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Kapitel 2
Оглавление„Na, hast du die Standpauke vom General überstanden?“
Mitleidig schaute mich Tina an, ich zuckte nur ungerührt die Schultern. Sie sollte mal ja nicht so tun, als würde sie der erhaltende Rüffel nicht freuen. Tina schleimte sich seit Marks Herrschaft über diese Filiale völlig unverschämt bei ihm ein. Ich fragte mich, wie weit sie für sein Wohlwollen und ein paar Vergünstigungen gehen würde.
Vom allerersten Tag an konnte ich Mark nicht ausstehen.
Sein ganzes gebieterisches Auftreten und Gehabe lassen meinen Testosteronspiegel täglich in ungeahnte Höhen schnellen.
Ich verabscheue jegliche Art von Autorität. Schon aus Prinzip.
Bei seiner Ankunft bekam die Belegschaft Order, zwei Stunden vor Arbeitsbeginn in der Filiale zu erscheinen, zwei Stunden, die uns wieder einmal nicht vergütet wurden. Der Bezirksleiter höchstpersönlich stellte uns Mark vor, hielt seine Rede und ließ uns darauf mit diesem Möchtegerndiktator allein. Der neue Chef, großgewachsen und drahtig, begann seinen Einstand vorläufig damit, uns die Leviten zu lesen. Er drohte mit umfassenden Änderungen, Verkaufsoptimierung, Mitarbeiterschulungen, regelmäßigen Testkäufen et cetera. Seit diesem Tag kommandierte er im anmaßenden Befehlston herum, als wären wir seine Leibeigenen.
Und seit selbigem Tag legte ich ihm Steine in den Weg.
Diesen Job erledige ich nur, weil ich ihn eben bekommen habe, und irgendwie muss ich schließlich mein Geld verdienen, nicht weil es der schönste Beruf auf Erden wäre.
Tagein tagaus berate ich Leute zur Wohnungseinrichtung, Singles, Jungverheiratete bis zu den frisch Geschiedenen. Junge, Alte, Wohlhabende genauso wie arme Schlucker. Mit den Jahren bekommt man ein feines Gespür für die Leute, ich lausche zwischen den Worten, registriere Mimik und Gestik, oft reichen ein paar Minuten, um die finanzielle Situation, den Familienstatus, den Geschmacksstil einzuschätzen.
Ich mache keine Unterschiede, ihre privaten Belange gehen mich nichts an, ich bin nicht ihr Psychiater, ich verkaufe nach bestem Wissen und Gewissen.
Seit mehr als zehn Jahren war das zu meinem Berufsethos geworden, ich hatte in dieser Zeit schon viele Filialleiter kommen und gehen sehen.
Auch Marks Anwesenheit blieb hier begrenzt, seine Zeit lief ab, zu meinen Gunsten. Etwas, das ich mir jeden Morgen sagte, wenn ich vor Arbeitsbeginn seine Ansprache über mich ergehen lassen musste, mit der er das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe stärken wollte.
Ständig erörterte er, dass Kameradschaft und Hilfsbereitschaft an erster Stelle stünden, dass wir glücklichen Mitarbeiter zu einer großen einzigartigen Familie gehören dürften, in der man jeden Tag sein Bestes geben müsse.
Für die Familie und für die Firma.
Das war alles großer Bullshit und konnte mich keineswegs beeindrucken.
Seit zwei Wochen lief die Kamelhaardeckenaktion. Das heißt, wir sollten diese stinkenden teuren Sommerdecken mit aller Überzeugungskraft an den Mann oder die Frau bringen, und Mark strich für jede verkaufte Decke seine Provision ein. Selbstverständlich hatte ich deshalb nicht eine verkauft.
Der Chef begab sich am Vormittag von seinem Thronsaal in den Laden herab, ließ mich antanzen und suchte seine Zielpersonen aus.
Ein betagtes Ehepaar wurde Opfer seiner Intensivierung.
Sie, liebevolles Hausmütterchen, er, der Herr im Hause, etwa fünfzig Jahre verheiratet (was mir das goldene Sträußchen an ihrem Reviers verriet), gutmütig, freundlich, streng konservativ, wohlsituiert, aber nicht vermögend, und gewiss besaß der Herr weder Kreditkarte noch Handy. Mit großer Wahrscheinlichkeit kannten beide Kamele nur aus dem abendlichen Fernsehprogramm.
Der General bewies sofort sein überragendes Verkaufstalent. Führte die Kunden beharrlich an das Ziel, versprach außergewöhnlichste Eigenschaften und Vorteile bei einem geradezu unschlagbar günstigen Preis.
Ich war mir sicher, dass er nicht die geringste Ahnung von den wahren Qualitäten der Ware hatte, aber er war unumstritten gut und leidenschaftlich in seiner Ausführung. Daher konnte ich es mir nicht verkneifen, trocken einzuwerfen, dass jenes Kamel in der Weltraumforschung überprüft, asbestfrei und zweifelsfrei biologisch abbaubar wäre, was mir einen gestrengen Blick meines Chefs einbrachte und bedeutete, sofort den Mund zu halten.
Mark machte den Handel perfekt, bevor mir ein weiterer Kommentar entschlüpfen konnte. Drückte triumphierend die Decken in meine Arme, da Transport, Kasse und Eintüten minderwertige Tätigkeiten waren, die weit unter seiner Qualifikation lagen, und verabschiedete sich ins Büro.
Kaum außer Hörweite lächelte ich das Pärchen freundlich an, empfahl ihnen flugs eine hochwertige Decke, die trotzdem nicht halb so kostspielig wie die aus Kamelhaar war, dafür aber ihrem früheren alten und vertrauten Bettzeug entsprach.
Zehn Minuten später zogen wir mit der neuen Ware am Bürofenster vorbei, aus dem uns Mark völlig entgeistert entgegenstarrte.
Auf seine Gesten antwortete ich in stummer Mimik, riss theatralisch die Augen auf, warf verzweifelt die Arme in die Luft und schüttelte fassungslos den Kopf. War ja schließlich nicht meine Schuld, dass sich seine Kunden als so wankelmütig und schwierig erwiesen.
Tja, adieu fette Provision!
Tina stand mit geröteten Augen an der Kasse, sie schien kurz davor loszuheulen und war überhaupt nicht bei der Sache.
Resolut übernahm ich ihren Platz und empfahl ihr, Preisschilder zu schreiben oder die Kommission fertig zu machen.
Ich war heute Abend mit meinen Mädels verabredet und wollte mal pünktlich Feierabend machen. Falls der Kassensturz eine Differenz aufwies, würde uns der General nicht eher entlassen, bis der Fehlbetrag geklärt war.
Bei einem Manko zulasten der Filiale drohte uns eine halbstündige Belehrung und Lohnabzug in Höhe des Verlustes.
Es war eindeutig besser, Tina hielt sich von der Kasse fern.
Seit ein paar Wochen benahm sich unsere Kollegin so eigenartig, man wusste an keinem Tag, woran man bei ihr war.
Mal überaus euphorisch, dann wieder zu Tode betrübt.
Statt ihrer Arbeit nachzugehen, wirkte sie abwesend und verschickte bei jeder sich bietenden Gelegenheit SMS über ihr Handy. Sie war noch ein junges Ding, weshalb wir alle Rücksicht auf sie nahmen und was die Tatsache entschuldigte, dass Tina naiv, blond und leichtgläubig war. Aber diese mädchenhaften hormonellen Ausbrüche empfand ich auf Dauer als unglaublich anstrengend.
Der General suchte mich eine halbe Stunde später im Laden auf und verlangte zu wissen, was ich wieder angestellt hätte, da Tina heulend im Aufenthaltsraum hocke. Gebieterisch wurde angeordnet, dass ich mich als einzige weitere weibliche Angestellte dieser Filiale um meine Kollegin kümmern und die Sache umgehend in Ordnung bringen solle.
Ein Gespräch unter Frauen eben!
Ich hielt das für die schlechteste Idee des Jahres!
Ehrlich, ich hab‘s versucht, aber Frauengespräche sind so gar nicht mein Ding. Mir fehlt es an Einfühlungsvermögen, genügendem Verständnis und Diplomatie, denn leider komme ich stets ohne Umwege direkt zum Punkt.
Die Planung meines Lebens beruht auf purer Logik, und ich mag es unkompliziert. Alle notwendigen Entscheidungen treffe ich schnell und konsequent. Fehltritte hefte ich in der Sammelakte unter schlechten Erfahrungen ab, die ein ganzes Buch füllen könnten, und Niederlagen ertrage ich mit Fassung. Hatte ich einmal einen falschen Weg eingeschlagen, beschritt ich einen neuen. Ohne Bedauern, ohne Absprache und Geheul.
Meine Welt teilt sich in Schwarz und Weiß.
Grautöne passen da nicht hinein.
Ich war also die denkbar schlechteste Therapeutin, um Tinas seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Aber ich gab mein Bestes.
Mit flauem Gefühl eilte ich in die Betriebsräume und bat Tina, über ihren Kummer zu reden.
Unser Azubi schlich auf dem Flur entlang, neugierig versuchte Jannis, uns zu belauschen. Als ich seine Schritte hörte, scheuchte ich ihn unter Androhungen von Strafarbeit zurück in den Verkaufsraum.
Daraufhin suchten wir uns einen ungestörten und abhörsicheren Platz im Keller, und Tina, voller Hoffnung und Vertrauen, schüttete mir bereitwillig ihr Herz aus. Vielleicht sah sie in mir eine Mutterfigur, die sie verständnisvoll an die Brust drücken und ihr Trost spenden würde.
Bestürzt folgte ich ihrem Bericht und kapierte sofort, weshalb sie so durcheinander war. Unsere kleine Tina war unsterblich verliebt!
Und diese Liebe wurde nicht erwidert oder zumindest nicht in dem Maße, wie sie es sich erträumt hatte. Sie schwieg sich über die genauen Umstände aus, erklärte nur so viel, dass sie einander heimlich trafen, weil er sich bisher nicht dazu durchgerungen hatte, seine Liebe öffentlich zu bekennen, obwohl er es seit Wochen versprach. Die wenigen Stunden, die den beiden in ungestörter Zweisamkeit blieben, verbrachten sie im Bett. Genau deshalb fühlte sich Tina unglücklich, belogen und als Sexobjekt degradiert.
Wirklich jedes andere Thema hätte ich diesem vorgezogen. Irgendwas Normales wie Geldsorgen, Wohnungsnot, Stress im Job, so was halt!
Mensch, ich war sicher kein Beziehungsexperte, meine einzigen längeren Verbindungen zum anderen Geschlecht hatten das erste Jahr nie überdauert.
Zumindest schien Tinas Angelegenheit relativ simpel zu sein, und ich kam mir vor wie Doktor Sommer, der versucht, pubertierenden, unwissenden Kindern auf schonende Art und Weise die Erwachsenenwelt zu erklären.
Die Sachlage war für mich eindeutig und allzu offensichtlich.
Der Typ meinte es nicht ernst, er wollte sie hinhalten und spielte mit ihren Gefühlen. Und Tina war so blöd, jedes Mal aufs Neue auf seine Masche hereinzufallen. Schlussfolgernd riet ich, den Kerl in den Wind zu schießen und keinen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden. Das war er nicht wert.
Froh, dass Tina sich meiner Empfehlung anschloss und mir bestätigte, dass ich in allen Punkten recht habe, wollte ich die Sitzung erfolgreich schließen, als das Mädchen überraschend in Tränen ausbrach.
Das hatte mir an diesem Tag gerade noch gefehlt!
Unbeholfen forderte ich Tina auf, sich gefälligst zu benehmen.
Gerade waren wir uns einig gewesen und hatten ihr Problem gelöst. Warum heulte sie dann?
Stammelnd erklärte das Mädel, sie könne ihn keinesfalls verlassen, ohne ihn müsse sie sterben und tausend weitere Einwände, die ich genauso wenig begriff. Mit meiner Geduld so ziemlich am Ende begann ich mit einer professionell und streng wissenschaftlich Erklärung über die Liebe.
Aufmerksam hörte meine Probandin zu.
Verliebt sein war nicht mehr als eine Laune von Mutter Natur. Nicht das Herz, sondern das Hirn wählt den Partner aus, sammelt alle Informationen über Geruchssinn und Sehnerv und entscheidet sich in wenigen Sekunden für den kräftigsten und erfolgversprechendsten Genpool.
Alles nur ein Feuerwerk der Synapsen, das zu übermäßiger Dopaminaus-schüttung führt und wie bei Drogenabhängigen zu einem enormen Glücks-gefühl führt. Liebe ist nüchtern betrachtet eine biochemische Reaktion und dient einzig dem Zweck der Arterhaltung.
Das ging offensichtlich weit über Tinas Horizont.
Also einfacher: „Dein Hirn befiehlt dir gerade, dich fortzupflanzen. Deshalb überlege gut, ob du ihn dir wirklich als Partner und Vater deiner zukünftigen Kinder vorstellen kannst oder ob es nur um den regelmäßigen Sex geht!“
Eingehend dachte Tina darüber nach und rückte langsam mit der Sprache heraus. Er wollte nämlich keine Kinder und heiraten schon gar nicht. Und Tina selbst fühlte sich viel zu jung für eine so ernste Bindung, sie wollte ausgehen und feiern, etwas erleben und nicht nächtelang darauf hoffen und warten, dass er vielleicht doch noch zu ihr kam.
Folglich hatte ich recht, und es ging hier nur um das Eine.
Damit kam Tina plötzlich auf diese, seine außergewöhnlich standfesten Qualitäten zu sprechen, während ich mir innerlich die Ohren zuhielt und wünschte, sie würde mich bitte mit den Details verschonen.
Dieses Gespräch nahm groteske Züge an, und ich fühlte mich logischerweise entsprechend unwohl. Um das pikante Thema ein für alle Mal zu beenden, überlegte ich, auf welche Art der Vorgang beschleunigt werden könnte, und beschloss, es deutlicher zum Ausdruck zu bringen.
Aber wie sagte ich das am besten und mit Anstand?
Wohldurchdacht formulierte ich meine Worte, so eindeutig und
professionell es eben ging.
„Sexuelle Abhängigkeit heilt man am erfolgreichsten, indem Frau ihre Begierden auf ein neues männliches Subjekt fokussiert.“
Entgeistert starrte Tina mich an und fragte, was das denn nun wieder heißen solle.
Es durch die Blume zu sagen hatte scheinbar keinerlei Sinn!
Mein Gott war die schwer von Begriff!
Ärgerlich schloss ich die Therapiesitzung mit den folgenden Worten:
„Will sagen, such‘ dir nen neuen Loverboy!“