Читать книгу Abschiedsbrief an die Liebe - Patrick Sandro Nonn - Страница 5
Unsere gemeinsame Zeit
ОглавлениеWir erreichten also einen Status Quo. Waffenstillstand. Du hattest obendrein deinen Freund, ich freundete mich mit der kleinen Schwester von Emotion Nummer eins an. Einsamkeit. Ma sweet solitude. Sie war treu und eine hinreißend scharfe Bettgefährtin. Das bemerkte ich recht schnell, obwohl ich erst Jahre später zum ersten Mal den Song „Ma solitude“ von Georges Moustaki hörte. Meine Französischlehrerin machte mich mit dieser fabelhaften, sensiblen musikalischen Betrachtung des Themas Einsamkeit bekannt. Ihr Unterricht in unserer gemischten Klasse artete zwar in eine Übervorteilung der Fortgeschrittenen aus, aber für die Bekanntschaft mit diesem Lied, werde ich ihr allzeit dankbar sein.
Status Quo. Ich wechselte von der Hauptschule auf die Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung, lernte neue Leute kennen. Zwischendurch traf ich dich immer mal wieder. Jedes Mal wurde das Feuer neu angefacht. Jedes Mal ein bisschen mehr geschürt. Liebe. Ich versank in deinen Augen. Nachdem wir uns voneinander verabschiedeten, hasste ich dich noch viel leidenschaftlicher. Feuer und Eis. So sehr ich auch versuchte zu leugnen, so sehr ich mich bemühte, deinen Platz in meinem Herzen an eine andere zu verschenken und deinen Palast einzureißen, ganz wie du es wolltest, du warst der zündende Funke, der mein Leben zu etwas Besonderem machte.
Egal welches Mädchen ich umwarb, immer bekam ich jenes Wort mit den bleiernen Flügeln zu hören: Bester Kumpel. Vielleicht war ich das. Der einzige viel zu zärtliche Macho des Planeten. Nur ein bester Kumpel. Das war es, was alle Mädels in mir sahen. Ein ganzes Universum an weitergehenden Möglichkeiten hätte ich zu bieten gehabt. Nehmen wir zum Beispiel mal Anja. Sie saß eine Bank hinter mir in der Klasse und sah einfach hinreißend aus. Sie trug ihre dunklen Haare schulterlang, hatte blaue Augen, war schlank und ungefähr so groß wie ich. Wir verstanden uns blendend vom ersten Tag an. Vorausschauender Weise erahnte oder befürchtet ich, sie würde einen Freund haben und natürlich lag ich damit richtig.
Kein Problem, sagte ich mir, den wirst du überleben. Und so geschah es. Ich überlebte ihn als… na du weißt schon.
Ich jonglierte nun also mit mindestens zwei heißen Eisen auf einmal. Planlos und ohne Strategie. Wen von euch beiden sollte ich mehr lieben? Welcher den Vorzug geben, vor der anderen? Wer war so wichtig, dass eine maximale Investition an Gefühl vernünftig sein mochte? Ich glaubte ja nicht einmal an mich selbst. Wie soll man sich da Chancen ausrechnen? Einerseits gab es hier und jetzt Anja, neu und außerordentlich interessant.
Andererseits wurde ich immer wieder von dir gefesselt. Ich habe mich gerne fesseln lassen, sooft wir uns trafen. Immer spielte ich brav den besten Kumpel, wie du es wolltest. Habe schmerzhaft deine Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied genossen. Wusste nicht, ob ich sie genießen darf. Oh Herz, wie zerriss es mich jedesmal, deine Brüste an meiner hemdsverhüllten, haarigen Bärenbrust zu spüren. Wusste nicht ob ich deine Nähe genießen darf, dich zu fühlen, die zarte Schönheit deiner Seele, die mich immer schon beeindruckt hat. Also tat ich es mit gemischten, zwiespältigen Gefühlen, oftmals linkisch und verkrampft, angespannt bis zum Bersten, musste ich meine wahren Empfindungen doch vor dir verbergen. Ich durfte ja nur bester Kumpel sein. Dies war dein Spiel und mein Schlachtfeld. Aber du kanntest und kennst mich viel zu gut, als dass dir meine innerliche Erstarrung, mein Kampf nicht aufgefallen wäre. Wir beide stellten ein reichlich seltsames Gespann dar. In unserer rein freundschaftlichen Zuneigung durch so gut wie nichts zu erschüttern. Wir waren Seelenverwandte, wie ein einziger Gedanke, Blutsbrüder, jeder auf seiner Seite des Grand Canyon. Ich erinnere mich daran, wie es war, neben dir auf meiner oder deiner Couch zu sitzen, so nahe, dass ich deine Wärme fast spüren konnte. Du bist ein Stern. Der schönste Stern den ich kannte. Nur willst du das leider nicht sehen. Und deshalb bist du ein Traum. Du wirst dich niemals wirklich finden, wenn du nicht endlich jemandem glaubst, der an dich glaubt. Nein, keine Angst, ich fange nicht schon wieder an zu predigen. Das habe ich lange genug und oft genug versucht. Vielmehr möchte ich dir erzählen, wie meine Welt mit dir aussah. Ich wage nicht zu spekulieren, wie sie ohne dich aussehen wird. Sie wird leerer sein, sie wird schrumpfen, kleiner werden und blasser. Diese Tatsachen sich lassen schon erkennen. Ich weiß jedoch, es muss unbedingt sein. Lediglich dein Kumpel zu sein, schaffe ich einfach nicht. Dafür entsprichst du zu sehr meinen Vorstellungen von Schönheit. Ich weiß, du willst das nicht hören. Zum einen wirst du dann wieder argumentieren, Schönheit liege nur im Auge des Betrachters. Zweitens sage ich dir aber, kommt für mich der wichtigste Faktor im Begriff Schönheit aus Herz und Verstand. Drittens bin ich durchaus dazu fähig, ganz einfach nur still und leise zu bewundern und das konnte bisher keiner von den Knilchen, die du näher als nahe an dich herangelassen hast. Diese Möchtegern Machos sollen erst einmal lernen, wie man als Mann zum Verwöhnaroma wird. Keine Verwöhnaroma-Strategien, kein richtiger Macho. So ist das eben. Nun gab es da neuerdings Anja, die bereits lange Zeit einen festen Freund hatte. Jeder Mensch weiß, je länger so eine Beziehung dauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, das es zu einem Riesenkrach kommt, der sich in einen Knacks und einen nicht wieder zu kittenden Bruch verwandelt. Hier lagen die Trümpfe allesamt in meiner Hand. Um den Einsturz eines Kartenhauses mitzuerleben, braucht man nichts als Zeit. Die stand mir zur Verfügung. Alle Zeit der Welt sogar und überall auf dieser Welt gab es nette, gutaussehende Mädchen in meinem Alter. Es gestaltete die Wartezeit wesentlich angenehmer, konnte ich doch meine Sensoren in alle Richtungen auf mögliche Angriffsziele schalten.
Dummerweise bin ich unterdessen außerordentlich vorsichtig, zurückhaltend und schüchtern geworden. Kein Wunder, wenn man genügend Pickel im Gesicht hat, um unverkleidet als Pizza zum Karneval zu gehen. Deshalb verschwendete ich die meiste Energie, die für solche Angriffe bereit stand an die sorgfältige Observierung und das Ausloten möglicher Chancen und Risiken. Zum Angriff übrig blieben Platzpatronen und Knallfrösche. Damit ist eindeutig klar, dass die Risiken, wieder einmal bester Kumpel sein zu dürfen, jedes mal eindeutig überwogen. Ich begab mich also immer nur ganz dezent auf Annäherungskurs. Ein galaktisches „SwingbyManöver“ in Zeitlupe. Für galaktische Manöver hat auf diesem emsig rotierenden Brummkreisel niemand Zeit. Außerdem wird man auf diese Weise sowieso für den zahmen BesterKumpelTrottel gehalten. Von Romantik haben Frauen halt keine Ahnung. Und Männer noch weniger. Deshalb ist sie vom Aussterben bedroht. Da ich mir bei Anja trotzdem noch ernsthafte Hoffnungen machte, genoss ich es besonders, mit ihr im Unterricht Briefchen zu schreiben, ihr meine Aufmerksamkeit zu widmen oder mich mit ihr zu treffen. Die gleiche Situation wie sonst auch: Mit mir kann man sich über alles Mögliche unterhalten, sogar über sexuelle Vorlieben, auch wenn ich für die Praxis nicht in Frage komme. Macht ja nichts, ich habe ja Zeit, viel mehr Zeit als ihr ahnt. Sofern ihr mich lasst, kann ich gerne charmant und witzig, geistreich und unterhaltsam sein, oh ja, ihr müsst mich nur aus der Reserve locken. Von mir aus kriegt mich keiner aus meinem Schneckenhaus. Da brauche ich das Signal echten Interesses. Ehrlich, wie ich bin, habe ich ihr wohl irgendwann etwas von meiner großen Liebe erzählt. Seit dem hielt sie mich erst recht für harmlos und ungefährlich. Na schön, soll sie doch. Ist ja nicht das erste Mal. Früher oder später wird sie schon merken, was sie an mir hat. Man muss lernen, auf so vielen Hochzeiten wie möglich zu tanzen.
Oder auch auf Geburtstagspartys, wie zum Beispiel Katharinas. Die wiederum ist Anjas beste Freundin, sitzt in derselben Bank und auch mit ihr verstehe ich mich gut. Eigentlich kann ich gar nicht tanzen. Ich hasse es zu tanzen, meine Musikalität hört direkt unter meinem Kinn auf. Sich unter die anderen Gäste mischen und am Rand ein kleines bisschen auffallen, geht grade so. Aber mein Gefühl dafür, einen Rhythmus in Einklang mit Bewegungen zu bringen, endet beim ersten Halswirbel. Obwohl ich sonst musikalisch bin. Vielleicht finde ich Partys ja doch irgendwann ganz nett. Abgesehen davon, dass ich laute Musik nicht ausstehen kann. Einer richtigen Clique von Freunden anzugehören, macht Geburtstagspartys regelrecht erträglich. Man schaut an den Leuten, die man gar nicht sehen möchte am Besten einfach vorbei. Schwierig ist es bloß dann, wenn die immer an dem Mädel herumhängen, das einen selbst am meisten interessiert. Nervt ungemein! Erstaunlich allerdings, auf welche Typen die Weiber hereinfallen. Anscheinend ist diese Tatsache absolut unveränderlich. Deprimierend, wirklich. Es ist nicht schön. Erst recht nicht, wenn es sich um die Partys meiner besten Freundinnen handelt. Trifft man sich privat und keine Nervensäge von Freund ist dabei, kann man sich wenigstens voll und ganz dem Illusionismus hingeben und sich ausmalen, was passieren könnte. Man kann den ganzen Nachmittag und Abend von vornherein planen, Drehbücher über heiß erwünschte Ereignisse schreiben und dadurch für wesentlich mehr Sicherheit sorgen. Hier ist doch bloß Chaos. Zwar kenne ich mich mit Chaos aus. Das meiner Gedankenwelt bekomme ich schließlich auch geordnet, nur ist es in diesem Chaos schwierig als einzelnes Elementarteilchen aufzufallen. Besonders, wenn man nicht weiß, ob man auffallen will oder nicht.
Ich hasse es, zu tanzen. Trotzdem habe ich mich von jemandem auf die Tanzfläche zerren lassen. Wie windet man sich da am Besten wieder heraus? Ist man so geschickt wie ich: Gar nicht. Man macht sich lächerlich. Man beschließt, nie wieder auf eine Party zu gehen, obwohl man genau weiß, am nächsten Samstag steht die nächste Party an. Natürlich geht man hin. Und so wie die Partys dahingehen, gehen die Jahre, die Jugend, das Leben. Die Zeit verrinnt, tagtäglich müsste man sich sagen: „Carpe diem“, nutze den Tag, mach etwas Besonderes aus deinem Leben, bevor deine Stunde schlägt, bevor du eins wirst mit dem Sand der Ewigkeit. Die Zeit mit dir, Stephanie, war immer etwas Besonderes. Sie war carpe diem. Erfüllter hätte ich kaum leben können. In meiner Galaxis warst du der hellste Stern und je seltener ich die Gelegenheit bekam, dich zu treffen, desto heller strahltest du in meinen Gedanken, desto leuchtender empfand ich deine Schönheit.
Unsere Treffen waren wunderbar perfekt, solange ich mich an die unausgesprochene Regel „Sag mir nicht, dass du mich liebst und nicht dass ich deine Traumfrau bin“ hielt. Jede Verabredung plante ich im Voraus, schrieb regelrechte Drehbücher, entwarf Szenerien, wie ich dich sanft auf meine Seite zerren konnte. Der Versuch, sie umzusetzen scheiterte jedes Mal kläglich daran, dass du dich nicht von mir beeinflussen ließest, meine rhetorischen Raffinessen abschmettertest, nicht in meine Fallen tapptest, Anspielungen ignoriertest und meine zaghaften Versuche, zärtlich zu dir zu sein, nicht bemerktest. Zugegeben, ich verhielt mich übervorsichtig. Ein Panther im Balanceakt zwischen heißem Blechdach und zu dünnem Eis. Ich hatte allen Grund dazu. Mir war bestens bekannt, was passierte, wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehnte. Ich wurde augenblicklich des Verrats an unserer Freundschaft angeklagt, für schuldig befunden und hingerichtet in einem Atemzug, weil du es partout nicht wahrhaben wolltest, dass ich niemals aufgehört habe, dich zu lieben. Natürlich habe ich es oft versucht, zu leugnen, mir auszureden, abzutöten, dich zu hassen. Wenn du es von mir wissen wolltest, habe ich natürlich geschworen, dass sich die Erde nicht um die Sonne dreht, um deine Nähe genießen zu dürfen und selbst daraus musstest du mir einen Strick drehen. In manchen Punkten wäre es gut gewesen, hättest du dein Schneckenhaus nicht verlassen. Ich weiß nicht, ob du dich außer um „Nein“ zu mir zu sagen, überhaupt vor seine Tür gewagt hast, denn mein Predigen nützte ja nichts. Gepredigt habe ich. Mit glühendem Herzen und Engelszungen habe ich an dein Selbstbewusstsein appelliert. Wer auch immer es dir ausgeredet hat, das Selbstbewusstsein, er oder sie hat ganze Arbeit geleistet. Warum konntest du nicht dieses Zugeständnis machen und einsehen, dass du meine Traumfrau bist? So schwer kann das doch nicht sein. Nur ein kleines bisschen Mut hättest du dafür aufbringen müssen. In anderen Dingen, beruflich zum Beispiel, warst du doch willensstark, selbstbewusst und zielstrebig.
Dir war immer klar, was du wolltest. Genau so wie du dir ständig Männer ausgesucht hast, die dich schlecht behandeln. Schade, dass du dich nicht gerne auf Händen tragen, verwöhnen und vergöttern lässt. Den Job hätte ich gerne übernommen. Dein Wille wäre geschehen. Ein Wimpernschlag von dir, ein aufmunternder Blick. Du hättest mich mit einem Blick zum Schmelzen bringen können. So schmolz ich nur innerlich vor mich hin und nur meine Hoffnung schmolz, bei dem Bemühen meine Liebesglut mit eisiger Kälte zu bekämpfen. Größtenteils zwecklos. Ohne Erfolg. Um dich zu vergessen, habe ich dich zu oft gesehen. Teilweise dein Verschulden. Es gab von deiner Seite aus, im Großen und Ganzen, ja nichts dagegen einzuwenden, mich zu treffen. Manchmal glaubte ich fast, es würde dir Spaß machen, mich zu quälen. Oder ich ließ mich gerne quälen. Je nach dem. Eigentlich verfüge ich nicht über eine masochistische Ader. Aber wer weiß, was einen die Liebe alles erdulden lässt. Sie macht dich im Handumdrehen zahm und gefügig. Sie hilft einem alles zu ertragen. Auch das liegt in ihrer Natur. (Alte Weisheit aus der Bibel.)
Sie betrügt, die Liebe. Denn die Zeit, in der man alles erträgt, könnte man sehr viel sinnvoller verbringen und Ausschau nach anderen Mädchen (Frauen) halten. Nein, man übt sich in Geduld und auch das völlig sinnlos. An carpe diem nicht zu denken. Zeit verstreicht unberührt von wichtigen Ereignissen. Der Augenblick an sich, das Wiedersehen ist das Einzige, worauf es einem ankommt. Ist es dann endlich soweit, ergeht man sich nur wieder in rücksichtsvollem Small Talk oder Gesprächen, die durchaus Fundament und Tiefgang haben, hört sich Geschichten über das elende Fehlverhalten des Partners an und fasst es nicht, wie blind du bist. Du machst die Augen zu und damit ist das uns betreffende Kapitel abgehakt. Ende, aus, vorbei. Wenn du dich gerne quälen lässt, bin ich doch genau der richtige. Durch dich habe ich den Sadismus, meinen Sadismus überhaupt erst kennen gelernt. Für den Fall, dass du von Zeit zu Zeit ein wenig Erniedrigung und Demütigung brauchst, kann ich auch dafür gerne sorgen. Der entscheidende Vorteil bei mir ist dir sicher bekannt: Aufrichtige Verehrung. Du erwartest mittlerweile ja nur noch, dass man dich tritt! Warum unternimmst du nichts dagegen? Lass mich doch dein Verwöhnaroma sein. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie schön das ist, verwöhnt zu werden? Du kannst es nicht! Ich weiß nämlich, was du unter verwöhnt werden verstehst: Sich mit dem bisschen, das man geboten bekommt, zufrieden zu geben. Das ist aber nicht alles, was man als schöne Frau erwarten darf. Keine Diskussion jetzt! Stell dir vor, ich habe meine eigene Meinung über dein Aussehen. Ich finde dich wunderschön. Nur damit du dich darüber ärgern kannst, es noch mal von mir zu hören: Ich finde dich wunderschön! Obwohl ich dabei bin, mein Leben von deinem zu trennen, wird sich diese Meinung in meinen Gehirnwindungen halten, bis ich zu Asche zerfalle. Diese grausame Tatsache, die sich wie ein widerhallendes Echo zwischen meine Gedanken drängt, ist: Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich. Was soll ich dagegen unternehmen? Jeden Tag sage ich mir: “Ich muss nichts von ihr hören, sie lebt ihr Leben, ich lebe meins.“
Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, ich belüge mich selbst. Zumindest, sofern es um meinen Teil der Geschichte geht. Von deinem Teil der Geschichte wage ich nicht zu träumen. Manchmal träume ich heimlich. Du erfährst zwar seit unserem letzten großen Krach nichts mehr davon, aber ich habe den Eindruck, die verrückte Idee, mich vor meinen Gefühlen schützen zu müssen, bevor ich wieder in ihnen untergehe. Und ich ertrinke so gerne. Vor allem in deinen meeresblauen Augen.
Letztendlich weiß ich, dass ich mich verstecke. Ich nutze jeden Schlupfwinkel, um meiner Liebe zu entgehen. Habe kein Interesse daran, wieder den Hass in mir hochkochen zu lassen, jetzt da es endlich so aussah, als ob er überwunden sei. Wo endlich Ruhe und Frieden herrscht. Alles, alles, alles Trick siebzehn mit Selbstüberlistung. Ich weiß nicht mehr, was ich von meinen Emotionen halten soll.
Was genau nannten wir eigentlich „Freundschaft“? Wir haben Jahre unseres Lebens miteinander verbracht. Schaue ich heute drauf zurück, glaube ich fast, nie richtig etwas von dir gewusst zu haben. Du wusstest bestimmt viel mehr von mir. Vielleicht hat mich die Faszination, die du ausübtest, daran gehindert, im richtigen Augenblick die richtigen Fragen zu stellen. Was ich wissen musste, sagtest du mir. Manchmal war das, was ich wusste schwer zu ertragen. Wenn du mir erzähltest, dass du beim Sex of vor Lust laut schreist und mir klar wurde, das ich nie in der Position sein würde, das erleben zu dürfen. Wahrscheinlich habe ich deshalb keine Fragen gestellt.
Ich schlage gerne leise Töne an. Je leiser man ist, desto lauter hört man die anderen schreien. Einige brüllen völlig sinnlos. Gut, wenn man mich genug ärgert, explodiere ich wie eine Atombombe. Aber ich gebe mir Mühe, es nicht zu tun. Ich weiß nämlich leider nur zu gut, wie sehr ich mich möglicherweise von meiner Wut mitreißen lasse, weil sie genau so stark wie meine Liebe ist. Lasse ich es zu, dass ich vor Zorn explodiere, zerreist es mich. Ich werde zur tobenden Bestie, obwohl ich es gern vermeiden würde. Du wirst jedoch nicht daran vorbeikommen, dass ich dir später noch mehr darüber erzähle. Erzählen muss. Du weißt sicher warum.
Wie also liefen unsere Treffen ab? Sie waren der Schnittpunkt zwischen Himmel und Hölle auf Erden. Hier lag das Zentrum in dem Glück und Verzweiflung, Hoffnung und Resignation, Vorfreude und bitterer Nachgeschmack geschmolzen und zu einem Gefühl festgebrannt wurden: Liebe. Hilflose, unerfüllte, brennende, zärtliche und unendlich verletzbare Liebe. Liebe, die du niemals begriffen hast. Ich habe leider auch nie verstanden, warum meine Liebe so unmöglich und unverzeihlich sein sollte. Ich dachte, Liebe und Zuneigung, eben jene unaussprechlichen, zärtlichen Gefühle würdest du kennen, vielleicht sogar wiederentdecken, wenn du dir nur meine Augen anschaust. Meine dicken Brillengläser schirmen wahrscheinlich zu viel von meinen Empfindungen ab, als das jemand sie sieht. Eine böse Idee, die ich habe und die mir zu treffend erscheint, um sie unerwähnt verschwinden zu lassen ist, dass du zu sehr an der Oberfläche kratzt, um meine tiefschürfenden Emotionen nachzuempfinden. Ich hoffe sehr, das ist nicht der Fall. Hoffnung ist eine andere Sache, die ich mir im Bezug auf meine Emotionalität abgewöhnt habe. Ich glaube an gar nichts mehr. Das ich noch mal der Liebe, der echten, wahren aufrichtigen und vom Gegenüber erwiderten Liebe begegne, nein, das halte ich mittlerweile für unmöglich. Senza una Donna. Das scheint mein Schicksal zu sein. Zum Teil fürchte ich mich nicht mehr davor. Der andere Teil, der andere Teil, reagiert auf diese Idee umso hysterischer. Also denke ich so wenig wie es geht darüber nach. Ich versuche einfach nach Ersatz Ausschau zu halten, nach einer Frau, die aufgrund ihres Charakters, ihrer Intelligenz und ihrer Schönheit, ein süßes Mädchen namens Stephanie aus meinem Herzen verdrängen könnte.
Eine junge Frau, die die Erinnerung an dich unwichtig macht und sie möglicherweise sogar auslöscht. Eine Frau, ein Mädchen, das mich vergessend macht, so vergessend, dass ich nicht einmal mehr von deiner Existenz etwas weiß. Eine ebenbürtige Konkurrenz. Irgendwie scheint das wichtig zu sein, denn du willst es ja auch so. Du freust dich unheimlich, wenn ich jemanden finde, der meinen Sehsüchten entspricht. Du freust dich fast zu sehr. So sehr, dass ich immer misstrauisch werde, wenn ich andeute, dass ich möglicherweise Ersatz für dich gefunden habe.