Читать книгу 5447 Tage Im Schatten vom Paradies - Patrick Naumann - Страница 8

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Marokko- jetzt bin ich mal weg!

Wenn an einem Februartag sich das Wetter nicht entscheiden kann, ob es nun regnen oder schneien soll, der Himmel grau, fast dunkel gefärbt ist, im Fernsehen nichts Vernünftiges läuft und aktuell keine Freundin am Start ist, dann sind das Momente, in denen man einfach wo anders sein möchte. Der Gedanke an einem Ort zu sein, wo so gut wie immer die Sonne scheint, muss mich wohl in diesem Augenblick so ergriffen haben, dass ich meine Tasche packte. Mit ein paar Klamotten, einer Flasche Apfelsaft, drei bis vier belegten Broten mit Wurst, ca. 170 DM, dazu noch einen Zettel geschrieben, »Ich melde mich«, stand ich eine halbe Stunde später an der Autobahn mit dem Daumen in der Höhe.

Gegen frühen Abend hielt dann ein LKW-Fahrer. »Wohin?«, fragte er mich.

»Wohin fahren Sie denn?«

»Nach Zürich.«

»Gut«, sagte ich. »Passt«, und stieg ein und war schon mal auf den Weg gen Süden, unterwegs Richtung Sonne. Dennoch war mein genaues Ziel noch nicht so richtig klar.

Kurz vor Zürich fragte mich der Fahrer, ob ich an der nächsten Raststätte aussteigen möchte. In Geografieunterricht war ich nicht so oft Kreide holen, weil es mich interessierte und ich daher gut darin war. Ich wusste, Schweiz, da gibt es zwei Möglichkeiten: Italien oder Spanien. In Italien war ich schon als Kind, also fiel meine Wahl auf Spanien. Ich bedankte mich und stieg an der nächsten Raststätte aus. Mittlerweile war es Nacht, der Himmel sternenklar und somit saukalt. Nun stand ich da, mit meiner Tasche in der Hand und mit den Füssen im Pulverschnee, der hier leicht den Asphalt säumte. Von den warmen Lichtern angezogen, alle Lichter sind warm, wenn man nachts im Schnee mit nicht gerade winterfesten Klamotten dasteht, entschloss ich mich erst mal in das Restaurant zu gehen, einen warmen Tee zu trinken und meine weitere Reise zu planen. Das Restaurant war noch gut besucht für diese Uhrzeit. Die Angestellten füllten das Salatbuffet auf. Ein junger Mann wischte den Boden vor dem Tresen. An einem Tisch saßen vier Männer, sie sprachen Französisch. Das passt, dachte ich mir, ich wusste ja, über Frankreich führt der Weg nach Spanien. Als ich meinen Tee getrunken hatte, ging ich zu dem Tisch und erkundigte mich, ob denn einer der Herren Deutsch spräche. Ich hatte Glück, einer der vier verstand mein Gestammel und bejahte mit einem lustigen Akzent: »Oui, un peu,- ein bisschen!«

Zu meinem Erstaunen verstand ich ihn besser als den jungen Schweizer am Tresen. Ich erklärte ihm, dass ich nach Spanien wollte und eine Mitfahrgelegenheit suchte. Er meinte, er fahre nach Montpellier, das wäre Richtung Spanien und kein Problem. Mein Gott, das läuft, dachte ich mir.

Noch vor ein paar Stunden saß ich noch Zuhause in Deutschland im Wohnzimmer. Im Fernsehen lief nichts und der Schnee zerteilte sich an der Fensterscheibe. Nun treibe ich mich nachts in Zürich als 15-jähriger an einer Raststätte herum, obgleich der Gedanke kam mir damals nicht, eher fühlte ich mich stolz, erwachsen, ein Abenteurer, der halt machen muss was er machen muss. Ich musste raus, einfach mal weg. Erst hier, auf der Raststätte, wurde mein Ziel richtig klar. Eben Spanien. Zumindest dachte ich mir dies.

Das Abenteuer ging also weiter oder fing erst richtig an. Irgendwann brachen wir auf. Er hatte einen kleinen Transporter. Hinten auf der Ladefläche hatte er eine kleine Matratze. Er sah mir wohl schon an, dass ich müde sei. Er meinte, ich könne mich ruhig hinten hinlegen während der Fahrt. Ich nahm dankend an, machte es mir so gut wie möglich gemütlich, nahm noch einen Schluck aus der Apfelflasche, dachte über alles nochmal nach, ob es richtig wäre, aber zu einem Urteil kam ich nicht mehr und schlief ruhig und zufrieden ein.

Irgendwann wachte ich auf. Das Auto fuhr nicht mehr, ich hörte die Fahrertüre zuknallen. Ich dachte entweder ist er ausgestiegen oder eingestiegen. Kurz darauf öffnete sich meine Tür und er stand da. »Bonjour, möchtest du auch einen Kaffee?«

»Wo sind wir denn?«, fragte ich. »Ca. zwei Stunden vor Montpellier«, antwortete der Fahrer. »Ah, okay.«

Ich kroch aus der Ladefläche und streckte mich erst mal. Ich hatte recht gut geschlafen. Auf die Toilette musste ich aber jetzt. Ich sah mich um, es war ein normaler Autobahnparkplatz mit einen kleinen Holzhäuschen in dem Licht brannte. Davor waren zwei Stehtische, dahinter stand ein kleines Toilettenhäuschen. Schon damals war meine Devise: erst das Geschäft, dann das Vergnügen. Erleichtert ging ich dann wieder zu den Stehtischen, der Fahrer aß schon und trank seinen Kaffee und unterhielt sich mit der Bedienung. Es war noch sehr früh, aber schon deutlich wärmer. »Möchtest du auch einen Kaffee?«

»Gerne«, antworte ich. Er bestellte einen und hielt mir seine Schachtel Zigaretten hin. Da fiel mir wieder Oma Huber und die Mistgabel ein und dass ich fasst gestorben wäre bei meinem ersten richtigen Lungenzug. Ich lehnte dankend ab und erzählte ihm diese Geschichte. Er lachte laut, klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Fang nie wieder an!«

Wir unterhielten uns noch ausgelassen beim Kaffee. Er fragte mich, was ich denn in Spanien wolle. Diese Frage überrumpelte mich ein bisschen. Verlegen fiel mir nur ein: »Urlaub.« »Wissen deine Eltern Bescheid?«

»Ja, klar«, antworte ich und dachte unfreiwillig an den Zettel, den ich meiner Mutter geschrieben hatte. Ich lenkte dann schnell wieder ab und nahm mir vor im Auto weiter darüber nachzudenken.

Wir fuhren weiter. Ich saß jetzt vorne und wir unterhielten uns darüber welcher Platz strategisch besser wäre für meine Weiterreise nach Spanien.

Wir entschieden uns für die Mautstelle kurz vor Perpignan - von da aus ist es nicht mehr weit bis zur spanischen Grenze. Als wir an der Mautstelle angekommen waren, sah ich die Schlange, es war Berufsverkehr. Er setzte mich ab und sagte ich solle zum Büro gehen, die würden mir bestimmt helfen. Ich bedankte mich noch schnell fürs Mitnehmen und den Kaffee. »Bitte, au revoir, e bon voyage.«

Ich lächelte, nickte und ging Richtung Mautbüro. Ein bisschen mulmig war mir schon. So tief in Frankreich und natürlich hatte ich auch leichte Bedenken wegen der Sprachbarriere. Ich hoffte aber, dass einer Deutsch beherrschen würde.

Natürlich sprach keiner Deutsch und nur widerwillig, aber dafür schlechtes Englisch! So versuchte ich mich mit Händen und Füßen zu erklären. Aber der Angestellte nahm mich gar nicht richtig wahr, er schaute nur kurz, nickte ein paar Mal und dann schaute er wieder in seine Akten. Er mühte sich noch kurz ab mit dem Finger nach draußen zu zeigen, Richtung der wartenden Autos.

Die sprachlichen Probleme hatte ich in meinem Plan gar nicht bedacht, die wurden mir jetzt aber klar. Ich ging wieder nach draußen, nahm Platz auf einer Bank, verspeiste meine letzten Wurstbrote und trank meinen Apfelsaft. Nebenbei malte ich mir aus, ich bräuchte doch nur durch die Schlange gehen, freundlich schauen und Perpignan sagen. Genau, so werde ich es machen, sprach ich mir Mut zu. So ging ich zu den Autos, klopfte freundlich an die Scheibe und sagte: »Sorry, Perpignan?«

Der Mann hinter der Scheibe schüttelte nur den Kopf. Beim nächsten Auto machte die Frau erst gar nicht die Scheibe runter und fuchtelte nur mit der Hand. Sie verscheuchte keine Mücken, aber ich sollte eine machen.

Bei den nächsten Autos hatte ich auch kein Glück. Ich denke, wenn die schon einen sehen, der von anderen Autos abgewiesen wird, ist das Urteil für sie schon längst gefällt. Nach ca. zwei Stunden und zig »Sorry, Perpignans« - ich konnte schon den Namen nicht mehr hören - zog ich mich wieder auf meine Bank zurück. Erste Ernüchterungen machten sich breit. Kann doch nicht sein, dass ich so easy hierhergekommen bin und nun an der Mautstelle scheitere. Bisschen bedröppelt saß ich auf der Bank, als auf einmal der Mann aus dem Büro der Mautstelle kam. Er kam zu mir, musterte mich, zog an seiner Zigarre und fragte: »Perpignan?«

Ich nickte hastig und griff nach meinem Rucksack. Mit seinem Kopf deutet er an, ich solle mitkommen. Super, dachte ich, jetzt komme ich doch noch nach Spanien. Mich nahm dann ein junger Mann mit. Er fuhr direkt bis zur Grenze nach Portbou.

Es gibt zwei, eigentlich drei Möglichkeiten über die Grenze nach Spanien zu kommen. Per Landstraße oder per Autobahn. Wir waren auf der Landstraße unterwegs. Kurz vor der Grenze war ein großer Autohof mit Restaurants und Wechselstuben. Von dort aus sind es nur noch 500 Meter bis zur Grenze. Ab hier ging ich zu Fuß weiter. Ich zog meinen Personalausweis aus der Tasche, machte ein freundliches Gesicht wie schon damals, an der Zonengrenze, und ging frohen Mutes Richtung Checkpoint. Ein spanischer Grenzbeamter hielt mich auf. »Pasaporte, por favor.«

Ich gab ihm meinen Ausweis. Er musterte, ohne groß eine Miene zu verziehen, abwechselnd meinen Ausweis und dann mich. Er fing zu meiner Verwunderung an Deutsch zu sprechen und fragte: »Was willst du in Spanien?«

In diesem Moment fiel mir nur die Antwort ein, die ich schon dem Autofahrer sagte, ich wolle Urlaub machen. Die Antwort schien mir besser als zu sagen, das Wetter sei zu schlecht in Deutschland. Nur zufrieden stellte sie ihn nicht und er bat mich mit in sein Büro zukommen.

Jetzt wurde mir ganz anders zumute. Ich dachte, die Reise sei jetzt hier zu Ende! Vielleicht hatte meine Mutter schon eine Vermisstenanzeige rausgegeben und die Polizei suchte schon nach mir? Im Gedanken war ich schon mitten im Streitgespräch mit meiner Mutter. »Wie viel Geld hast du dabei?«

Mit der Frage hatte ich nun nicht gerechnet. Ich kramte in meinen Taschen und legte ca. 170 DM auf den Tisch, minus den Tee, den ich in Zürich genießen konnte. »Das ist aber nicht sehr viel«, sagte er. »Wo willst du denn Urlaub machen?«, fuhr er fort. »Ich weiß es nicht genau«, antwortete ich, unter dem Versuch immer noch locker zu wirken, aber nun schon verkrampfter, denn diese Antwort schien ihm auch nicht besonders zu gefallen. Auch dass in meiner Tasche, die er begutachtete, nur ein paar Klamotten, ein Brot und die angefangene Apfelflasche waren, sprach eher nicht für mich. Er hielt mir meinen Ausweis hin und schüttelte den Kopf. »Pardon, ich kann dich nicht einreisen lassen.«

Toll, dachte ich, das war ein harter Schlag ins Gesicht. Andererseits wollte ich auch nicht nachhaken und schaute, dass ich so schnell wie möglich wegkam, bevor der Zöllner weiter nachhaken könnte. Tja, die Einreise wurde mir nun offiziell verweigert. Ich nahm meinen Ausweis und verabschiedete mich freundlich. So blieb mir nur noch die dritte Möglichkeit: die grüne Grenze!

5447 Tage Im Schatten vom Paradies

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