Читать книгу Abschied von Havanna - Paul Baldauf - Страница 7
ОглавлениеKapitel 2
Am folgenden Tag kann ich mich zu meiner Bestürzung kaum noch erinnern, wo die Gasse zu finden ist, in der Fabiola arbeitet. Warum habe ich mir den Straßennamen nicht notiert, die Lage im Stadtplan nicht markiert? Ich irre umher, biege hoffnungsvoll in Gassen ein und verlasse sie wieder enttäuscht, bis mir endlich ein Licht aufgeht: Da drüben, das muss es sein! Ich trete beschwingt in den Laden und rufe mit triumphierender Stimme:
„Hallo, Fabiola! Wie geht es dir?“
Sie schüttelt den Kopf und sagt:
„Ich heiße nicht Fabiola! Ich bin Lorena. Erinnerst du dich nicht an mich?“
Nun scheint es, als lege sich ein dezenter Schleier der Enttäuschung über ihr – Fabiolas? Lorenas? – Gesicht.
In mir steigt leichter Argwohn auf. Empfindet sie etwa Vergnügen dabei, mich an der Nase herumzuführen? Schnellere Sprechweise? Das läßt sich ohne weiteres künstlich herbeiführen. Die Kleidung, die Statur sind auf Anhieb nicht unterscheidbar. Wer steht vor mir? Aber sie sprach doch von «zwei Läden». Halt mal…
Ich sehe mich rasch um, aber die Läden sehen sich alle ähnlich. Wer auch immer sie ist, sie macht ihre Rechnung ohne den Orientierungssinn eines potentiellen Kunden, der nun Einspruch erhebt.
„Das ist nicht möglich, du bist Fabiola! Gestern habe ich dir von meiner Heimatstadt erzählt. Erinnerst du dich nicht?!“
Ich lasse einige Sekunden verstreichen, wobei ich mir vorstelle, was für eine reumütigverschämte Miene die überführte Fabiola beim Geständnis eines fehlgeschlagenen Streiches gleich aufsetzen wird.
„Hör mal”, bringt sie auf einmal vor, „was kann ich dafür? Ich bin nicht Fabiola, sondern Lorena, mit der du zuerst gesprochen hast! Fabiola arbeitet heute gar nicht, und ihr Laden liegt weiter hinten, dort, an der Ecke, schau!“
Drei Tage vergehen, in denen ich immer noch nicht alle Souvenirs beisammen habe und in denen ich – mit wem? – weitere Gespräche führe.«
Und wenn sie tatsächlich Zwillinge sind? Aber selbst wenn es so ist, vielleicht gibt Lorena sich dann dennoch als Fabiola aus und Fabiola als Lorena?»
Die ungeklärte Frage löst beim Reisenden ein Gefühl aus, wie es jemand empfinden mag, der zu lange Karussell gefahren ist.
Am Tag vor der Abreise erinnere ich mich plötzlich an ein verräterisches Detail. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Lorena trägt Ohrringe!
Ein neuer Tag bricht an, und mich überkommt ein nostalgisches Gefühl. Bevor ich den Weg zum Bahnhof einschlage, will ich meine neuen Bekannten noch einmal besuchen. Ich betrete den Souvenirladen, der meinem Hotel näher liegt und begrüße Lorena:
„Hallo! Ich fahre heute nach Hause.“
„Wir schreiben dir!“
Ein Blick auf die Uhr, die Zeit drängt!
„Ich will mich noch von Fabiola verabschieden“ und schon öffne ich die Tür. Ich habe bereits einen Fuß auf die Schwelle gesetzt, als mich ihre Stimme erreicht.
„Wie bitte? Von F a b i o l a? Wie soll das gehen, wo ich doch Fabiola bin!“
Genug gescherzt, denke ich, der ich nun meine Beobachtungsgabe mit Hinweis auf die Ohrringe an den Tag lege. So ähnlich wird sich ein Kartenspieler fühlen, der auf einmal ein Ass hervorzaubert und es siegessicher auf den Tisch knallt.
„Ach, so! Manchmal zieht Lorena sie an, manchmal ich“, gibt sie lächelnd zurück.
Tage danach: Wieder in Deutschland, trifft eine Nachricht bei mir ein, die mir spanisch vorkommt:
«Erinnerst du dich noch an uns? Meine Schwester und ich senden dir viele liebe Grüße! Mit Zuneigung, Lorena.»
Lorena? In der Erinnerung steht sie wieder vor mir, die junge Mexikanerin, die ich zuerst traf…Oder war sie vielleicht doch Fabiola?