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KAPITEL II – Er kann lachen

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In aller Frühe stand Yaren auf, um den Bau der Rampen zu beaufsichtigen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er noch früher aufstehen können. In letzter Zeit schlief er nicht besonders gut, obwohl er nicht mehr so oft von Alpträumen heimgesucht wurde wie früher. Dafür tauchte in seinen Träumen immer häufiger seine Schutzbefohlene auf. Es beunruhigte ihn, dass sie solchen Einfluss auf ihn ausübte.

Leise griff er nach seinen Sachen, um Ishira nicht zu wecken. Durch den Stoff, der ihre beiden Schlafstellen voneinander trennte, zeichnete sich schwach ihre schlafende Silhouette ab. Sofort spürte Yaren wieder das leichte Ziehen in den Lenden, das ihn schon gestern Abend erfasst hatte. Er atmete tief durch. Warum um alles in der Welt hatte er sich von Helon dazu überreden lassen, das Zelt auch unterwegs mit ihr zu teilen? Wie hatte er die Situation dermaßen unterschätzen können? Obwohl er mit seiner Schutzbefohlenen zahllose Nächte unter freiem Himmel verbracht hatte, war es im Zelt etwas gänzlich anderes. Vielleicht war es die Intimität des umschlossenen Raumes, die das aufgezwungene Beisammensein immer stärker zur quälenden Versuchung werden ließ. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er sich verändert hatte. Tief in seinem Innern war etwas in Aufruhr geraten.

Als er gerade dabei war, seine Waffen in den Gürtel zu schieben, hörte er, wie hinter ihm der Vorhang zurückgeschlagen wurde. Langsam drehte er sich um. Ishira lugte schüchtern zu ihm herüber und wünschte ihm einen guten Morgen. Ihre leicht schräg stehenden blauen Mandelaugen, die den Verstand eines Mannes verwirren konnten, waren noch verschleiert vom Schlaf. „Ihr habt gestern von einem Wasserfall gesprochen, Deiro“, sagte sie. „Bestünde unter Umständen die Möglichkeit, dort zu baden?“

Ungewollt wanderte sein Blick von ihren Augen zu ihrem schwarzen Haar, das ihr schwer über die Schultern fiel. Es hatte in den vergangenen Tagen immer mehr von seinem seidigen Glanz verloren und war jetzt stumpf und strähnig. Der kleine Zuber, den er ihr, wenn sich die Gelegenheit bot, ins Zelt stellte, war augenscheinlich nicht geeignet, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Daher konnte er verstehen, warum sie baden wollte. Dennoch sprachen diverse Gründe dagegen. Zum einen sollte er Helons Einverständnis einholen, zum anderen wollte er sich nicht mit Ishira belasten, zumal er nicht einschätzen konnte, wie die Raikari auf ihre Gegenwart reagieren würden. Doch anstatt ihren Wunsch abzuschlagen, hörte er sich sagen: „Wenn du mitkommen willst, beeil dich.“

Ishira sprang so eifrig auf, dass sie sich den Kopf beinahe an der niedrigen Firststange stieß. „Ich bin fertig.“

Yaren fuhr sich resigniert durch die Haare und merkte dabei, dass er vergessen hatte, sie aufzustecken. Götter, dieses Mädchen würde ihn noch seinen Ruf kosten!

Die Lagerfeuer waren zu glimmenden Haufen heruntergebrannt und die kühle Morgenluft roch nach Asche und Zedernholz. Während Yaren mit seiner Schutzbefohlenen im Schlepptau durch das stille Lager stapfte, verfluchte er sich selbst für seine Nachgiebigkeit. Hatte er noch nicht genug am Hals, dass er sich hatte breitschlagen lassen, sich auch noch um Ishira zu kümmern? Säuerlich fragte er sich, wie er eigentlich zu seiner neuen Aufgabe gekommen war, Aufpasser für die Raikari zu spielen. Das fiel nicht unbedingt in seinen Zuständigkeitsbereich als Berater und Kundschafter. Aber immerhin war es ein Zeichen, dass der Shohon ihm zutraute, alles im Griff zu haben.

Vor sich hörte er Schnauben und Hufscharren. Aus dem Zwielicht schälten sich die Umrisse der Pferde. Ein Stück weiter hinten waren die Umasus zu erahnen. Für die Nacht wurden die Tiere zusammengetrieben und angepflockt, damit sie nicht weglaufen konnten oder nachtaktive Raubtiere anlockten. „Du brauchst deine Stute nicht zu satteln“, sagte er zu Ishira. „Bis zum Ufer kannst du laufen.“ Ohne Pferd würde sie nicht weit kommen, falls sie vorhatte, sich aus dem Staub zu machen, obwohl er nicht glaubte, dass sie ohne ihren Bruder fliehen würde. Aber warum ein Risiko eingehen? Die paar Schritte zu Fuß würden ihr nicht schaden. Natürlich hätte er sie auch hinter sich auf Bokan reiten lassen können, aber er wollte dem dummen Gerede der Kireshi keine neue Nahrung liefern.

„Guten Morgen, Yaren“, grüßte ihn eine vertraute Gestalt. Etan war heute zur Wache eingeteilt. „Du bist früh auf. Wieder ein Erkundungsritt?“ Dann fiel sein Blick auf Ishira. „Nein, wohl nicht.“

In seine Stimme hatte sich ein Unterton geschlichen, der Yaren missfiel, aber da er ihn nicht recht einordnen konnte, beschloss er, ihn fürs erste zu ignorieren. „Ich soll dafür sorgen, dass die Raikari möglichst schnell die Rampen fertigbauen, damit wir weiterziehen können.“

Sein Waffengefährte verzog mitleidig das Gesicht. „Um diese Aufgabe beneide ich dich nicht. Ich bin ehrlich gesagt froh, wenn ich nicht in ihrer Nähe sein muss. Sie sind mir nicht geheuer. Ich weiß gern, woran ich bin, und die Raikari kann ich beim besten Willen nicht einschätzen. Ich habe versucht, etwas aus ihrem Kouran herauszubekommen, aber das war verlorene Liebesmüh. Der ist so verschlossen wie eine Jungfrau. Und seine Leute scheinen ja überhaupt nicht mit uns reden zu wollen.“

Tatsächlich waren die Raikari wortkarge Gesellen, was Yaren allerdings nicht störte. Was gab es schon zu sagen? Er zuckte mit den Schultern, während er seinem Braunen das Zaumzeug anlegte. „Hauptsache, sie tun ihre Pflicht.“ Wenn sie wirklich so gute Krieger waren, wie der Marenash behauptet hatte, waren sie ihm willkommen. Sie würden jeden Mann brauchen, wenn sie auf die Drachen trafen. Darüber hinaus war ihm das Verhalten der Söldner gleichgültig, solange sie sich an die Regeln hielten. Doch Etan war schon als Junge neugierig gewesen und besaß zudem ein gewisses Talent dafür, sich die Informationen zu beschaffen, die er haben wollte. Kein Wunder, wenn es ihn wurmte, dass seine Versuche diesmal ins Leere gelaufen waren.

„War es Helons Idee, das Mädchen mitzunehmen, oder deine?“ erkundigte Etan sich, als Yaren gerade den Sattel festzurrte.

„Weder noch“, gab er kurz angebunden zurück. Er verspürte nicht die geringste Neigung, seinem Waffengefährten irgendetwas zu erklären. Entschlossen griff er nach dem Zaumzeug, bevor Etan weitere Fragen stellen konnte.

Gerade als er seinen Fuß in den Steigbügel setzen wollte, hielt ihn eine kultivierte Stimme zurück. „Kiresh Yaren? Erlaubt, dass ich Euch begleite.“

Wer wollte ihn denn noch alles begleiten? Konsterniert wandte Yaren sich nach dem Sprecher um und war nicht besonders überrascht, den Kouran der Raikari zu sehen. Wenn man vom Dämon sprach… Wie üblich war das Gesicht des Söldnerführers hinter der ledernen Maske verborgen. „Ihr wollt die Arbeiten persönlich überwachen?“ erkundigte Yaren sich.

Ralan bel Arraks Blick ruhte auf der Inagiri, kehrte jedoch bei Yarens Frage zu dessen Gesicht zurück. „Eigentlich möchte ich mit Euch sprechen. Oder sagen wir, beides. Ich habe meine Männer bereits vorausgeschickt.“

Yaren nickte und wartete höflich, bis der Kommandant sein Pferd gesattelt hatte, bevor er aufsaß. Seite an Seite verließen sie das Lager in Richtung Fluss. Kurz bevor sie in den Wald eintauchten, warf Yaren einen Blick zurück. Ishira folgte ihnen in geringem Abstand. Da sie nur langsam ritten, hatte sie keine Schwierigkeiten, mit den Pferden Schritt zu halten.

Neben ihnen ragten die mächtigen Stämme der Zedern auf, deren rotbraune Färbung an Rost erinnerte. Viele von ihnen waren auf der Schattenseite bemoost. In den Zweigen sangen Vögel und die Luft trug den Duft von Harz und frischem Grün. Es war geradezu lächerlich friedlich dafür, dass jederzeit die Drachen angreifen konnten.

Falls Yaren geglaubt hatte, Ralan würde sofort auf den Punkt kommen, hatte er sich geirrt; der Befehlshaber der Raikari machte keine Anstalten, das Gespräch zu eröffnen. Oder vielleicht wollte er auch nicht sprechen, solange das Mädchen in Hörweite war. Yaren musterte den Mann unauffällig von der Seite. Ralan war etwa so groß wie er selbst und besaß die durchtrainierte Statur eines Kämpfers. Zugleich hatte er etwas Aristokratisches an sich. Selbst wenn Yaren seinen Namen nicht gewusst hätte, hätten Stimme und Haltung eine adlige Herkunft nahegelegt. Gewiss wurde kein Aristokrat ohne triftigen Grund zum Söldner. Bel Arrak – Ralans Familienname sagte Yaren nichts, aber es gab in Gohar zu viele Adelsfamilien – die meisten von niederem Rang –, um sie alle zu kennen. Dennoch war ihm etwas an den Zügen des Kouran vage vertraut vorgekommen, obwohl er sicher war, dass er den Mann vor seiner Ankunft im Feldlager nie getroffen hatte. Aber vielleicht täuschte er sich auch; schließlich hatte er Ralans Gesicht nur einen kurzen Moment lang gesehen.

Vor ihnen hörte Yaren das Rauschen und Gluckern des Flusses. Er maß nur gut zwei Wagenlängen in der Breite, doch die Strömung war stark. Es würde nicht ganz ungefährlich sein, ihn mit den Wagen zu durchqueren, da das Wasser in der Mitte schätzungsweise bis zu den Radnaben reichte. Aber wenn sie die Rampen so weit wie möglich ins Wasser hineinzogen, hatten die Wagen nur ein kurzes Stück durchs Bachbett zu fahren.

Die frischen Schnittstellen der Baumstümpfe stachen wie Narben aus dem grünen Untergrund hervor. Darum herum lagen abgeschlagene Äste und abgeschälte Rinde auf dem Boden. Wie Ralan gesagt hatte, waren seine Leute bereits an Ort und Stelle und warteten inmitten der gefällten Bäume auf Anweisungen. Yaren war erstaunt, wie still die Söldner sich verhielten. Die Gohari hätten sich zwanglos im Gelände verteilt und miteinander geplaudert oder sich aus Spaß einen Kampf geliefert, um die Zeit totzuschlagen. Nicht so die Raikari. Sie standen bewegungslos in Reih und Glied wie die Ehrenwache vor dem Palast des Marenash. Als sie den Hufschlag der Pferde hörten, wandten alle wie auf Kommando den Kopf. Yaren erklärte Ralan, was er vorhatte. „Ich schätze, es ist besser, wenn Ihr Euren Leuten selbst sagt, was sie tun sollen“, schloss er.

Ralan nickte und befahl einem Teil seiner Männer, die Stämme der bereits gefällten Bäume glatt zu schlagen, zum Fluss zu rollen und so miteinander zu vertäuen, dass sie eine Rampe bildeten, die das Gewicht der schweren Geschützwagen zu tragen imstande war. Die andere Hälfte der Raikari schickte er zum gegenüberliegenden Ufer, um dort die zweite Rampe zu bauen.

Yaren wandte seinen Blick nach links. Etwa fünfzig Schritte entfernt stürzte das Wasser in mehreren nebeneinander liegenden Fällen über die steile, bemooste Felswand in ein flaches Becken, dessen Steine so glatt geschliffen waren wie ein gemauertes Bad. Auf schmalen Vorsprüngen wucherte Farn. Auf einer Seite des Beckens formte eine Handvoll dichter Büsche einen natürlichen Sichtschutz. Yaren musterte das Ufer. Als er sicher war, dass kein wildes Tier im Unterholz lauerte, drehte er sich zu seiner Schutzbefohlenen um, die geduldig hinter ihm wartete. „Du kannst Baden gehen. Ich werde aufpassen, dass sich dir keiner der Raikari nähert. Aber sei trotzdem vorsichtig. Es könnte hier Schwarzvipern und anderes giftiges Getier geben.“

„Ich werde achtgeben“, versprach sie.

Yaren beobachtete, wie sie hinter den Büschen verschwand. Bevor sich eine unsittliche Vorstellung in seinen Geist schleichen konnte, lenkte er Bokan zu Ralan zurück. Der Söldnerführer hatte sich eine Stelle gesucht, von wo aus er seine Männer auf beiden Seiten des Flusses im Blick hatte. Eine Weile sah Yaren den Raikari ebenfalls zu. Die Söldner scheuten sich nicht vor harter Arbeit, so viel stand fest. Und sie verfügten über bemerkenswerte Körperkräfte. Scheinbar mühelos rollten sie die Stämme zu zweit oder dritt ans Ufer, ohne Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen. Was Yaren jedoch beinahe noch mehr beeindruckte, war der ungewöhnliche Einklang, mit dem die Männer agierten. Ihre Bewegungen gingen Hand in Hand, wobei ihre Verständigung untereinander keiner Worte bedurfte. Jeder schien auch so zu wissen, was von ihm erwartet wurde. Aber diese stumme Übereinstimmung hatte auch etwas Unheimliches. Das erinnerte Yaren an etwas. „Eure Leute haben gestern Abend für Aufsehen gesorgt“, ergriff er die Initiative.

Ralan wandte den Kopf. „Da Ihr es ansprecht: Das ist genau der Grund, aus dem ich mit Euch reden wollte. Ich würde gern mehr über das inagische Mädchen erfahren.“

Das hatte Yaren nicht erwartet. Etwas in ihm ging in Abwehrhaltung. Bislang hatten die Raikari Ishira keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt und er wollte, dass das so blieb. „Weshalb? Weil ein Teil Eurer Leute von ihrer Musik buchstäblich ergriffen war?“

„Unter anderem. Von wem hat sie gelernt, so zu spielen?“

Yaren zuckte mit den Schultern. „Das kann ich Euch nicht sagen.“

„Ihr seid nicht gerade mitteilsam.“

„Gilt das nicht ebenso für Euch selbst?“

Es kam ihm so vor, als würde Ralan hinter seiner Maske lächeln. „Was wollt Ihr denn wissen?“

„Zum Beispiel, wie ein Adliger zum Anführer einer Gruppe von Söldnern wird.“

Ralan schwieg einen Moment. „Das war ich nicht immer, wie Ihr Euch denken könnt. Als junger Mann diente ich wie Ihr in der goharischen Armee, hier auf Inagi.“

Ralan stammte von Inagi? Das könnte erklären, weshalb er dessen Familie nicht kannte. Yaren versuchte sich daran zu erinnern, wie alt der Söldnerführer war. Irgendetwas zwischen Vierzig und Fünfzig. „Was ist passiert?“

Sein Gesprächspartner schwieg erneut, als würde er abwägen, wie viel er preisgeben konnte. „Gewisse Umstände zwangen mich dazu, den Dienst zu quittieren und mich neu zu orientieren.“

Aus dieser nebulösen Erklärung schloss Yaren, dass Ralan vor Jahren in Ungnade gefallen war und die Insel hatte verlassen müssen. Erstaunlich, dass der Marenash ihn jetzt zurückgeholt hatte. Seine Truppe musste sich wirklich durch außerordentliche Kampffertigkeiten auszeichnen. Was mochte Ashak dem Söldnerführer im Gegenzug geboten haben? Begnadigung? Es war allerdings merkwürdig, dass keiner der Kireshi schon einmal von den Raikari gehört hatte. Gewöhnlich rankten sich um außergewöhnliche Kämpfer schnell Legenden, zumal wenn sie so auffällige Erscheinungen waren wie Ralans Männer.

„Ich habe Eure Frage beantwortet, soweit es mir möglich war“, sagte dieser einen Augenblick später. „Würdet Ihr jetzt die meine beantworten?“

„Ich kann Euch nicht viel über das Mädchen sagen, außer dass sie eine Waise ist. Über ihre Eltern ist nichts bekannt. Wie Ihr sehen könnt, fließt in ihren Adern sowohl inagisches als auch goharisches Blut, aber woher ihre besondere Verbindung zur Kristallenergie rührt, weiß niemand.“

„Eine recht geheimnisvolle Verbündete also.“

Yaren schnaubte. „Sagt der Richtige.“

Ralan gab ein dumpfes Lachen von sich, das allerdings nicht besonders heiter klang. „Nun, ich schätze, jeder hat seine Geheimnisse. Ihr habt sicher auch Eure Gründe, weshalb Ihr die Drachen jagt“, meinte er mit einem Nicken in Richtung der Trophäensammlung um Yarens Hals.

Yaren strich über die langen, gelblichen Zähne, die mit leisem Klacken gegeneinander schlugen. „Was ist mit Euren Männern?“ fragte er anstelle einer Antwort. „Ich schätze, sie kommen alle vom Festland. Wissen sie überhaupt, worauf sie sich eingelassen haben?“

„Weiß das überhaupt einer von uns?“ gab Ralan zurück. „Aber Ihr zielt vermutlich darauf ab, ob meine Männer schon einmal gegen Drachen gekämpft haben. – Wenn es Euch beruhigt: ja, das haben sie.“

Jetzt war Yaren wirklich erstaunt. „Also seid Ihr schon länger auf Inagi?“

„Schon eine geraume Weile. Der Kampf gegen die Drachen lässt sich nur hier trainieren.“

„Wohl wahr.“ Wie es aussah, hatte der Marenash nichts dem Zufall überlassen wollen. Er musste Ralan sofort, nachdem er den Feldzug beschlossen hatte, kontaktiert haben. Nur wie hatten die Söldner ihre Anwesenheit auf Inagi die ganze Zeit über geheim halten können? Sie mussten bei Nacht und Nebel an einem einsamen Küstenabschnitt angelandet und von dort aus abseits der Hauptstraßen in die Berge aufgebrochen sein. Auf keinen Fall hatten sie in einer der Hafenstädte Anker geworfen. Dort verbreiteten sich Gerüchte schneller als ein Feuersturm. Aber aus welchem Grund hatten die Raikari sich verborgen gehalten? Hatte Ashak Sorge gehabt, der Baishar in Gohar könnte argwöhnen, sein Vasall plane einen Aufstand? Die ganze Angelegenheit wurde immer mysteriöser.

***

Ishira vergewisserte sich noch einmal, dass keiner der Raikari sie sehen konnte, bevor sie ihr Kleid abstreifte und über einen niedrighängenden Ast legte. Aus dem kleinen Beutel an ihrem Gürtel holte sie das Stück Seife, das Mebilor ihr vor ihrem Aufbruch aus Inuyara geschenkt hatte. Mit verschmitztem Lächeln hatte er gemeint, dass man selbst in einem Feldlager nicht auf ein Mindestmaß an Annehmlichkeit verzichten könne. Vorsichtig streckte sie ihren Fuß ins Wasser. Es war schneidend kalt, aber die Aussicht, sich endlich wieder richtig waschen zu können, entschädigte dafür mehr als genug. Ishira stieg bis zu den Knien in das Felsbecken und holte Luft, um sich für die Kälte zu wappnen. Dennoch schauderte sie zusammen, als sie in die Hocke ging und das Wasser gegen ihre Brüste schwappte. Rasch rieb sie die bläuliche Seife zwischen den Fingern, bis diese zu schäumen begann. Ishira massierte etwas von dem duftenden Schaum in ihre Haare und verteilte den Rest auf der Haut. Rasch tauchte sie unter, um ihn abzuspülen. Als sie schließlich ans Ufer zurückwatete, war ihr ganzer Körper von einer Gänsehaut überzogen und sie zitterte heftig, aber sie kam sich vor wie neu geboren.

Wasser rann ihr in die Augen. Sie wischte sich die Tropfen mit einer Hand aus dem Gesicht und tastete mit der anderen blind nach ihrem Untergewand. Ihre Finger berührten etwas Pelziges. Mit einem Aufschrei zog sie ihre Hand weg und sprang zurück. Klatschend landete ihr rechter Fuß im Wasser, was sie fast das Gleichgewicht kostete.

Vor ihr erklang ein Keckern. Große blaugraue Augen starrten in ihre. Auf dem Ast, auf dem sie ihre Kleidung deponiert hatte, hockte ein Ipori und hielt ihr Kleid in den Pfoten. Offenbar hatte die leuchtende Farbe des Stoffes ihn angelockt. Das Fell auf seinem buschigen, blau-beige geringelten Schwanz hatte sich aufgestellt wie eine Bürste. Aufgeschreckt machte er Anstalten, mit ihrer Kleidung zu entschwinden. Ohne nachzudenken, fasste Ishira zu und erwischte gerade noch einen Zipfel des Stoffes. „Das könnte dir so passen, du kleines Biest!“ schimpfte sie. „Wirst du wohl meine Sachen los lassen!“

Der freche Waldbewohner fauchte sie an und entblößte dabei kleine spitze Eckzähne. Verbissen zerrte Ishira an ihrem Kleidungsstück, doch der Ipori hatte seine Hinterbeine in die Baumrinde gekrallt und dachte gar nicht daran, seine Beute herzugeben.

In diesem Moment brach Kiresh Yaren durch die Büsche, sein Kesh kampfbereit in der erhobenen Hand. „Was ist pass…?“ Der Rest des Satzes endete in einem eigentümlichen Zischlaut, als hätte ihr Begleiter den Atem durch die Zähne entweichen lassen. Das bizarre Ringen hatte ihm buchstäblich die Sprache verschlagen. Einen langen Augenblick stand er einfach nur da und schaute Ishira und den Ipori entgeistert an, bevor seine Arme langsam herabsanken. Um seine Lippen zuckte es. Erst zog sich ein Mundwinkel nach oben, dann der andere. Unvermittelt begann der Kiresh zu glucksen, dann zu prusten und schließlich brach er in Gelächter aus. Es klang ein wenig rau und schwergängig, als wäre es durch langen Nichtgebrauch eingerostet, aber es war unverkennbar ein Lachen.

Der Ipori hatte genug. Zeternd sprang er den Baum hinauf und verschwand zwischen den Ästen. Ishira merkte es kaum. Ihre Augen hingen an ihrem Begleiter, der sich gerade eine Lachträne von der Wange wischte. Er konnte lachen! Nicht nur lächeln, sondern von Herzen lachen! Der warme Klang ließ Ishiras Atem stocken. Um sie herum schien es heller zu werden, als würde die Sonne durch die Wolken brechen. Die düstere Aura, die den Kiresh gewöhnlich umgab, löste sich auf wie Morgennebel. Mit einem Mal stand dort der Junge, den noch kein tragisches Schicksal verbittert hatte. Nie war Ishira sein Gesicht so anziehend erschienen. Seine grünen Augen sprühten förmlich vor Lebendigkeit. Einer dieser Funken sprang auf Ishira über und entfachte ein Feuer in ihrem Innern. „Ihr solltet das öfter tun“, entfuhr es ihr.

„Was?“ fragte er immer noch erheitert.

„Lachen. Das steht Euch gut zu Gesicht.“ Sie hatte bisher nie bemerkt, wie fein geschwungen seine Lippen waren, wenn er sie ausnahmsweise nicht zusammenkniff.

Ausgerechnet in diesem Moment ging ihr auf, dass sie nackt war. Das Feuer stieg ihr in die Wangen und ließ sie aufflammen. Verspätet bemühte sie sich, ihre Blöße mit dem Stoff ihres Kleides zu bedecken. Das amüsierte Funkeln verschwand aus den Augen des Kiresh und machte einem Ausdruck Platz, dessen Intensität das Feuer in ihrem Innern noch höher lodern ließ. Ihr Begleiter steckte sein Kesh ein und kam auf sie zu. Dabei wichen seine Augen keinen Wimpernschlag von ihr. Einen halben Schritt vor ihr blieb er stehen. Ein herber Duft nach Leder und Wald stieg Ishira in die Nase. Ihr Herz begann zu hüpfen, als würde der Ipori damit Ball spielen. Obwohl Kiresh Yaren sie nicht berührte, vibrierte ihr Inneres wie eine angeschlagene Saite. Alles in ihr schien sich ihm entgegenzustrecken. Das unversehens aufwallende Verlangen, die letzten beiden Handbreit Luft zwischen ihnen zu überbrücken und seinen Körper unter ihren Fingern zu spüren, erschreckte sie. Woher kam auf einmal dieses starke Empfinden?

Der Kiresh hob zögernd eine Hand, als würde ihn derselbe Wunsch leiten. Ishira hielt den Atem an, während sie beobachtete, wie sich seine Hand ihrem Gesicht näherte. Doch bevor seine Finger ihre Wange fanden, zuckte er zusammen, als würde er aus einem Traum erwachen, und wich hastig einige Schritte zurück. Von einem Moment zum nächsten wechselte die Farbe seiner Iris zurück zu ihrem üblichen regengrau. Ishira war verwirrt, dass sie deswegen so etwas wie Enttäuschung verspürte. Hatte sie etwa gehofft, dass er sie berühren würde?

Was ist los mit mir? Er ist ein Gohari, bei allen Göttern! Außerdem war ihr Herz längst vergeben.

Mit einer verloren wirkenden Geste fuhr ihr Begleiter sich über den Nacken. „Wir sollten zurückgehen“, sagte er eine Spur zu rau. Bevor er sich umdrehte, erhaschte Ishira einen Blick auf den plötzlich gequälten Ausdruck in seinem Gesicht. Sie hörte, wie er Luft holte. „Ich warte bei Kouran Ralan“, schickte er hinterher, ehe er mit langen Schritten davon strebte.

***

Nach wenigen Schritten blieb Yaren stehen und lehnte sich gegen einen Baum. So aufgewühlt wollte er dem Kouran und dessen Männern nicht unter die Augen treten. Als er sich über das Gesicht fuhr, merkte er, dass seine Hand bebte. Hatte er eben wirklich gelacht? Es musste Jahre her sein, seit ihm zuletzt der Sinn danach gestanden hatte. Bevor Larika und Peron gestorben waren. Der Laut hatte in seinen eigenen Ohren fremd geklungen, als wäre es nicht er selbst gewesen, der sich diesem unerwarteten Heiterkeitsausbruch hingegeben hatte, sondern jemand anders. Das Lachen hatte etwas unvorstellbar Befreiendes an sich gehabt. Nur hätte es ihn beinahe auch seine Selbstbeherrschung gekostet: Er hatte kaum gemerkt, dass er sich auf Ishira zubewegt hatte, bis er direkt vor ihr gestanden hatte. Der Anblick ihres nackten Körpers, auf dem Wassertropfen glitzerten wie winzige Kristallsplitter, hatte ihn mehr berauscht als jeder Alkohol. Götter, sie war schön wie die Sünde! Er hatte nur noch daran denken können, sie in seinen Armen zu halten und ihre Haut zu streicheln. Ein Verlangen, von dem er geglaubt hatte, dass es zusammen mit Larika gestorben war, und das besser für immer erloschen geblieben wäre, war neu entzündet worden. Yaren atmete zitternd aus in dem vergeblichen Bemühen, seinen Herzschlag zu beruhigen. Er fürchtete sich vor diesem beinahe vergessenen Gefühl, weil er es niemals mehr zulassen konnte. Niemals mehr zulassen durfte. Er krallte die Hand um seine Kehle und schluckte hart. Er musste dagegen ankämpfen! Auf keinen Fall durfte er sein Begehren noch weiter an die Oberfläche steigen lassen!

Als er seine Hand wegzog, ließ er sie in der Luft vor seinem Gesicht schweben und starrte sie an wie ein fremdes Wesen. Langsam, beinahe widerwillig, strich er mit der anderen Hand über seinen Handrücken. Zum ersten Mal rief die ledrige Haut unter seinen Fingern ein bitteres Gefühl hervor. Noch vor wenigen Monden hatte er sich Mebilor gegenüber gebrüstet, dass es an seiner Entscheidung nichts zu bereuen gab, weil er davon überzeugt gewesen war, dass er nach Larikas Tod niemals wieder etwas für eine Frau würde empfinden können.

Wie sehr er sich geirrt hatte!

Kristallblut

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