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KAPITEL V – Jäger und Gejagte
ОглавлениеAls Yaren zum Wald zurückkehrte, hörte er schon von weitem Beruks wütendes Gebrüll. „Bei allen Höllen, wo sind das Mädchen und ihr Bruder hin, Garulan? Habt Ihr nicht auf sie achtgegeben?“
Yaren legte einen Schritt zu. Eine düstere Ahnung beschlich ihn. Er sah, wie sich der hagere Telan unbehaglich wand. „Nun, ich gebe ja zu, dass wir alle ein wenig vom Kampfgeschehen abgelenkt waren und ich sie einen Moment aus den Augen gelassen habe. Aber wer konnte denn ahnen, dass sie nur darauf gewartet hat, dass wir ihr den Rücken zukehren?“
„Wer das ahnen konnte?“ zischte Beruk durch die Zähne. „Ich, Telan! Ich! Warum wohl habe ich Euch eingeschärft, die beiden im Blick zu behalten?“
Die Erkenntnis traf Yaren wie ein Faustschlag in die Magengrube. Ishira war fort. Geflohen.
„Welche Laus ist denn unserem ‚Erubuko’ über die Leber gelaufen, dass er sich davon die Siegesstimmung verderben lässt?“ flüsterte ihm jemand ins Ohr.
Er brauchte sich nicht umzudrehen um zu wissen, dass es Etan war. Wenn irgendwo etwas passierte, war sein alter Mitschüler nicht weit. „Das hörst du doch selbst“, gab er unwirsch zurück. „Ishira und ihr Bruder sind geflüchtet.“
Etan schnaubte belustigt. „Sieh an, die Sklavin hat mehr Mumm in den Knochen, als ich ihr zugetraut hätte.“
Yaren kannte seine Schutzbefohlene inzwischen gut genug, um ihr noch ganz andere Dinge zuzutrauen. Dennoch hatte er nie ernsthaft in Erwägung gezogen, dass sie fliehen würde. Oder hatte er es nur einfach nicht glauben wollen?
„Ich hatte keine offizielle Order, das Mädchen zu bewachen“, verteidigte sich Garulan beleidigt. „Also steht es Euch nicht zu, mir Vorwürfe zu machen. Wenn diese Sklavin Euch dermaßen wichtig war, hättet Ihr einen der Kireshi für diese Aufgabe abstellen müssen. War nicht Kiresh Yaren für sie zuständig?“ Sein Vorwurf traf Yaren, auch wenn er vollkommen ungerechtfertigt war. Als sein Blick sich mit Garulans kreuzte, räusperte zuckte dieser kaum merklich zusammen. „Natürlich tut es mir leid, dass sie verschwunden ist“, ruderte er hastig zurück. „Eine äußerst bedauerliche Entwicklung.“
„Wie schön, dass es Euch leid tut“, höhnte Beruk. „Nur leider hilft uns das nicht weiter. Oder bietet Ihr Euch freiwillig an, die beiden zurückzuholen?“
Garulans Kehlkopf hüpfte nervös auf und ab. „Nun…“
„Ich werde sie zurückholen“, fuhr Yaren dazwischen. „Insoweit gebe ich Telan Garulan Recht: Ishira ist meine Schutzbefohlene.“
„Das Mädchen hat Euren Stolz verletzt, wie?“ brummte der Bashohon. „Ich kann verstehen, wie Ihr Euch fühlt.“
Ihr versteht überhaupt nichts!
„Brauchen wir das Mädchen überhaupt?“ meldete sich Koban zu Wort. „Kiresh Yaren hat bereits gestern Abend vor einem möglichen Angriff der Drachen gewarnt. Sind wir nicht genauso gut oder sogar besser beraten, wenn wir uns auf seine Erfahrung verlassen statt auf diese Sklavin, die es doch im Herzen begrüßen würde, wenn die Drachen uns alle töteten?“
Yaren durchzuckte es wie ein Stich. „Hätte sie uns dann gewarnt?“ verteidigte er Ishira ohne nachzudenken.
„Sie hatte keine große Wahl, wir hatten schließlich ihren Bruder in der Gewalt“, erinnerte ihn der Telan. „Möglicherweise gehörte es sogar zu ihrem Plan. Der Angriff der Drachen war für die beiden die perfekte Ablenkung.“
„Dennoch könnt Ihr nicht leugnen, dass Ishira uns heute einen unschätzbaren Dienst erwiesen hat“, beharrte Yaren. „Ich hatte lediglich die vage Vermutung eines Angriffs und ich hätte nicht so früh damit gerechnet. Noch hätte ich auch nur annähernd die Anzahl unserer Gegner abschätzen können. Sie hingegen wusste es.“ Wie unheimlich dieses Wissen war, wollte er in diesem Moment ebenso wenig an sich heranlassen wie die Worte Kobans. „Könnt Ihr auf diesen Vorteil so leichtherzig verzichten?“
Helon, der bis jetzt geschwiegen hatte, strich sich nachdenklich über sein markantes Kinn. „Ohne die Sklavin wäre die Schlacht womöglich verlustreicher ausgegangen“, sprach er aus, worauf Yarens Argumente abzielten.
„Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass wir Ishiras Hilfe vielleicht auch benötigen, um das Problem mit der Kristallenergie in den Griff zu bekommen“, gab Mebilor zu bedenken.
Der Blick des Shohon glitt zu Yaren. „Weit können die beiden noch nicht gekommen sein. Ihr kennt das Mädchen am besten, also reitet los und bringt sie so schnell wie möglich zurück.“
„Wenn Ihr erlaubt, Shohon, werde ich Kiresh Yaren begleiten“, erklärte Etan. „Zu zweit finden wir sie schneller.“
Helon gab ohne Zögern sein Einverständnis. Yaren unterdrückte einen Einwand. Auch wenn er es vorgezogen hätte, allein zu reiten, konnte er die Wahrheit in Etans Worten nicht abstreiten. Falls Ishira und ihr Bruder es wider Erwarten bis zum Bach geschafft hatten, würde ein zweiter Mann nützlich sein. Wenn sie sich aufteilten, konnten sie ein größeres Gebiet durchkämmen und es würde für die Ausreißer schwieriger sein, an ihnen vorbei zu schlüpfen.
„Ich wünsche Euch Erfolg“, fügte der Shohon hinzu. „Aber wenn Ihr das Mädchen und ihren Bruder bis Sonnenuntergang nicht gefunden habt, lasst sie laufen und kehrt um.“
Yaren nickte knapp und stiefelte zu den Pferden hinüber, die noch immer unruhig an ihren Zügeln zerrten. Etan folgte ihm dichtauf.
„Schau nicht so grimmig drein. Wir werden die Kleine schon zurückholen.“
Darauf kannst du wetten!
Yaren maß seinen Waffengefährten mit einem argwöhnischen Blick. „Warum willst du eigentlich unbedingt mitkommen?“
Etan lächelte rätselhaft. „Ich lasse mir nie eine gute Jagd entgehen.“
Yarens Hengst empfing ihn mit einem freudigen Schnauben, doch als Bokan der Geruch des Drachenblutes in die Nüstern stieg, der seiner Kleidung anhaftete, stampfte er mit den Hufen und verdrehte die Augen. Yaren klopfte ihm beruhigend den Hals. „Alles ist gut“, murmelte er, obwohl nichts gut war. Während er Bokan mit der Satteldecke trocken rieb, schimpfte er lautlos vor sich hin. Dieses törichte Mädchen! Was für eine Verrücktheit hatte sie sich da wieder ausgedacht? Ohne Waffen und Vorräte in den Wald zu laufen, als wäre es ein Spaziergang im Garten! Sie war so unglaublich unbesonnen, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Genau wie damals, als sie über die Palisaden zu ihren Brüdern geklettert war, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden.
In seinem Ärger ließ Yaren den Sattel so hart auf Bokans Rücken fallen, dass der Hengst erschrocken zusammenzuckte. Reumütig tätschelte er dessen Hals. „Tut mir leid, mein Alter.“
Er zog den Holzpflock aus dem Boden, der die Zügel an Ort und Stelle hielt und verstaute ihn in seiner Satteltasche. Er hätte sich dafür ohrfeigen können, dass er Ishiras Flucht sogar noch Vorschub geleistet hatte, indem er sich dafür eingesetzt hatte, dass ihr Bruder weniger scharf bewacht wurde. Er hatte ihrem Wort leichtfertig Glauben geschenkt, obwohl er ebenso wie Beruk und Koban genau gewusst hatte, dass sie der Armee nur um ihres Bruders willen half. Dennoch lag ihm die Enttäuschung wie ein Stein im Magen.
„Es wäre besser gewesen, wenn der Marenash den Jungen im Palast hätte in Gewahrsam nehmen lassen und nicht mit auf den Feldzug geschickt hätte“, sagte Etan.
Yaren antwortete nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen. Vielleicht hätte Ishira aber auch trotzdem versucht zu fliehen. Sein Blick fiel auf ihre Satteltasche, die neben seiner eigenen lag. Aus einem Impuls heraus schlug er die Lederklappe zurück. Obenauf lag das längliche Bündel, das er auf den ersten Blick als ihr Rehime erkannte. Sie hatte das Instrument nicht mitgenommen. Seine Enttäuschung flaute ein wenig ab. Also hatte sie ihre Flucht nicht geplant, sondern einer spontanen Idee nachgegeben. Er widerstand dem Drang, das Instrument zu berühren, und ließ die Klappe langsam zufallen.
Und? fragte eine hämische Stimme in seinem Kopf. Was nützt dir diese Erkenntnis? Fort ist das Mädchen so oder so.
Der Stein in seinem Magen legte an Gewicht zu. Er wollte nicht daran denken, dass er Ishira vielleicht nie wiedersehen würde. Sie war in den letzten Monden so sehr Teil seines Lebens geworden, dass er sich nicht mehr vorstellen konnte, ohne sie zu sein. Es war mehr als schlichtes Verlangen, das ihn zu ihr hinzog. Ishira hatte es irgendwie geschafft, sich vor die Schatten seiner Vergangenheit zu schieben und die Schrecken verblassen zu lassen. Seine Rache an den Drachen zu vollenden und sein Leben im Kampf zu beschließen, war nicht mehr der einzige ihn beherrschende Wunsch. Dass er wieder lachen konnte, war ihm im Gegenteil wie ein Zeichen erschienen, dass es vielleicht doch eine Zukunft gab, die auf ihn wartete. Wollten die Götter ihn jetzt für seine frevelhaften Hoffnungen bestrafen?
Er richtete sich auf und drehte sich zu Etan um. „Fertig?“
Sein Waffengefährte saß bereits im Sattel „Ich bin bereit.“ Er taxierte Yaren mit einem seltsam stechenden Blick. Etan musste ihn dabei beobachtet haben, wie er Ishiras Satteltasche geöffnet hatte. Wie es schien, hatte er daraus die falschen Schlüsse gezogen. Oder die richtigen…
Yaren schwang sich gleichfalls in den Sattel. „Also los.“ Er drückte Bokan die Absätze seiner Stiefel in die Flanken. Der Hengst warf den Kopf zurück und galoppierte los. Es war nicht schwer, den Flüchtigen durch die Talenge zu folgen, wo das Terrain den Weg vorgab. Solange er Ishira und ihren Bruder einholte, bevor sie den Bach überquerten, konnten sie ihm nicht entkommen.
***
Ishira war überrascht, wie schnell sie selbst zu Fuß wieder am Bach anlangten. Ihrem Empfinden nach musste es später Vormittag sein. Sie hatten die Strecke, für welche die Armee beinahe einen ganzen Tag benötigt hatte, in nicht einmal der Hälfte der Zeit zurückgelegt. Beim Anblick des glitzernden Bandes meldete sich mit aller Macht ihr Durst zurück, der sie schon eine ganze Weile quälte. Sie trat auf die vordere Rampe und beugte sich vor, um eine Handvoll des klaren, kalten Wassers zu schöpfen. Es schmeckte köstlicher als jedes Getränk, das sie je gekostet hatte, und sie musste an sich halten, nicht zu schnell zu trinken. Wieder und wieder tauchte sie ihre ineinandergelegten Hände ins Wasser, bis ihr Durst endlich gestillt war. Neben ihr tat Kenjin es ihr gleich. Sie hörte sein erlöstes Seufzen, als er sich schließlich die Tropfen vom Mund wischte. Dafür forderte jetzt auch Ishiras Magen sein Recht. Nur, wie sollten sie etwas zu essen beschaffen? Sie versuchte, das nagende Hungergefühl zu ignorieren, und schaute sich um. Bisher hatten sie sich keine Gedanken darüber machen müssen, dass sie Spuren hinterlassen könnten, doch jetzt sah die Sache anders aus. Im feuchten Untergrund würden ihre Füße sich tief genug eindrücken, um für das kundige Auge erkennbare Spuren zu hinterlassen – und ein erfahrener Fährtenleser würde ihr Verfolger zweifellos sein. Ishira hatte so eine Ahnung, wer kommen würde. Sofern die Drachen ihn nicht verwundet hatten – an Schlimmeres wagte sie nicht einmal zu denken –, würde Kiresh Yaren es als eine Frage seiner persönlichen Ehre ansehen, sie zurückzuholen. Wenigstens hatten die Gohari keinen ihrer schrecklichen Bluthunde mit auf den Feldzug genommen…
Unschlüssig erwog Ishira ihre Alternativen. Sollten sie auf dem von den Gohari durch den Wald gepflügten Pfad weitergehen? Die Armee hatte den Boden dermaßen aufgewühlt, dass Fußspuren, die in umgekehrter Richtung verliefen, unmöglich von den übrigen zu unterscheiden waren. Dafür würden sie es ihren berittenen Verfolgern auf diese Weise leicht machen, sie einzuholen. War es also besser, sich in die Wildnis zu schlagen? Je weiter sie sich allerdings von der einzigen Wegmarkierung, die sie hatten, entfernten, desto größer wurde die Gefahr, sich zu verirren.
Ihr Bruder war bereits zum jenseitigen Ufer gewechselt und winkte sie mit heftigen Bewegungen zu sich. Sie laut zu rufen wagte er nicht, um etwaigen Verfolgern nicht ihren Standort zu verraten. Ishira warf einen letzten Blick zurück und lauschte, aber das Gluckern des Baches schluckte alle übrigen Geräusche. Sie raffte ihr Kleid und rannte durch das Wasser zur gegenüberliegenden Rampe.
„Was ist bloß mit dir los?“ schimpfte Kenjin. „So kenne ich dich gar nicht. Stehst wie eine Zielscheibe in der Landschaft herum. Lass uns endlich verschwinden! Oder willst du, dass sie uns kriegen?“
Ishira schüttelte stumm den Kopf, obwohl das Ziehen in ihren Eingeweiden bei jedem Schritt stärker wurde, als würde sich ein unsichtbarer Faden straff ziehen. Instinktiv überließ sie sich Kenjins Führung, der für den Moment eher Herr der Lage war als sie und genau zu wissen schien, was zu tun war. Hinter ihrem Bruder tauchte sie wieder in das dämmerige Licht des Zedernwalds ein. Nach kurzer Zeit verließen sie den aufgeworfenen Pfad, der sich wie eine Wunde durch den Waldboden zog, und suchten sich ihren Weg zwischen den Farnen. Das erschwerte zwar das Vorankommen, doch dafür konnten sie weniger leicht entdeckt werden. Dabei wählte Kenjin mit Bedacht eine Route, die in etwa parallel zur derjenigen verlief, auf der sie mit dem Heer gekommen waren, sich jedoch außer Sichtweite von dieser hielt. Leider wichen die Zedern bereits wenig später dem lichten Bambuswald. Zwischen den schlanken Stangen gab es bis auf die wenigen Felsen kaum Verstecke.
Ein Windstoß ließ den Bambus über ihren Köpfen mit melodischem Klacken gegeneinander schlagen. Gewöhnlich empfand Ishira diesen Ton als angenehm und beruhigend, doch jetzt zerrte er an ihren Nerven. Alle paar Schritte sah sie sich über die Schulter um, ob ein Reiter durch den Bambus brach. Jedes Mal, wenn sie einen Schatten zu erblicken glaubte, ging es ihr durch und durch, und jedes Mal stieß sie zitternd die Luft aus, wenn sie erkannte, dass ihre Augen ihr einen Streich gespielt hatten.
An einem kleinen Felsen mit scharfrandigen Graten verhielt Kenjin seinen Schritt. „Vielleicht kriege ich hiermit die verdammten Fesseln ab.“ Er drückte den Strick gegen einen der Grate und bewegte seine Hände mit einer sägeartigen Bewegung auf und ab.
Irgendwo hinter ihnen raschelte es. Obwohl das Geräusch für ein Pferd zu leise war, fuhr Ishira herum. Aus einer der Bambusstauden kam ein Keiko getrippelt. Beinahe hätte Ishira aufgelacht. Als der Nager ihrer ansichtig wurde, verharrte er kurz, die Schnauze witternd in die Luft gereckt, bevor er in den Schutz einer anderen Staude davon huschte.
Neben ihr mühte Kenjin sich weiter mit seinen Fesseln ab. Der Strick war zwar bereits deutlich aufgeraut und einzelne Fasern gerissen, aber noch hielt er. Nervös blickte Ishira sich um. „Beeil dich“, flüsterte sie.
„Das sagst du so leicht“, keuchte ihr Bruder. Vor Anstrengung lief ihm der Schweiß über die Schläfen, doch endlich stieß er einen triumphierenden Laut aus. Ein letzter Ruck und die Fesseln fielen auf die Felsen. Kenjin seufzte erleichtert. „Endlich.“
Während sie weitereilten, beruhigten sich Ishiras Nerven langsam und sie zuckte nicht mehr bei jedem Windstoß zusammen. Sie begann sogar, sich der Hoffnung hinzugeben, dass sie den Fängen der Gohari entkommen waren, als dumpfes Poltern ihre Ohren streifte. Das war nicht der Bambus! Das harte Klacken klang zu regelmäßig. Hufschläge! Jemand kam über die Rampen! Angst wusch über sie hinweg, doch nicht nur Angst allein. „Lauf schneller, Kenjin! Die Gohari sind am Bach!“
„Was?“ Ihr Bruder versuchte im Laufen zu lauschen und übersah dabei einen Bambusspross, der sich erst eine Handbreit aus dem Boden geschoben hatte. Er stolperte und stieß mit der Schulter gegen einen der größeren Halme, der raschelnd nachgab. Mit einem verhaltenen Fluch packte Kenjin ihn, um weiteres verräterisches Schwanken zu verhindern. „Sie sind schnell“, zischte er. „Ich hatte gehofft, uns bliebe mehr Zeit.“
Das hatte Ishira auch gehofft.
Der Hufschlag war verklungen. Hatte der Reiter den schwankenden Bambus gesehen? Oder hatte er sein Pferd nur gezügelt, um sich umzusehen? Oder hatte er überhaupt nicht angehalten, sondern schluckte der Untergrund das Geräusch? War es wirklich Kiresh Yaren? Und war er allein? Hektisch blickte Ishira über ihre Schulter. Sie bildete sich ein, aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu erhaschen, und duckte sich, aber als sie genauer hinschaute, sah sie nichts als Bambus und Felsen.
„Da hinüber“, wisperte ihr Bruder und wies mit dem Kinn die Richtung. „Der Felsen da drüben bietet bessere Deckung.“
Bemüht, kein unnötiges Geräusch zu verursachen, schlichen sie weiter, bis sie den Felsen erreichten. Sie pressten sich mit dem Rücken gegen das kalte Gestein und lauschten. Vorsichtig spähte Ishira um die Ecke, zog den Kopf jedoch sofort zurück, als nicht weit entfernt Kiresh Etans unverkennbare Stimme erklang. „Yaren? Sieh du da drüben nach, ich übernehme diese Seite!“
Ishiras Herzschlag beschleunigte sich. Obwohl sie wusste, dass die Nähe ihres Begleiters kein Grund zur Freude war, überwog die Erleichterung, dass er den Kampf gegen die Amanori unbeschadet überstanden hatte. Verhaltenes Hufgetrappel war zu hören. Ishira konzentrierte sich wieder auf ihre gegenwärtige Situation. Ihre Verfolger waren zu zweit und sie hatten sich aufgeteilt. Kenjin und sie saßen in der Falle. Sobald sie die Deckung des Felsens verließen, würde einer der beiden Reiter sie sehen. Wenn es wenigstens schon etwas dunkler gewesen wäre! Aber es würde noch mehrere Sanddurchläufe dauern, bis die Dämmerung einsetzte. Sie konnten kaum darauf hoffen, so lange unentdeckt zu bleiben, zumal das hier alles andere als ein sicheres Versteck war. Beide Verfolger besaßen genug Erfahrung um zu wissen, wo sie zwei entflohene Sklaven zu suchen hatten. Davon abgesehen bot dieser Wald nicht allzu viele Möglichkeiten, sich zu verbergen.
Es machte Ishira schier verrückt, dass sie die Reiter nicht sehen konnte, sondern darauf angewiesen war, aus dem Rascheln von trockenen Bambusblättern und gelegentlichem Hufschlag deren Position zu erraten. Wenigstens klang es so, als hätte sich Etan wieder ein Stück entfernt. Sie rieb die schweißfeuchten Hände an ihrem Kleid trocken und sah zu Kenjin. Ihr Bruder stand da wie ein fluchtbereites Reh und schien verzweifelt nach einem rettenden Einfall zu suchen. Ishira begann sich Vorwürfe zu machen, dass sie seinem verrückten Plan zugestimmt hatte. Vielleicht sollte sie sogar dankbar sein, wenn ihre Verfolger sie stellten, bevor sie sich hoffnungslos verirrten, von wilden Tieren angefallen wurden oder schlicht vor Hunger nicht mehr weiterkonnten. Es war naiv gewesen davonzulaufen, ohne im Geringsten vorbereitet zu sein. Wenn überhaupt, hätte sie mit Kenjin doch erst heute Nacht fliehen sollen, nachdem sie zumindest einige Nahrungsmittel beiseite geschafft hatte. Aber es gab sich wohl nicht viel. Im Dunkeln hätten andere Gefahren gelauert und die Gohari wären so oder so gekommen.
Plötzlich holte ihr Bruder aufgeregt Luft. „Ich hab‘ eine Idee“, flüsterte er. „Ich werde auf den Felsen klettern, während du den Kiresh, der gerade gesprochen hat, hierher lockst, ohne dass er dich bemerkt. Am besten wirfst du einen Stein oder Stock, so dass man das Rascheln auch für ein Tier halten könnte. Sobald er unter mir vorbeireitet, lasse ich mich fallen und werfe ihn vom Pferd. Während ich mich um den Gohari kümmere, greifst du nach den Zügeln und hältst sein Pferd fest. Wenn wir erst ein Reittier haben, holt uns niemand mehr ein.“ Er grinste sie erwartungsvoll an. „Na, was sagst du?“
Ishira glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Sie sind zu zweit! Was ist mit Kiresh Yaren?“
„Wenn die beiden weit genug auseinander sind, bekommt er von alldem gar nichts mit, bis wir weg sind.“
Sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Bei ihrem Bruder klang das alles so berückend einfach. „Und wie, bitteschön, willst du Kiresh Etan ohne Waffe außer Gefecht setzen?“
„Hier gibt’s doch genug Steine.“ Er sah sich um. „Der da zum Beispiel.“ Er bückte sich und hob einen faustgroßen Stein auf, der in einer kleinen Höhlung zu ihren Füßen gelegen hatte. Kenjin wog den Stein in seiner Hand. „Perfekt“, sagte er zufrieden.
Ishira sah erst den Stein und dann wieder ihren Bruder an. „Wenn wir die Hand gegen einen Gohari erheben, werden sie uns töten, ist dir das eigentlich klar, Ken?“
„Dazu müssen sie uns erst fangen“, gab Kenjin selbstbewusst zurück. „Außerdem glaube ich nicht, dass sie uns töten würden. Wenn sie so leicht auf uns verzichten könnten, würden sie sich nicht die Mühe machen, uns zu verfolgen. Sie brauchen dich – und damit auch mich.“
Ishira war sich da zwar nicht so sicher, aber wenn Kenjins Plan gelang, brauchten sie sich darüber keine Gedanken zu machen. Auch wenn seine Idee waghalsig war: sie konnte funktionieren. Die einzige Alternative war, darauf zu warten, dass die Gohari die Suche abbrachen, und das würden sie nicht tun. Kiresh Yaren gab niemals auf. Sollten sie sich auf ein zermürbendes Versteckspiel einlassen? War es nicht besser zu handeln und ihre Gegner zu überrumpeln? Zumal sie ein Pferd in der Tat gebrauchen konnten.
„Also gut“, wisperte sie. „Machen wir es, wie du gesagt hast.“
Kenjin steckte den Stein mit einem zuversichtlichen Lächeln in den Ausschnitt seiner Tunika. „Du wirst sehen, Nira, das klappt schon.“
Er stellte den rechten Fuß auf einen kleinen Vorsprung und suchte mit den Händen Halt in einer der zahlreichen Felsritzen. Als er sich hochziehen wollte, gab Ishira ihm ein Zeichen, noch zu warten. „Lass mich erst sehen, wo unsere Verfolger sind.“
Im Schutz eines Grasbüschels schob sie ihren Kopf Fingerbreit um Fingerbreit um den Felsen, die Ohren gespitzt wie ein Uboshi, der seinen Jäger gewittert hatte. Zuerst sah sie nur Grün, doch dann tauchte Etan in einigen Schritten Entfernung hinter einem Felsen auf. Er ritt langsam und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, um die Landschaft um ihn herum zu mustern. Ishira kniff die Augen zusammen. Kiresh Yaren war nirgendwo zu entdecken. Doch ganz bestimmt war er irgendwo in Hörweite. Einen Moment lang überlegte sie, ob es besser gewesen wäre, wenn er auf dieser Seite gesucht hätte. Er hätte ihnen einen Angriff möglicherweise eher verziehen. Andererseits war sie froh, dass Etan das Opfer sein würde. Sie war nicht sicher, ob sie hätte zusehen können, wie ihr Bruder Kiresh Yaren mit einem Stein niederstreckte.
„Etan ist ziemlich nah, also sei vorsichtig, damit er dich nicht zu früh entdeckt“, flüsterte sie Kenjin zu.
„Was denkst du denn?“
Er drehte sich um und begann, den Felsen hinaufzuklettern, wobei er ein erstaunliches Geschick an den Tag legte. Als er oben war, duckte er sich und schob sich flach über die Kante. Ishira hielt den Atem an. Glücklicherweise war der Felsen auch auf der Oberseite mit Grasbüscheln bewachsen, die Kenjin von unten etwas Sichtschutz boten. Kurz darauf gab er ihr ein Zeichen, dass er bereit war und Etan sich noch immer ein Stück links von ihnen befand. Ishira nickte. Sie hob eine Handvoll kleiner Steine vom Boden auf und warf sie in die Bambusstaude schräg rechts hinter ihnen, was in den am Boden liegenden trockenen Blättern ein vernehmliches Rascheln hervorrief. Das würde ganz sicher Etans Aufmerksamkeit wecken! Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, während sie dicht an den Fels gepresst wartete. Sie hörte das Knarren eines Sattels und das Schnauben eines Pferdes. Etan musste ganz nah sein. Dann das Geräusch losgetretener Steine, ein überraschter Ausruf und ein dumpfer Aufprall. Etans Pferd wieherte schrill. Ishira sprang vor. Ihr Bruder hatte es tatsächlich geschafft, den Kiresh vom Pferd zu reißen. Die beiden rollten auf dem Boden umher, Kenjin obenauf. Ishira packte die Zügel des Hengstes und versuchte vergeblich, das Tier zu beruhigen, während Kenjin mit Etan rang. Obwohl ihr Bruder kleiner war als der Gohari, erwies er sich durch die schwere Arbeit in der Mine als ebenbürtig an Muskelkraft. Während der Kiresh noch versuchte, ihn abzuschütteln, holte Kenjin mit dem Stein aus und schlug hart zu. Etans Körper erschlaffte. Ishira sah einen dünnen Faden Blut an seiner Schläfe entlang rinnen. Kenjin hatte ihn bewusstlos geschlagen – hoffentlich nur das. Er riss seinem Gegner die beiden Schwerter aus dem Gürtel und sprang auf. Das kurze Schwert steckte er in seinen eigenen Gürtel, das lange behielt er in der Hand.
Ishira konnte den aufgeregten Rappen kaum noch halten. „Steig auf!“ zischte sie Kenjin zu. „Schnell!“
Er griff nach der Mähne und versuchte, seinen Fuß in den Steigbügel zu stellen, doch der Hengst bockte und keilte aus, so dass Kenjin, der zudem von Etans Waffe behindert wurde, immer wieder genötigt wurde, den Hufen auszuweichen.
„Etan?“ schallte jetzt auch noch Kiresh Yarens Stimme durch den Wald. „Etan, was ist los?“
Hinter ihnen rührte der Gerufene sich und tastete stöhnend nach der Beule an seiner Stirn.
„Jetzt mach schon, Ken!“ fuhr Ishira, der die Nerven durchzugehen drohten, ihren Bruder an.
„Wie denn?“ schrie er zurück. „Halt doch endlich das verdammte Pferd ruhig!“
„Versuche ich ja!“
Sie hätte früher daran denken sollen, dass Pferde Angst vor ihr hatten. Rondar hatte es damit zu erklären versucht, dass die goharischen Rösser keine Inagiri gewöhnt waren, doch Ishira hegte mittlerweile den Verdacht, dass auch dieses Phänomen mit ihrer seltsamen Verbindung zur Kristallenergie zusammenhing. Endlich bekam sie mit der rechten Hand das Kinnstück des Zaumzeugs zu fassen und hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht hinein, so dass der Hengst wenigstens seinen Kopf nicht mehr herumwerfen konnte.
Ihr Bruder schaffte es im selben Moment, sich in den Sattel zu ziehen, als Etan sich auf dem linken Ellbogen aufrichtete. Er streckte Ishira die Hand hin. „Spring auf!“
Der Rappe stand jetzt halbwegs ruhig, so als hätte er sich in sein Schicksal gefügt. Sie griff nach Kenjins ausgestreckter Hand und schwang sich ungeschickt hinter ihm auf den Pferderücken. Beinahe wäre sie abgerutscht, doch ihr Bruder hielt ihre Hand fest und gab ihr Halt, bis sie sicher im Sattel saß. Von links preschte Kiresh Yaren heran. Ishira sah einen Moment lang deutlich sein verblüfftes Gesicht, bevor Kenjin den Hengst herumriss und ihm die Hacken in die Flanken stieß. Er machte sich erstaunlich gut dafür, dass er zum ersten Mal ein Pferd ritt. Offenbar hatte er durch Beobachtung gelernt.
„Bleibt stehen!“ brüllte Kiresh Yaren hinter ihnen her.
Kenjin dachte gar nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Im Gegenteil versuchte er mit anspornenden Rufen, ihr Reittier zu noch schnellerem Lauf anzutreiben. Ishira legte die Arme um seine Taille, um nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden. Hinter ihnen stieß Kiresh Yaren eine Verwünschung aus und nahm die Verfolgung auf. Kenjin lenkte den Hengst gefährlich nah an den Bambusstauden vorbei. Die scharfrandigen Blätter eines überhängenden Stängels streiften Ishiras Knie und hinterließen rote Striemen auf ihrer Haut. Etans Rappe stürmte dahin wie der Wind. Dennoch holte Kiresh Yaren auf. Plötzlich tauchte er an ihrer linken Seite auf. Er hatte sich vorgebeugt und stand halb im Sattel. Sein Kiefer war so fest zusammengepresst, dass die Sehnen an seinem Hals vortraten. Seine Augen bildeten schmale Schlitze, aber Ishira hätte nicht sagen können, ob er wütend war oder nur hochkonzentriert. Immer weiter schob er sich neben sie, bis er auf gleicher Höhe war. Er wechselte die Zügel in die linke Hand und streckte in dem Versuch, das Zaumzeug des Rappen zu fassen zu bekommen, den Arm aus. Kenjin wollte abschwenken, doch der Bambus war zu dicht. Fluchend ließ er die Zügel schießen und zog Etans Waffe. Ishiras Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus, als er mit der Klinge nach dem Kiresh hieb.
Anstatt seine Hand zurückzuziehen, riss dieser seinen Arm hoch und packte Kenjin am Handgelenk. Ishiras Bruder schrie auf. Bevor er sich befreien konnte, verdrehte Kiresh Yaren ihm brutal die Hand, so dass Kenjin das Kesh mit einem Schmerzlaut fallen ließ. Die Klinge wirbelte durch die Luft und streifte im Fallen die Flanke von Etans Hengst. Der Rappe stieß ein erschrockenes Wiehern aus und brach zur Seite aus. Ishira fühlte, wie es sie aus dem Sattel hob.
Im nächsten Moment fand sie sich auf dem Boden wieder. Der harte Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen. Schultern und Rückgrat schmerzten, als hätte sie sich sämtliche Knochen gebrochen. Keuchend rang sie nach Atem und erntete heftigen Protest ihrer Rippen. Neben ihr bewegte sich jemand. Kenjin. Stöhnend rappelte ihr Bruder sich auf. Als Ishira den Kopf hob, sah sie Kiresh Yaren aus dem Sattel steigen. Er hatte es irgendwie geschafft, beide Pferde zum Stehen zu bringen. Die Flanken von Etans Hengst bebten und als er schnaubend den Kopf schüttelte, stob Schaum von seinem Maul. Ishira stützte die Hände auf und setzte sich auf. In ihrem Rücken knackte es, als sich ihre Wirbel wieder in die richtige Position schoben. Durch einen Tränenschleier sah sie den Kiresh auf sich zukommen, nachdem er die Zügel der Pferde in aller Eile zusammengeschlungen hatte. Sie blinzelte, um ihren Blick zu klären. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass sein Kesh noch im Gürtel steckte.
Kenjin kam taumelnd auf die Füße. Er griff in seinen Gürtel, doch das kurze Schwert war fort. Es musste sich beim Sturz gelöst haben. Den Ahnen sei Dank, konnte ihr Bruder nicht noch einmal auf die wahnsinnige Idee kommen, den Kiresh anzugreifen. Kenjin blickte sich hektisch um und sprang plötzlich ein Stück nach links. Als er sich bückte, ging Ishira auf, dass er Etans Kesh gefunden hatte. Neuerlicher Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie richtete sich mühsam auf den Knien auf. „Nicht, Kenjin! Bist du verrückt? Du hast gegen ihn keine Chance!“
Ihr Bruder stellte sich taub. Er hob das Kesh und hielt es drohend vor sich. „Bleibt zurück!“ rief er Kiresh Yaren zu.
Der Kiresh verhielt nicht einmal den Schritt. „Steck die Waffe weg, Junge. Ich kämpfe nicht gegen ein Kind.“
Damit traf er genau Kenjins empfindlichen Nerv. Ishiras Bruder lief vor Wut rot an. „Ich bin kein Kind mehr!“ schrie er und fuchtelte mit der Waffe vor ihrem Begleiter herum. „Ihr habt meine Schwester lange genug drangsaliert! Verschwindet endlich und lasst uns in Frieden!“
„Hör auf, Ken!“ rief Ishira flehentlich. „Du kannst nicht gewinnen!“
Kenjin blieb stur. Der Körper des Kiresh spannte sich. Mit bloßen Händen stürzte er sich auf ihren Bruder. Sie schrie auf, als dessen Klinge zustieß, doch ihr Begleiter wich dem Kesh mit Leichtigkeit aus und duckte sich unter Kenjins ausgestreckten Arm weg. Bevor dieser wusste, wie ihm geschah, hatte Kiresh Yaren ihn von hinten gepackt und drückte ihm den linken Unterarm gegen die Kehle. Mit der anderen Hand umklammerte er Kenjins Schwertarm am Ellbogen und machte ihn somit bewegungsunfähig. Mit einem gezielten Fußtritt schlug er ihrem Bruder das Kesh aus der Hand. Dann drehte er ihm den Arm auf den Rücken. Kenjin schluchzte auf, mehr vor Wut als vor Schmerz.
Ishira machte sich darauf gefasst, dass der Kiresh sie schlagen, anschreien oder zumindest zur Rede stellen würde, doch er sah sie nur mit der für ihn so typischen ausdruckslosen Miene an. „Es war dumm von euch wegzulaufen“, sagte er. „Damit habt ihr Helons Wohlwollen verspielt.“ Seine Stimme klang unnatürlich flach, als wäre er bestrebt, jede Emotion darin zu unterdrücken.
Sie senkte den Kopf, unfähig seinem Blick länger standzuhalten. Sie hatten verloren. Die Götter wollten nicht zulassen, dass sie von dem Weg abwich, den sie ihr vorgezeichnet hatten. Aber am meisten schämte sie sich dafür, dass ein Teil von ihr darüber froh war.
„Elendes Sklavengezücht!“ zischte eine Stimme hinter ihnen.
Ishira fuhr herum. Etan humpelte auf sie zu, nackte Wut in den Augen. Mit der linken Hand hielt er sich ein zusammengefaltetes Tuch an den Kopf, auf dem sich ein großer roter Fleck gebildet hatte. Sein brennender Blick fixierte Kenjin. „Dafür wirst du bezahlen.“ Er ließ das Tuch fallen und bückte sich, um sein Kesh aufzuheben.
„Nein!“ Ishira vergaß ihre schmerzenden Rippen und sprang auf.
Mit einer halben Drehung stellte Kiresh Yaren sich zwischen Kenjin und Etan. „Was hast du vor? Willst du den Jungen umbringen?“
„Ich gratuliere zu deinem Scharfsinn, Yaren. Und jetzt tritt zur Seite!“
Ishiras Begleiter rührte sich nicht.
„Verdammt noch mal, Yaren!“ schrie Etan ihn an. „Was ist los mit dir? Die kleine Ratte hat dich doch genauso angegriffen! Willst du ihn damit etwa davonkommen lassen?“
„Davon ist keine Rede“, konterte Kiresh Yaren ruhig. „Aber es ist nicht an uns, über seine Strafe zu befinden, sondern am Shohon. Vergiss nicht, weshalb der Junge hier ist.“
Etans Augen verengten sich. „Ich frage mich eher, ob du nicht etwas vergessen hast.“
„Was willst du damit sagen? Warst du aus diesem Grund so versessen darauf, mich zu begleiten? Dachtest du, ich würde das Mädchen und ihren Bruder womöglich laufen lassen?“
„Sagen wir, ich wollte sichergehen, dass du die richtige Entscheidung triffst.“
Kiresh Yaren schnaubte. „Die richtige Entscheidung? Hast du allen Ernstes geglaubt, eine Sklavin könnte mich vergessen lassen, wem meine Loyalität gehört?“ Er nickte in Richtung der Pferde. „Lass uns zurückreiten.“
Ishira atmete auf, als der andere sein Kesh wegsteckte, obwohl die Worte ihres Begleiters sie trafen wie Peitschenhiebe.
„Wir beide werden reiten“, erklärte Etan. „Die da werden zu Fuß gehen, wie es sich für entflohene Sklaven geziemt.“
Kiresh Yaren stieß entnervt die Luft aus. „Jetzt verkompliziere die Dinge nicht unnötig, Etan. Ich will nicht noch mehr Zeit vergeuden.“
„Wer vergeudet hier Zeit? Wir bläuen deinen Sklaven nur den nötigen Respekt ein.“ Etans Lippen verzogen sich zu einem bösartigen kleinen Lächeln. „Wenn du es eilig hast, lass sie eben schneller laufen.“