Читать книгу Organisationskultur der katholischen Kirche - Paul F. Röttig - Страница 7
ОглавлениеEin persönliches Wort
Behutsam wachsender Glaube und daraus sich kristallisierende christliche Werte, aber auch persönliches, sich inmitten der menschlichen Gesellschaft mit allen Höhen und Tiefen angeeignetes Wissen und Erfahren färben, dirigieren und interpretieren mein „volles“ Leben von mehr als siebzig Jahren. Eigene Erkenntnis ermahnt jedoch: Erworbenes Wissen in Philosophie, Sozialpsychologie, Organisationspsychologie und -entwicklung, Kunstgeschichte, Ökonomie, Leadership und Organisationsmanagement mögen mit dem fortschreitenden Alter eines mit Christus und seiner Kirche eingeschlagenen Lebenswegs ihre Glaubwürdigkeit verblassen sehen, wenn sie nicht praktisch-theologisch reflektiert wően, wenn dieses erlebte und erfahrene Wissen nicht im Dialog mit Gott, der mit uns in Raum und Zeit unterwegs ist, auf seine Richtigkeit überprüft und auf den „theologischen Prüfstand“ gestellt werden möchte.
Der aus der Taufe des Geistes Gottes geborene Auftrag, Jesus Christus nachzufolgen und seiner und meiner Schwester und seinem und meinem Bruder auf denselben Weg, der „Kirche“ heißt, zu verhelfen, wird von den Vätern des Zweiten Vatikanums in Erinnerung gerufen: „Zugleich ist sie [die Kirche] der festen Überzeugung, dass sie selbst von der Welt, sei es von einzelnen Menschen, sei es von der menschlichen Gesellschaft, durch deren Möglichkeiten und Bemühungen viele und mannigfache Hilfe zur Wegbereitung für das Evangelium erfahren kann“ (GS 40). Sich auf diese angebotene Hilfe von der Welt auch tatsächlich einzulassen, kann allerdings nicht darin bestehen, sie nur zur eigenen Selbstbestätigung umzufunktionieren.
In diesem Buch geht es also um den Menschen in seiner sozialen Bedingtheit im Licht der Frohen Botschaft, die seines Lebens Sinngebung geworden ist und in der Gemeinschaft der Kirche weitergereicht werden soll. Im Berufsleben Erlebtes, das in der Communio des Volkes Gottes auf dem Weg zum eigentlichen Leben zum Erfahrenen fürs eigene Denken und Tun geworden ist, soll praktisches Beispiel sein für das hier Skizzierte.
Das im Jahr 2003 persönlich geleitete Projekt für die Institution der Catholic Relief Services (CRS) der Vereinigten Staaten (der „Caritas“ der USA) in Südost-Europa und der Kaukasusregion, setzte sich zum Ziel, eine im Rahmen der katholischen Kirche operierende multinationale karitative Organisation in ihrer Ganzheit neu auszurichten. Der Beratungsauftrag war klar definiert: das „sozial orientierte Unternehmen“, das im Auftrag und „im Schoß“ der Kirche handelt, von seiner Aufgabe im Bereich der Katastrophenhilfe in den betroffenen Kriegsgebieten zu neuen Tätigkeitshorizonten für die in verbrecherischen Auseinandersetzungen zwischen benachbarten Volksgruppen verletzten und geschundenen Menschen zu begleiten. In der Vergangenheit hatten die CRS auf dem Balkan vor allem für Überlebenschancen der Bevölkerung durch Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und für Bereitstellung menschenwürdigen Wohnraums gesorgt. Es war ums nackte Überleben der Menschen gegangen. In Zukunft sollte es der karitativen Organisation ums Leben in erhoffter Fülle gehen; zum neuen Ziel der CSR wurde es, mit Mitteln, die durch Spenden der Glaubenden bereitgestellt wurden, wieder Hoffnung für Gestaltung und Bewältigung der Zukunft zu schenken: Es galt, vergewaltigten Frauen wieder zu ihrer menschlichen Würde zurück zu helfen, Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe zu stärken, mit Kleinkrediten gesicherte Lebensbedingungen für Familien aufzubauen und in ein zerstörtes Bildungssystem zu investieren. Diese neuen Zielsetzungen bedurften nicht nur neuer Organisationsstrukturen der karitativen Organisation, sondern ganz wesentlich eines radikal unterschiedlichen Ansatzes menschlicher Zusammenarbeit und Kommunikation, das heißt einer neuen Organisationskultur im Licht der jesuanischen Option für die Armen und die Ärmsten am Rand der Gesellschaft.
Um den ersten Einstieg in die Gedanken der Abhandlung zu erleichtern, soll dem Leser quasi als vorausweisende Lesehilfe eine vereinfachte, dann jedoch im Laufe der Ausführungen systematisierte Begriffsbestimmung von Organisationskultur angeboten werden: Darin kann die Gesamtheit jener charakteristischen Werte und Überzeugungen einer Gruppe von Menschen verstanden werden, die sichtbar machen, wie die einzelnen Gruppenmitglieder im sozialen Zusammenspiel leben, zusammenarbeiten und einander behandeln. Wenn sich gesellschaftliche Werte ändern, folgt diesen meistens ein Kulturwandel der Institution, der allerdings auch von äußeren Ponderabilien durch die Führungskräfte angestoßen werden kann. Bewusste Veränderungen der gelebten Kultur in einer Organisation, die oft von den Führungskräften initiiert werden, können allerdings nur dann effizient und effektiv angestrebt werden, wenn diese auch in allen Nuancen ins Bewusstsein gerufen werden. In anderen Worten: Ohne eine Organisationskultur analysiert und somit für den Betroffenen bewusst erfahrbar gemacht zu haben, wird eine Kulturveränderung schwer durchzuführen sein. Hinterfragen und Verstehen der eigenen Kultur ermöglichen die Annäherung an eine andere Kultur und bilden die Basis dafür, die eigene Kultur in die gewünschte Richtung zu verändern.
Die Analyse der Organisationskultur der CRS und die daraus resultierende Notwendigkeit eines kulturellen Veränderungsprozesses stehen als Beispiel für viele ähnliche Projekte in profit- und sozial orientierten Institutionen, die ich im Laufe meines Berufslebens begleiten konnte. So sind in den letzten Jahren meiner weltweiten Beratungs- und Lehrtätigkeit und auf dem Weg durch diese Arbeit Erkenntnis und Wissen zu Begleitern geworden, die überzeugen, dass nicht nur „harte“, das heißt strukturelle Faktoren das Leben einer Organisation bedingen, sondern ihr Überleben ganz wesentlich auf „weichen“, nämlich kulturellen Faktoren gegründet ist.
Genau diese Erfahrungen möchte ich in einer Zeit offensichtlicher und grundsätzlicher Neuorientierung in und für die Kirche Jesu Christi einbringen und fruchtbar machen – allerdings ohne den Fokus auf Strukturfragen zu konzentrieren, die in den letzten Jahrzehnten zum Liebkind kirchlicher, hier vor allem progressiver Erneuerer geworden sind. Seit der Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio zum Nachfolger des heiligen Petrus am 13. März 2013 hat sich der Schwerpunkt des Bemühens um eine ecclesia reformanda von einem häufigen Streit um neue kirchliche Strukturen auf die Betonung einer notwendigen missionarisch-pastoralen Neubesinnung verlagert (EG 26), ohne allerdings den Strukturwandel zu vergessen (EG 27, 32, 33, 108, 189). Das Pontifikat von Franziskus zwingt die Kirche gleichsam zu einer Relecture einer schon Jahrzehnte andauernden Diskussion um einen glaubhaften innerkirchlichen Wandel. Da viele der von Papst Franziskus erhofften, angestrebten und eingeforderten kulturellen Veränderungen aus zeitlichen Gründen erst teilweise von der Fachliteratur aufgegriffen sind, wird in der Studie auf elektronische Dienste wie die der vatikanischen Medien, der österreichischen Kathpress oder des National Catholic Reporter zugegriffen. Die Taten und Worte von Franziskus lassen die Bedeutung seiner historischen Sendung erahnen. Sie führen nicht zu seiner Person, sondern wollen helfen, den Weg zum gemeinsamen Ziel zu ebnen.1
Mein besonderer Dank gilt Dr. Johann Pock, Professor für Praktische Theologie an der Universität Wien, für seine fachliche Begleitung, meinem Freund und verständnisvollen IT-Fachmann Ing. Gerhard Haider, meinem engagierten und sorgfältigen Lektor, Dr. Wolfgang Bahr, und vor allem meiner Frau Christine für ihre geduldige Begleitung und ihr kritisches Mitdenken.
1 Vgl. Werlen, Heute im Blick, 28.