er sich umsah, stellte er fest, dass auch die übrigen Drachen von den Menschen abgelassen hatten. Einen Moment lang kreisten sie über dem Schlachtfeld, bevor sie beidrehten und in die Ruinenstadt flogen. Wollten sie die Energie noch weiter ansteigen lassen? Oder glaubten sie, dass ihre Gegner besiegt waren und die schon vorhandene Energie den Rest erledigen würde?

Vor ihm richtete Diron sich langsam auf einem Ellbogen auf und drehte sich um. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den Yaren am ehesten als Ehrfurcht interpretiert hätte. Plötzlich kam ihm noch ein anderer Gedanke. Hatte Ishira etwas mit dem Rückzug der Drachen zu tun?

Hoffnung regte sich in ihm und verlieh ihm neue Entschlossenheit. Er rüttelte Ishiras Vater an der Schulter. „Ralan! Hört Ihr mich?“ Der Kouran gab ein leises Stöhnen von sich, kam jedoch nicht zu sich.

„Lebt er also doch noch“, sagte jemand über ihm. Magur stand breitbeinig vor Ralan und blickte mit undurchschaubarer Miene auf ihn herab. Aus einer Wunde am Kopf war Blut in Haar und Stirnbinde gesickert und auf seinem Gesicht zu einer archaischen Kriegsbemalung getrocknet. Sein Blick heftete sich auf Yaren. „Habt Ihr eine Erklärung, was hier vor sich geht?“

Yaren kämpfte sich schwankend auf die Füße. Überall sahen Raikari, Koshagi und Kireshi einander verwundert an, als ob sie in den Gesichtern ihrer Kameraden eine Erklärung zu finden hofften.

„Nein. Aber ich weiß, dass wir diesen Aufschub nutzen sollten, um der Energie zu entkommen, wenn wir überleben wollen.“

Magur schaute finster zu den Ruinen hinüber. „Ich fürchte, Ihr habt Recht. Die Männer sind am Ende. Wir werden die Verletzten bergen und uns eine Ruhepause gönnen, bevor wir uns neu formieren.“

Yaren erwiderte nichts. Wenn der Kouran der Koshagi vorhatte, die Drachen in den Ruinen anzugreifen, war er verrückt, aber er würde sich hüten, seinem neuen Kommandanten zu widersprechen. Sollte der Shohon ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen.

Magur gab den Befehl zum Rückzug. In die Krieger kam Bewegung. Langsam arbeiteten sie sich den Hang hoch. Je nach Verfassung stützten oder trugen sie zu zweit oder dritt die Verwundeten. Selbst den Raikari war ihre Erschöpfung anzumerken, doch soweit Yaren sehen konnte, waren nur wenige von ihnen ernsthaft verwundet. Von den Koshagi hatten hingegen viele schwere Verletzungen davongetragen und noch mehr litten an den Folgen der Energie und waren zumindest im Moment keine Hilfe. Yaren und Diron hatten Ralan zwischen sich genommen. Mehr schlecht als recht stolperten sie durch das blutbesudelte Gras, wichen toten Kameraden und Drachenkadavern aus und drohten mehr als einmal, mit ihrer Last zu stürzen. Immer wieder warf Yaren einen Blick zurück zu den Ruinen. Die Echsen waren zwischen den verfallenen Mauern gelandet und schienen auf etwas zu warten. Den Befehl zum erneuten Angriff?

„Diron?“ Der Raikar hob den Kopf. „Weißt du, warum die Drachen sich zurückgezogen haben?“ Kopfschütteln. „Hat Ishira zu dir Kontakt aufgenommen?“ Diron nickte vage. Yaren genügte es für den Moment. Ishira lebte. Das war alles, was zählte. „Hat sie etwas mit dem Abbruch des Angriffs zu tun?“ Als Antwort kam nur ein ebenso vages Schulterzucken. Er wünschte, es hätte eine einfachere Methode der Verständigung gegeben, aber wahrscheinlich hätte der Raikar ihm auch dann keine befriedigendere Antwort geben können.

Je höher sie kamen, desto mehr schwächte sich die Energie ab. Yaren atmete auf, als das Stechen in seinem Herzen nachließ und seine Glieder nur noch zur Hälfte aus Blei zu bestehen schienen. Der Anblick, der sich ihm bot, als sie die Hangkuppe erreichten, ernüchterte ihn jedoch sofort wieder. Die Kireshi im hinteren Drittel waren zwar weitgehend vom Anstieg der Energie verschont geblieben, dafür hatte der Kampf hier am heftigsten gewütet. Der Boden war übersät mit Toten. Menschen und Drachen lagen so dicht neben- und übereinander, dass es kaum möglich war, den Fuß aufzusetzen, ohne auf einen Leichnam zu treten. Mittendrin stand Beruk und versuchte, einen Rest von Ordnung wiederherzustellen. Er befahl einigen Raikari, die Leichen ihrer Kameraden und die Drachenkadaver zur Seite zu schleifen und einen Durchgang zu schaffen. Die Drachenkrieger machten sich sofort ans Werk.

„Wo ist der Shohon?“ wollte Magur wissen.

Beruk wies auf eine Gruppe Verwundeter. „Dort drüben. Ich bezweifle allerdings, dass er den heutigen Abend erlebt.“

Yaren erschrak, als er Helons ansichtig wurde. Dessen rechter Arm fehlte komplett. Jemand hatte ihn notdürftig verbunden, aber der Stoff war blutdurchtränkt und der Oberkörper des Shohon lag in einer roten Lache. Sein Gesicht wirkte wächsern.

Beruk wischte sich erschöpft übers Gesicht. „Wie sieht es auf Eurer Seite aus?“

„Der Kouran der Raikari ist verletzt, aber ich denke, er wird es überleben“, erwiderte Magur.

„Gut. Das fehlte uns noch, dass die Zwitter führerlos sind.“

Also misstraute Beruk ihnen nach wie vor. Yaren konnte ihm seine Sorge nicht einmal verdenken. Die Armee war erschreckend geschrumpft. Von den mehr als zweitausend Mann, die aufgebrochen waren, standen vielleicht noch drei- bis vierhundert aufrecht und davon waren ein Gutteil Raikari. Wenn die Drachenkrieger je vorgehabt hatten, sich gegen die Menschen zu stellen, war jetzt der perfekte Moment.

***

Ishiras Geist trieb erneut in Dunkelheit. Um sie herum war es absolut still, dennoch hatte sie das Gefühl, nicht alleine zu sein. Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie eine fremde Präsenz wahr. Jemand blätterte durch ihre Erinnerungen. Sie spürte durch Neugier gemilderten Zorn, dann etwas wie Wohlwollen und einen Anflug von Respekt. Einen Moment lang regte sich Widerstand in ihr, weil dieses Wesen es wagte, ohne ihre Zustimmung in ihren Gedanken herumzuschnüffeln, doch sie ließ es geschehen. Instinktiv erkannte sie, dass sie sich gegen diese Erforschung ihres Geistes nicht zur Wehr setzten durfte.

***

Noch bevor das Lager in Sicht kam, hörten sie die Schreie.

Beruk ließ anhalten. „Bei Kaddors Schatten, was hat das zu bedeuten? – Kouran Magur, nehmt diejenigen Eurer Männer mit, die noch in der Lage sind zu kämpfen, und seht nach, ob diese elenden Bestien dahinterstecken.“

Magur bedeutete seinen Männern, ihm zu folgen. Im Laufschritt näherten sie sich der Taleinmündung, wo sie die Telani mit den Wagen zurückgelassen hatten. Schon von weitem bot sich ihnen ein Bild des Schreckens. Die Drachen hatten das Lager überfallen.

Von den Verwundeten, die im Freien gelegen hatten, schien niemand mit dem Leben davongekommen zu sein. Auch mehr als die Hälfte der Telani und Kutscher lag tot am Boden, von den übrigen war nichts zu sehen. Sie mussten geflohen sein und sich irgendwo versteckt halten. Zwei der Vorratswagen waren umgestürzt, die Lebensmittel überall verstreut. Die Drachen hatten mehrere Pferde und Umasus gerissen. Eines der Ungeheuer war immer noch dabei, sich den Bauch vollzuschlagen. Die überlebenden Tiere gebärdeten sich wie wild und versuchten, trotz ihrer Fußfesseln zu entkommen. Die beiden anderen Echsen verwüsteten die Lazarettwagen. Der eine hatte das Dach des ersten Wagens gepackt und schüttelte diesen hin und her. Aus dem Innern drangen die Schreie der Verwundeten. Die andere Bestie hatte die Plane des zweiten Wagens abgerissen und die Dachstreben zerbrochen, um über die hilflosen Insassen herzufallen. Seinen schlangengleichen Hals hatte der Drache ins Innere des Wagens geschoben.

Yaren vergaß seine Schwäche und rannte los. Er und die anderen schrien aus Leibeskräften, um die Echsen abzulenken. Deren Köpfe schnellten herum. Als sie der Bedrohung ansichtig wurden, brüllten sie zornig. Einen Augenblick später erhoben sie sich in die Luft und flogen davon. Der Kopf des dritten Drachen tauchte aus dem Wagen auf, gerade als die Koshagi diesen erreichten. Yaren stieß mit seinem Kesh zu, doch auch diese Echse wollte sich nicht auf einen Kampf gegen eine Überzahl bewaffneter Gegner einlassen. Ein Schlag mit den Schwingen und die Bestie hatte sich außer Reichweite seiner Klinge gebracht.

Yaren kletterte in den zerstörten Wagen. Im Innern herrschte das Grauen. Die Kireshi waren alle tot, von den Drachenklauen in Stücke gerissen. Einer der Toten trug die Robe der Heiler. Yaren stockte der Atem, doch es war nicht Mebilor. Der Mann war jünger und hatte kurzgeschorene Haare.

Dann vernahm er ganz vorne im Wagen ein Wimmern. Er bahnte sich seinen Weg durch Wagentrümmer und Leichen und zerrte ein Stück Plane zur Seite. In die Ecke gekauert hockte Ishiras Bruder, die Beine dicht an die Brust gezogen. Der Junge zitterte am ganzen Leib. In seiner linken Schulter klaffte ein tiefer Schnitt. Kenjins Augen waren so weit aufgerissen, dass das Weiße um die Pupillen herum zu sehen war, und blickten starr geradeaus. Das Gebo in seinen verkrampften Fingern bebte. Die blutige Klinge zielte direkt auf Yaren.

„Kenjin!“

Ishiras Bruder schien ihn nicht zu hören. Vorsichtig beugte Yaren sich zu ihm hinunter. „Kenjin? Es ist alles gut. Es ist vorbei. Die Drachen sind fort. Gib mir das Gebo.“

Er streckte seine Hand nach der Waffe aus. Kenjin überließ sie ihm widerstandslos. Sein Zittern verstärkte sich und er schluchzte so heftig auf, als wollte es ihm die Brust zerreißen.

Yaren wusste nicht, was er tun sollte. Er strich dem Jungen übers Haar und ließ seine Hand in dessen Nacken liegen. „Alles ist gut“, wiederholte er hilflos.

Kenjin stieß ein neuerliches Wimmern aus. Unvermittelt warf er sich an Yarens Brust und klammerte sich an ihm fest. Yaren erstarrte vor Überraschung. Doch sein Zögern währte nur kurz, bevor er Ishiras Bruder an sich zog und festhielt, bis dieser sich beruhigt hatte.

Als Kenjin sich schließlich von ihm löste, waren seine Wangen feuerrot. Der Junge wandte den Blick ab. „Wie ich sehe, habt Ihr Euch nicht von den Amanori töten lassen“, sagte er in dem Versuch, seine Verlegenheit zu überspielen.

Auf Yarens Lippen stahl sich ein Lächeln. „Und wie ich sehe, hast du guten Gebrauch von meiner Waffe gemacht. Du hättest es dir verdient, sie zu behalten, aber ich schätze, die Kommandanten sehen das anders. Also nehme ich sie fürs erste zurück.“ Er steckte das Gebo zu seinem Kesh in den Gürtel.

Kenjin hielt den Blick weiterhin gesenkt. Sein Atmen klang angestrengt. Jetzt, wo der Schock nachgelassen hatte, kehrten die Schmerzen zurück. „Was ist mit meiner Schwester?“

Yarens Magen zog sich zur Größe einer Nuss zusammen. „Ich weiß es nicht. Diron hatte kurz vor Ende des Kampfes Kontakt zu ihr, also ist sie zumindest am Leben.“ Jedenfalls wollte er das ebenso sehr glauben wie ihr Bruder. Er legte eine Hand unter dessen Kinn und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. „Ich möchte, dass du eines weißt, Kenjin: ich liebe deine Schwester und ich werde alles tun, um sie zurückzubringen. Ich werde sie gegen jeden beschützen, der ihr etwas anhaben will – egal ob Mensch oder Drache. Das ist mein Ernst.“

Auf dem Gesicht des Jungen wechselten sich in rascher Folge Zorn, Ablehnung und Trotz ab, um schließlich einem resignierten Ausdruck Platz zu machen. Yaren ließ ihn los. „Halt dich an mir fest. Ich bringe dich hier raus.“

Schweigend und mit abgewandtem Kopf legte Kenjin seine Hände um Yarens Nacken. Yaren hielt ihn mit einem Arm um die Hüften und fasste mit der anderen nach einer der geborstenen Streben, um sich hochzuziehen. Das zusätzliche Gewicht zwang ihn beinahe wieder in die Knie.

Eine Hand streckte sich ihm entgegen. „Lass mich dir helfen.“

Er war so erleichtert, Mebilors Stimme zu hören, dass er ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre. Die Robe des Heilers war schmutzig, zerrissen und blutbespritzt, doch er schien unverletzt.

Mebilor hielt mit seinen Gefühlen weniger hinterm Berg und tätschelte väterlich Yarens Wange. „Götter, ist das schön, dich zu sehen.“

Yaren räusperte sich, um seine Rührung zu verbergen. „Ihr nehmt mir die Worte aus dem Mund.“

Gemeinsam hoben sie Kenjin aus dem Wagen. Der Junge hatte die Lippen zusammengepresst, Schweißperlen rollten über seine Stirn. Sie trugen ihn hinüber zu den Felsen, wohin die Koshagi bereits die Verwundeten aus dem anderen Wagen gebracht hatten. Andere suchten in den Resten der Wagenburg nach Überlebenden.

„Ihr seid gerade rechtzeitig gekommen“, sagte Mebilor. „Die Drachen waren so plötzlich da, dass wir nur noch laufen konnten.“

„Was ist mit Rohin?“

„Ein Blitz hat ihn niedergestreckt. Koban hat mir geholfen, ihn in Sicherheit zu bringen. Garulan und zwei andere Telani sind tot, ebenso ein Heiler und mehrere Kutscher – und die Mehrheit der Verwundeten.“ Er seufzte schwer. „Ich hoffe, du bringst bessere Neuigkeiten.“

„Leider nein. Wir haben mehr als zwei Drittel der Männer verloren und wahrscheinlich wäre auch der Rest von uns nicht mehr am Leben, wenn die Drachen sich nicht wie auf Kommando zurückgezogen hätten.“

Mebilors Gesicht verdunkelte sich. „Also wurde die Armee geschlagen?“

Yaren nickte langsam. „Trotz all unserer scheinbaren Überlegenheit waren wir den Drachen am Ende ausgeliefert.“

Der Heiler runzelte sorgenvoll die Stirn. „Werden sie nicht wiederkommen, um es zu beenden?“

„Ich weiß es nicht. Vorläufig nicht, denke ich. Sie müssen einen Grund gehabt haben, den Kampf abzubrechen, obwohl sie uns ohne weiteres hätten erledigen können.“

Er hätte Mebilor gern von seiner Vermutung erzählt, aber in der Nähe gab es zu viele Ohren – und was brachte es auch, über etwas zu spekulieren, das er sich nur einbilden mochte?

***

Langsam wurde es heller, nahm die Welt wieder Gestalt an. Als erstes spürte Ishira den harten Untergrund und den Stein, der sich in ihre rechte Hüfte drückte. Sie saß noch immer an Otaru gelehnt auf dem felsigen Boden der Höhle. Der Kopf ihres Bruders war auf ihre Schulter gesunken, aber er atmete noch. Ihre Finger tasteten nach Mahati. Auch sein Lebensfunke war schwach, aber noch nicht erloschen.

Ishira setzte sich auf. Die Energie schien wieder auf ihr normales Maß herabgesunken zu sein. Als sie den Kopf drehte, um sich umzusehen, schrak sie zusammen. In einigen Schritten Entfernung hockte ein gewaltiger Amanori und beobachtete sie.

Die Leitechse. Ishira sank das Herz in die Kniekehlen. Würde er sie für das, was sie getan hatte, töten? Aber wenn er das vorgehabt hätte, hätte er es schon längst getan, oder nicht? Er musste es gewesen sein, der in ihren Geist eingedrungen war. Wonach hatte er gesucht? Oder hatte er sich lediglich einen Eindruck von ihren Erinnerungen verschaffen wollen, um sie besser einschätzen zu können?

Sie warf einen raschen Blick umher. Die anderen Echsen waren verschwunden.

Sobald der Amanori merkte, dass sie wach war, sandte er Bilder in ihren Kopf, die ihr Gehirn in Worte übersetzte. Du bist keine von uns und doch kannst du unseren Willen befehligen. Was bist du?

„Blut von eurem Blut. Halb Mensch und halb Echse.“ Sie zögerte kurz, dann sprach sie es aus. „Die Menschen haben uns erschaffen, um euch zu töten.“

Dennoch hast du einem aus meinem Volk geholfen.

Ishira sah sich selbst, wie sie versucht hatte, den Amanori in den Bergen aus seinem Gefängnis aus Ästen zu befreien, bevor Yarens Klinge ihn durchbohrt hatte.

„Ich wollte ihm zeigen, dass wir keine Feinde sein müssen.“

Die beiden anderen, die mit dir hier sind, würden mich bedenkenlos töten. Warum du nicht?

„Wie die Menschen sind sie in dem Glauben aufgewachsen, dass ihr blutgierige Bestien seid, die Tod und Verderben bringen. Die Menschen haben ihnen beigebracht, dass es ihre Pflicht sei, euch zu töten. Anders als ich können sie eure Gedankensprache nicht verstehen. Sie wissen nicht, dass ihr so viel mehr seid, als es den Anschein hat. Dass ihr uns ähnlicher seid, als die Menschen glauben wollen.“

Du bist die Einzige, die uns versteht?

Ishira nickte.

Ich habe so viel vermutet. Deshalb habe ich dich nicht getötet, obwohl du eine Gefahr für mein Volk bist. Der Schwanz des Amanori bewegte sich bedächtig. Wir hätten euch heute besiegen können, wie wir damals die anderen aus deinem Volk besiegt haben. Aber was würde das nützen? Irgendwann werden wieder Menschen kommen und in der Zwischenzeit bersten unsere Eier weiter. Unsere Tage sind gezählt.

Der Kopf der Echse drehte sich zur Energiesäule, bevor das rechte Auge wieder Ishira anblickte. Ich habe dich gewähren lassen, weil ich will, dass du etwas für uns tust. Du allein besitzt die Macht, einen Frieden zwischen unseren Völkern auszuhandeln. Die Quelle hat dir alles gezeigt, was du wissen musst. Aus diesem Grund lasse ich dich am Leben.

Also hatte sie Recht gehabt. Dieser ganze Krieg war unnötig. Er hatte seine Ursache allein darin, dass beide Seiten unfähig waren, einander zu verstehen.

Aber würde Wissen etwas ändern? Würden die Gohari den Kristallabbau oder wenigstens die Sprengungen aufgeben, wenn sie die Zusammenhänge kannten?

„Ich werde es versuchen. Aber ich weiß nicht, ob die Menschen mir zuhören werden. Sie hören nicht, was sie nicht hören wollen, und sie wollen nicht hören, was ihren eigenen Zielen zuwiderläuft.“ Sie seufzte schwer. „Aber das ist es nicht allein. Du sprichst von uns als einem Volk, aber das sind wir nicht. Die Krieger, die hierhergekommen sind, gehören nicht zu meinem Volk. Vor langer Zeit haben sie uns angegriffen und uns ihren Willen aufgezwungen.“

Sie spürte die Überraschung der großen Echse. Die Menschen bekriegen einander? Seid ihr so zahlreich, dass der Platz nicht für euch alle reicht?

„Die Menschen bekriegen einander nicht, weil ihr Überleben gefährdet ist“, erwiderte sie traurig. „Oft genug werden sie von Missgunst und Gier angetrieben. Gier nach Macht. Gier nach Reichtum. Gier nach der Energie.“ Sie deutete auf die Quelle.

Du bist sehr ehrlich, obwohl du damit dein eigenes Leben gefährdest.

„Du hast in meinen Gedanken gesehen, wie die Menschen sind. Warum sollte ich versuchen, dich zu täuschen?“

Das Auge des Amanori sah sie unverwandt an. Wenn deine Worte wahr sind, wird dieser Kampf niemals enden. Dein Volk – oder dieses andere Volk – wird nicht hören wollen, was du zu sagen hast. Sie werden wiederkommen und weiter versuchen, uns zu töten. Sie werden weiter unsere Gelege zerstören.

Ishira schwieg einen Moment. „Vielleicht gibt es doch einen Weg, sie zu überzeugen“, sagte sie dann. „Die Menschen wollen die Energie. Doch wenn sie euch ausrotten, wird sie über kurz oder lang versiegen. Ihnen sollte also in ihrem eigenen Interesse daran gelegen sein, euer Überleben zu sichern.“ Sie lächelte schmerzlich. „Dennoch will ich dir nicht zu viele Hoffnungen machen. Die meisten Menschen würden mich genauso gerne tot sehen wie dein Volk. Vielleicht töten sie mich, bevor ich nur den Mund öffnen kann. Aber ich werde tun, was in meiner Macht steht. Denn eines weiß ich mit Sicherheit: Wir brauchen euch, wenn wir weiterhin auf dieser Insel leben wollen. Ohne euch wird Inagi untergehen.“

Der Amanori erhob sich. Ich vertraue dir. Aber vergiss nicht: Ich kann ebenso in deinen Geist eindringen wie du in meinen. Wenn du uns hintergehst, werde ich dich töten.

„Ich werde euch nicht hintergehen. Aber ich habe ebenfalls eine Bitte: Stellt die Angriffe auf unsere Siedlungen ein, damit die Menschen begreifen, dass ihr nicht ihre Feinde seid.“

Das goldene Auge erwiderte ihren Blick lange. Sie beobachtete, wie die Pupille sich abwägend verengte und wieder weitete. Ich kann es nicht versprechen. Nicht alle aus meinem Volk stimmen meinem Vorhaben zu. Sie sind zornig. Viele wollen Rache für ihre getöteten Gefährten oder ihre zerstörten Gelege. Einige von ihnen werden euch weiterhin angreifen. Nicht einmal ich kann sie alle kontrollieren. Aber die meisten von uns suchen keine Vergeltung, nur einen Ort, an dem wir ungestört unsere Brut aufziehen können.

Der Leitamanori entfaltete seine Flügel und schwang sich in die Luft. Durch den Spalt in der Höhlendecke flog er ins Freie.

Draußen war es dunkel. Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit sie die Echsen dazu gebracht hatte, von den Gohari abzulassen? War es Abend oder bereits wieder Morgen? Hatte sie die Amanori rechtzeitig zurückgerufen? Waren Yaren, Diron und ihr Vater noch am Leben? Sie musste so schnell wie möglich zurück.

Sanft rüttelte sie Otaru an der Schulter. „Otaru, wach auf.“

Ihr Bruder brummelte etwas Unverständliches, bevor er blinzelnd die Augen aufschlug. Er stöhnte, als er sich bewegte, und drehte und reckte seine Glieder, bevor er sich langsam aufrichtete. Mitten in der Bewegung erstarrte er. „Wo sind die Drachen?“

„Ich weiß es nicht. Aber sie werden uns vorläufig in Ruhe lassen.“

Er sah sie forschend an, behielt seine Fragen jedoch für sich, als spürte er ihre Unruhe aufzubrechen.

Mahati wachzubekommen, erwies sich als schwieriger. Er war vor Schmerzen ganz benommen und es kostete Ishira und Otaru einige Mühe, ihn auf die Füße zu stellen. Otaru legte sich Mahatis gesunden Arm um die Schultern und hielt ihn an der Taille fest. Langsam kehrten sie zur Rohrleitung zurück.

Als sie nach dem Rand des Rohrs fasste, überkam Ishira ein ungutes Gefühl, aber sie hätte nicht sagen können, weshalb. „Wartet hier“, wies sie ihre Brüder an. „Ich sehe nach, ob der Weg frei ist.“

Bevor einer von beiden protestieren konnte, war sie in die Röhre geklettert und kroch in den Kontrollraum zurück. Nichts hatte sich verändert, doch die ungute Ahnung wollte nicht weichen. Sie lief in den Korridor. Noch bevor sie den Durchgang erreichte, sah sie, dass die heftigen Erschütterungen einen Teil des Turms zum Einsturz gebracht hatten. Der Boden war so hoch mit Geröll angefüllt, dass ein Durchkommen unmöglich war. Trotzdem ging sie noch ein paar Schritte weiter und untersuchte den Steinhaufen. Sinnlos. Es hätte viel zu lange gedauert, den Schutt wegzuräumen, und vermutlich war die Treppe ohnehin nicht mehr zu gebrauchen.

Sie unterdrückte die aufsteigende Furcht und kehrte zu ihren Brüdern zurück. „Durch den Turm können wir nicht zurück. Wir müssen einen anderen Weg finden.“

Otarus Blick wanderte nach oben zum Deckenspalt. Aber nur ein geflügeltes Wesen kam dort hinauf. Einen Moment erwog Ishira, den Leitamanori zu rufen, doch sie verwarf diesen Gedanken sofort. Sie hatte das Gefühl, dass sie zunächst aus eigener Kraft versuchen musste zu entkommen, bevor sie die Echsen um Unterstützung bitten durfte. Wenn sie gleich vor der ersten Schwierigkeit kapitulierte, würde dies ihr Versprechen, sich nach Kräften anzustrengen, nicht sehr glaubwürdig klingen lassen.

„Teilen wir uns auf und suchen nach einem anderen Ausgang“, schlug Otaru vor.

Sie wollte schon zustimmen, als ihr einfiel, dass sie die Geister um Rat fragen könnte. Die Lichtkugeln waren zur Energiesäule zurückgekehrt, doch als wüssten sie, dass sie ihre Hilfe benötigte, schwebten einige auf sie zu. Zu zweien spürte sie unvermittelt eine starke Bindung. Ihr Herz begann rascher zu schlagen. Konnte es sein…?

„Izzanak?“ flüsterte sie. „Yuroka?“

Die beiden Lichter kamen näher. Ishiras Augen wurden feucht. Sie musste mehrmals schlucken, weil ihre Kehle auf einmal wie zugeschnürt war. Bebend streckte sie ihre Hände nach den Seelen ihrer Brüder aus und umschloss sie behutsam. Izzanaks und Yurokas Essenz leuchtete wie Glühwürmchen. Sie spürte ihre Wärme, die mehr war als nur die Wärme des Lichts.

Otaru gab einen überraschten Laut von sich. „Diese Lichter sind Yuroka und Izzanak? Aber sind sie denn nicht tot?“

„Doch“, bestätigte Ishira. „Dies ist die Form, die unsere Seele nach unserem Tod annimmt. Nur hier in dieser Höhle sind sie auch für uns Lebende sichtbar.“

Staunend streckte Otaru einen Finger aus und wollte eines der beiden Lichter anstupsen, aber die Kugel wich ihm geschickt aus und tanzte um ihn herum, als wollte sie ihn necken. Otaru ließ sein Raubtierlächeln aufblitzen. „Das bist ganz sicher du, Izzanak.“

Ishira musste trotz ihrer Trauer lachen. „Er ist es tatsächlich.“ Dann wurde sie wieder ernst. „Gibt es von der Oberfläche noch einen anderen Zugang zu dieser Höhle als durch den Turm oder die Decke?“ fragte sie.

Ihre Brüder und die anderen Seelen begannen zu raunen, als ob sie sich untereinander berieten. Unvermittelt blinkte in Ishiras Geist ein Bild auf. Sie stand vor einem hohen Felsmassiv. Direkt vor ihr klaffte ein Spalt im Gestein, breit genug, dass ein Mensch sich hindurchzwängen konnte. Hinter ihr lagen die Felswohnungen am Ostrand der Ruinenstadt.

Wir werden dir zeigen, wo der Weg beginnt. Izzanak und Yuroka entfernten sich von ihr und schwebten zu einer Stelle, an der sich mehrere hohe Felsen auftürmten. Ishira folgte ihnen. Als sie bei den Felsen anlangte, stellte sie fest, dass es dazwischen einen Durchgang gab. Allerdings verlief in Hüfthöhe einer der Energiestränge. Er floss durch den Spalt und füllte ihn in der Breite beinahe vollständig aus. Aus der Nähe hatte er Ähnlichkeit mit schimmerndem Wurzelwerk, nur dass die einzelnen Stränge stetiger, fließender Bewegung und Veränderung unterlagen. Die umgebende Luft waberte in der strahlenden Helligkeit.

Ishira drehte sich zu Yuroka und Izzanaks Seelen um, die vor ihr verharrten. „Ich danke euch – und ich hoffe, dass wir uns eines Tages wiedersehen.“

Die Essenzen ihrer Brüder leuchteten zustimmend auf. Solange die Energie fließt, werden wir immer bei dir sein.

Sie blinzelte eine Träne fort und nickte. Dann wandte sie sich wieder ihren beiden lebenden Brüdern zu. „Dies ist der Weg hinaus. Kriecht unter dem Energiestrang durch und berührt ihn dabei möglichst nicht.“ Vielleicht war diese Vorsichtsmaßnahme überflüssig, aber sie alle waren der Energie mehr als genug ausgesetzt gewesen.

Anscheinend hatte sie sich nicht tief genug gebückt, denn auf einmal prickelte die Energie über ihren Körper wie ein sommerlicher Regenschauer. Das Verlangen, erneut mit ihr zu verschmelzen, flackerte so heftig auf, dass Ishira für einen Moment kurz davor war, ihm nachzugeben. Dann kehrte ihr Verstand zurück. Sie duckte sich, bis das Prickeln verschwand, und kroch auf Händen und Knien weiter. Nach wenigen Schritten wurde der Gang glücklicherweise breiter, so dass der Strang nicht mehr direkt über ihr verlief.

Sie drehte sich um und wartete, bis Mahati bei ihr war, aber er stützte sich lieber ungeschickt mit seinem gesunden Arm an der Wand ab und biss sichtbar die Zähne zusammen, als sich von ihr aufhelfen zu lassen.

„Was macht deine Schulter?“ erkundigte sie sich, als er schließlich neben ihr stand.

Er ließ sich gegen die Felswand sinken. „Geht schon.“

Das sehe ich, dachte sie trocken, aber sie behielt ihren Kommentar für sich.

Diesmal widersetzte Mahati sich sogar seinem Bruder, als der ihn stützen wollte.

Ishira seufzte. „Lass ihn“, sagte sie zu Otaru.

Der Gang senkte sich leicht ab. Nach einer Weile veränderte sich das Geräusch ihrer Schritte, als würde sich der Raum vor ihnen weiten. Keine zehn Herzschläge später mündete der Gang in eine langgestreckte Höhle. Ishira blieb vor Staunen der Mund offen. Sie standen am Ufer eines unterirdischen Sees. Das leuchtende Wasser lag ruhig da, nur an einigen Stellen wurde die Oberfläche von winzigen Wellen gekräuselt, als würde ein Zittern über das Wasser laufen. Teilweise hing das grau und blassgelb gemaserte Gewölbe bis auf das Wasser herab. An anderen Stellen wurde es von zierlichen, natürlichen Pfeilern aus strahlend weißem Gestein getragen, die aus dem Boden wuchsen.

Soweit Ishira von ihrem Standpunkt aus erkennen konnte, setzte der Gang sich auf der gegenüberliegenden Seite fort. Sie suchte nach einem Weg um den See herum, doch auf beiden Seiten reichte dieser bis an die Höhlenwände heran. Unbehaglich beäugte sie das blaugrün schimmernde Wasser. Es war nicht allzu tief, aber der zerklüftete Boden war von Löchern und Spalten durchzogen, die so weit hinunterreichten, dass ihr Grund nicht zu sehen war.

„Könnt ihr schwimmen?“ fragte sie ihre Brüder.

Beide sahen sie nur verständnislos an, als wüssten sie nicht einmal, was das Wort bedeutete. Das hieß dann wohl ‚nein‘. Damit waren sie zu dritt. Allerdings war es ohnehin zweifelhaft, ob sie in dem energiegeladenen Wasser schwimmen könnten. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie Yaren in einen der blauen Teiche gestürzt und fast ertrunken wäre, weil seine Muskeln ihm nicht mehr gehorcht hatten. Sie selbst würde mit der Energie irgendwie zurechtkommen, aber wie viel konnten ihre Brüder noch vertragen?

„Lasst uns so dicht wie möglich zusammenbleiben“, sagte sie. „Falls einer von uns fällt, können die anderen ihn herausziehen.“

Vorsichtig stiegen sie in das knöcheltiefe Wasser. Sofort begann die Oberfläche zu brodeln. Wie die Arme von Wassergeistern ringelten sich Energiefäden um ihre Schenkel. Bedächtig setzten sie einen Fuß vor den anderen. Das Plätschern ihrer Schritte und das Knistern der Energie hallten von der Decke wider und setzten sich als unheimliches Echo fort. Mehrmals mussten sie ein Loch umgehen oder einen schmalen Spalt überwinden.

Als sie etwa die halbe Strecke hinter sich gebracht hatten, gab Mahati einen unterdrückten Schmerzlaut von sich. Besorgt drehte Ishira sich zu ihm um. „Nur noch ein kurzes Stück“, versuchte sie ihn aufzumuntern. „Wir sind gleich drüben.“

Doch kurz darauf tat sich vor ihnen ein Abgrund auf, der mindestens zwei Schritte breit war. Sie würden springen müssen.

„Ich gehe als Erster“, entschied Otaru. „Gib mir deine Waffen, Mahati.“

Mahati sah nicht besonders glücklich aus, aber er reichte Otaru gehorsam seine beiden Schwerter. Otaru bedeutete ihnen, ein Stück zur Seite zu gehen. Dann trat er ein paar Schritte zurück. Das Wasser reichte ihm an dieser Stelle bis zu den Waden. Platschend nahm er Anlauf und stieß sich kraftvoll von der Felskante ab. Sicher landete er auf der anderen Seite. Er drehte sich zu Ishira um und lächelte ihr ermutigend zu.

Sie schüttelte den Kopf. „Mahati zuerst.“

„Nein, ich gehe als Letzter. Spring.“

Ishira gefiel das ganz und gar nicht, aber sie ahnte, dass es zwecklos war, mit Mahati zu streiten. Sie rannte los und stieß sich ab, kam ungeschickt auf und schwankte einen gefährlichen Augenblick, bevor sie auf dem leicht abschüssigen Boden ihr Gleichgewicht widerfand, doch schon war Otarus Hand an ihrem Arm, um sie zu halten.

„Jetzt du, Mahati.“

Er nahm Anlauf, doch er war durch seine Schulter behindert und konnte sich nicht richtig ausbalancieren. Als er sich abstieß, strauchelte er und sprang zu kurz. Seine Füße pflügten das Wasser und sanken ein. Verzweifelt warf er sich nach vorn und bekam mit den Fingern seiner gesunden Hand die Felskante zu fassen. Doch gerade als Ishira sich hinkniete und nach seinem Handgelenk griff, verlor er den Halt und entglitt ihr. Schäumend schlug das Wasser über ihm zusammen.

„Mahati! – Halt meine Beine fest, Otaru!“

Sobald sie das Gewicht ihres Bruders auf ihren Waden spürte, lehnte sie sich so weit vor, wie sie konnte und versuchte verzweifelt, Mahatis um sich schlagenden linken Arm zu fassen zu bekommen.

„Ich habe ihn!“ Sie packte mit beiden Händen zu und zog seinen Oberkörper auf die Felsen, ohne auf die Schmerzen in ihren Knien zu achten, die sich gegen den rauen Felsen pressten. Otaru ließ sie los und fasste Mahati um die Taille. Gemeinsam wuchteten sie auch seinen restlichen Körper auf festen Grund. Seine Gliedmaßen zitterten und er stöhnte vor Schmerz.

Ishira richtete seinen Oberkörper vorsichtig auf und lehnte seinen Kopf gegen ihre Schulter. Er sah sie an wie ein verwundetes Tier. Sanft strich sie ihm die triefenden Haare aus dem Gesicht. „Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“

Sie blickte auf. „Wir müssen ihn so schnell wie möglich auf trockenen Boden schaffen“, sagte sie zu Otaru. „Er muss aus der Energie heraus.“

„Ich werde ihn tragen“, erwiderte ihr Bruder. „Du suchst nach dem besten Weg.“

Als er Mahati auf seine Arme heben wollte, wehrte dieser sich schwach. „Nein, lasst mich hier“, keuchte er. „Ich bin nur eine Last für euch. Ohne mich habt ihr größere Chancen, aus diesen Höhlen zu entkommen.“

„Rede keinen Unsinn, Mahati“, gab sie scharf zurück. „Niemand bleibt hier. Wir kommen alle hier raus oder keiner.“

Er öffnete den Mund – und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen.

Ishira half Otaru, ihn hochzuheben, bevor sie einmal mehr die Führung übernahm. Sie bemühte sich, eine Route zu nehmen, auf der sich möglichst wenige Löcher und Spalten befanden. Zum Glück konnten sie sich an einer weiteren kniffligen Stelle an einer der Felssäulen festhalten. Mit vereinten Kräften erreichten sie endlich das gegenüberliegende Ufer.

Sie blieb stehen und atmete ein paar Mal tief durch. Mahatis Körper hing schlaff über Otarus Schulter. Er hatte erneut die Besinnung verloren. „Sollen wir eine Rast einlegen?“ fragte sie.

Otaru schüttelte den Kopf. „Ich kann ihn noch tragen.“

Sie tauchten in einen weiteren gewundenen Gang ein, der sich von Zeit zu Zeit besorgniserregend verengte, nur um sich kurz darauf wieder zu verbreitern. Irgendwann wurde es vor ihnen heller. Hoffentlich war das der Ausgang.

Doch statt ins Freie zu führen, mündete der Gang in eine hohe Halle, deren Deckengewölbe eingestürzt war und sich auf dem Boden zu einem hohen Schuttberg aufgetürmt hatte. Auf diesem Hügel wuchs ein unglaublicher Wald aus Bäumen mit langen kahlen Stämmen, die nur ganz oben mit kleinen, schimmernden Blättern belaubt waren, und blau leuchtenden Pilzen, die mindestens eine Armlänge hoch aufragten und die Höhle in ein magisches Licht tauchten. Funkelnder Staub hing in der Luft wie Sternsplitter. Es sah aus wie eine Szene aus einem Märchen – oder einem Traum.

„Wunderschön“, flüsterte sie hingerissen.

Langsam erklommen sie den Hügel und wanderten durch den unterirdischen Wald. Ishira ließ ihre Hand über den flachen Hut eines der Pilze wandern, der von nahem kreisförmige Muster erkennen ließ, und spürte den Energieströmen nach, die ihn zum Leuchten brachten. Unter ihren Füßen raschelte trockenes Laub, das seinen sanften Schimmer selbst im Zerfall nicht verlor. Ihr Blick wanderte nach oben. Durch das Loch in der Höhlendecke weit über ihr konnte sie die Sterne sehen. Erstaunlich, wie anpassungsfähig die Natur war, dass sich selbst hier unten Pflanzen hatten entwickeln können.

Hinter sich hörte sie Otaru nach Luft ringen. Sie drehte sich um. Ihr Bruder konnte seine Erschöpfung kaum noch verbergen. Mahati und er brauchten dringend eine Pause.

„Wir bleiben eine Weile hier“, entschied sie. „Wie es aussieht, kommen wir nicht so schnell aus diesen Höhlen heraus und Mahati ist klatschnass. Außerdem können wir alle ein wenig Ruhe gebrauchen.“

Einen Moment sah Otaru so aus, als wollte er widersprechen, doch dann nickte er.

Kristallherz

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