Читать книгу AD FLUVIUM - Patrick Jung - Страница 7

Eine Unzahl von Göttern

Оглавление

Juni

I.

»Oh Epo­na, gro­ße Göt­tin, Her­rin der Pfer­de, Be­schüt­ze­rin der Rei­sen­den, er­hö­re mich! Ge­wäh­re mir, dei­nem un­be­deu­ten­den Die­ner, dei­ne Gunst und be­wah­re mich auf mei­ner nächs­ten Fahrt vor Un­ge­mach und Not! Auf dass mir, mei­nem Ge­spann und mei­ner La­dung kein Leid ge­sche­hen möge! Als Dank ge­lo­be ich, dei­nen un­ver­gäng­li­chen Ruhm zu meh­ren, dir ein Op­fer dar­zu­brin­gen in dei­nem Hei­lig­tum in Mo­gon­tia­cum und dich für alle Zu­kunft zu eh­ren!«

Ame­li­us ließ sich sei­ne Wor­te an die Göt­tin noch ein­mal durch den Kopf ge­hen, wäh­rend er schau­kelnd auf dem Kutsch­bock sei­nes Fuhr­wer­kes saß. Er hat­te sie vor ei­ni­gen Ta­gen an ei­nem Al­tar der Pfer­de­her­rin ge­spro­chen und schon in dem Mo­ment ein selt­sa­mes Ge­fühl ge­habt, als sie sei­ne Lip­pen ver­las­sen hat­ten.

Er er­wach­te kurz aus sei­nen Ge­dan­ken und fuhr sich mit der fla­chen Hand über die schweiß­nas­se Stirn. Es war heiß an die­sem Hoch­som­mer­tag, und er, der über eine be­acht­li­che Lei­bes­fül­le ver­füg­te, neig­te stets zum Schwit­zen. Wäh­rend er die Trop­fen von sei­ner Hand ab­schüt­tel­te, schau­te er sich um. Das Ge­spann der vier Och­sen zog in zu­ver­läs­si­ger Rou­ti­ne sei­nen Wa­gen die stau­bi­ge Stra­ße ent­lang, die einst der Stolz der rö­mi­schen Pro­vinz Ger­ma­nia Pri­ma ge­we­sen war und nun aus kaum mehr als ei­ner An­samm­lung Schlag­lö­cher be­stand. Auch die Tie­re wa­ren schon lan­ge in kei­nem gu­ten Zu­stand mehr. Längst hät­te er sie durch jün­ge­re er­setzt, wenn sei­ne fi­nan­zi­el­len Mit­tel es zu­ge­las­sen hät­ten.

Sei­ne Au­gen wan­der­ten wei­ter und fie­len auf Sa­mus, einen sei­ner bei­den Fuhr­knech­te. Er schritt links ne­ben dem Ge­spann ein­her und be­äug­te wach­sam den Zu­stand der Stra­ße vor ih­nen. Ame­li­us be­ru­hig­te, dass Sa­mus im Not­fall den Wa­gen in kaum mehr als ei­nem Wim­pern­schlag stop­pen konn­te. Auf ihn konn­te er sich ver­las­sen. Seit fast zehn Jah­ren be­glei­te­te der Knecht ihn auf sei­nen Han­dels­fahr­ten zwi­schen Tre­ve­ris und Mo­gon­tia­cum, Agrip­pi­na und Ar­gen­to­ra­tum. Und nie hat­te er ihn im Stich ge­las­sen.

Nur kurz blick­te er da­nach über sei­ne Schul­ter nach hin­ten. Er sah einen Sack mit Rei­se­pro­vi­a­nt und ei­ni­ge gut ge­füll­te Was­ser­schläu­che. Die ei­gent­li­che La­dung des Wa­gens, 20 Kis­ten mit aus­er­le­se­nen Töp­fer­wa­ren aus Tre­ve­ris, war gut un­ter ei­ner di­cken De­cke mit Sei­len ver­täut. Er wuss­te, dass die qua­li­täts­vol­len Töp­fe, Schüs­seln, Tel­ler und Be­cher gut ver­packt wa­ren. Dar­auf leg­te er viel Wert, seit­dem die Stra­ßen kaum noch in­stand­ge­hal­ten wur­den. Eine Schan­de war das! Wo­für zahl­te er ei­gent­lich Steu­ern und Zöl­le!

Aber sein Blick schweif­te be­reits wei­ter und traf auf Sex­tus, sei­nen zwei­ten Knecht. Er saß hin­ten auf dem Fuhr­werk und soll­te ei­gent­lich das Ge­län­de im Auge be­hal­ten. In die­sen Ta­gen war es ge­fähr­lich auf den Stra­ßen. Über­all konn­ten Räu­ber oder plün­dern­de Ala­man­nen von jen­seits des Rheins lau­ern, für die ein Händ­ler wie er ein ge­fun­de­nes Fres­sen war. Und was tat Sex­tus, die­ser Nichts­nutz? Schon wie­der war er ein­ge­schla­fen.

Ame­li­us dreh­te sich seuf­zend um und fiel in die zu­sam­men­ge­sun­ke­ne, be­que­me Sitz­hal­tung zu­rück, in der er die meis­te Zeit auf dem Kutsch­bock ver­brach­te. Mit Sex­tus wür­de er noch ein erns­tes Wört­chen spre­chen. Spä­tes­tens bei der nächs­ten Rast, so viel war si­cher. An­ders als Sa­mus war der Kerl ein­fach zu nichts wirk­lich zu ge­brau­chen.

Doch in der Ein­tö­nig­keit des schau­keln­den Wa­gens fan­den sei­ne Ge­dan­ken rasch wie­der zu­rück in die Sphä­re des Gött­li­chen, die ihm so ganz an­ders vor­kam als die Re­a­li­tät auf der stau­bi­gen Land­s­tra­ße. Schon selt­sam ei­gent­lich, dass er ein Ge­bet an Epo­na, die Her­rin der Pfer­de, ge­rich­tet hat­te, wo er doch sein Pfer­de­ge­spann schon vor vie­len Jah­ren ver­kauft und durch bil­li­ge­re und kräf­ti­ge­re Och­sen er­setzt hat­te. Aber auch frü­her war ihm nie et­was pas­siert, und viel­leicht hat­te er das ja auch die­ser Göt­tin zu ver­dan­ken. Sie kann­te ihn und er kann­te sie. So­was mach­te viel aus. Er hat­te es ja auch nur zur Ab­si­che­rung ge­tan, zu­sätz­lich zu sei­nem üb­li­chen Schutz­ge­such an Mer­kur. Der alt­ehr­wür­di­ge Gott der Händ­ler hat­te im­mer ein wach­sa­mes Auge auf ihn ge­habt. Des­sen war er sich si­cher. Aber viel­leicht war es doch un­dank­bar von ihm ge­we­sen, die­ses Mal auch noch bei ei­ner an­de­ren Göt­tin um Schutz zu bit­ten?

Nein, das glaub­te er nicht. Im­mer­hin war die Si­tua­ti­on an­ders als sonst. Nor­ma­le­r­wei­se wür­de er so nahe an der Gren­ze zu den Ba­r­ba­ren nicht al­lein rei­sen, zu­mal auf ei­nem Weg, der über wei­te Stre­cken durch Wald und Öd­land führ­te, son­dern sich mit an­de­ren Händ­lern zu­sam­men­tun. Gött­li­cher Schutz hin oder her! Die bes­te Si­cher­heit vor Über­fäl­len bot im­mer noch die Ge­mein­schaft mit an­de­ren. Aber die­ses Mal hat­te er nur einen ein­zi­gen Ge­nos­sen ge­fun­den, der den­sel­ben Weg hat­te. Und ihm, dem ar­men Aqui­ta­nus, war einen hal­b­en Tag nach der Ab­rei­se aus No­vio­ma­gus die Vor­der­ach­se des Wa­gens ge­bro­chen. Ver­fluch­te Schlag­lö­cher! Bis dort­hin wa­ren sie von Tre­ve­ris aus mit dem Last­kahn auf der Mo­sel­la ge­fah­ren, was im All­ge­mei­nen viel an­ge­neh­mer und auch si­che­rer war.

Ame­li­us hat­te sich nach dem Un­fall aber dazu ent­schie­den, die Fahrt aus­nahms­wei­se al­lein fort­zu­set­zen. Das hat­te sei­nen gu­ten Grund: Nicht nur hat­te er sei­ne Ware ter­min­ge­recht ab­zu­lie­fern. Da­nach woll­te – nein muss­te! – er sich in Mo­gon­tia­cum in vier Ta­gen mit ei­nem ala­man­ni­schen Händ­ler tref­fen, von dem er Gü­ter aus dem Land der Ba­r­ba­ren er­ste­hen woll­te. Das Zu­stan­de­kom­men die­ses Ge­schäf­tes war sehr wich­tig für ihn, und da er nicht wuss­te, wie lan­ge der Ala­man­ne auf ihn war­ten wür­de, war er das Ri­si­ko ei­ner Rei­se ohne Be­glei­tung not­ge­drun­gen ein­ge­gan­gen. Dop­pel­ter gött­li­cher Schutz war da si­cher­lich nicht falsch.

Nun ja, ge­nau­ge­n­om­men hat­te er sich so­gar drei­fa­chen gött­li­chen Schut­zes ver­si­chert. Mit dem Gott der Chris­ten, die­sem seit ei­ni­ger Zeit schon all­ge­gen­wär­ti­gen Chris­tus, konn­te er zwar nur we­nig an­fan­gen. Hat­te die­ser Gott sich doch für sei­ne An­hän­ger ans Kreuz schla­gen und zu Tode mar­tern las­sen. Eine sehr selt­sa­me Art, über sei­ne Fein­de zu tri­um­phie­ren, fand Ame­li­us. Im­mer­hin war er ihm aber sym­pa­thi­scher als die­ser Mi­thras, die­ser an­de­re Gott aus dem Os­ten. Des­sen Leh­re und die Ge­heim­nis­tu­e­rei sei­ner An­hän­ger wa­ren ihm su­spekt. Aber die­ser Chris­tus! So vie­le glaub­ten mitt­ler­wei­le an ihn, da muss­te er doch über Macht ver­fü­gen. Und wenn man es recht be­dach­te, der Al­tar der Epo­na war schon et­was ver­waist und ver­wahr­lost ge­we­sen. Si­cher, ei­gent­lich dul­de­te die­ser Chris­tus kei­ne wei­te­ren Göt­ter ne­ben ihm. Das aber war Ame­li­us völ­lig un­ver­ständ­lich. Er hat­te in ei­nem sei­ner Tem­pel, die sie »Kir­chen« nann­ten, zu ihm ge­be­tet. Er muss­te lei­se ki­chern. Wenn der Pries­ter, der dort sei­nen Dienst ver­rich­tet hat­te, ge­wusst hät­te … Aber bis­her hat­te ihn noch kein Blitz ge­trof­fen oder der Zorn des Got­tes auf an­de­rem Wege ein­ge­holt. Wer weiß, für was es gut war. Scha­den konn­te es zu­min­dest nicht, so schien es Ame­li­us.

Ach, es gab nun mal eine Un­zahl von Göt­tern, für je­den Sterb­li­chen einen, zwei oder drei oder wie vie­le von ih­nen man auch im­mer für die Er­fül­lung sei­ner Wün­sche be­mü­hen woll­te.

II.

Ame­li­us grü­bel­te, Sa­mus führ­te das Ge­spann, und Sex­tus schlief hin­ten auf dem Wa­gen. Es hät­te noch Stun­den so wei­ter­ge­hen kön­nen, hät­ten die Göt­ter nicht an­de­re Plä­ne für den Händ­ler und sei­ne bei­den Knech­te ge­habt.

»Fet­te Beu­te«, grins­te Ma­gnus sei­ne Spieß­ge­sel­len mit ver­faul­ten Zäh­nen an. Un­ter sei­ner lan­gen Mäh­ne ver­filz­ter Haa­re fun­kel­ten sei­ne Au­gen gie­rig. »So ein un­vor­sich­ti­ger Idi­ot«, er­wi­der­te Ur­sus mit ei­nem un­gläu­bi­gen Ton­fall. Der Hüh­ne reck­te sei­nen Kopf aus der wil­den He­cke her­aus, hin­ter der die vier Räu­ber am Ran­de ei­nes Wald­s­tücks Schutz ge­sucht hat­ten. »Rübe run­ter, du Lump, oder willst du, dass sie uns se­hen?«, raun­te es ne­ben ihm. Aman­dus war zwar min­des­tens einen Kopf klei­ner als Ur­sus, aber er wuss­te sehr ge­nau, dass er bei wei­tem der klügs­te der Ban­de war. Des­we­gen ak­zep­tier­ten die an­de­ren ihn auch als An­füh­rer und er konn­te sich sol­che Kom­man­dos er­lau­ben. Ca­nio, der vier­te der Trup­pe, ver­harr­te still, et­was ab­seits der an­de­ren, am Bo­den und be­ob­ach­te­te das über die Stra­ße rum­peln­de Fuhr­werk. Er ist klein, un­schein­bar und sagt fast nie et­was, aber ge­nau des­we­gen ist er der bes­te Räu­ber von uns al­len, dach­te Aman­dus bei­läu­fig und grins­te.

Ein Plan war schnell ge­macht. Es schie­nen ins­ge­samt nur drei zu sein: ein fet­ter Kerl auf dem Kutsch­bock, wahr­schein­lich der Be­sit­zer des Wa­gens und sei­ner La­dung, dazu ei­ner vor­ne bei den Och­sen und ei­ner hin­ten auf der La­de­flä­che. Be­waff­ne­te Be­glei­ter wa­ren nicht zu se­hen, also war das Ri­si­ko ge­ring. Da die Och­sen auch kaum zu ei­ner we­sent­lich hö­he­ren Ge­schwin­dig­keit fä­hig wa­ren, konn­te ih­nen ihre Beu­te auch kaum ent­kom­men. Also ent­schloss sich Aman­dus zu ei­ner ein­fa­chen Tak­tik: Er schick­te Ma­gnus und Ca­nio ein klei­nes Stück die Stra­ße ab­wärts. Sie soll­ten sich dem Wa­gen von hin­ten nä­hern. Er selbst wür­de mit Ur­sus, des­sen be­ein­dru­cken­de Ge­stalt schon so man­chen bra­ven Kauf­mann ein­ge­schüch­tert hat­te, von vor­ne an­grei­fen.

Nur Au­gen­bli­cke spä­ter war es der gute Sa­mus, der als ers­ter zwei Ge­stal­ten aus ei­nem na­he­ge­le­ge­nen Wald­s­tück fron­tal auf das Ge­spann zu­lau­fen sah. Ei­ner da­von war ein Rie­se mit ei­ner ge­wal­ti­gen Keu­le in der Hand, der an­de­re klei­ner, aber mit ei­nem Lang­schwert be­waff­net.

»Ame­li­us! Herr!«, rief der Fuhr­knecht in ei­nem Re­flex. Die­ser er­wach­te ab­rupt aus sei­nen Träu­me­rei­en und be­merk­te mit dem In­stinkt des lang­jäh­ri­gen Rei­sen­den die Ge­fahr. Schnell hat­te er sei­ne Hand un­ter dem Brett, auf dem er saß. Dort tas­te­te er nach ei­nem Dolch, der dort be­fes­tigt war. Sei­ne di­cken Fin­ger such­ten da­nach, fan­den zu­erst je­doch die klei­ne Tru­he mit sei­ner Bar­schaft und ei­ni­gen an­de­ren Wert­sa­chen, die er eben­falls hier ver­steckt hat­te. Hek­tisch fühl­te er wei­ter und hat­te kurz dar­auf den Dolch in der Hand. Ruck­ar­tig blick­te er nach hin­ten und er­starr­te für einen Mo­ment vor Ent­set­zen. Wäh­rend der tum­be Sex­tus ge­ra­de erst wach wur­de und sich ver­wun­dert die Au­gen rieb, wa­ren zwei wei­te­re An­grei­fer be­reits di­rekt hin­ter dem Wa­gen und schick­ten sich an, den Knecht zu er­grei­fen und un­schäd­lich zu ma­chen.

Die Ge­dan­ken ras­ten Ame­li­us durch den Kopf. Bei den Göt­tern! Soll­te er die Zü­gel er­grei­fen und die Och­sen zum Trab an­trei­ben? Sinn­los! Soll­te er kämp­fen? Mit nur ei­nem Dolch ge­gen vier Räu­ber? Oder soll­te er vom Wa­gen sprin­gen und weg­lau­fen? Doch kaum war der Se­kun­den­bruch­teil ver­stri­chen, den er für die­se Fra­gen be­nö­tigt hat­te, sah er mit schreck­ge­wei­te­ten Au­gen, wie die bei­den Ker­le Sex­tus er­grif­fen hat­ten. Sie zerr­ten den völ­lig über­rasch­ten Tau­ge­n­ichts be­reits vom Wa­gen her­un­ter. Nun war es Zeit zu han­deln, sonst wäre er si­cher gleich selbst an der Rei­he. Aber mehr als ein lau­tes: »Sex­tus!« kam dem angst­er­füll­ten Ame­li­us nicht über die Lip­pen.

Schon lag der Knecht auf dem Bo­den, die bei­den An­grei­fer über ihm. Ame­li­us kniff die Au­gen zu­sam­men. Sex­tus trat dem einen, ei­nem Kerl mit lan­gen Haa­ren, in den Ma­gen und ließ ihn schrei­end zu­rück­tau­meln. Gut so! Der an­de­re je­doch, ein er­staun­lich klei­ner Kerl, beug­te sich in ei­ner schnel­len, ver­stoh­le­nen Be­we­gung über den ar­men Fuhr­knecht. Ame­li­us sah das Mes­ser in sei­ner Hand auf­blit­zen und woll­te ein zwei­tes Mal auf­schrei­en. Aber dazu kam er nicht mehr. Der Räu­ber ramm­te Sex­tus das Mes­ser in die Brust, zog es ohne in­ne­zu­hal­ten oder den Schmer­zens­schrei sei­nes um sich schla­gen­den Op­fers zu be­ach­ten wie­der her­aus und stach ein zwei­tes Mal zu.

Ame­li­us zuck­te zu­sam­men und muss­te den Blick von die­ser grau­en­haf­ten Sze­ne ab­wen­den. Er dreh­te sich wie­der her­um, nur um Zeu­ge ei­nes wei­te­ren Kamp­fes zu wer­den. Es ging al­les so schnell, dass er zu kla­rem Den­ken nicht fä­hig war. Er sah Sa­mus, wie er sich des hü­nen­haf­ten An­grei­fers er­wehr­te. Er tat dies auf die ver­mut­lich ein­zig rich­ti­ge Art und Wei­se: Er wich den Keu­len­schlä­gen des Rie­sen im­mer wie­der aus und ver­such­te, den wuch­ti­gen An­grif­fen kein Ziel zu bie­ten. Im­mer­hin hat­te auch er einen Dolch in der Hand. Was er da­mit ge­gen sei­nen Geg­ner be­wir­ken woll­te, das wuss­te Ame­li­us frei­lich nicht. Aber war da nicht noch ein wei­te­rer Räu­ber ge­we­sen? Der Händ­ler fuhr er­neut zu­sam­men; der Schweiß schoss sei­ne Stirn her­un­ter, als er ne­ben dem Kutsch­bock plötz­lich den Mann be­merk­te. Der Kerl hat­te so­gar ein Lang­schwert in der Hand! Ame­li­us sah, wie die Klin­ge die Luft durch­schnitt und auf ihn zu­schnell­te. In­stink­tiv mach­te er einen Schritt zu­rück und wich da­mit dem Stoß mehr schlecht als ge­konnt aus. Da­bei ver­la­ger­te er sein statt­li­ches Kör­per­ge­wicht so weit nach hin­ten, dass er ins Tau­meln ge­ri­et, die Ba­lan­ce ver­lor und hin­ter­rücks vom Kutsch­bock fiel. Der Dolch glitt ihm aus der Hand und flog in ho­hem Bo­gen ins Gras ne­ben der Stra­ße. Das letz­te, was Ame­li­us da­nach noch hör­te, war ein wei­te­rer, dies­mal dump­fer Knall. Dann wur­de es dun­kel um ihn.

III.

Als sich die Dun­kel­heit lich­te­te, war das ers­te, was sei­ne Sin­ne wahr­nah­men, das un­an­ge­neh­me Po­chen in sei­nem Schä­del. Ame­li­us griff sich an den Kopf und er­tas­te­te et­was war­mes, kleb­ri­ges … sein Blut. Er muss­te hart mit dem Hin­ter­kopf auf die Stra­ße auf­ge­schla­gen sein. Als ihm die Er­in­ne­rung an die Er­eig­nis­se wie ein Pfeil­schuss ins Ge­dächt­nis traf, rich­te­te er sich er­schro­cken auf, so schnell sein mas­si­ger und schmer­zen­der Kör­per es ihm er­laub­te. Er blick­te sich um und stell­te fest, dass er di­rekt ne­ben dem Wa­gen lag. Mit ei­nem Stöh­nen dreh­te er sich erst in die Hocke, dann wuch­te­te er sich in die Senk­rech­te.

Zwar wur­de ihm da­bei et­was schwin­de­lig, aber den­noch hat­te er die Si­tua­ti­on schnell er­fasst: Die Och­sen wa­ren nicht mehr da, die Kis­ten sei­ner La­dung la­gen ver­streut und teil­wei­se auf­ge­bro­chen um das Fuhr­werk her­um. Da­zwi­schen sah er glän­zen­de rote und schwa­r­ze Scher­ben der kost­ba­ren Ton­ge­fä­ße, die er trans­por­tiert hat­te. Was für eine Ver­schwen­dung! Die Räu­ber hat­ten für fei­nes Ta­fel­ge­schirr of­fen­sicht­lich kei­ne Ver­wen­dung. Aber gut für ihn: Ein gro­ßer Teil der Ware könn­te tat­säch­lich in­takt ge­blie­ben sein, so gut wie sie in den Kis­ten ver­packt war.

Ein schnel­ler Blick un­ter den Kutsch­bock ge­nüg­te ihm um be­stä­tigt zu se­hen, was ihm oh­ne­hin klar war: Die klei­ne Tru­he mit sei­ner Bar­schaft war weg. Na­tür­lich hat­ten sie die mit­ge­nom­men – oder auf­ge­bro­chen, weg­ge­wor­fen und nur den In­halt ein­ge­steckt. Auch der Sack mit dem Rei­se­pro­vi­a­nt und die Was­ser­schläu­che wa­ren weg.

Er seufz­te auf und dreh­te den Kopf wei­ter, um sei­ne Be­stands­auf­nah­me ab­zu­schlie­ßen. Hin­ter dem Wa­gen sah er Sex­tus leb­los auf der Stra­ße lie­gen, von Sa­mus fehl­te jede Spur. Er blick­te nach un­ten auf den Bo­den, aber sein Dolch schien auch nicht mehr da zu sein. Selt­sam, dass die Ge­setz­lo­sen ihn über­haupt am Le­ben ge­las­sen hat­ten. Nor­ma­le­r­wei­se konn­te man als Op­fer ei­nes sol­chen Über­falls nicht mit Gna­de rech­nen.

Schon wie­der schweif­ten sei­ne Ge­dan­ken kurz ab … Mer­kur oder Epo­na woll­te sein Ver­stand die­ses Glück nicht an­rech­nen. Im­mer­hin war sei­ne La­dung in Mit­lei­den­schaft ge­zo­gen, sein Geld ge­raubt und auch sei­ne Zug­tie­re wa­ren nicht mehr da. Soll­te doch der Gott der Chris­ten sei­ne schüt­zen­de Hand über ihn und sein Le­ben ge­hal­ten ha­ben? Er schüt­tel­te kurz den Kopf. Für sol­che Fein­hei­ten hat­te er jetzt kei­ne Zeit. Er rich­te­te sei­nen Blick nach oben, Rich­tung Him­mel. »Dank an Euch, ihr Göt­ter! Mer­kur, Epo­na und auch an dich, Chris­tus, dass ihr eure schüt­zen­den Hän­de über mich ge­hal­ten habt und ich die Grau­sam­keit die­ser ver­fluch­ten Ban­di­ten über­lebt habe!«, flüs­ter­te er mehr zu sich selbst als an ir­gend­wen sonst. Das muss­te für den Mo­ment ge­nü­gen.

Da­nach be­weg­te er sich lang­sam, noch et­was wan­kend, hin zu Sex­tus, der re­gungs­los auf der Stra­ße hin­ter dem Wa­gen lag. Dort an­ge­kom­men reich­te er­neut ein kur­z­er Blick, um zu se­hen, dass die zwei Mes­ser­sti­che aus­ge­reicht hat­ten, um den ar­men Kerl ins Reich der Schat­ten zu schi­cken. Hm, mit ihm wür­de er wohl doch kein Wört­chen mehr re­den.

Doch Ame­li­us hielt nicht lan­ge inne und wank­te statt­des­sen wei­ter. Er sah, dass die meis­ten Kis­ten, die ent­we­der noch auf der La­de­flä­che stan­den oder nun auf dem Bo­den la­gen, tat­säch­lich noch ver­schlos­sen wa­ren. Er bück­te sich, hob eine von ih­nen auf und schüt­tel­te sie leicht. Der In­halt schien zum größ­ten Teil heil zu sein. Sei­ne Mie­ne hell­te sich et­was auf.

In sei­nem Kopf setz­te sich das Bild des Über­falls zu­sam­men: Sa­mus muss­te ge­flo­hen sein. Ihm selbst hat­ten die Räu­ber kei­ne wei­te­re Be­ach­tung ge­schenkt und statt­des­sen den Wa­gen nach Wert­vol­lem ab­ge­sucht. Viel­leicht hat­ten sie ihn auch für tot ge­hal­ten. Als sie fest­ge­stellt hat­ten, dass in den Kis­ten nur Ton­ge­fä­ße wa­ren, hat­ten sie le­dig­lich die Tru­he mit dem Geld, die Ver­pfle­gung und die Och­sen mit­ge­nom­men. In der Tat, er konn­te deut­lich die Spu­ren der Tie­re se­hen. Sie führ­ten vom Wa­gen weg in Rich­tung des Wald­s­tücks, aus der die ers­ten bei­den An­grei­fer ge­kom­men wa­ren.

Aber was soll­te er nun tun? Bis er Hil­fe or­ga­ni­siert hät­te, wä­ren die Ba­s­tar­de über alle Ber­ge. Ohne die Och­sen konn­te er das Fuhr­werk mit der La­dung auf kei­nen Fall von hier weg­brin­gen. Und es hier zu­rück­zu­las­sen wür­de einen noch grö­ße­ren fi­nan­zi­el­len Ver­lust be­deu­ten. Ganz ab­ge­se­hen da­von, dass er kei­nen Pro­vi­a­nt mehr hat­te. Ja, nicht ein­mal Was­ser hat­ten sie ihm ge­las­sen! Wenn er nur we­nigs­tens wüss­te, wo Sa­mus steck­te!

Den Spu­ren der Och­sen könn­te er recht ein­fach fol­gen … viel­leicht wür­de sich ja die Ge­le­gen­heit er­ge­ben, den Räu­bern die Tru­he und die Tie­re wie­der ab­zu­neh­men? Doch an­ge­sichts der Chan­cen die­ses Un­ter­fan­gens muss­te er selbst schmun­zeln. Da­bei wur­de er sich un­ver­mit­telt des po­chen­den Schmer­zes in sei­nem Schä­del be­wusst, der ihm das Nach­den­ken er­schwer­te und sei­ne Ge­dan­ken­gän­ge trüb­te. Of­fen­bar hat­ten die Räu­ber ihn als eine so ge­rin­ge Be­dro­hung er­ach­tet, dass sie ihn noch nicht ein­mal um­ge­bracht hat­ten – oder sich zu­min­dest ver­ge­wis­sert hat­ten, ob er noch lebt.

An­de­rer­seits … für ir­gen­d­et­was muss­te sei­ne – und ja wohl über­aus auf­rich­ti­ge! – Got­tes­fürch­tig­keit doch auch gut sein! Drei Gott­hei­ten hat­te er um Schutz an­ge­fleht, und jede da­von konn­te nun ih­ren Bei­trag leis­ten: Mit Mer­kurs Hil­fe könn­te er sein Geld wie­der­be­kom­men, und Epo­na könn­te ihn wie­der in den Be­sitz der Och­sen brin­gen. Gut, Och­sen hin oder her, es wa­ren im­mer­hin Zug­tie­re und so­mit die Brü­der der Pfer­de, und da konn­te die Göt­tin si­cher­lich ein Auge zu­drü­cken. Und Chris­tus schließ­lich wür­de sei­ne schüt­zen­de Hand über ihn selbst und sein leib­li­ches Wohl­er­ge­hen hal­ten. Viel­leicht stan­den die Chan­cen mit dem Bei­stand die­ser Göt­ter­tri­as also doch gar nicht so schlecht? Mög­li­cher­wei­se wür­de er es so­gar noch recht­zei­tig nach Mo­gon­tia­cum schaf­fen, um sei­ne Ware ab­zu­lie­fern und da­nach sei­nen ala­man­ni­schen Ge­schäfts­part­ner zu tref­fen? Die­se Aus­sich­ten wa­ren ver­lo­ckend.

Sein Wil­le fo­kus­sier­te sich. Er hol­te tief Luft, hielt die of­fe­nen Hän­de mit an­ge­win­kel­ten El­len­bo­gen vor sich und schau­te er­neut gen Him­mel. »Mer­kur, Epo­na und Chris­tus, mäch­tigs­te al­ler Göt­ter, Un­fehl­ba­re, Be­schüt­zer eu­res un­be­deu­ten­den Die­ners! Helft mir, das an mir und mei­nem Ei­gen­tum be­gan­ge­ne Un­recht un­ge­sche­hen zu ma­chen, die­se drei­mal ver­fluch­ten Räu­ber zu stra­fen und mich un­ver­sehrt mit al­len mei­nen Be­sitz­tü­mern in­ner­halb von drei Ta­gen nach Mo­gon­tia­cum zu brin­gen! Wenn ihr mir die­se Gunst er­füllt, dann … ja, dann ge­lo­be ich, wer­de ich je­dem von euch einen Al­tar er­rich­ten, pracht­voll und eu­rer Grö­ße wür­dig! Alle recht­schaf­fe­n­en Ein­woh­ner des rö­mi­schen Ger­ma­ni­ens sol­len dort zu­sam­men­kom­men und euch hul­di­gen, um eu­ren Ruhm zu meh­ren und die Kun­de von eu­rer Gna­de zu ver­brei­ten!«

Das soll­te als An­reiz aus­rei­chen, dach­te Ame­li­us mit ei­nem An­flug von Ge­nug­tu­ung. Die Stif­tung ei­nes stei­ner­nen Al­tars war kei­ne bil­li­ge An­ge­le­gen­heit. Wäre er selbst ein Gott, dann wür­de er sich auf den Han­del ein­las­sen.

Nun muss­te er sich aber be­ei­len. Die Son­ne stand schon sehr tief und es wür­de nicht mehr lan­ge dau­ern, bis es dun­kel wer­den wür­de. Er wisch­te sich noch ein­mal mit der fla­chen Hand über die Stirn, blick­te ein letz­tes Mal geis­tes­ab­we­send auf den Leich­nam des ar­men Sex­tus und trot­te­te dann lang­sam in Rich­tung des Wal­des. Die Spu­ren der Och­sen wa­ren leicht zu se­hen, auch im we­ni­ger wer­den­den Licht, da die Hufe der schwe­ren Tie­re das hohe Gras ziem­lich nie­der­ge­drückt hat­ten.

Als er den Wald er­reicht hat­te, wur­de sein Rü­cken noch von den Strah­len der lang­sam un­ter­ge­hen­den Son­ne ge­wärmt. Er blick­te zu­rück und nahm das be­son­de­re Licht, die ei­gen­ar­ti­ge At­mo­sphä­re der be­gin­nen­den Däm­me­rung an ei­nem Spät­som­mer­tag, auf. Wenn das kein Zei­chen von ei­nem sei­ner gött­li­chen Be­schüt­zer war. Er dreh­te sich wie­der um und sah einen schma­len Pfad zwi­schen den Bäu­men, über den die Ban­di­ten die Och­sen wohl ge­führt hat­ten. Und da, war das nicht das Schnau­ben ei­nes Och­sen, das aus dem Di­ckicht der Blät­ter zu ihm drang? Zu­ver­sicht durch­ström­te ihn, als er lang­sam zwi­schen den Bäu­men ver­schwand und we­nig spä­ter die letz­ten Strah­len der Son­ne vom An­ge­sicht der Erde ver­schwun­den wa­ren.

AD FLUVIUM

Подняться наверх