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Unsere gemeinsame Zeit

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Wir er­reich­ten al­so einen Sta­tus Quo. Waf­fen­still­stand. Du hat­test oben­drein dei­nen Freund, ich freun­de­te mich mit der klei­nen Schwes­ter von Emo­ti­on Num­mer eins an. Ein­sam­keit. Ma sweet so­li­tu­de. Sie war treu und ei­ne hin­rei­ßend schar­fe Bett­ge­fähr­tin. Das be­merk­te ich recht schnell, ob­wohl ich erst Jah­re spä­ter zum ers­ten Mal den Song „Ma so­li­tu­de“ von Ge­or­ges Mou­sta­ki hör­te. Mei­ne Fran­zö­sisch­leh­re­rin mach­te mich mit die­ser fa­bel­haf­ten, sen­si­blen mu­si­ka­li­schen Be­trach­tung des The­mas Ein­sam­keit be­kannt. Ihr Un­ter­richt in un­se­rer ge­misch­ten Klas­se ar­te­te zwar in ei­ne Über­vor­tei­lung der Fort­ge­schrit­te­nen aus, aber für die Be­kannt­schaft mit die­sem Lied, wer­de ich ihr all­zeit dank­bar sein.

Sta­tus Quo. Ich wech­sel­te von der Haupt­schu­le auf die Be­rufs­fach­schu­le für Wirt­schaft und Ver­wal­tung, lern­te neue Leu­te ken­nen. Zwi­schen­durch traf ich dich im­mer mal wie­der. Je­des Mal wur­de das Feu­er neu an­ge­facht. Je­des Mal ein biss­chen mehr ge­schürt. Lie­be. Ich ver­sank in dei­nen Au­gen. Nach­dem wir uns von­ein­an­der ver­ab­schie­de­ten, hass­te ich dich noch viel lei­den­schaft­li­cher. Feu­er und Eis. So sehr ich auch ver­such­te zu leug­nen, so sehr ich mich be­müh­te, dei­nen Platz in mei­nem Her­zen an ei­ne an­de­re zu ver­schen­ken und dei­nen Palast ein­zu­rei­ßen, ganz wie du es woll­test, du warst der zün­den­de Fun­ke, der mein Le­ben zu et­was Be­son­de­rem mach­te.

Egal wel­ches Mäd­chen ich um­warb, im­mer be­kam ich je­nes Wort mit den blei­er­nen Flü­geln zu hö­ren: Bes­ter Kum­pel. Vi­el­leicht war ich das. Der ein­zi­ge viel zu zärt­li­che Ma­cho des Pla­ne­ten. Nur ein bes­ter Kum­pel. Das war es, was al­le Mä­dels in mir sa­hen. Ein gan­zes Uni­ver­sum an wei­ter­ge­hen­den Mög­lich­kei­ten hät­te ich zu bie­ten ge­habt. Neh­men wir zum Bei­spiel mal An­ja. Sie saß ei­ne Bank hin­ter mir in der Klas­se und sah ein­fach hin­rei­ßend aus. Sie trug ih­re dunklen Haa­re schul­ter­lang, hat­te blaue Au­gen, war schlank und un­ge­fähr so groß wie ich. Wir ver­stan­den uns blen­dend vom ers­ten Tag an. Voraus­schau­en­der Wei­se erahn­te oder be­fürch­tet ich, sie wür­de einen Freund ha­ben und na­tür­lich lag ich da­mit rich­tig.

Kein Pro­blem, sag­te ich mir, den wirst du über­le­ben. Und so ge­sch­ah es. Ich über­leb­te ihn als… na du weißt schon.

Ich jonglier­te nun al­so mit min­des­tens zwei hei­ßen Ei­sen auf ein­mal. Pl­an­los und oh­ne Stra­te­gie. Wen von euch bei­den soll­te ich mehr lie­ben? Wel­cher den Vor­zug ge­ben, vor der an­de­ren? Wer war so wich­tig, dass ei­ne ma­xi­ma­le In­ves­ti­ti­on an Ge­fühl ver­nünf­tig sein moch­te? Ich glaub­te ja nicht ein­mal an mich selbst. Wie soll man sich da Chan­cen aus­rech­nen? Ei­ner­seits gab es hier und jetzt An­ja, neu und au­ßer­or­dent­lich in­ter­essant.

An­de­rer­seits wur­de ich im­mer wie­der von dir ge­fes­selt. Ich ha­be mich ger­ne fes­seln las­sen, so­oft wir uns tra­fen. Im­mer spiel­te ich brav den bes­ten Kum­pel, wie du es woll­test. Ha­be schmerz­haft dei­ne Umar­mun­gen zur Be­grü­ßung und zum Ab­schied ge­nos­sen. Wuss­te nicht, ob ich sie ge­nie­ßen darf. Oh Herz, wie zer­riss es mich je­des­mal, dei­ne Brüs­te an mei­ner hemds­ver­hüll­ten, haa­ri­gen Bä­ren­brust zu spü­ren. Wuss­te nicht ob ich dei­ne Nä­he ge­nie­ßen darf, dich zu füh­len, die zar­te Schön­heit dei­ner See­le, die mich im­mer schon be­ein­druckt hat. Al­so tat ich es mit ge­misch­ten, zwie­späl­ti­gen Ge­füh­len, oft­mals lin­kisch und ver­krampft, an­ge­spannt bis zum Bers­ten, muss­te ich mei­ne wah­ren Emp­fin­dun­gen doch vor dir ver­ber­gen. Ich durf­te ja nur bes­ter Kum­pel sein. Dies war dein Spiel und mein Schlacht­feld. Aber du kann­test und kennst mich viel zu gut, als dass dir mei­ne in­ner­li­che Er­star­rung, mein Kampf nicht auf­ge­fal­len wä­re. Wir bei­de stell­ten ein reich­lich selt­sa­mes Ge­spann dar. In un­se­rer rein freund­schaft­li­chen Zu­nei­gung durch so gut wie nichts zu er­schüt­tern. Wir wa­ren See­len­ver­wand­te, wie ein ein­zi­ger Ge­dan­ke, Bluts­brü­der, je­der auf sei­ner Sei­te des Grand Ca­ny­on. Ich er­in­ne­re mich dar­an, wie es war, ne­ben dir auf mei­ner oder dei­ner Couch zu sit­zen, so na­he, dass ich dei­ne Wär­me fast spü­ren konn­te. Du bist ein Stern. Der schöns­te Stern den ich kann­te. Nur willst du das lei­der nicht se­hen. Und des­halb bist du ein Traum. Du wirst dich nie­mals wirk­lich fin­den, wenn du nicht end­lich je­man­dem glaubst, der an dich glaubt. Nein, kei­ne Angst, ich fan­ge nicht schon wie­der an zu pre­di­gen. Das ha­be ich lan­ge ge­nug und oft ge­nug ver­sucht. Viel­mehr möch­te ich dir er­zäh­len, wie mei­ne Welt mit dir aus­sah. Ich wa­ge nicht zu spe­ku­lie­ren, wie sie oh­ne dich aus­se­hen wird. Sie wird lee­rer sein, sie wird schrump­fen, klei­ner wer­den und blas­ser. Die­se Tat­sa­chen sich las­sen schon er­ken­nen. Ich weiß je­doch, es muss un­be­dingt sein. Le­dig­lich dein Kum­pel zu sein, schaf­fe ich ein­fach nicht. Da­für ent­sprichst du zu sehr mei­nen Vor­stel­lun­gen von Schön­heit. Ich weiß, du willst das nicht hö­ren. Zum einen wirst du dann wie­der ar­gu­men­tie­ren, Schön­heit lie­ge nur im Au­ge des Be­trach­ters. Zwei­tens sa­ge ich dir aber, kommt für mich der wich­tigs­te Fak­tor im Be­griff Schön­heit aus Herz und Ver­stand. Drit­tens bin ich durch­aus da­zu fä­hig, ganz ein­fach nur still und lei­se zu be­wun­dern und das konn­te bis­her kei­ner von den Knil­chen, die du nä­her als na­he an dich her­an­ge­las­sen hast. Die­se Möch­te­gern Ma­chos sol­len erst ein­mal ler­nen, wie man als Mann zum Ver­wöhnaro­ma wird. Kei­ne Ver­wöhnaro­ma-Stra­te­gi­en, kein rich­ti­ger Ma­cho. So ist das eben. Nun gab es da neu­er­dings An­ja, die be­reits lan­ge Zeit einen fes­ten Freund hat­te. Je­der Mensch weiß, je län­ger so ei­ne Be­zie­hung dau­ert, de­sto grö­ßer ist die Wahr­schein­lich­keit, das es zu ei­nem Rie­sen­krach kommt, der sich in einen Knacks und einen nicht wie­der zu kit­ten­den Bruch ver­wan­delt. Hier la­gen die Trümp­fe al­le­samt in mei­ner Hand. Um den Ein­sturz ei­nes Kar­ten­hau­ses mit­zu­er­le­ben, braucht man nichts als Zeit. Die stand mir zur Ver­fü­gung. Al­le Zeit der Welt so­gar und über­all auf die­ser Welt gab es net­te, gut­aus­se­hen­de Mäd­chen in mei­nem Al­ter. Es ge­stal­te­te die War­te­zeit we­sent­lich an­ge­neh­mer, konn­te ich doch mei­ne Sen­so­ren in al­le Rich­tun­gen auf mög­li­che An­griffs­zie­le schal­ten.

Dum­mer­wei­se bin ich un­ter­des­sen au­ßer­or­dent­lich vor­sich­tig, zu­rück­hal­tend und schüch­tern ge­wor­den. Kein Wun­der, wenn man ge­nü­gend Pi­ckel im Ge­sicht hat, um un­ver­klei­det als Piz­za zum Kar­ne­val zu ge­hen. Des­halb ver­schwen­de­te ich die meis­te Ener­gie, die für sol­che An­grif­fe be­reit stand an die sorg­fäl­ti­ge Ob­ser­vie­rung und das Aus­lo­ten mög­li­cher Chan­cen und Ri­si­ken. Zum An­griff üb­rig blie­ben Platz­pa­tro­nen und Knall­frösche. Da­mit ist ein­deu­tig klar, dass die Ri­si­ken, wie­der ein­mal bes­ter Kum­pel sein zu dür­fen, je­des mal ein­deu­tig über­wo­gen. Ich be­gab mich al­so im­mer nur ganz de­zent auf An­nä­he­rungs­kurs. Ein ga­lak­ti­sches „Swing­by­Ma­nö­ver“ in Zeit­lu­pe. Für ga­lak­ti­sche Ma­nö­ver hat auf die­sem em­sig ro­tie­ren­den Brumm­krei­sel nie­mand Zeit. Au­ßer­dem wird man auf die­se Wei­se so­wie­so für den zah­men Bes­terKum­pelTrot­tel ge­hal­ten. Von Ro­man­tik ha­ben Frau­en halt kei­ne Ah­nung. Und Män­ner noch we­ni­ger. Des­halb ist sie vom Aus­ster­ben be­droht. Da ich mir bei An­ja trotz­dem noch ernst­haf­te Hoff­nun­gen mach­te, ge­noss ich es be­son­ders, mit ihr im Un­ter­richt Brief­chen zu schrei­ben, ihr mei­ne Auf­merk­sam­keit zu wid­men oder mich mit ihr zu tref­fen. Die glei­che Si­tua­ti­on wie sonst auch: Mit mir kann man sich über al­les Mög­li­che un­ter­hal­ten, so­gar über se­xu­el­le Vor­lie­ben, auch wenn ich für die Pra­xis nicht in Fra­ge kom­me. Macht ja nichts, ich ha­be ja Zeit, viel mehr Zeit als ihr ahnt. So­fern ihr mich lasst, kann ich ger­ne char­mant und wit­zig, geist­reich und un­ter­halt­sam sein, oh ja, ihr müsst mich nur aus der Re­ser­ve lo­cken. Von mir aus kriegt mich kei­ner aus mei­nem Schne­cken­haus. Da brau­che ich das Si­gnal ech­ten In­ter­es­ses. Ehr­lich, wie ich bin, ha­be ich ihr wohl ir­gend­wann et­was von mei­ner großen Lie­be er­zählt. Seit dem hielt sie mich erst recht für harm­los und un­ge­fähr­lich. Na schön, soll sie doch. Ist ja nicht das ers­te Mal. Frü­her oder spä­ter wird sie schon mer­ken, was sie an mir hat. Man muss ler­nen, auf so vie­len Hoch­zei­ten wie mög­lich zu tan­zen.

Oder auch auf Ge­burts­tagspar­tys, wie zum Bei­spiel Ka­tha­ri­nas. Die wie­der­um ist An­jas bes­te Freun­din, sitzt in der­sel­ben Bank und auch mit ihr ver­ste­he ich mich gut. Ei­gent­lich kann ich gar nicht tan­zen. Ich has­se es zu tan­zen, mei­ne Mu­si­ka­li­tät hört di­rekt un­ter mei­nem Kinn auf. Sich un­ter die an­de­ren Gäs­te mi­schen und am Rand ein klei­nes biss­chen auf­fal­len, geht gra­de so. Aber mein Ge­fühl da­für, einen Rhyth­mus in Ein­klang mit Be­we­gun­gen zu brin­gen, en­det beim ers­ten Hals­wir­bel. Ob­wohl ich sonst mu­si­ka­lisch bin. Vi­el­leicht fin­de ich Par­tys ja doch ir­gend­wann ganz nett. Ab­ge­se­hen da­von, dass ich lau­te Mu­sik nicht aus­ste­hen kann. Ei­ner rich­ti­gen Cli­que von Freun­den an­zu­ge­hö­ren, macht Ge­burts­tagspar­tys re­gel­recht er­träg­lich. Man schaut an den Leu­ten, die man gar nicht se­hen möch­te am Bes­ten ein­fach vor­bei. Schwie­rig ist es bloß dann, wenn die im­mer an dem Mä­del her­um­hän­gen, das einen selbst am meis­ten in­ter­es­siert. Nervt un­ge­mein! Er­staun­lich al­ler­dings, auf wel­che Ty­pen die Wei­ber her­ein­fal­len. An­schei­nend ist die­se Tat­sa­che ab­so­lut un­ver­än­der­lich. De­pri­mie­rend, wirk­lich. Es ist nicht schön. Erst recht nicht, wenn es sich um die Par­tys mei­ner bes­ten Freun­din­nen han­delt. Trifft man sich pri­vat und kei­ne Ner­ven­sä­ge von Freund ist da­bei, kann man sich we­nigs­tens voll und ganz dem Il­lu­sio­nis­mus hin­ge­ben und sich aus­ma­len, was pas­sie­ren könn­te. Man kann den gan­zen Nach­mit­tag und Abend von vorn­her­ein pla­nen, Dreh­bü­cher über heiß er­wünsch­te Er­eig­nis­se schrei­ben und da­durch für we­sent­lich mehr Si­cher­heit sor­gen. Hier ist doch bloß Cha­os. Zwar ken­ne ich mich mit Cha­os aus. Das mei­ner Ge­dan­ken­welt be­kom­me ich schließ­lich auch ge­ord­net, nur ist es in die­sem Cha­os schwie­rig als ein­zel­nes Ele­mentar­teil­chen auf­zu­fal­len. Be­son­ders, wenn man nicht weiß, ob man auf­fal­len will oder nicht.

Ich has­se es, zu tan­zen. Trotz­dem ha­be ich mich von je­man­dem auf die Tanz­flä­che zer­ren las­sen. Wie win­det man sich da am Bes­ten wie­der her­aus? Ist man so ge­schickt wie ich: Gar nicht. Man macht sich lä­cher­lich. Man be­schließt, nie wie­der auf ei­ne Par­ty zu ge­hen, ob­wohl man ge­nau weiß, am nächs­ten Sams­tag steht die nächs­te Par­ty an. Na­tür­lich geht man hin. Und so wie die Par­tys da­hin­ge­hen, ge­hen die Jah­re, die Ju­gend, das Le­ben. Die Zeit ver­rinnt, tag­täg­lich müss­te man sich sa­gen: „Car­pe diem“, nut­ze den Tag, mach et­was Be­son­de­res aus dei­nem Le­ben, be­vor dei­ne Stun­de schlägt, be­vor du eins wirst mit dem Sand der Ewig­keit. Die Zeit mit dir, Ste­pha­nie, war im­mer et­was Be­son­de­res. Sie war car­pe diem. Er­füll­ter hät­te ich kaum le­ben kön­nen. In mei­ner Gala­xis warst du der hells­te Stern und je sel­te­ner ich die Ge­le­gen­heit be­kam, dich zu tref­fen, de­sto hel­ler strahl­test du in mei­nen Ge­dan­ken, de­sto leuch­ten­der emp­fand ich dei­ne Schön­heit.

Un­se­re Tref­fen wa­ren wun­der­bar per­fekt, so­lan­ge ich mich an die un­aus­ge­spro­che­ne Re­gel „Sag mir nicht, dass du mich liebst und nicht dass ich dei­ne Traum­frau bin“ hielt. Je­de Verab­re­dung plan­te ich im Voraus, schrieb re­gel­rech­te Dreh­bü­cher, ent­warf Sze­ne­ri­en, wie ich dich sanft auf mei­ne Sei­te zer­ren konn­te. Der Ver­such, sie um­zu­set­zen schei­ter­te je­des Mal kläg­lich dar­an, dass du dich nicht von mir be­ein­flus­sen ließest, mei­ne rhe­to­ri­schen Raf­fi­nes­sen ab­schmet­ter­test, nicht in mei­ne Fal­len tapp­test, An­spie­lun­gen igno­rier­test und mei­ne zag­haf­ten Ver­su­che, zärt­lich zu dir zu sein, nicht be­merk­test. Zu­ge­ge­ben, ich ver­hielt mich über­vor­sich­tig. Ein Pan­ther im Balan­ce­akt zwi­schen heißem Blech­dach und zu dün­nem Eis. Ich hat­te al­len Grund da­zu. Mir war bes­tens be­kannt, was pas­sier­te, wenn ich mich zu weit aus dem Fens­ter lehn­te. Ich wur­de au­gen­blick­lich des Ver­rats an un­se­rer Freund­schaft an­ge­klagt, für schul­dig be­fun­den und hin­ge­rich­tet in ei­nem Atem­zug, weil du es par­tout nicht wahr­ha­ben woll­test, dass ich nie­mals auf­ge­hört ha­be, dich zu lie­ben. Na­tür­lich ha­be ich es oft ver­sucht, zu leug­nen, mir aus­zu­re­den, ab­zutö­ten, dich zu has­sen. Wenn du es von mir wis­sen woll­test, ha­be ich na­tür­lich ge­schwo­ren, dass sich die Er­de nicht um die Son­ne dreht, um dei­ne Nä­he ge­nie­ßen zu dür­fen und selbst dar­aus muss­test du mir einen Strick dre­hen. In man­chen Punk­ten wä­re es gut ge­we­sen, hät­test du dein Schne­cken­haus nicht ver­las­sen. Ich weiß nicht, ob du dich au­ßer um „Nein“ zu mir zu sa­gen, über­haupt vor sei­ne Tür ge­wagt hast, denn mein Pre­di­gen nütz­te ja nichts. Ge­pre­digt ha­be ich. Mit glü­hen­dem Her­zen und En­gels­zun­gen ha­be ich an dein Selbst­be­wusst­sein ap­pel­liert. Wer auch im­mer es dir aus­ge­re­det hat, das Selbst­be­wusst­sein, er oder sie hat gan­ze Ar­beit ge­leis­tet. Wa­rum konn­test du nicht die­ses Zu­ge­ständ­nis ma­chen und ein­se­hen, dass du mei­ne Traum­frau bist? So schwer kann das doch nicht sein. Nur ein klei­nes biss­chen Mut hät­test du da­für auf­brin­gen müs­sen. In an­de­ren Din­gen, be­ruf­lich zum Bei­spiel, warst du doch wil­lens­stark, selbst­be­wusst und ziel­stre­big.

Dir war im­mer klar, was du woll­test. Genau so wie du dir stän­dig Män­ner aus­ge­sucht hast, die dich schlecht be­han­deln. Scha­de, dass du dich nicht ger­ne auf Hän­den tra­gen, ver­wöh­nen und ver­göt­tern lässt. Den Job hät­te ich ger­ne über­nom­men. Dein Wil­le wä­re ge­sche­hen. Ein Wim­pern­schlag von dir, ein auf­mun­tern­der Blick. Du hät­test mich mit ei­nem Blick zum Schmel­zen brin­gen kön­nen. So schmolz ich nur in­ner­lich vor mich hin und nur mei­ne Hoff­nung schmolz, bei dem Be­mü­hen mei­ne Lie­bes­glut mit ei­si­ger Käl­te zu be­kämp­fen. Größ­ten­teils zweck­los. Oh­ne Er­folg. Um dich zu ver­ges­sen, ha­be ich dich zu oft ge­se­hen. Teil­wei­se dein Ver­schul­den. Es gab von dei­ner Sei­te aus, im Gro­ßen und Gan­zen, ja nichts da­ge­gen ein­zu­wen­den, mich zu tref­fen. Manch­mal glaub­te ich fast, es wür­de dir Spaß ma­chen, mich zu quä­len. Oder ich ließ mich ger­ne quä­len. Je nach dem. Ei­gent­lich ver­fü­ge ich nicht über ei­ne ma­so­chis­ti­sche Ader. Aber wer weiß, was einen die Lie­be al­les er­dul­den lässt. Sie macht dich im Handum­dre­hen zahm und ge­fü­gig. Sie hilft ei­nem al­les zu er­tra­gen. Auch das liegt in ih­rer Na­tur. (Al­te Weis­heit aus der Bi­bel.)

Sie be­trügt, die Lie­be. Denn die Zeit, in der man al­les er­trägt, könn­te man sehr viel sinn­vol­ler ver­brin­gen und Aus­schau nach an­de­ren Mäd­chen (Frau­en) hal­ten. Nein, man übt sich in Ge­duld und auch das völ­lig sinn­los. An car­pe diem nicht zu den­ken. Zeit ver­streicht un­be­rührt von wich­ti­gen Er­eig­nis­sen. Der Au­gen­blick an sich, das Wie­der­se­hen ist das Ein­zi­ge, wor­auf es ei­nem an­kommt. Ist es dann end­lich so­weit, er­geht man sich nur wie­der in rück­sichts­vol­lem Small Talk oder Ge­sprä­chen, die durch­aus Fun­da­ment und Tief­gang ha­ben, hört sich Ge­schich­ten über das elen­de Fehl­ver­hal­ten des Part­ners an und fasst es nicht, wie blind du bist. Du machst die Au­gen zu und da­mit ist das uns be­tref­fen­de Ka­pi­tel ab­ge­hakt. En­de, aus, vor­bei. Wenn du dich ger­ne quä­len lässt, bin ich doch ge­nau der rich­ti­ge. Durch dich ha­be ich den Sa­dis­mus, mei­nen Sa­dis­mus über­haupt erst ken­nen ge­lernt. Für den Fall, dass du von Zeit zu Zeit ein we­nig Er­nied­ri­gung und De­mü­ti­gung brauchst, kann ich auch da­für ger­ne sor­gen. Der ent­schei­den­de Vor­teil bei mir ist dir si­cher be­kannt: Auf­rich­ti­ge Ver­eh­rung. Du er­war­test mitt­ler­wei­le ja nur noch, dass man dich tritt! Wa­rum un­ter­nimmst du nichts da­ge­gen? Lass mich doch dein Ver­wöhnaro­ma sein. Kannst du dir über­haupt vor­stel­len, wie schön das ist, ver­wöhnt zu wer­den? Du kannst es nicht! Ich weiß näm­lich, was du un­ter ver­wöhnt wer­den ver­stehst: Sich mit dem biss­chen, das man ge­bo­ten be­kommt, zu­frie­den zu ge­ben. Das ist aber nicht al­les, was man als schö­ne Frau er­war­ten darf. Kei­ne Dis­kus­si­on jetzt! Stell dir vor, ich ha­be mei­ne ei­ge­ne Mei­nung über dein Aus­se­hen. Ich fin­de dich wun­der­schön. Nur da­mit du dich dar­über är­gern kannst, es noch mal von mir zu hö­ren: Ich fin­de dich wun­der­schön! Ob­wohl ich da­bei bin, mein Le­ben von dei­nem zu tren­nen, wird sich die­se Mei­nung in mei­nen Ge­hirn­win­dun­gen hal­ten, bis ich zu Asche zer­fal­le. Die­se grau­sa­me Tat­sa­che, die sich wie ein wi­der­hal­len­des Echo zwi­schen mei­ne Ge­dan­ken drängt, ist: Ich lie­be dich, ich lie­be dich, ich lie­be dich. Was soll ich da­ge­gen un­ter­neh­men? Je­den Tag sa­ge ich mir: “Ich muss nichts von ihr hö­ren, sie lebt ihr Le­ben, ich le­be meins.“

Ir­gend­wie ha­be ich da­bei das Ge­fühl, ich be­lü­ge mich selbst. Zu­min­dest, so­fern es um mei­nen Teil der Ge­schich­te geht. Von dei­nem Teil der Ge­schich­te wa­ge ich nicht zu träu­men. Manch­mal träu­me ich heim­lich. Du er­fährst zwar seit un­se­rem letz­ten großen Krach nichts mehr da­von, aber ich ha­be den Ein­druck, die ver­rück­te Idee, mich vor mei­nen Ge­füh­len schüt­zen zu müs­sen, be­vor ich wie­der in ih­nen un­ter­ge­he. Und ich er­trin­ke so ger­ne. Vor al­lem in dei­nen mee­res­blau­en Au­gen.

Letzt­end­lich weiß ich, dass ich mich ver­ste­cke. Ich nut­ze je­den Schlupf­win­kel, um mei­ner Lie­be zu ent­ge­hen. Ha­be kein In­ter­es­se dar­an, wie­der den Hass in mir hoch­ko­chen zu las­sen, jetzt da es end­lich so aus­sah, als ob er über­wun­den sei. Wo end­lich Ru­he und Frie­den herrscht. Al­les, al­les, al­les Trick sieb­zehn mit Selb­st­über­lis­tung. Ich weiß nicht mehr, was ich von mei­nen Emo­tio­nen hal­ten soll.

Was ge­nau nann­ten wir ei­gent­lich „Freund­schaft“? Wir ha­ben Jah­re un­se­res Le­bens mit­ein­an­der ver­bracht. Schaue ich heu­te drauf zu­rück, glau­be ich fast, nie rich­tig et­was von dir ge­wusst zu ha­ben. Du wuss­test be­stimmt viel mehr von mir. Vi­el­leicht hat mich die Fas­zi­na­ti­on, die du aus­üb­test, dar­an ge­hin­dert, im rich­ti­gen Au­gen­blick die rich­ti­gen Fra­gen zu stel­len. Was ich wis­sen muss­te, sag­test du mir. Manch­mal war das, was ich wuss­te schwer zu er­tra­gen. Wenn du mir er­zähl­test, dass du beim Sex of vor Lust laut schreist und mir klar wur­de, das ich nie in der Po­si­ti­on sein wür­de, das er­le­ben zu dür­fen. Wahr­schein­lich ha­be ich des­halb kei­ne Fra­gen ge­stellt.

Ich schla­ge ger­ne lei­se Tö­ne an. Je lei­ser man ist, de­sto lau­ter hört man die an­de­ren schrei­en. Ei­ni­ge brül­len völ­lig sinn­los. Gut, wenn man mich ge­nug är­gert, ex­plo­die­re ich wie ei­ne Atom­bom­be. Aber ich ge­be mir Mü­he, es nicht zu tun. Ich weiß näm­lich lei­der nur zu gut, wie sehr ich mich mög­li­cher­wei­se von mei­ner Wut mit­rei­ßen las­se, weil sie ge­nau so stark wie mei­ne Lie­be ist. Las­se ich es zu, dass ich vor Zorn ex­plo­die­re, zer­reist es mich. Ich wer­de zur to­ben­den Bes­tie, ob­wohl ich es gern ver­mei­den wür­de. Du wirst je­doch nicht dar­an vor­bei­kom­men, dass ich dir spä­ter noch mehr dar­über er­zäh­le. Er­zäh­len muss. Du weißt si­cher warum.

Wie al­so lie­fen un­se­re Tref­fen ab? Sie wa­ren der Schnitt­punkt zwi­schen Him­mel und Höl­le auf Er­den. Hier lag das Zen­trum in dem Glück und Verzweif­lung, Hoff­nung und Re­si­gna­ti­on, Vor­freu­de und bit­te­rer Nach­ge­schmack ge­schmol­zen und zu ei­nem Ge­fühl fest­ge­brannt wur­den: Lie­be. Hilflo­se, un­er­füll­te, bren­nen­de, zärt­li­che und un­end­lich ver­letz­ba­re Lie­be. Lie­be, die du nie­mals be­grif­fen hast. Ich ha­be lei­der auch nie ver­stan­den, warum mei­ne Lie­be so un­mög­lich und un­ver­zeih­lich sein soll­te. Ich dach­te, Lie­be und Zu­nei­gung, eben je­ne un­aus­sprech­li­chen, zärt­li­chen Ge­füh­le wür­dest du ken­nen, viel­leicht so­gar wie­der­ent­de­cken, wenn du dir nur mei­ne Au­gen an­schaust. Mei­ne di­cken Bril­lenglä­ser schir­men wahr­schein­lich zu viel von mei­nen Emp­fin­dun­gen ab, als das je­mand sie sieht. Ei­ne bö­se Idee, die ich ha­be und die mir zu tref­fend er­scheint, um sie un­er­wähnt ver­schwin­den zu las­sen ist, dass du zu sehr an der Ober­flä­che kratzt, um mei­ne tief­schür­fen­den Emo­tio­nen nach­zu­emp­fin­den. Ich hof­fe sehr, das ist nicht der Fall. Hoff­nung ist ei­ne an­de­re Sa­che, die ich mir im Be­zug auf mei­ne Emo­tio­na­li­tät ab­ge­wöhnt ha­be. Ich glau­be an gar nichts mehr. Das ich noch mal der Lie­be, der ech­ten, wah­ren auf­rich­ti­gen und vom Ge­gen­über er­wi­der­ten Lie­be be­geg­ne, nein, das hal­te ich mitt­ler­wei­le für un­mög­lich. Sen­za una Don­na. Das scheint mein Schick­sal zu sein. Zum Teil fürch­te ich mich nicht mehr da­vor. Der an­de­re Teil, der an­de­re Teil, rea­giert auf die­se Idee um­so hys­te­ri­scher. Al­so den­ke ich so we­nig wie es geht dar­über nach. Ich ver­su­che ein­fach nach Er­satz Aus­schau zu hal­ten, nach ei­ner Frau, die auf­grund ih­res Cha­rak­ters, ih­rer In­tel­li­genz und ih­rer Schön­heit, ein sü­ßes Mäd­chen na­mens Ste­pha­nie aus mei­nem Her­zen ver­drän­gen könn­te.

Ei­ne jun­ge Frau, die die Erin­ne­rung an dich un­wich­tig macht und sie mög­li­cher­wei­se so­gar aus­löscht. Ei­ne Frau, ein Mäd­chen, das mich ver­ges­send macht, so ver­ges­send, dass ich nicht ein­mal mehr von dei­ner Exis­tenz et­was weiß. Ei­ne eben­bür­ti­ge Kon­kur­renz. Ir­gend­wie scheint das wich­tig zu sein, denn du willst es ja auch so. Du freust dich un­heim­lich, wenn ich je­man­den fin­de, der mei­nen Seh­süch­ten ent­spricht. Du freust dich fast zu sehr. So sehr, dass ich im­mer miss­trau­isch wer­de, wenn ich an­deu­te, dass ich mög­li­cher­wei­se Er­satz für dich ge­fun­den ha­be.

Abschiedsbrief an die Liebe

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