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Die Suche nach Ersatz

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Oh ja, Er­satz. Ich ha­be so oft Er­satz für dich ge­sucht. Ir­gend­wann ha­be ich auf­ge­hört zu zäh­len. Ab ei­nem un­be­stimm­ten, weil in der Erin­ne­rung, ver­schüt­tet ge­gan­ge­nen Zeit­punkt, war ich fest da­von über­zeugt, ich wür­de mich um­ori­en­tie­ren. Die bit­te­re, mir heu­te be­kann­te Wahr­heit lau­tet: Ich such­te kei­ne Neue, ich such­te Er­satz. Das ers­te Mal, dass ich mich dar­an er­in­ne­re, war es Sil­ke.

Un­se­re Le­bens­läu­fe trenn­ten sich ge­ra­de end­gül­tig, du warst im zehn­ten Schul­jahr, ich muss­te mich auf der neu­en Schu­le zu­recht­fin­den. Da­mit ha­be ich zwar Schwie­rig­kei­ten, aber es reizt mich auch, et­was Neu­es ken­nen zu ler­nen. Ich bin ver­ses­sen auf das Neue. Da­zu ge­hört auch Sil­ke. Ihr lan­ges, was­ser­stoff­blon­des Haar ging ihr bis zur Hüf­te, sie war un­be­deu­tend voll­schlan­ker, als der von mir an­ge­nom­me­ne Op­ti­mal­zu­stand, aber sie war da und durch ih­re stets et­was me­lan­cho­li­sche Stim­mung für einen Neun­zigPro­zentSan­gui­ni­ker äu­ßerst fas­zi­nie­rend. Ich ha­be sie so­gar mal pri­vat ge­trof­fen. Sie such­te al­ler­dings lei­der nur ei­ne Schul­ter zum An­leh­nen und aus­heu­len, die ich ihr nicht bie­ten konn­te. Als ich das aus se­kun­därer Quel­le er­fuhr ver­flog die Be­geis­te­rung, denn für so et­was ist Zeit viel zu kost­bar. Ich tau­ge nicht als Trä­nen­schwamm für Leu­te, die nichts Bes­se­res zu tun ha­ben, als größ­ten­teils grund­los Trüb­sal zu bla­sen. Da­zu ge­be ich mich nicht her. Ich bin Ent­de­cker, neu­gie­rig aufs Le­ben.

Aus­weg, be­zie­hungs­wei­se Flucht Num­mer zwei, vor der ganz großen Lie­be hieß Ve­re­na. Irr­sin­ni­ger­wei­se war ich ihr schon auf der Ab­schluss­fahrt der Haupt­schu­le be­geg­net und da­mals tie­risch in ih­re Cou­si­ne An­ke ver­knallt. Als ich Ve­re­na nun in An­der­nach wie­der sah, än­der­te sich das schlag­ar­tig. Lei­der war sie je­doch noch schüch­ter­ner als ich. Je­mand der so­wie­so schon schüch­tern ist, wird nicht ger­ne zu­rück­ge­wie­sen. Al­so gab ich nach ei­ner ge­schei­ter­ten Ein­la­dung zu ei­nem Eis­be­cher an ei­nem hei­ßen Som­mer­tag des Jah­res 1995 sang und klang­los auf. Ich über­leg­te, ob ich mir das Ge­fühl, ver­liebt zu sein, nicht bes­ser ganz ab­ge­wöh­nen soll­te. Ich ver­such­te es, aber es funk­tio­nier­te nicht wirk­lich, denn kaum das ich Ve­re­na ste­hen ließ, ent­deck­te ich Dia­na aus mei­ner Par­al­lel­klas­se.

Dia­na war groß, schlank, hat­te kur­ze blon­de Haa­re, einen fes­ten Freund, manch­mal zier­ten ro­te Pi­ckel ihr um­wer­fend sü­ßes Ge­sicht. Man konn­te sich wun­der­bar mir ihr un­ter­hal­ten, mor­gens vor Un­ter­richts­be­ginn oder in den Pau­sen, ris­kier­te da­bei je­doch, dass man sich der ei­ge­nen Klas­se ent­frem­de­te, denn Leu­te aus Par­al­lel­klas­sen kön­nen sich üb­li­cher­wei­se nicht rie­chen. Mir war so et­was Klein­ka­rier­tes ei­gent­lich im­mer egal, aber ich bin ja auch ein Ket­zer.

Dia­na er­zähl­te oft vom Zoff mit ih­rem Freund, was mir als ge­dul­dig War­ten­dem Grund zu ir­ra­tio­na­ler Hoff­nung gab. Lei­der schi­en sie nicht von ihm los­zu­kom­men, dar­um gab ich halt das Hof­fen auf. Ich wand­te mich wie­der mei­ner ei­ge­nen Klas­se und mei­ner Cli­que zu, einen gu­ten Freun­des­kreis wie die­sen durf­te man nicht ver­nach­läs­si­gen. Ei­gent­lich war mein Be­darf an Schu­le ge­deckt. Da­für be­kam ich dann auch die üb­li­che Quit­tung. Doch das Jahr, das ich in der Be­rufs­fach­schu­le in An­der­nach wie­der­hol­te, wur­de ei­nes der schöns­ten in mei­nem bis­he­ri­gen Le­ben. Der Ge­dan­ke an die­ses Jahr ist die ein­zi­ge wirk­li­che Sen­ti­men­ta­li­tät, die ich mir gön­ne. Zum ers­ten Mal ge­hör­te ich ei­ner Cli­que an, mit den un­ter­schied­lichs­ten Cha­rak­teren, die trotz­dem al­le gut mit­ein­an­der aus­ka­men. Leu­te, die Par­tys zu­sam­men fei­er­ten, wie ich sie bis zu die­sem Zeit­punkt nie er­lebt hat­te. Denn hier ge­hör­te ich mit da­zu. Das zu wis­sen, be­deu­tet un­ge­heu­res Glück für einen no­to­ri­schen Au­ßen­sei­ter. Vi­el­leicht pass­ten wir so gut zu­sam­men, weil wir al­le ein biss­chen Au­ßen­sei­ter wa­ren. Oder weil un­se­re Klas­se in zwei Cli­quen ge­spal­ten war. Ein Mäd­chen aus die­sem Freun­des­kreis ha­be ich schon ein­mal er­wähnt: An­ja.

Ich ver­lor mich im Glanz ih­rer Au­gen. Ich war hin­ge­ris­sen von ih­rer weib­li­chen, aber nicht zu be­tont weib­li­chen Fi­gur. Ihr Haar, nicht blond son­dern dun­kel­blond, fast brü­nett, hat­te traum­haf­te Schul­ter­län­ge. Es um­rahm­te sei­dig ihr Ge­sicht, ih­re aus­ge­präg­ten, in­dia­nisch an­mu­ten­den Wan­gen­kno­chen, die sie manch­mal wie Win­ne­tous Schwes­ter aus­se­hen lie­ßen. Ich war, ob­wohl ich es ganz be­stimmt nicht woll­te, mal wie­der ver­knallt.

Es fällt nicht schwer, sich aus­zu­ma­len, dass ir­gend­wann ein­mal selbst die har­mo­nischs­te Be­zie­hung das zeit­li­che seg­net. Bei An­ja wuss­te ich ganz ge­nau, sie wür­de ih­ren Freund frü­her oder spä­ter ab­schie­ßen. Als der Zeit­punkt kam, das Schul­halb­jahr neig­te sich schon den großen Fe­ri­en ent­ge­gen, schrieb ich ihr ei­ne na­he­zu un­wi­der­steh­li­che Ein­la­dung, die an­ste­hen­den Som­mer­fe­ri­en mit mir zu ver­brin­gen.

Dass aus mir ir­gend­wann ein Schrift­stel­ler wer­den soll­te, hat­te ich schon lan­ge zu mei­nem Haupt­ziel er­klärt. Vi­el­leicht traf ich des­halb die rich­ti­gen Tö­ne. Die Ein­la­dung kam so gut an, das ich mir sag­te es gä­be einen Grund zum Träu­men, denn An­ja sag­te zu. Al­so stell­te ich mir vor, wie es wohl wä­re, mor­gens vor Son­nen­auf­gang ne­ben ihr auf­zu­wa­chen, sie sanft mit Strei­chel­ein­hei­ten zu we­cken, und ihr dann das Früh­stück, mit al­lem was Ge­nuss be­deu­tet, Kaf­fee, Oran­gen­saft, Bröt­chen, Mar­me­la­de, Kä­se, Wurst und Schin­ken (Ich bin sehr fürs Herz­haf­te zu ha­ben.), im Bett zu ser­vie­ren. Ge­nuss pur halt eben, be­vor ich ihr die höchs­te und vollen­dets­te Form von Ver­wöhnaro­ma, das ich für sie sein woll­te, zu­teil wer­den ließ: Sti­mu­lanz und Be­frie­di­gung. Let’s ma­ke love, sug­gar.

Ja, es wa­ren phan­tas­ti­sche Ide­en. So pri­ckelnd wie das Le­ben sein soll­te. Ganz si­cher hät­te die­ser Ur­laub sie end­gül­tig von ih­rem Exfreund los­ge­ris­sen. Los­ge­ris­sen und fort­ge­weht, da­mit ich sie auf­fing. Wie je­de an­de­re Sei­fen­bla­se, die ich mir im Le­ben zu­recht ge­träumt ha­be zer­platz­te auch die­se. Sie ex­plo­dier­te schil­lernd bunt an der Ecke ei­nes Brief­um­schla­ges, der ei­ne schrift­li­che Ab­sa­ge ent­hielt. In die­sem Brief ent­schul­dig­te sie sich hun­dert­mal bei mir da­für, das sie zu ih­rem Exfreund zu­rück­ge­fun­den ha­be, er­klär­te, ihr sei die­ser Neu­an­fang wich­tig und dass sie es sehr be­daue­re, mich, der ich zu­erst da ge­we­sen sei, zu­rück­zu­wei­sen. Ich feg­te die Trüm­mer mei­ner Träu­me zu­sam­men und er­leb­te einen recht ein­dring­li­chen Tag­traum, in dem ich sie ge­nuss­voll er­würg­te. Kei­ne Pa­nik, sie lebt noch, ist mitt­ler­wei­le ver­hei­ra­tet und steht im Te­le­fon­buch. Ich träu­me halt zu ger­ne. Am Ran­de re­gis­trier­te ich, wie sie mit ih­rem Exfreund zu­sam­men­zog, sich ein hal­b­es Jahr spä­ter end­gül­tig von ihm trenn­te und einen neu­en Part­ner fand. Un­ter­des­sen war ich mir si­cher, dass ich sie viel lie­ber als Freun­din im für mich üb­li­chen Sin­ne an mei­ner Sei­te ha­be. Ich schät­ze sie viel zu sehr, um lan­ge nach­tra­gend zu sein.

Au­ßer­dem bin ich ja fle­xi­bel und su­che ger­ne nach Er­satz. Da gibt es je­man­den, der zu ge­nau die­sem Zeit­punkt wie­der ins Zen­trum mei­ner wan­kel­mü­ti­gen Auf­merk­sam­keit rückt. Ein wun­der­schö­nes Mäd­chen, wel­ches noch ein paar Mo­na­te lang sieb­zehn sein wird und sich ge­ra­de von ih­rem Freund ge­trennt hat.

Es ist nicht mehr lan­ge hin bis zur großen, ob­li­ga­to­ri­schen Par­ty. Denn bald steht mein acht­zehn­ter Ge­burts­tag vor der Tür.

Auf die­ser un­aus­weich­li­chen Fe­te muss ich sie un­be­dingt auf die­se Tren­nung und auf mei­ne un­aus­lösch­li­chen Ge­füh­le zu ihr an­spre­chen. So ist es ge­plant. Ist doch klar, das bist du, lie­bes Stef­fi­chen.

Die Par­ty an sich war ein vol­ler Er­folg. Al­le die ich ken­nen ge­lernt ha­be, ver­sam­mel­ten sich in un­auf­lös­li­chen Klümp­chen im Ju­gend­heim mei­nes Hei­mat­dor­fes. So et­was wie Stim­mung kam ab­so­lut nicht auf, und zu al­lem Über­fluss hat­te ich die gan­ze Zeit die be­klopp­te Idee im Hin­ter­kopf, dich un­be­dingt nach drau­ßen vor die Tü­re zu bit­ten, und dich mit mei­nen tief ver­wur­zel­ten, dich be­tref­fen­den Ge­füh­len zu kon­fron­tie­ren.

Daraus er­wuchs sich, wie ge­habt, mal wie­der ein De­sas­ter. Ich dach­te, es freut dich viel­leicht zu hö­ren, dass es da je­mand gibt, der dich von gan­zem Her­zen so liebt, wie du bist, der oben­drein auch noch dein bes­ter Kum­pel ist. Fehl­an­zei­ge. Ganz im Ge­gen­teil. Schon bin ich wie­der der mie­se Ver­rä­ter. In die­ser Hin­sicht stellt sich lang­sam Rou­ti­ne ein.

Der Früh­ling ver­ging, der Som­mer mit sei­ner elen­den Hit­ze nä­her­te sich. Im letz­ten Drit­tel des schöns­ten Jah­res mei­nes Le­bens muss­ten wahl­wei­se Ja­net­te, Dia­na I und II, Alex­an­dra (oh­ne et­was zu wis­sen, oh­ne das ich et­was sag­te) und trotz al­lem na­tür­lich du, für die Pro­jek­ti­on mei­ner ro­man­ti­schen Ge­füh­le her­hal­ten.

Noch et­was lern­te ich gut und im­mer in­ten­si­ver ken­nen, weil du mich nicht woll­test. Die see­li­sche Nacht. Mei­ne dunkle Sei­te, die erst­mals im fünf­ten Schul­jahr mit höl­li­scher Wut auf­flamm­te, und jetzt, da ich noch öf­ter Tei­cho­sko­pie be­trieb und ernst­haft an ei­nem ra­che­durs­ti­gen Kri­mi schrieb, zu­neh­mend ei­ne deut­li­che­re Ge­stalt an­nahm. Ich mach­te die zwei­fel­haf­te Be­kannt­schaft von Wut, Bos­heit und Sa­dis­mus. Der Weg da­hin er­schi­en mir ganz lo­gisch. Darf die Lie­be nicht exis­tie­ren, muss sie durch ei­ne gleich­wer­ti­ge Emo­ti­on er­setzt wer­den. Ein­sam­keit kann das nicht leis­ten. Nur der Hass ist der Lie­be eben­bür­tig. Ich be­gann dich zu has­sen, bis aufs Blut. In mei­nem Kri­mi mal­te ich mir Sze­nen vol­ler Rach­sucht und Fol­ter aus und schrieb sie auf. Ich quäl­te und tö­te­te er­fun­de­ne Op­fer stell­ver­tre­tend für dich. Ich be­straf­te sie für ih­ren Hoch­mut und ih­re Schmä­hun­gen. Hass und Wut rausch­ten durch mei­ne Adern. Ich gif­te­te vor mich hin. Wenn das die ein­zi­ge funk­tio­nie­ren­de Art war, dich aus mei­nen Ge­dan­ken und aus mei­nem Le­ben zu til­gen, wür­de ich sie eben aus­üben. Ra­che. Ra­che hieß ei­ne je­ner mie­sen Ide­en, die ich in die kos­mi­sche Ur­sup­pe mei­ner ko­chend vor sich hin pu­ber­tie­ren­den, sich wan­deln­den und täg­lich neu for­men­den Per­sön­lich­keit warf. Da ich nichts lie­ber tue, als ler­nen, wach­sen und auf Per­fek­ti­on hin­ar­bei­ten, fest an die Not­wen­dig­keit des Gleich­ge­wichts al­ler Kräf­te und der Exis­tenz ei­nes Wel­ten­schöp­fers glau­be, ist das End­pro­dukt heu­te ein an­ders, als das, wor­über ich da­mals spe­ku­lier­te. Das höchs­te Ziel auf Er­den ist für mich, Schrift­stel­ler zu wer­den. Ehe ich dir mei­nen ers­ten Kri­mi vor­set­ze, sollst du doch we­nigs­tens wis­sen, warum ich so ger­ne Kri­mis schrei­be. Die krat­zen eben nicht nur an der Ober­flä­che, nein da­bei geht es um Ab­grün­de. Ab­grün­de, auf die je­der, der ein­mal sei­ne See­le er­for­schen muss, sto­ßen wird, ob es ihm ge­fällt oder nicht. Ich möch­te ger­ne span­nen­de Ge­schich­ten aus den ver­schie­dens­ten Gen­res er­zäh­len. Al­len vor­an die­se. Denn über die ers­ten, vom Zorn ver­spreng­ten Sei­ten, bin ich zur Schrift­stel­le­rei ge­kom­men. Die Phan­ta­sie hält so vie­les für einen be­reit. Man darf sie sich nur nicht ab­ge­wöh­nen. Schlus­send­lich ist die Idee der An­fang von al­lem. Die Idee, dich nach mei­ner Ge­burts­tagspar­ty aus mei­nem Le­ben ver­ban­nen zu müs­sen, um end­lich wie­der et­was Qua­li­tät in mein Da­sein zu be­rin­gen, war der schwers­te Fels­bro­cken, den ich je­mals in die Ur­sup­pe mei­ner Ge­fühls­welt fal­len ließ. Es bil­de­ten sich nicht bloß Wel­len, nicht bloß kon­zen­tri­sche Krei­se um ihn. Er brach­te das Meer zum Schäu­men und Ko­chen. Nie­mand kann sich vor­stel­len, wie be­frei­end ein Wu­t­an­fall ist, wenn man dem bren­nen­den, höl­li­schen Feu­er den Weg zur Ober­flä­che eb­net, wo es sei­ne Macht aus­tobt, um nichts als Wüs­te, Öd­nis, Asche und ver­brann­tes Land zu hin­ter­las­sen. Ja, ich mei­ne da­mit die See­le, die sich durch einen sol­chen Be­frei­ungs­schlag Luft und Raum ver­schafft, de­ren täg­li­ches Zit­ter­spiel um Sta­bi­li­tät und Aus­ge­gli­chen­heit einen Teil­sieg er­ringt, wenn bei­des, Tag und Nacht exis­tie­ren darf. Mei­ne Wut blieb sinn­los, um nie­man­dem ge­fähr­lich zu wer­den. Meis­tens war ich sau­er auf mich selbst. Heu­te, an die­sem Tag, da ich die­se Zei­len schrei­be, weiß ich, der Grund da­für war die un­s­terb­li­che Lie­be.

Sie ließ al­le an­de­ren Sei­fen­bla­sen zer­plat­zen. Luft­bal­lons, die ei­ne spit­ze Na­del tref­fen. Peng. Wie ei­ne Na­del so gut wie je­des Ma­te­ri­al durch­dringt, dräng­te sich die Lie­be, mei­ne Lie­be, im­mer wie­der in mein Le­ben. Sei­fen­bla­sen ver­mö­gen das nicht zu ver­hin­dern.

Das letz­te Jahr in An­der­nach war schön, sehr schön so­gar und doch er­nüch­ternd, im Rück­blick. In Sa­chen Lie­be und aus der dies­be­züg­li­chen Er­fah­rung ha­be ich nichts ge­lernt. Viel ge­se­hen und be­ob­ach­tet, Da­ten ge­sam­melt und ana­ly­siert, die Er­geb­nis­se den be­reits be­kann­ten Fak­ten zu­ge­ord­net. Wis­sens­blö­cke neu sor­tiert. In ge­wis­ser Wei­se die Po­si­ti­on als Au­ßen­sei­ter ge­fes­tigt. Auch wenn ich zu ei­ner Cli­que ge­hör­te, im Zen­trum be­fand ich mich nie. Hat­te kein Pro­blem da­mit. Zuschau­en, aus und ver­wer­ten fand ich hoch­gra­dig in­ter­essant. Mög­li­che An­zei­chen mei­nes Schrift­stel­ler­da­seins, die sich ma­ni­fes­tier­ten und auf der nächs­ten Schu­le noch deut­li­cher in Er­schei­nung tre­ten soll­ten.

Die Su­che nach Er­satz kann müh­sam sein. Wenn man jung ist, weiß man nicht ge­nau, wo­nach man sucht und ahnt nicht, dass die Su­che viel­leicht das falsche Ziel hat. Er­satz ist nichts Hal­bes und nichts Gan­zes. Er­satz ist Wun­sch­den­ken und Hirn­ge­spinst. Die Su­che nach Er­satz re­sul­tiert aus der Un­fä­hig­keit los­zu­las­sen. Ich ha­be mich da­vor ge­fürch­tet, dich los­zu­las­sen. Um dich dreh­ten sich neun­zig Pro­zent der in mir wach ge­blie­be­nen Erin­ne­run­gen an mei­ne Ver­gan­gen­heit. Ein Mensch oh­ne Ver­gan­gen­heit ist ein Mensch oh­ne Zu­kunft. Ich weiß nicht wo­her der Satz kommt, aber ich weiß, es ist so. Das in der Ver­gan­gen­heit Er­leb­te macht uns über­haupt erst lern­fä­hig. Lern­fä­hig­keit ist für mich die mensch­lichs­te al­ler Ei­gen­schaf­ten. Auf­hö­ren zu ler­nen, be­deu­tet Selb­st­auf­ga­be. Mich selbst auf­ge­ben kann ich nicht, denn ich ha­be wo­mög­lich ei­ne Auf­ga­be in die­ser Welt. Sie mag glo­bal ge­se­hen nich­tig, un­be­deu­tend und klein sein, aber sie will er­füllt sein. Bis das mein Schöp­fer sagt: „Es reicht.“ Wer bin ich klei­nes Licht, in die­sen Pro­zess ein­zu­grei­fen? Auf­ge­ben? Nein! Ich ha­be schon an der Schwel­le ge­stan­den. Bin nie ge­sprun­gen. Wer ver­letzt wur­de weiß, dass er über­le­ben kann. Mög­lich­kei­ten sich das Über­le­ben schmack­haft zu ma­chen gibt es vie­le. Man muss sie nur se­hen und als Chan­ce beim Schop­fe pa­cken. Be­vor ich nicht je­de ein­zel­ne er­wo­gen und aus­pro­biert ha­be und dar­über hin­aus, ist für mich noch lan­ge nicht Schluss. Wenn das heißt kämp­fen, dann neh­me ich die­sen Kampf auf – so­fern nö­tig auch ge­gen mich und mei­nen in­ne­ren Schwei­ne­hund. An­de­re mö­gen an ih­rem Lie­bes­kum­mer zer­bre­chen. Mich hat er ir­gend­wie stär­ker ge­macht. Ei­ne gu­te Freun­din hat mich ge­lehrt, da­mit klar­zu­kom­men. Sie heißt Ein­sam­keit und ist viel mehr, als die­ses au­gen­schein­lich nie­der­schmet­tern­de Wort. Ich dach­te emo­tio­na­le Öd­nis und Wüs­te sei­en schlimm. Man geht in die Wüs­te, um sich selbst zu fin­den. Durch sie ha­be ich er­fah­ren, dass ich die schöns­te Wüs­te und Ein­öde in mir ha­be. Mein Herz ist ei­ne end­los wei­te, stei­ni­ge Land­schaft. Des­halb brau­che ich nicht durs­tig zu sein und nicht zu ver­durs­ten. Ich trin­ke den spär­li­chen Re­gen, der in der Wüs­te fällt. In der Ein­sam­keit mei­ner ei­ge­nen Wüs­te kann ich un­ein­ge­schränkt ganz ich selbst sein. Oh­ne je­man­dem ge­fal­len zu müs­sen. Kei­ne Wüs­te auf un­se­rer Er­de ist schö­ner als mei­ne Ein­sam­keit.

Nur ist Ein­sam­keit nichts an­de­res als ein schwa­cher Er­satz für Lie­be, Zärt­lich­keit und Part­ner­schaft. Kaum mehr wirk­lich eins zu eins aus­tausch­bar. Bei Licht be­trach­tet nicht ehr­li­cher, nicht ver­lo­ge­ner als Wut und Hass. Wie bringt man die­se Na­tur­ge­wal­ten in Ein­klang? Wie lässt man sie har­mo­nisch, wie in ei­nem Or­che­s­ter, zu­sam­men­spie­len?

Kei­ne Ah­nung. Lei­der weiß ich es nicht. Si­cher ist, sie al­le ha­ben ih­re Exis­tenz­be­rech­ti­gung. Aber in dem gan­zen Ge­fühl­s­tru­bel gibt es schließ­lich und end­lich auch noch mich. Und ich will mei­nen Frie­den ha­ben. Egal wie er aus­sieht und selbst wenn das be­deu­tet, dass ich mei­ne ganz große Chan­ce ver­passt ha­be. Schweigt, ihr lie­ben, bö­sen Emo­tio­nen. Hal­tet die Klap­pe!

Ich wür­de euch ger­ne ge­gen neue Ge­fähr­ten ein­tau­schen. Es wird Zeit, die Räu­ber­höh­le nach dem Win­ter­schlaf zu durch­lüf­ten und für fri­schen Wind zu sor­gen. Ich bin so­wie­so all­zeit für je­de Art von Ver­än­de­rung be­reit. Et­was Neu­es braucht der Mensch. Das Jahr 1995, alt und grau ge­wor­den, ver­ging so sang und klang­los, wie es kam. Ich muss­te mich neu ori­en­tie­ren und mei­ne Wahl fiel auf die Hö­he­re Be­rufs­fach­schu­le für Wirt­schaft und Ver­wal­tung in Bad Neu­e­nahr. Ein klei­nes Stück den Rhein hin­un­ter und dann das schö­ne Ahr­tal hin­auf. Bei al­len Schu­len, die ich be­sucht ha­be, schwang ich wie ein Pen­del, rhein­auf, rhein­ab um mei­nen Hei­mat­ort, den Platz wo ich hin­ge­hö­re. Wa­rum nicht da wei­ter­ma­chen, wo man auf­ge­hört hat? Schu­le an­statt Aus­bil­dung in Er­man­ge­lung ei­ner Idee, wel­cher Be­ruf mir ge­fal­len könn­te. Er­satz eben.

Wa­rum sucht man nach Er­satz? Das fragst du dich jetzt si­cher­lich. Vi­el­leicht hast du auch schon mal nach ei­ner an­de­ren Mög­lich­keit ge­sucht. An­statt Kaf­fee trinkt man Tee, gibt’s kei­nen Rot­wein, dann viel­leicht einen wei­ßen. Er­satz kann die Ab­wechs­lung und die Wür­ze sein, die man sucht, um neu­en Schwung in den All­tag zu brin­gen. Oder aber die Su­che nach Er­satz ist der Ver­such, ei­ne große Lee­re, einen schwer­wie­gen­den Ver­lust aus­zu­glei­chen, da­mit die Waa­ge wie­der im Gleich­ge­wicht ist. Ob­wohl die Wut großes Ge­wicht un­ter den Emo­tio­nen hat, den Ver­lust der großen Lie­be, die ei­nem nur ein­mal im Le­ben be­geg­net, kann sie nicht er­set­zen. Sta­bi­li­tät und Aus­ge­wo­gen­heit sind mit die wich­tigs­ten Fak­to­ren im Le­ben. Oh­ne schwarz kein weiß, oh­ne Tag kei­ne Nacht. Je­des Ele­ment hat sei­nen Ge­gen­pol. Es müs­sen bei­de spür­bar vor­han­den sein, um Si­cher­heit ge­währ­leis­ten zu kön­nen.

Was hast du bei de­nen ge­sucht, die dich nicht ver­ehr­ten, wie es dir ge­bühr­te? Wo­mit hast du dich ab­spei­sen las­sen? Tee an­statt Kaf­fee? Du hast doch so oft ge­merkt, dass et­was fehl­te. Ich weiß ja lei­der wor­an das liegt. Mir ist klar, du willst das nicht hö­ren. Ich selbst hab ja schon kaum ein Selbst­be­wusst­sein. Wa­rum siehst du dich selbst aus­schließ­lich durch ruß­ge­schwärz­tes Glas? Du bist doch… (Du weißt schon, was ich sa­gen will.)

Ich ha­be die Idee im Hin­ter­kopf, bei je­der Frau, die mir gut ge­fällt: Was ist, wenn sie doch nur wie­der Er­satz ist?

Ei­gent­lich bräuch­te ich gar nicht mehr zu su­chen. Noch öf­ter als bis­her, muss ich gar nicht fest­stel­len, wie un­in­ter­essant ich als Part­ner bin. Für lan­ge, tief­schür­fen­de Ge­sprä­che über Gott und die Welt durch­aus ver­wend­bar. Zu mehr je­doch wohl kaum. In die­sem Uni­ver­sum schei­ne ich lau­ter Pech mit den Frau­en zu ha­ben. Ein Hoch auf al­le Par­al­le­lu­ni­ver­sen, die es gibt. Die kön­nen es nur bes­ser an­tref­fen. Ein biss­chen iro­nisch ist, dass wir vom Schick­sal auf die glei­che Art ge­schla­gen wor­den sind, bei dem was wir lie­ben. Ist das nicht ver­rückt? Op­ti­mis­ti­scher Schwarz­se­her, der ich bin, ver­mu­te ich, es gibt hin­ter all den ver­zer­ren­den Spie­geln, die uns die Sicht ge­ra­de­aus ver­sper­ren, einen Weg, auf dem wir bei­de wie­der zu­sam­men­fin­den. Lei­der ist er mir in den drei­zehn Jah­ren, die ich dich jetzt ken­ne, noch nicht be­geg­net. Ich su­che ja auch ganz al­lei­ne da­nach. Er­satz. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, einen Fun­ken vom Glück zu er­ha­schen. Ein win­zi­ger Schim­mer, halb ver­düs­ter­ter Hoff­nung, kaum der Re­de wert. Der kleins­te Stern des Uni­ver­sums. Der Rest, der bleibt, wenn man das große Glück schon ver­spielt hat.

Für mich per­sön­lich ha­be ich fest­ge­stellt, Er­satz ist nicht das Rich­ti­ge für mich. Er­satz füllt nichts aus. Ich mag kei­nen Tee. Ha­be letz­tens ei­ne Kan­ne Erd­beer­tee ge­trun­ken, weil nichts an­de­res mehr da war. Vor al­lem kein Cappuc­ci­no. Ein re­la­tiv bil­li­ger Tausch, na­tür­lich. Aber für mich muss es schon Kaf­fee sein. Das heißt nicht, dass der Tee nicht ge­schmeckt hat. Im Ge­gen­teil, er war so­gar recht gut. Ich weiß nur lei­der, oder Gott sei Dank, je nach Stand­punkt, viel zu ge­nau, was ich will. Ich will in die Tie­fe boh­ren, wo an­de­re nur an der Ober­flä­che krat­zen. Mag ja sein, dass de­ren Fin­ger­nä­gel bre­chen. Ich will die kla­re Wahr­heit, wo ge­flun­kert wird. Ich will Ozea­ne an­statt Rinn­sa­len. Will mich und die Welt be­we­gen. Mit dem rich­ti­gen Löf­fel kann ein Mann al­lein gan­ze Ozea­ne um­rüh­ren. Ich will das Mark des Le­bens und die Hin­ter­grün­de in aus­gie­bi­gen Dis­kus­sio­nen er­for­schen. Ich mag Schwei­gen, das nie­mand als schmerz­haft emp­fin­det. Mag laut strei­ten und brül­len, wenn es sein muss. Ich will die Frei­heit zu träu­men. Ich al­ter Geist will die Ju­gend in mei­nen Kno­chen end­lich wie­der spü­ren. Ich bin viel zu lan­ge schein­tot ge­we­sen. Ich su­che ei­ne Prin­zes­sin, die weiß, dass sie ei­ne ist. Denn nur ei­ne ech­te Prin­zes­sin kann mich wach küs­sen. Du soll­test es wis­sen, aber du leug­nest es zu be­harr­lich. Des­halb muss ich ge­hen, darf mich nicht mehr bei dir mel­den. Die Ge­fahr ei­nes Rück­falls ist viel zu groß. An­ge­sichts der Unend­lich­keit des Uni­ver­sums kann ich mich nicht mit We­ni­ger zu­frie­den ge­ben. Ich kann kei­ne hal­b­en Sa­chen in Punk­to Lie­be mehr se­hen. Ich le­be lie­ber un­ge­wöhn­lich. Für mich muss es schon Cappuc­ci­no sein.

Nach­trag:

Im Sep­tem­ber 1990 (lan­ge be­vor ich die Su­che nach Er­satz an­trat) lief ei­ne fas­zi­nie­ren­de neue Fern­seh­se­rie bei uns an, und ich be­gab mich auf die USS En­ter­pri­se, NCC 1701D. Ei­ne an­de­re Va­ri­an­te. Die­ses Raum­schiff bot mir ei­ne wei­te­re Mög­lich­keit, vor dir, der Lie­be und dem gan­zen Rest zu flie­hen. Mit dem In­ter­es­se an der Se­rie wuchs das In­ter­es­se an den Hin­ter­grün­den und aus der an­fäng­li­chen Flucht wur­de weit mehr. Die Phi­lo­so­phie der Se­rie ent­sprach stark mei­ner ei­ge­nen Heran­ge­hens­wei­se an neue Si­tua­tio­nen und Men­schen. Neu­gier und Vor­sicht, To­le­ranz und Auf­ge­schlos­sen­heit, ganz nach dem Mot­to: „Was auch im­mer es sein mag, ob po­si­tiv oder ne­ga­tiv, von mei­nem Ge­gen­über kann ich nur ler­nen.“ Ich ha­be mir mei­ne ei­ge­ne Haupt­di­rek­ti­ve aus dem, was ich wuss­te und dem was ich lern­te, zu­sam­men­ge­mischt. Es gibt uns Men­schen in un­end­li­cher Viel­falt und un­end­li­chen Va­ria­tio­nen. Schon cha­rak­ter­lich könn­te je­der ein­zel­ne ei­ne „Spe­zi­es“ sein. Da wir aber al­le auf die­sem Pla­ne­ten le­ben, müs­sen wir ler­nen, die­se Welt zu schüt­zen und gut mit­ein­an­der aus­zu­kom­men. Die­se Se­rie spricht mir aus dem Her­zen. Da­her ist Cap­tain JeanLuc Pi­card, ob­wohl er ei­ne er­fun­de­ne Fi­gur ist, gleich nach mei­nem Va­ter, mein größ­tes Vor­bild. Nichts ist wich­ti­ger als Men­sch­lich­keit, und man muss sie täg­lich neu ler­nen. Was kann ei­ner al­lei­ne schon groß­ar­ti­ges tun? Ein Com­pu­ter­pro­gramm ent­wi­ckeln, Songs schrei­ben, nach Erd­öl boh­ren, auf ei­nem Geld­berg sit­zen. Phan­tas­tisch! Zum Mars flie­gen und künf­ti­gen Ge­ne­ra­tio­nen ei­ne le­bens­wer­te Er­de er­hal­ten, das kön­nen wir nur ge­mein­sam, als Mensch­heit. Ja, ich glü­he so­gar noch heu­te vor Be­geis­te­rung, wenn ich den Be­griff „Star Trek“ hö­re. Aber auch das musst du wis­sen, wenn du mei­ne Sicht un­se­rer Ge­schich­te ken­nen ler­nen möch­test. Du musst wis­sen, wie ich ti­cke und funk­tio­nie­re. Ich bin ei­ne Su­per­no­va der Emo­tio­na­li­tät. Oh­ne Ge­füh­le kein Le­ben. Das ist halt lei­der so. Emp­fin­dun­gen, die ei­nem bis auf die Kno­chen ge­hen, ma­chen uns erst zu rich­ti­gen Men­schen. Es fällt mir schwer, die­se zu­zu­las­sen, vor al­lem wenn sie ab­ge­wie­sen wer­den. Aber ich bin zäh. Und du bist die schöns­te Frau, die mir je­mals be­geg­net ist. Du bist in mei­nen Ge­dan­ken. Mei­ne Ge­dan­ken sind sehr wich­tig, denn ich ha­be ge­lernt, zu schwei­gen. Ich ha­be es ge­lernt, weil mei­ne Lie­be für dich nicht von Be­deu­tung war. Da ich nicht viel zu sa­gen ha­be, schrei­be ich um­so mehr, denn mei­ne Ge­dan­ken sind stän­dig in Be­we­gung. Sie krei­sen un­ge­fragt, oh­ne mei­ne Er­laub­nis, um das was wä­re, wenn ich dich mal wie­der an­ru­fen wür­de. Sie krei­sen um dies und das. Al­les was sie nicht zu in­ter­es­sie­ren hat, hält sie in stän­di­ger Ro­ta­ti­on.

Abschiedsbrief an die Liebe

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