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Erste Grenzerfahrungen

Plötzlicher Kindstod im Westen, Eierlikör im Osten

Meine Mutter kam aus der ehemaligen DDR. Dennoch kündigte ich, unter dem Einsetzen der Wehen, am 5. September 1966, in dem schönen Ludwigsburg nahe Stuttgart, mein Kommen an. Ich verließ nun zum ersten Mal meine gewohnte Umgebung und erblickte als uneheliches Kind das grelle Licht der Lampe im Kreißsaal. Für manche ist es das Licht der Welt, aber es ist nur eine Lampe. Diese Einsicht sollte mir auf meinen späteren Mallorca-Auftritten helfen ruhig zu bleiben, als Hunderte Lampen mich anstrahlten und der ein oder andere Schlüpfer auf der Bühne landete. Aber wie schaffte ich als Kind nun damals schon Grenzen zu überwinden?

1960 ging meine Mutter zur Jobsuche in den Westen, genauer gesagt nach Westberlin. Was jedoch keiner ahnen konnte, es sollte für sie kein Zurück mehr geben. Obwohl nach Ulbricht - niemand vorhatte eine Mauer zu errichten -, war sie im August 1961 hoch und lang genug, um ein 72- Millionen-Volk zu trennen. Der Eiserne Vorhang war nun zu und meine Mutter hinterließ zwei Kinder mit all ihren Verwanden in der Obhut des Sozialismus. Ein neues Leben im reichen Kapitalismus, in dem das Wirtschaftswunder schon tobte, sollte entstehen. Und so erblickte ich fünf Jahre später, als Westdeutscher das Leben. Zufall oder nicht, mein Leben sollte später häufiger, Grenzerfahrungen machen. Nur hatte ich nicht immer das Glück auf der richtigen Seite einer »Mauer« zu stehen.

In jungen Jahren hingegen, war es für mich immer ein Abenteuer meine ostdeutschen Verwandten zu besuchen. Als ich zwischen vier bis sechs Jahre alt war, war ich mindestens zweimal im Jahr in der Ostzone, so nannte man früher die DDR auch. Das war immer sehr aufregend für mich. So wie ich es mit Kinderaugen sah, war es gut, dass ich im Westen aufwachsen durfte. Es war alles so schmutzig und es gab nicht viel. Es war überhaupt alles anders bei meinen Verwandten, meinen Geschwistern, Tanten und Onkels, aber alle waren immer super freundlich zu mir.

Ich war etwas Besonderes in ihren Augen, da ich aus dem Westen kam. Und so stand ich damals schon im Rampenlicht, genoss die Party zu Vita oder Stern Cola und ab und zu durfte ich auch mal am Rotkäppchen-Sekt oder ihrem selbstgemachten Eierlikör nippen, den sich die Erwachsenen teilten. Ich hatte ja in dem Alter noch keine Ahnung was DDR und BRD bedeutete. Nur dass die Fahrt lange dauern würde, man eine Grenze überqueren musste mit düsteren Volkspolizisten und meine Mutter mir immer einbläute nicht zu lachen, obgleich die Grenzpolizei ein Lächeln bitter nötig gehabt hätten. In späteren Jahren schenkte ich Ihnen ein Lächeln, zum einen um meine Schmuggelabsichten zu kaschieren und zum anderen aus Erleichterung, wenn alles danach gut ging und ich wieder gen Westen fahren durfte.

Damals war ich aber noch ein ruhiges Kind. Zumindest die ersten neun Monate. Was mich fast mein Leben gekostet hätte. Meine Mutter erzählte mir, sie musste immer erraten wann ich Hunger gehabt hätte, da ich so gut wie nie geschrien habe. So auch an diesen Tag, an dem ich als neun Monate alter Säugling quasi gestorben bin.

Nach Erzählungen meiner Mutter, war ich mal wieder überfällig mit Schreien und sie sah nach mir. Als sie mich in meinem Bettchen sah, erstarrte sie! Ich hatte schon ein blaues Gesicht und bewegte mich nicht. Sie riss mich aus dem Bett schüttelte und rüttelte mich. Sie schrie und rannte mit mir auf dem Arm aus der Wohnung. Wir wohnten im fünften Stock. Stufe für Stufe, Etage für Etage, rannte sie im engen Treppenhaus und schaute in mein totes Gesicht. Alles schoss ihr durch den Kopf, wie sie mir erzählte, bis sie auf einmal stehenblieb. Mein Gesicht bewegte sich wieder, sie bekam große Augen und ich fing zu husten, zu weinen und zu schreien an. Im Krankenhaus teilte man ihr mit, dass ich erstickt war und man einen Herzstillstand im Nachhinein festgestellt hatte. Den Treppen sei Dank, dass mein kleines Herz wohl wieder zu schlagen anfing. Ruhig war ich danach nicht mehr. Eher noch lauter. Vielleicht auch so ein Grund, warum ich später mein Glück als Schlagersänger versuchte - Fahrstuhl fahre ich bis heute nicht, wenn dann maximal metaphorisch, also mein Leben hindurch: auf und ab!

5447 Tage Im Schatten vom Paradies

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