Читать книгу AD FLUVIUM - Patrick Jung - Страница 7
Eine Unzahl von Göttern
ОглавлениеJuni
I.
»Oh Epona, große Göttin, Herrin der Pferde, Beschützerin der Reisenden, erhöre mich! Gewähre mir, deinem unbedeutenden Diener, deine Gunst und bewahre mich auf meiner nächsten Fahrt vor Ungemach und Not! Auf dass mir, meinem Gespann und meiner Ladung kein Leid geschehen möge! Als Dank gelobe ich, deinen unvergänglichen Ruhm zu mehren, dir ein Opfer darzubringen in deinem Heiligtum in Mogontiacum und dich für alle Zukunft zu ehren!«
Amelius ließ sich seine Worte an die Göttin noch einmal durch den Kopf gehen, während er schaukelnd auf dem Kutschbock seines Fuhrwerkes saß. Er hatte sie vor einigen Tagen an einem Altar der Pferdeherrin gesprochen und schon in dem Moment ein seltsames Gefühl gehabt, als sie seine Lippen verlassen hatten.
Er erwachte kurz aus seinen Gedanken und fuhr sich mit der flachen Hand über die schweißnasse Stirn. Es war heiß an diesem Hochsommertag, und er, der über eine beachtliche Leibesfülle verfügte, neigte stets zum Schwitzen. Während er die Tropfen von seiner Hand abschüttelte, schaute er sich um. Das Gespann der vier Ochsen zog in zuverlässiger Routine seinen Wagen die staubige Straße entlang, die einst der Stolz der römischen Provinz Germania Prima gewesen war und nun aus kaum mehr als einer Ansammlung Schlaglöcher bestand. Auch die Tiere waren schon lange in keinem guten Zustand mehr. Längst hätte er sie durch jüngere ersetzt, wenn seine finanziellen Mittel es zugelassen hätten.
Seine Augen wanderten weiter und fielen auf Samus, einen seiner beiden Fuhrknechte. Er schritt links neben dem Gespann einher und beäugte wachsam den Zustand der Straße vor ihnen. Amelius beruhigte, dass Samus im Notfall den Wagen in kaum mehr als einem Wimpernschlag stoppen konnte. Auf ihn konnte er sich verlassen. Seit fast zehn Jahren begleitete der Knecht ihn auf seinen Handelsfahrten zwischen Treveris und Mogontiacum, Agrippina und Argentoratum. Und nie hatte er ihn im Stich gelassen.
Nur kurz blickte er danach über seine Schulter nach hinten. Er sah einen Sack mit Reiseproviant und einige gut gefüllte Wasserschläuche. Die eigentliche Ladung des Wagens, 20 Kisten mit auserlesenen Töpferwaren aus Treveris, war gut unter einer dicken Decke mit Seilen vertäut. Er wusste, dass die qualitätsvollen Töpfe, Schüsseln, Teller und Becher gut verpackt waren. Darauf legte er viel Wert, seitdem die Straßen kaum noch instandgehalten wurden. Eine Schande war das! Wofür zahlte er eigentlich Steuern und Zölle!
Aber sein Blick schweifte bereits weiter und traf auf Sextus, seinen zweiten Knecht. Er saß hinten auf dem Fuhrwerk und sollte eigentlich das Gelände im Auge behalten. In diesen Tagen war es gefährlich auf den Straßen. Überall konnten Räuber oder plündernde Alamannen von jenseits des Rheins lauern, für die ein Händler wie er ein gefundenes Fressen war. Und was tat Sextus, dieser Nichtsnutz? Schon wieder war er eingeschlafen.
Amelius drehte sich seufzend um und fiel in die zusammengesunkene, bequeme Sitzhaltung zurück, in der er die meiste Zeit auf dem Kutschbock verbrachte. Mit Sextus würde er noch ein ernstes Wörtchen sprechen. Spätestens bei der nächsten Rast, so viel war sicher. Anders als Samus war der Kerl einfach zu nichts wirklich zu gebrauchen.
Doch in der Eintönigkeit des schaukelnden Wagens fanden seine Gedanken rasch wieder zurück in die Sphäre des Göttlichen, die ihm so ganz anders vorkam als die Realität auf der staubigen Landstraße. Schon seltsam eigentlich, dass er ein Gebet an Epona, die Herrin der Pferde, gerichtet hatte, wo er doch sein Pferdegespann schon vor vielen Jahren verkauft und durch billigere und kräftigere Ochsen ersetzt hatte. Aber auch früher war ihm nie etwas passiert, und vielleicht hatte er das ja auch dieser Göttin zu verdanken. Sie kannte ihn und er kannte sie. Sowas machte viel aus. Er hatte es ja auch nur zur Absicherung getan, zusätzlich zu seinem üblichen Schutzgesuch an Merkur. Der altehrwürdige Gott der Händler hatte immer ein wachsames Auge auf ihn gehabt. Dessen war er sich sicher. Aber vielleicht war es doch undankbar von ihm gewesen, dieses Mal auch noch bei einer anderen Göttin um Schutz zu bitten?
Nein, das glaubte er nicht. Immerhin war die Situation anders als sonst. Normalerweise würde er so nahe an der Grenze zu den Barbaren nicht allein reisen, zumal auf einem Weg, der über weite Strecken durch Wald und Ödland führte, sondern sich mit anderen Händlern zusammentun. Göttlicher Schutz hin oder her! Die beste Sicherheit vor Überfällen bot immer noch die Gemeinschaft mit anderen. Aber dieses Mal hatte er nur einen einzigen Genossen gefunden, der denselben Weg hatte. Und ihm, dem armen Aquitanus, war einen halben Tag nach der Abreise aus Noviomagus die Vorderachse des Wagens gebrochen. Verfluchte Schlaglöcher! Bis dorthin waren sie von Treveris aus mit dem Lastkahn auf der Mosella gefahren, was im Allgemeinen viel angenehmer und auch sicherer war.
Amelius hatte sich nach dem Unfall aber dazu entschieden, die Fahrt ausnahmsweise allein fortzusetzen. Das hatte seinen guten Grund: Nicht nur hatte er seine Ware termingerecht abzuliefern. Danach wollte – nein musste! – er sich in Mogontiacum in vier Tagen mit einem alamannischen Händler treffen, von dem er Güter aus dem Land der Barbaren erstehen wollte. Das Zustandekommen dieses Geschäftes war sehr wichtig für ihn, und da er nicht wusste, wie lange der Alamanne auf ihn warten würde, war er das Risiko einer Reise ohne Begleitung notgedrungen eingegangen. Doppelter göttlicher Schutz war da sicherlich nicht falsch.
Nun ja, genaugenommen hatte er sich sogar dreifachen göttlichen Schutzes versichert. Mit dem Gott der Christen, diesem seit einiger Zeit schon allgegenwärtigen Christus, konnte er zwar nur wenig anfangen. Hatte dieser Gott sich doch für seine Anhänger ans Kreuz schlagen und zu Tode martern lassen. Eine sehr seltsame Art, über seine Feinde zu triumphieren, fand Amelius. Immerhin war er ihm aber sympathischer als dieser Mithras, dieser andere Gott aus dem Osten. Dessen Lehre und die Geheimnistuerei seiner Anhänger waren ihm suspekt. Aber dieser Christus! So viele glaubten mittlerweile an ihn, da musste er doch über Macht verfügen. Und wenn man es recht bedachte, der Altar der Epona war schon etwas verwaist und verwahrlost gewesen. Sicher, eigentlich duldete dieser Christus keine weiteren Götter neben ihm. Das aber war Amelius völlig unverständlich. Er hatte in einem seiner Tempel, die sie »Kirchen« nannten, zu ihm gebetet. Er musste leise kichern. Wenn der Priester, der dort seinen Dienst verrichtet hatte, gewusst hätte … Aber bisher hatte ihn noch kein Blitz getroffen oder der Zorn des Gottes auf anderem Wege eingeholt. Wer weiß, für was es gut war. Schaden konnte es zumindest nicht, so schien es Amelius.
Ach, es gab nun mal eine Unzahl von Göttern, für jeden Sterblichen einen, zwei oder drei oder wie viele von ihnen man auch immer für die Erfüllung seiner Wünsche bemühen wollte.
II.
Amelius grübelte, Samus führte das Gespann, und Sextus schlief hinten auf dem Wagen. Es hätte noch Stunden so weitergehen können, hätten die Götter nicht andere Pläne für den Händler und seine beiden Knechte gehabt.
»Fette Beute«, grinste Magnus seine Spießgesellen mit verfaulten Zähnen an. Unter seiner langen Mähne verfilzter Haare funkelten seine Augen gierig. »So ein unvorsichtiger Idiot«, erwiderte Ursus mit einem ungläubigen Tonfall. Der Hühne reckte seinen Kopf aus der wilden Hecke heraus, hinter der die vier Räuber am Rande eines Waldstücks Schutz gesucht hatten. »Rübe runter, du Lump, oder willst du, dass sie uns sehen?«, raunte es neben ihm. Amandus war zwar mindestens einen Kopf kleiner als Ursus, aber er wusste sehr genau, dass er bei weitem der klügste der Bande war. Deswegen akzeptierten die anderen ihn auch als Anführer und er konnte sich solche Kommandos erlauben. Canio, der vierte der Truppe, verharrte still, etwas abseits der anderen, am Boden und beobachtete das über die Straße rumpelnde Fuhrwerk. Er ist klein, unscheinbar und sagt fast nie etwas, aber genau deswegen ist er der beste Räuber von uns allen, dachte Amandus beiläufig und grinste.
Ein Plan war schnell gemacht. Es schienen insgesamt nur drei zu sein: ein fetter Kerl auf dem Kutschbock, wahrscheinlich der Besitzer des Wagens und seiner Ladung, dazu einer vorne bei den Ochsen und einer hinten auf der Ladefläche. Bewaffnete Begleiter waren nicht zu sehen, also war das Risiko gering. Da die Ochsen auch kaum zu einer wesentlich höheren Geschwindigkeit fähig waren, konnte ihnen ihre Beute auch kaum entkommen. Also entschloss sich Amandus zu einer einfachen Taktik: Er schickte Magnus und Canio ein kleines Stück die Straße abwärts. Sie sollten sich dem Wagen von hinten nähern. Er selbst würde mit Ursus, dessen beeindruckende Gestalt schon so manchen braven Kaufmann eingeschüchtert hatte, von vorne angreifen.
Nur Augenblicke später war es der gute Samus, der als erster zwei Gestalten aus einem nahegelegenen Waldstück frontal auf das Gespann zulaufen sah. Einer davon war ein Riese mit einer gewaltigen Keule in der Hand, der andere kleiner, aber mit einem Langschwert bewaffnet.
»Amelius! Herr!«, rief der Fuhrknecht in einem Reflex. Dieser erwachte abrupt aus seinen Träumereien und bemerkte mit dem Instinkt des langjährigen Reisenden die Gefahr. Schnell hatte er seine Hand unter dem Brett, auf dem er saß. Dort tastete er nach einem Dolch, der dort befestigt war. Seine dicken Finger suchten danach, fanden zuerst jedoch die kleine Truhe mit seiner Barschaft und einigen anderen Wertsachen, die er ebenfalls hier versteckt hatte. Hektisch fühlte er weiter und hatte kurz darauf den Dolch in der Hand. Ruckartig blickte er nach hinten und erstarrte für einen Moment vor Entsetzen. Während der tumbe Sextus gerade erst wach wurde und sich verwundert die Augen rieb, waren zwei weitere Angreifer bereits direkt hinter dem Wagen und schickten sich an, den Knecht zu ergreifen und unschädlich zu machen.
Die Gedanken rasten Amelius durch den Kopf. Bei den Göttern! Sollte er die Zügel ergreifen und die Ochsen zum Trab antreiben? Sinnlos! Sollte er kämpfen? Mit nur einem Dolch gegen vier Räuber? Oder sollte er vom Wagen springen und weglaufen? Doch kaum war der Sekundenbruchteil verstrichen, den er für diese Fragen benötigt hatte, sah er mit schreckgeweiteten Augen, wie die beiden Kerle Sextus ergriffen hatten. Sie zerrten den völlig überraschten Taugenichts bereits vom Wagen herunter. Nun war es Zeit zu handeln, sonst wäre er sicher gleich selbst an der Reihe. Aber mehr als ein lautes: »Sextus!« kam dem angsterfüllten Amelius nicht über die Lippen.
Schon lag der Knecht auf dem Boden, die beiden Angreifer über ihm. Amelius kniff die Augen zusammen. Sextus trat dem einen, einem Kerl mit langen Haaren, in den Magen und ließ ihn schreiend zurücktaumeln. Gut so! Der andere jedoch, ein erstaunlich kleiner Kerl, beugte sich in einer schnellen, verstohlenen Bewegung über den armen Fuhrknecht. Amelius sah das Messer in seiner Hand aufblitzen und wollte ein zweites Mal aufschreien. Aber dazu kam er nicht mehr. Der Räuber rammte Sextus das Messer in die Brust, zog es ohne innezuhalten oder den Schmerzensschrei seines um sich schlagenden Opfers zu beachten wieder heraus und stach ein zweites Mal zu.
Amelius zuckte zusammen und musste den Blick von dieser grauenhaften Szene abwenden. Er drehte sich wieder herum, nur um Zeuge eines weiteren Kampfes zu werden. Es ging alles so schnell, dass er zu klarem Denken nicht fähig war. Er sah Samus, wie er sich des hünenhaften Angreifers erwehrte. Er tat dies auf die vermutlich einzig richtige Art und Weise: Er wich den Keulenschlägen des Riesen immer wieder aus und versuchte, den wuchtigen Angriffen kein Ziel zu bieten. Immerhin hatte auch er einen Dolch in der Hand. Was er damit gegen seinen Gegner bewirken wollte, das wusste Amelius freilich nicht. Aber war da nicht noch ein weiterer Räuber gewesen? Der Händler fuhr erneut zusammen; der Schweiß schoss seine Stirn herunter, als er neben dem Kutschbock plötzlich den Mann bemerkte. Der Kerl hatte sogar ein Langschwert in der Hand! Amelius sah, wie die Klinge die Luft durchschnitt und auf ihn zuschnellte. Instinktiv machte er einen Schritt zurück und wich damit dem Stoß mehr schlecht als gekonnt aus. Dabei verlagerte er sein stattliches Körpergewicht so weit nach hinten, dass er ins Taumeln geriet, die Balance verlor und hinterrücks vom Kutschbock fiel. Der Dolch glitt ihm aus der Hand und flog in hohem Bogen ins Gras neben der Straße. Das letzte, was Amelius danach noch hörte, war ein weiterer, diesmal dumpfer Knall. Dann wurde es dunkel um ihn.
III.
Als sich die Dunkelheit lichtete, war das erste, was seine Sinne wahrnahmen, das unangenehme Pochen in seinem Schädel. Amelius griff sich an den Kopf und ertastete etwas warmes, klebriges … sein Blut. Er musste hart mit dem Hinterkopf auf die Straße aufgeschlagen sein. Als ihm die Erinnerung an die Ereignisse wie ein Pfeilschuss ins Gedächtnis traf, richtete er sich erschrocken auf, so schnell sein massiger und schmerzender Körper es ihm erlaubte. Er blickte sich um und stellte fest, dass er direkt neben dem Wagen lag. Mit einem Stöhnen drehte er sich erst in die Hocke, dann wuchtete er sich in die Senkrechte.
Zwar wurde ihm dabei etwas schwindelig, aber dennoch hatte er die Situation schnell erfasst: Die Ochsen waren nicht mehr da, die Kisten seiner Ladung lagen verstreut und teilweise aufgebrochen um das Fuhrwerk herum. Dazwischen sah er glänzende rote und schwarze Scherben der kostbaren Tongefäße, die er transportiert hatte. Was für eine Verschwendung! Die Räuber hatten für feines Tafelgeschirr offensichtlich keine Verwendung. Aber gut für ihn: Ein großer Teil der Ware könnte tatsächlich intakt geblieben sein, so gut wie sie in den Kisten verpackt war.
Ein schneller Blick unter den Kutschbock genügte ihm um bestätigt zu sehen, was ihm ohnehin klar war: Die kleine Truhe mit seiner Barschaft war weg. Natürlich hatten sie die mitgenommen – oder aufgebrochen, weggeworfen und nur den Inhalt eingesteckt. Auch der Sack mit dem Reiseproviant und die Wasserschläuche waren weg.
Er seufzte auf und drehte den Kopf weiter, um seine Bestandsaufnahme abzuschließen. Hinter dem Wagen sah er Sextus leblos auf der Straße liegen, von Samus fehlte jede Spur. Er blickte nach unten auf den Boden, aber sein Dolch schien auch nicht mehr da zu sein. Seltsam, dass die Gesetzlosen ihn überhaupt am Leben gelassen hatten. Normalerweise konnte man als Opfer eines solchen Überfalls nicht mit Gnade rechnen.
Schon wieder schweiften seine Gedanken kurz ab … Merkur oder Epona wollte sein Verstand dieses Glück nicht anrechnen. Immerhin war seine Ladung in Mitleidenschaft gezogen, sein Geld geraubt und auch seine Zugtiere waren nicht mehr da. Sollte doch der Gott der Christen seine schützende Hand über ihn und sein Leben gehalten haben? Er schüttelte kurz den Kopf. Für solche Feinheiten hatte er jetzt keine Zeit. Er richtete seinen Blick nach oben, Richtung Himmel. »Dank an Euch, ihr Götter! Merkur, Epona und auch an dich, Christus, dass ihr eure schützenden Hände über mich gehalten habt und ich die Grausamkeit dieser verfluchten Banditen überlebt habe!«, flüsterte er mehr zu sich selbst als an irgendwen sonst. Das musste für den Moment genügen.
Danach bewegte er sich langsam, noch etwas wankend, hin zu Sextus, der regungslos auf der Straße hinter dem Wagen lag. Dort angekommen reichte erneut ein kurzer Blick, um zu sehen, dass die zwei Messerstiche ausgereicht hatten, um den armen Kerl ins Reich der Schatten zu schicken. Hm, mit ihm würde er wohl doch kein Wörtchen mehr reden.
Doch Amelius hielt nicht lange inne und wankte stattdessen weiter. Er sah, dass die meisten Kisten, die entweder noch auf der Ladefläche standen oder nun auf dem Boden lagen, tatsächlich noch verschlossen waren. Er bückte sich, hob eine von ihnen auf und schüttelte sie leicht. Der Inhalt schien zum größten Teil heil zu sein. Seine Miene hellte sich etwas auf.
In seinem Kopf setzte sich das Bild des Überfalls zusammen: Samus musste geflohen sein. Ihm selbst hatten die Räuber keine weitere Beachtung geschenkt und stattdessen den Wagen nach Wertvollem abgesucht. Vielleicht hatten sie ihn auch für tot gehalten. Als sie festgestellt hatten, dass in den Kisten nur Tongefäße waren, hatten sie lediglich die Truhe mit dem Geld, die Verpflegung und die Ochsen mitgenommen. In der Tat, er konnte deutlich die Spuren der Tiere sehen. Sie führten vom Wagen weg in Richtung des Waldstücks, aus der die ersten beiden Angreifer gekommen waren.
Aber was sollte er nun tun? Bis er Hilfe organisiert hätte, wären die Bastarde über alle Berge. Ohne die Ochsen konnte er das Fuhrwerk mit der Ladung auf keinen Fall von hier wegbringen. Und es hier zurückzulassen würde einen noch größeren finanziellen Verlust bedeuten. Ganz abgesehen davon, dass er keinen Proviant mehr hatte. Ja, nicht einmal Wasser hatten sie ihm gelassen! Wenn er nur wenigstens wüsste, wo Samus steckte!
Den Spuren der Ochsen könnte er recht einfach folgen … vielleicht würde sich ja die Gelegenheit ergeben, den Räubern die Truhe und die Tiere wieder abzunehmen? Doch angesichts der Chancen dieses Unterfangens musste er selbst schmunzeln. Dabei wurde er sich unvermittelt des pochenden Schmerzes in seinem Schädel bewusst, der ihm das Nachdenken erschwerte und seine Gedankengänge trübte. Offenbar hatten die Räuber ihn als eine so geringe Bedrohung erachtet, dass sie ihn noch nicht einmal umgebracht hatten – oder sich zumindest vergewissert hatten, ob er noch lebt.
Andererseits … für irgendetwas musste seine – und ja wohl überaus aufrichtige! – Gottesfürchtigkeit doch auch gut sein! Drei Gottheiten hatte er um Schutz angefleht, und jede davon konnte nun ihren Beitrag leisten: Mit Merkurs Hilfe könnte er sein Geld wiederbekommen, und Epona könnte ihn wieder in den Besitz der Ochsen bringen. Gut, Ochsen hin oder her, es waren immerhin Zugtiere und somit die Brüder der Pferde, und da konnte die Göttin sicherlich ein Auge zudrücken. Und Christus schließlich würde seine schützende Hand über ihn selbst und sein leibliches Wohlergehen halten. Vielleicht standen die Chancen mit dem Beistand dieser Göttertrias also doch gar nicht so schlecht? Möglicherweise würde er es sogar noch rechtzeitig nach Mogontiacum schaffen, um seine Ware abzuliefern und danach seinen alamannischen Geschäftspartner zu treffen? Diese Aussichten waren verlockend.
Sein Wille fokussierte sich. Er holte tief Luft, hielt die offenen Hände mit angewinkelten Ellenbogen vor sich und schaute erneut gen Himmel. »Merkur, Epona und Christus, mächtigste aller Götter, Unfehlbare, Beschützer eures unbedeutenden Dieners! Helft mir, das an mir und meinem Eigentum begangene Unrecht ungeschehen zu machen, diese dreimal verfluchten Räuber zu strafen und mich unversehrt mit allen meinen Besitztümern innerhalb von drei Tagen nach Mogontiacum zu bringen! Wenn ihr mir diese Gunst erfüllt, dann … ja, dann gelobe ich, werde ich jedem von euch einen Altar errichten, prachtvoll und eurer Größe würdig! Alle rechtschaffenen Einwohner des römischen Germaniens sollen dort zusammenkommen und euch huldigen, um euren Ruhm zu mehren und die Kunde von eurer Gnade zu verbreiten!«
Das sollte als Anreiz ausreichen, dachte Amelius mit einem Anflug von Genugtuung. Die Stiftung eines steinernen Altars war keine billige Angelegenheit. Wäre er selbst ein Gott, dann würde er sich auf den Handel einlassen.
Nun musste er sich aber beeilen. Die Sonne stand schon sehr tief und es würde nicht mehr lange dauern, bis es dunkel werden würde. Er wischte sich noch einmal mit der flachen Hand über die Stirn, blickte ein letztes Mal geistesabwesend auf den Leichnam des armen Sextus und trottete dann langsam in Richtung des Waldes. Die Spuren der Ochsen waren leicht zu sehen, auch im weniger werdenden Licht, da die Hufe der schweren Tiere das hohe Gras ziemlich niedergedrückt hatten.
Als er den Wald erreicht hatte, wurde sein Rücken noch von den Strahlen der langsam untergehenden Sonne gewärmt. Er blickte zurück und nahm das besondere Licht, die eigenartige Atmosphäre der beginnenden Dämmerung an einem Spätsommertag, auf. Wenn das kein Zeichen von einem seiner göttlichen Beschützer war. Er drehte sich wieder um und sah einen schmalen Pfad zwischen den Bäumen, über den die Banditen die Ochsen wohl geführt hatten. Und da, war das nicht das Schnauben eines Ochsen, das aus dem Dickicht der Blätter zu ihm drang? Zuversicht durchströmte ihn, als er langsam zwischen den Bäumen verschwand und wenig später die letzten Strahlen der Sonne vom Angesicht der Erde verschwunden waren.