Читать книгу Böse Obhut - Patricia Weiss - Страница 11
2
ОглавлениеWenig später klopfte Gilda an Lauras Tür und streckte den Kopf in ihr Büro. „Alles erledigt, der Auftrag ist unterschrieben, die Anzahlung haben wir in bar erhalten, Herr Schlüter ist weg."
Laura, die Papiere auf verschiedene Stapel sortierte, lächelte. „Gut. Fang am besten gleich mit den Recherchen an. Schau mal, was du alles am Computer über diesen Michael Ehrling und über die Schule herausfinden kannst. Ich arbeite mich durch die Rechnungen, dann klinke ich mich auch ein."
Gilda nickte und schloss leise die Tür. Sie kletterte hinter den Schreibtisch. Das war nicht einfach, da sie mehrere Kisten, die mit Computerzubehör und Kabeln gefüllt waren und nicht in die überfüllten Schränke passten, vorsichtig übersteigen musste, ohne auf die dicke Daunenjacke zu treten. Zum Glück hatte der Tisch auf der Vorderseite eine Verblendung, sodass die Besucher das Chaos nicht sehen konnten. Laura bestand verständlicherweise darauf, dass der Vorraum ordentlich und aufgeräumt aussah, und hatte anfangs von ihr gefordert, den Kram, wie sie es nannte, wieder mit nach Hause zu nehmen. Doch sie hatte sie davon überzeugen können, dass dieses Equipment notwendig war, um ihre besondere Art von Recherchen durchzuführen.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und gab zuerst den Namen des Klienten in den Computer ein. Er hatte so ein Aufhebens um seine Bekanntheit und seinen guten Ruf gemacht, dass sie wissen wollte, mit wem sie es zu tun hatten. Tatsächlich gab es viele Einträge. Er war Abgeordneter im Landtag und schien jede Möglichkeit zu nutzen, um im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Gelangweilt klickte sie durch eine Reihe von Bildern, auf denen Bernd Schlüter mit den Vorsitzenden von Ortsvereinen jeder Art Bier trank, eine Hundeschau eröffnete, mit Unternehmern für einen guten Zweck Golf spielte und bei christlichen Frauen Rede und Antwort stand. Andere Fotos zeigten ihn beim Wahlkampf, wo er in wenig kleidsamem Orange und mit breitem Lächeln Broschüren an die Wähler verteilte. Als Politiker musste man wirklich jeden Mist mitmachen.
Sie öffnete Bernd Schlüters Webseite und rief seine Vita auf. Ein großes Foto von ihm im dunklen Anzug dominierte die Bildschirmseite, darunter waren die politischen Stationen und Erfolge aufgelistet. Informationen zu seiner Familie oder über die Kindheit im Internat fehlten.
Gilda wechselte zur Suchmaschine und gab Michael Ehrlings Namen ein. Der pflegte einen deutlich zurückgezogeneren Lebensstil, sie fand lediglich einen Eintrag. Sein Name war als Ansprechpartner der Drogenberatungsstelle DROBERA samt Öffnungszeiten gelistet. DROBERA war an eine Pfarrei in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs angeschlossen, die sich um hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche kümmerte und vom Pfarrer geleitet wurde. Gilda musste schmunzeln: Der Priester hatte sich vor der Kirche neben einem großen, steinernen Kreuz im Gegenlicht fotografieren lassen. Sowohl das Kruzifix als auch er warfen lange, pechschwarze Schatten und außer seiner Silhouette in der Soutane war nichts von ihm zu erkennen.
Das Foto wirkte wie die Werbung für einen Horrorfilm.
Schließlich rief sie die Webseite des Internats Waldheim auf. Anders als bei der DROBERA machte der Internetauftritt der Schule einen professionellen Eindruck. Die Bilder zeigten ein heimeliges Haus inmitten einer grünen Sommerlandschaft, davor strahlende Kinder und gütig aussehende Pädagogen. Gilda dachte an ihre heruntergekommene Realschule mit den zerkratzten, kaugummiverklebten Bänken und den gefrusteten Lehrern und musste seufzen. Wäre sie auf so eine Schule gegangen, hätte sie bestimmt andere Ergebnisse erzielt. Gute Noten hatte sie wegen ihrer unbehandelten Legasthenie nie gehabt, so sehr sie sich auch bemüht hatte.
Seit sie in der Detektei arbeitete, hatte sich vieles zum Besseren gewendet. Laura war zuerst schockiert gewesen über die Schreibfehler, die sie gemacht hatte. Doch dann hatte sie sie gefördert, hatte ihr Berichte zum Abschreiben gegeben und sie geduldig korrigiert. Vermutlich hatte sie geglaubt, dass Gilda das nicht merken würde, aber es war ihr natürlich sofort aufgefallen. Und sie genoss es. Ihre Eltern hatten sich nie für ihre schulischen Leistungen interessiert. Sie führten ein italienisches Restaurant und ihrer Meinung nach reichte es aus, wenn sie gut kochen konnte, um das Familienunternehmen später zu übernehmen. Nachhilfe und Förderstunden hätten nur Zeit und Geld gekostet und sie daran gehindert, im Lokal zu helfen.
Damals hatte sie resigniert und sich gefügt. Aber ihr Leben am Herd zu fristen, hatte sie sich nicht vorstellen können. Deshalb hatte sie sich nach der Mittleren Reife, sehr zum Missfallen ihrer Eltern, mit Jobben durchgeschlagen. Es war ein unstetes Leben gewesen, von der Hand in den Mund, und oft war am Ende des Geldes noch viel Monat übrig gewesen. Das war jetzt anders. Sie konnte ihre Fähigkeiten und Computer-Kenntnisse erfolgreich einsetzen, die Kollegen respektierten sie. Das gab ihr Selbstbewusstsein und die Motivation, ihr Leben endlich in die Hand zu nehmen und etwas Richtiges daraus zu machen. Mit der Prämie, die sie für die Lösung des Dornheckensee-Falles bekommen hatte, hatte sie den Führerschein gemacht. Jetzt sparte sie auf ein Auto, es musste ja nichts Teures sein, und plante, das Abitur am Abendgymnasium nachzumachen. Und später wollte sie sogar studieren. Leider konnte sie erst im nächsten Sommer mit der Schule starten, dabei hätte sie am liebsten sofort losgelegt. Sie hatte Bücher in der Bücherei ausgeliehen, um sich einzuarbeiten, außerdem leistete sie Justin so oft wie möglich Gesellschaft bei seinen Hausaufgaben. Das frischte ihr Gedächtnis auf und ihm gefiel es, ihr Lehrer zu sein bei den Themen, die sie nicht beherrschte.
Sie griff zum Telefon und rief bei der Kontaktnummer des Internats an. Es klingelte lange, sie wollte schon auflegen, als sich eine Frauenstimme meldete.
„Internat Waldheim."
„Guten Tag, hier spricht Gilda Lambi von der Detektei Peters in Bonn. Ich rufe im Namen eines Klienten an, der ein früherer Schüler von Ihnen ist. Er möchte ein Jubiläumstreffen organisieren und dafür suchen wir die Namen und Adressen seiner Mitschüler. Können Sie uns weiterhelfen?"
„Nein, das geht selbstverständlich nicht. Wir haben anderes zu tun." Gilda spürte, dass ihr Gegenüber auflegen wollte.
„Augenblick, wäre das nicht eine schöne Publicity? Wiedersehensfreude, alte Verbundenheit, glückliche Erinnerungen. Sind Sie nicht neugierig, was aus den Schülern geworden ist?" Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
„Hallo, sind Sie noch da? Hallo!"
„Ja", ließ sich die Frau vernehmen. „Natürlich wäre es schön zu sehen, dass die Schüler einen guten Weg genommen haben und erfolgreich sind. Aber ich wüsste nicht, wie wir dabei helfen können."
„Ganz einfach: Sie können mir eine Liste der Schüler mailen, die gleichzeitig mit unserem Klienten, Bernd Schlüter, die Schulbank gedrückt haben."
„Bernd Schlüter?", kam es scharf von der anderen Seite. „Das ist doch ewig her."
„Immerhin erinnern Sie sich an ihn", sagte Gilda leicht erstaunt.
„Erinnern wäre zu viel gesagt. Bernd Schlüter ist ein bekannter Politiker und der Berühmteste unserer Ehemaligen."
„Wie dem auch sei, können Sie mir bitte die Namen der Schüler geben, die im Zeitraum von 1970 bis 1976 bei ihnen ...", sie wollte schon 'einkaserniert' sagen, konnte sich aber bremsen. „... waren?"
„Nein, ich sagte es bereits. Die Unterlagen haben wir nicht mehr. Jedenfalls nicht so ohne Weiteres. Vielleicht gibt es noch Ordner im Keller, aber ich habe keine Zeit, das alles durchzusehen."
„Ok." Gilda überlegte in rasendem Tempo. „Und wenn wir vorbeikommen und selbst nachsehen?"
„Auf keinen Fall!"
„Hilft es, wenn Bernd Schlüter Sie kontaktiert und darum bittet? Denken Sie daran, dass er Ihnen nützlich sein könnte."
„Nein, die Mühe kann er sich sparen."
„Dann drücke ich mich anders aus: Bernd Schlüter ist es wichtig, seine Freunde wiederzusehen. Er wäre sehr enttäuscht, wenn sein Vorhaben Ihretwegen scheitert. Als Politiker verfügt er über weitreichende Kontakte. Ich könnte mir vorstellen, dass er die auch zum Nachteil Ihrer Schule nutzen kann. Das wollen Sie sicher nicht. Und alles nur, weil Sie ihm diesen kleinen Gefallen nicht tun möchten."
Die Frau am anderen Ende lachte ärgerlich auf. „Also gut. Ich habe keine Zeit, mich weiter mit so einem Unsinn herumzuschlagen. Sie können jemanden vorbeischicken und sich die Unterlagen ansehen. Aber wenn da irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ist sofort Schluss! Haben Sie mich verstanden?"