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Pestalozzi und die Revolution
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Wie in seinem Roman, so sieht Pestalozzi durchweg in dieser Zeit die Fragen der Erziehung im engsten Zusammenhang mit denen der Wirtschaft und der Politik. Die schon genannten Schriften: „Über Gesetzgebung und Kindermord“ (gedr. 1783), dann das zweite Volksbuch „Christoph und Else“ (1782), ferner eine Reihe von Aufsätzen der im Jahre 1782 herausgegebenen (nicht weiter fortgesetzten) Zeitschrift „Ein Schweizerblatt“, kurz alle die zahlreichen Arbeiten aus dieser Zeit zeigen einstimmig diese Richtung und liefern noch viele und wertvolle Beiträge zu dem großen Thema der „sozialen Pädagogik“.
Unablässig, aber vergeblich bemüht sich dabei Pestalozzi um eine erneute praktische Wirksamkeit. An den Illuminatenorden wendet er sich, durch diesen an den österreichischen Staatsmann Grafen von Zinzendorf; dem Großherzog von Toskana, nachmaligen Kaiser Leopold II., legt er verschiedene Denkschriften über sozialpolitische Fragen in derselben Absicht vor. Die Eindrücke der französischen Revolution konnten ihn in der allgemeinen Richtung seiner Forschung auf soziale und politische Fragen nur bestärken, obgleich der Gesichtspunkt der Menschenbildung für ihn stets der beherrschende blieb. Die Briefe an Fellenberg aus dem Anfang der neunziger Jahre geben Kunde von seiner starken Anteilnahme an den Ereignissen in Frankreich. Sehr ernstlich fasst er dann – nachdem er 1792 neben Schiller und Klopstock Ehrenbürger der französischen Republik geworden ist – das Problem der französischen Revolution ins Auge in der werkwürdigen (damals übrigens nicht zur Veröffentlichung gelangten) Schrift „ Ja oder Nein“ (geschrieben „im Hornung 1793“). Den bedeutendsten Anlauf aber zu einer „Philosophie seiner Politik“ nimmt er in dem um dieselbe Zeit entworfenen, 1797 gedruckten Buche „Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“, welches von Herder, der es rezensierte, mit vollem Recht eine „Geburt des deutschen philosophischen Genius“ genannt wird.
(Band 158e in dieser gelben Buchreihe)
Von Rousseau nimmt Pestalozzi auch hier seinen Ausgang; gleich ihm stellt er den „gesellschaftlichen“ Zustand des Menschen in schroffen Gegensatz zum „natürlichen“; auch die Erklärung des ersteren durch den Grundbegriff des „Vertrags“ (d. h. der gegenseitigen Bindung) teilt er mit ihm. Aber er schreitet dann über Rousseau wesentlich hinaus, indem er jenen beiden, dem natürlichen und gesellschaftlichen Stande, als dritten, gänzlich heterogenen, den sittlichen Stand entgegengestellt, der beide überwinden, aber nicht etwa zunichtemachen, sondern in seinen Dienst nehmen, die „Natur“ und die bürgerliche Verfassung des Menschen als bloße Mittel dem einzigen Endzweck seiner reinen sittlichen Bildung unterwerfen soll; worin man sofort den Grundgedanken der „Abendstunde“ wie des Romans in nur vertiefter und geklärter Gestalt wiedererkennt. In dem Gedanken der Autonomie des Sittlichen, auch in der hier wieder besonders tiefen und großartigen Aufhellung der Religion aus dem Gesichtspunkte der Sittlichkeit, begegnet sich Pestalozzi offenbar mit Kant. Auch ist dies Zusammentreffen nicht mehr ganz ein unbewusstes. Gerade während der Abfassung dieses Buches hatte Pestalozzi in eingehenden Unterredungen mit dem jungen Fichte sich überzeugt, „sein Erfahrungsgang habe ihn im Wesentlichen den Resultaten der Kantischen Philosophie nahe gebracht“ (an Fellenberg, 16. Januar 1794). – Ein weiteres interessantes Denkmal aus dieser bewegten Zeit sind die „Figuren zu meinem Abc-Buch“ (1797), später „Fabeln“ betitelt, geistreiche politische Satiren in Form von Tierfabeln oder richtiger Parabeln.
An den Streitigkeiten, die um diese Zeit zwischen den Regierenden der Stadt Zürich und der Landbevölkerung am See ausbrachen (den „Stäfner Unruhen“), war Pestalozzi, der sich damals viel im Hause seines Oheims Hotz in Richtersweil aufhielt, persönlich beteiligt; er hat Hand in Hand mit dem alten Freunde Lavater die größten Anstrengungen gemacht, nach beiden Seiten versöhnend, aber so viel möglich im Sinne der freiheitlichen Grundsätze zu wirken. Inzwischen griff die revolutionäre Bewegung von Frankreich nach der Schweiz hinüber. Im März 1798 erfolgte die Proklamation der einen unteilbaren Helvetischen Republik durch die Franzosen. Pestalozzi hatte den Sieg der Freiheit nicht von dieser Seite und nicht in dieser Form herbeigewünscht; aber es galt jetzt aus der einmal geschehenen Umwälzung das Beste zu machen, was sich daraus machen ließ. Und wenigstens entfachte der politische Sturm ein neues Bestreben auf Hebung der Volkserziehung. Das war der Augenblick, wo der bereits 52jährige, den man überall „unbrauchbar“ befunden hatte, hoffen durfte, wieder für brauchbar erkannt zu werden. Er stellte sich der Regierung zur Verfügung zu einem neuen Versuch der Erziehungsarbeit am niederen Volk. Die damals leitenden Männer, besonders der hochgesinnte Minister der Künste und Wissenschaften, Stapfer, brachten ihm Verständnis und Wohlwollen entgegen.
Philipp Albert Stapfer – 1766 – 1840
Einstweilen beschäftigte man ihn, durch Flugschriften das Volk über die Absichten und Maßnahmen der neuen Regierung aufzuklären und in vorsichtigerweise für diese zu gewinnen. Seit September 1798 gab Pestalozzi, der in dieser Zeit in Aarau wohnte, mit Regierungsunterstützung das „Helvetische Volksblatt“ heraus, für welches er wieder eine Reihe von Aufsätzen selbst verfasste. Die wichtigsten politischen Arbeiten aus dieser Zeit sind die zwei Blätter über den Zehnten (nur das erste damals erschienen), in welchen er nicht ohne Schärfe für gänzliche Abschaffung des Zehnten, für Staatssteuern streng nach dem Maße der Leistungsfähigkeit (progressive Einkommensteuer, mit Steuerfreiheit für ein reichlich bemessenes Existenzminimum) kämpfte.
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