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IV

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Am nächsten Morgen erwachte er mit einem schweren Kopf. Das Licht des anbrechenden Tages durchflutete bereits sein Schlafzimmer und warf Schatten auf die weißen Laken seines Bettes. Draußen vor dem Fenster erwachte London gerade zu einem frischen Samstagmorgen. Er sah kaum Wolken am Himmel stehen.

Neben ihm zeichneten sich unter dem Weiß seines Plumeaus die Formen einer Frauengestalt ab. Ihre roten Haare lugten lockig unter der Decke hervor. Ebenso ein Arm, an dessen Ende sich eine Hand leise bewegte, förmlich im Erwachen begriffen. Der Duft, der aus den Laken emporstieg, war für Tristan Zeugnis einer von Champagner und Lust durchtränkten Nacht. Er wartete nicht, bis sie vollkommen aufgewacht war, sondern stand auf. Die Hand griff nach seinem Fußgelenk, doch er öffnete sie behutsam mit spitzen Fingern und stieg die Treppe seines Lofts herab. Dann nahm er sich ein frisches Handtuch aus dem Regal, hängte es neben die Duschtür und begann zu duschen. Unter dem Fenster seines Badezimmers floss die Themse dahin. Während er sich das Haar einseifte, betrachtete er die darauf fahrenden Schiffe und die Möwen, die ihnen folgten. Da öffnete sich die Schiebetür hinter ihm, und Sam trat herein. Sie strich sich eine ihrer schweren roten Locken aus dem Gesicht und blickte ihm neckisch ins Gesicht: „Nicht so voreilig, mein Lieber”, sagte sie und nahm seine Hand in die ihre. Dann gab sie ihm etwas von seiner Waschlotion und bedeutete ihm, sie zu waschen.

Das Schiff, das er eben beobachtet hatte, war bereits aus seinem Blickfeld verschwunden, als sie aus dem Bad heraustraten. Sie beugte sich ein wenig herunter, um sich abzutrocknen. Er dagegen nahm sich einen Bademantel und ging auf seinen Balkon hinaus, ohne auf die Wasserlachen zu achten, die er auf dem Marmorboden hinterließ. Draußen, in der frischen Frühlingsluft, fasste er nach der Kapuze und trocknete sich damit Gesicht und Ohren.

Tristan spürte, wie ihm der eisige Hauch des Flusses in die Ärmel und um die Ohren wehte. Es fröstelte ihn. Doch, wie seltsam, er genoss die Kälte, die ihn einhüllte und seinen von der Dusche erhitzten Körper langsam auskühlte. Wie gern wäre er jetzt hinausgeschwommen, in die reißenden Ströme der Themse. Nur er und das Wasser, von Angesicht zu Angesicht. Er konnte förmlich spüren, wie ihn die Wogen umfingen, ihn aufnahmen und er eins mit ihnen wurde. Noch einmal atmete er tief ein und aus, dann wandte er sich zur Terassentür zurück. Sam stand dort, sein Mobiltelefon in der Hand.

„Es hat geklingelt”, sagte sie mit spöttischer Miene.

„Danke”, sagte er abwesend, küsste sie nachlässig auf die Wange und nahm ihr das Telefon aus der Hand. Er trat an ihr vorbei und wandte sich zu ihr um.

„Es wird Marcus sein, wir sind zum Brunch verabredet. Möchtest du mitkommen?"

„Wohin geht ihr?"

Er nannte ihr ein Restaurant mit typisch deutscher Küche. Jeder in der Stadt wusste, dass es dort sehr fettige Kost gab und sich das Lokal hervorragend für den Morgen nach einem Trinkgelage eignete. Er wusste schon jetzt, wie sie antworten würde, warf ihr aber dennoch einen erwartungsvollen Blick zu.

„Ich kann nicht mitkommen, leider. Ich bin schon zum Mittagessen verabredet."

Sie war es nicht, da war er sich sicher. Frauen wie sie gingen nur ungern in Gesellschaft essen - dies machte ihr kleines Geheimnis anfällig, entdeckt zu werden. Trotzdem seufzte er, als wäre er enttäuscht, gab ihr einen Klaps auf den Po und sagte:

„Das tut mir leid. Warte etwas, ich zieh mich eben an, dann nehmen wir gemeinsam ein Taxi ins Zentrum".

Sie hob den Kopf wie ein Kind und er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann ging Tristan zu seinem Kleiderschrank, wählte ein türkisfarbenes Hemd, einen beigen Pullover, Jeans und Lederschuhe. Nachdem er sich angezogen hatte, trocknete er sich das Haar. Während er dies tat, sah er Sasha hinter sich im Spiegel stehen. Ihre großen braunen Augen verfolgten neugierig jede seiner Bewegungen. Bevor er mit der Rasur begann, griff er nach dem Telefon, suchte Marcus’ Nummer heraus und rief ihn an.

„Ich hatte mir schon gedacht, dass du noch beschäftigt sein wirst. Steht unsere Verabredung noch?"

Tristan blickte Sam kurz an und antwortete: „Selbstverständlich. Wo bist du jetzt?"

„Ich war gerade bei meiner Frau und den Kindern zum Frühstück. Aber keine Angst, ich hab kaum was gegessen."

„Schaffst du es, bis eins dort zu sein?"

„Ja, kein Problem. Dann bis gleich."

„Bis gleich”, sagte Tristan und beendete das Gespräch. Er nahm den Rasierschaum und bedeckte damit Gesicht und Hals. Als er das Rasiermesser an seine Haut legte, um seinen Zweitagebart mit kurzen Bewegungen zu entfernen, erinnerte er sich daran, was Marcus gesagt hatte. Konnte er wirklich schon so früh zu seiner Frau und seinen Kindern gefahren sein? Welches Zeitmanagement!

Es war Tristan immer noch ein Rätsel, wie die Ehe zwischen Marcus und seiner Frau in eine solche Krise gemündet sein konnte. Sie kannten sich seit der Schule, waren bereits in der zehnten Klasse zusammengekommen. Er, der Kapitän des Rugbyteams, und sie, ein Mädchen aus gutem Haus, um deren Gunst sich viele ihrer Mitschüler vergeblich bemüht hatten. Sie war so hübsch gewesen. Nachdem Tristan bei der Bank angeheuert hatte und Marcus und er sich angefreundet hatten, waren sie noch immer zusammen gewesen. Amy hatte gerade ihr zweites Kind, einen aufgeweckten kleinen Jungen, zur Welt gebracht. Beide waren überglücklich und stolz, Tristan ihre kleine Familie zu präsentieren, als sie ihn eines Tages zum Abendessen einluden. Tristan hatte damals ein Mädchen, das er tags zuvor in einem Cafe kennen gelernt hatte, mitgenommen. Seine Begleiterin war von dem verliebten Ehepaar, ihrem kleinen Haus und den pausbäckigen Kindern ganz entzückt gewesen.

„Man sieht, dass sich die beiden seit Jahrzehnten kennen. Sie wirken wie eine Einheit, wie zwei Bäume, die über die Jahre hinweg ineinander gewachsen sind."

Tatsächlich strahlten beide ein derart großes Vertrauen und eine Ruhe aus, dass es Tristan damals für seinen Freund ganz besonders gefreut hatte. Er hatte die gemeinsamen Sonntagabende genossen, hatte jedoch auch bemerkt, dass Amy von den fortlaufend wechselnden Namen seiner Begleitung nicht ganz angetan gewesen war. Dies empfand er als schade und war enttäuscht, als Marcus ihm irgendwann sagte, Amy und er hätten am kommenden Sonntag leider keine Zeit für das gemeinsame Diner. Tristan hatte mit den Schultern gezuckt und den Mund verzogen, worauf sich Marcus entschuldigt und ihm den eigentlichen Grund verraten hatte.

In den darauf folgenden vier Monaten hatten sich Marcus und Tristan deswegen seltener sehen können. Selbstverständlich arbeiteten sie täglich im gleichen Büro und gingen nach wie vor gemeinsam mittags zusammen essen. Trotzdem gelang es Amy, ihren Mann an den Feierabenden und am Wochenende aus Tristans Nähe zu herauszulösen. Marcus berichtete im Büro von vermehrten Ausflügen aufs Land mit den Kindern, auch davon, dass Amy wieder Kontakt mit Freunden aus der Schulzeit aufgenommen hatte, die ebenfalls Familien gegründet hatten, und mit denen sie sich jetzt regelmäßige Besuche abstatteten. Zunächst wirkte Marcus aus diesem Grund sehr froh, und Tristan gestand seinem Freund diesen Lebenswandel auch gerne zu, wenngleich er für sich selbst nichts an der leichten Art, in der er sein Leben gestaltete, ändern wollte. Er sah weiterhin viele unterschiedliche Frauen, wobei allerdings keine darunter war, die auch nur die geringste Chance hatte, eine ernstere Beziehung mir ihm zu führen. Er genoss das glitzernde Nachtleben Londons in vollen Zügen und hatte unterdessen leicht neue Freunde gefunden, die an Marcus’ Statt mit ihm durch die Clubs und Bars der Stadt zogen. Sie waren gleichfalls Kollegen aus der Bank, wenngleich auch roh und in ihrem Wesen vollkommen ungeeignet, jemals eine tiefere Freundschaft zu unterhalten, die auch nur ansatzweise mit dem Vertrauen verglichen werden könnte, das sich so schnell zwischen Tristan und Marcus gebildet hatte.

Jedenfalls reichte es aus, um mit ihnen gemeinsam trinken zu gehen und dies als Plattform für Bekanntschaften mit dem schönen Geschlecht zu nutzen. Vielleicht ein halbes Jahr ging so ins Land, in dem die beiden Kollegen Marcus und Tristan nun beim Mittagstisch Gesellschaft leisteten, Tristan auf die Schulter klopften und die Erlebnisse des vergangenen Abends mit ihm besprachen. Natürlich fragten sie auch Marcus nach dessen Wochenende, jedoch wechselten sie wieder schnell das Thema, wenn sie seiner Ausführungen über die Freuden der Familie überdrüssig wurden. Es begann sich abzuzeichnen, dass sich die Welten der beiden Männer verschoben und voneinander abrückten. Dies geschah zu Beginn unmerklich, trat jedoch nach einer Weile so offenkundig in das Bewusstsein beider Männer, dass sie hin und wieder einen Schimmer der Trauer im Blick des anderen wahrzunehmen schienen, sobald sie sich anschauten. Insbesondere Marcus glich nicht mehr jenem, den Tristan früher einmal kennen gelernt hatte. Die Balance, die er zwischen seiner frühen Familiengründung und seinem noch jugendlichen Alter damals fertig gebracht hatte, und die ihn wie einen Seiltänzer stabil und zufrieden durch die Aufregungen des beruflichen Lebens in der City hatte wandern lassen, diese Balance war nun verschwunden. Er wurde stiller, wenn sie gemeinsam essen gingen und wirkte auch am Arbeitsplatz weniger im Einklang mit sich und der Welt. Einmal, erinnerte sich Tristan, hatte er nach einem Telefonat auf den Tisch geschlagen, Tristan mit vor Wut bebender Miene angesehen und war davongeschritten. Dies war ausgesprochen ungewöhnlich gewesen und entsprach keinesfalls jenem Marcus, den Tristan kannte. Einige Wochen später hörte er zufällig, wie Marcus seine Frau am Telefon verabschiedete. Tristan hatte aufgehorcht, da die Stimme seines Freundes merkwürdig gereizt wirkte, dazu so dunkel wie verrostetes Blech, auf das jemand schlug. Drei Monate darauf bat Marcus Tristan schließlich darum, nur zu zweit essenzugehen. Tristan stimmte zu - er selbst wollte hören, was seinen Freund so sehr bedrückte und ihm diese tiefen Ringe unter die Augen getrieben hatte.

„Es ist aus”, sagte Marcus nach einer Weile, in der sie ganz still gewesen waren, "Amy und ich nehmen eine Auszeit, aber ich glaube nicht daran, dass wir jemals wieder zusammenfinden."

Tristan war erschrocken und von dieser unglücklichen Wendung im Leben seines Freundes zutiefst erschüttert.

„Sie hat sich so sehr verändert, Tristan. Früher hat Freiheit und gegenseitiges Vertrauen unsere Liebe geprägt, jetzt aber kann ich keinen Schritt mehr tun, ohne dass Amy mich kontrolliert. Es ist vorbei."

Dass es ihm leid täte, hatte Tristan gesagt. Er könne zwar nicht glauben, dass dies nun wirklich das Ende sei, aber er sehe ein, dass die beiden nun etwas Abstand bräuchten.

„Ja, das tun wir. Lass uns beide heute Abend ausgehen, Tristan. Das ist es, was ich jetzt am dringensten brauche. Ich liebe dich, Mann!"

Mit diesen Worten war er Tristan um den Hals gefallen.

Tristan war mit seiner Rasur fertig. Er legte noch etwas Eau de Toilette auf und sah sich nach Sam um. Mit gekreuzten Armen stand sie da, während sie ihn mit träumerischen Augen anblickte.

„Lass uns aufbrechen”, sagte er, warf sich das Sakko um und ergriff die Schlüssel.


„Tristan!" Marcus stand auf und kam mit geöffneten Armen einige Schritte auf ihn zu.

Tristan trat zu ihm hin und drückte fest die Hand seines Freundes.

„Wo ist denn die hübsche Rothaarige hin?", fragte dieser mit einem lakonischen Lächeln.

„Ich hab sie zu Hause abgesetzt, sie hatte keinen Hunger."

Sie setzten sich. Marcus strahlte.

„Du weißt, Cirrus war nicht sehr glücklich darüber, dass du ihm die Frau ausgespannt hast. Sie war es, die ihm aufgefallen war und wegen der wir die drei Damen überhaupt eingeladen hatten.”

„Das tut mir leid, ist er sehr wütend?” Tristan legte sein Sakko über den Stuhl.

„Ich weiß nicht, aber richtige Wut kann es nicht sein, dafür ist er viel zu vernarrt in die Idee, dich zu zeichnen.”

„Komm schon”, Tristan machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte sich, “fang nicht schon wieder damit an.”

„Willst Du mir nichts von ihr erzählen?”, fragte Marcus, „Wie ist sie? Für einen Augenblick hatte ich geglaubt, ihr würdet ein schönes Paar abgeben.”

„Ach, Marcus”, seufzte Tristan und fuhr sich mit der Hand über das rechte Auge. „Es gibt nichts zu erzählen. Was sollte es auch zu erzählen geben? Sie ist hübsch, nichts weiter. Ich konnte kaum drei Minuten mit ihr sprechen, ohne mich zu langweilen.”

„Und deshalb musstest du sie küssen.” Marcus lachte. „Du hast sie geküsst, damit sie aufhört, dich zu langweilen. Das ist es, was ich so sehr an dir liebe!”

Marcus hob die Arme und räkelte sich mit einem sichtlich amüsierten Ausdruck in den Augen. Dann gähnte er und fuhr mit seiner dunklen Bärenstimme fort: „Die Frau, Tristan, die dein Herz erobern wird, muss erst noch geboren werden!”

Unwillkürlich gähnte auch Tristan, griff nach der Karte und sagte: „Wie auch immer, ich denke, ich nehme einen großen Salat und ein Jägerschnitzel. Und du?”

Sie gaben ihre Bestellung auf, und Marcus begann von dem Zusammentreffen mit seiner Frau zu erzählen. Er hatte das Mädchen von gestern nicht mit nach Hause genommen und war damit der Einzige gewesen. Er war frühmorgens aufgestanden und hatte seinen Geländewagen genommen, um hinaus zu seiner Familie zu fahren, die in der Vorstadt wohnte. Amy und er täuschten den Kindern weiterhin vor, dass Papa nur vorübergehend ausgezogen war. Doch es schien immer offensichtlicher zu werden, dass dies nur eine Illusion war, die jeden Moment zu zerplatzen drohte. Amy hatte ihren Mann in der Küche zischend zurechtgewiesen, als sie erfahren hatte, dass er gestern ausgegangen war. Sie selbst hatte nach der Trennung nicht damit begonnen, sich wieder in das Nachtleben Londons zu mischen, sondern widmete sich stattdessen umso stärker ihren Kindern. Sie machte sich Vorwürfe, dass ihre Kinder nun dasselbe Schicksal ereilte wie es für den Großteil ihrer Mitschüler galt, und schien darum umso aufopfernder. Und doch konnte sie ganz allein ihren Kindern nicht das Zuhause bieten, das eine intakte Familie zu schaffen imstande war. Je mehr sie dies begriff und in den großen Augen ihrer Kinder die stumme Frage nach ihrem Vater las, umso verbitterter wurde sie. Dass Marcus nun wieder ausging, als wäre nie etwas geschehen, machte sie rasend. Sie hatte ihre Wut am Frühstückstisch vor ihren Kindern nur schwer verbergen können. Jetzt erst bemerkte Tristan den sorgenvollen Schatten in Marcus’ Gesicht, und er wechselte augenblicklich das Thema.

„Die Frau, die ich getroffen habe, bevor ich zu euch an den Tisch zurückgekehrt bin, hast du sie gesehen?“

„Ja”, Marcus schien dankbar dafür, dass Tristan die Dämonen seines Lebens vertrieb, „sie war entzückend.“

„Nicht wahr?“ Tristan hob eindringlich die Hände. „Ich bin schon nach dem ersten Blick wie verzaubert gewesen. Es schien ganz so, als riefen mich Sirenen zu ihr. Ich konnte mich den Stimmen nicht entziehen. Dann sprach ich sie an und alles, was sie sagte, war so vollkommen richtig. Jedes Wort schien zu passen und...“ Tristan gab Marcus ein Zeichen sich vorzubeugen, „ich fühlte mich, als ob sie jeden meiner Gedanken lesen konnte.“

„Tristan!“ Marcus klatschte in die Hände, „das sind ja ganz neue Töne! Warum bist du dann überhaupt zurückgekommen?“

„Ihre Begleitung erschien irgendwann. Aber ich werde sie wiedersehen. Ich habe ihr meine Karte hinterlassen, und sie gab sie mir zurück, kurz bevor sie die Bar verließ, mit ihrer eigenen Telefonnummer darauf.“

„Na, wenn das nicht der Beginn einer märchenhaften Liebe ist...“, murmelte Marcus ironisch und rückte etwas zurück, um dem Kellner Gelegenheit zu geben, ihm den Teller mit Schweinshaxe und Kartoffelpüree hinzustellen.

„Warte nur, irgendwann finde ich die richtige Frau. Ihr werdet noch alle staunen.“

Stumm stach Marcus in seine Schweinshaxe und genoss den Duft des heißen Fleisches, der aus dem Einschnitt aufstieg.

„Was ist eigentlich Montag los, hat sich nicht jemand angesagt?“, fragte er nach einer kurzen Pause.

Tristan dachte einen Moment kauend nach, dann erinnerte er sich: „Doch, wir bekommen Besuch von den Herren, die für die Renten des Landes zuständig sind. Sie wollen ein paar Investitionen mit uns besprechen und am Abend auch noch was erleben.“

Marcus verzog die Augenbrauen, hob die Hand, in der er das Messer hielt und begann damit kleine Kreise durch die Luft zu ziehen, während er fragte: "Nein, wirklich?" Er lachte laut auf. „Oh, wie ich es liebe, jedes Mal das gleiche Schauspiel! Da kommen sie her in ihren blütenweißen Hemden, zitternd vor Vorfreude über ihren einen großen Tag. Stolz und mit den Millionen der Rentner in den Taschen, lassen sie sich von uns hofieren. Selbstverständlich geht alles auf Kosten unserer Bank, Geschäftsessen, Nachtclubbesuch und Prostituierte. Wenn die lieben Rentner doch nur wüssten, dass wir den Preis dieser sündigen Nächte mit in unser Honorar einberechnen.” Er machte eine effektvolle Pause, dann verzog er das Gesicht und rief: “Gib alles, Kätzchen, der gute Opa zahlt!"

„Hmm”, pflichtete ihm Tristan nachdenklich bei, "wie gerne man sich doch was vormacht, wenn man nicht selber zahlen muss."

„Ach, ich bitte dich. Die Herren wissen, wie es läuft, glaub mir. Aber sie verdrängen es, um ihr Gewissen rein zu halten. Können sie doch auch, die Einzelpositionen des Abends tauchen in der Rechnung, die die Bank ihnen ausstellt, schließlich niemals auf. Dort steht allein die Beratungsgebühr. - Wer führt die Herren diesmal aus?", fragte Marcus.

„George und ich”, antwortete Tristan.

„Gut, dass George dabei ist”, sagte Marcus kauend, "niemand könnte geeigneter sein. Das Geschäft ist nur sauber, wenn du es mit der Ethik nicht so ernst nimmst. Ich bin einmal mitgegangen. So einen niedrigen Auftrag haben wir noch nie erhalten. Gewissensbisse eines Einzelnen schlagen sofort auf die allgemeine Stimmung. Es ist wie ein Pakt, in dem sich alle voll und ganz gehen lassen und alle Grenzen fallen müssen. Jemand mit Grenzen verdirbt gleich das ganze Spiel."

„Was hast du gemacht?"

„Ich konnte Amy nicht betrügen, selbst wenn es damals schon richtig schlecht lief zwischen uns. Ich bin mit zwei Mädchen an der Bar geblieben, während die anderen mit ihren Damen hochgegangen sind. Die beiden waren schrecklich enttäuscht. Ich hab den zwei Dingern alles ausgegeben, was sie wollten und ihnen von meinen Problemen zu Hause erzählt. Sie waren wirklich einfühlsam und die Ratschläge der einen waren besser als die meines Psychotherapeuten. Wenn du also mal Probleme haben solltest, geh nicht zum Paartherapeuten, sondern in den Puff. Nur zum Reden natürlich, sonst kannst du dir direkt die Kugel geben. Schlaf niemals mit deinem Psychiater."

Marcus machte eine Pause, in der er sich mit dem Messer etwas Sauerkraut auf die Gabel schob. Kauend fuhr er fort: „Als die anderen wieder zurückkamen, war ich so betrunken, dass ich mir am nächsten Tag eine Ermahnung vom Boss anhören musste.” Marcus lächelte etwas säuerlich. „Er erklärte, dass mein Verhalten untragbar gewesen wäre!"

Sie lachten ausgelassen und gaben dem Kellner ein Handzeichen, noch zwei Bier an ihren Tisch zu bringen. Das Lokal füllte sich nun, als mehr und mehr Londoner zum Mittagessen eintrafen.

„Und du, wie sieht es mit dir aus? Du gehst doch öfter mit. Das erste Mal, kurz nachdem wir beide bei der Bank angefangen haben."

„Ja, der Boss bat mich, einen älteren Kollegen zu begleiten, um der Gruppe das jugendliche Flair zu geben, das man benötigt, damit sich alle in der Gruppe jung fühlen können."

Tristan nahm das Glas Bier auf, das ihm der Ober soeben hingestellt hatte, und tat einen tiefen Schluck. Marcus musterte ihn aufmerksam, bis endlich Tristan fortfuhr: „Ich war mir natürlich darüber bewusst, dass ich es mir als junger Analyst nicht leisten konnte, den Pakt der alten Herren zu brechen. Deshalb habe ich mir ein Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel in die Tasche gesteckt und es, als ich mit der Prostituierten auf ihrem Zimmer war, vorgeholt. Ich versprach ihr, meine Firma werde ihr anderthalb Stunden mit allen Extras bezahlen, aber wir sollten, anstatt dieses Vergnügen tatsächlich gemeinsam zu begehen, lieber das Spiel spielen. Sie lachte wie ein Kind und bestellte Champagner aufs Zimmer und Früchte, um die wir spielen wollten. Während des Spiels erzählte sie mir dann von sich. Sie sei Studentin und finanziere sich hierdurch das Studium der Sozialwissenschaften. Als wir fertig waren, ging ich runter. Der Alte betrachtete mit gespieltem Erstaunen meine Rechnung, und die anderen klopften mir schwer auf die Schultern. Es ist wirklich ein armseliges Schauspiel, du hast vollkommen recht, aber es gehört nun mal zu unserem Job, und deshalb gehe ich regelmäßig mit”, schloss Tristan und griff erneut nach seinem Bier, während Marcus geräuschlos in sich hineinlachte. Dabei enthüllte sein Gesicht, ausgehend von den Augenwinkeln, eine Vielzahl kleiner Fältchen, die teilweise zu seinen dunkelblonden Augenbrauen emporstrebten, teilweise aber auch in einem kleinen Bogen über den Ansatz seiner Wangenknochen liefen. Der Anblick des strahlenden Lächelns, das aus dem mondförmig geöffneten Mund heraustrat, wirkte ansteckend auf Tristan, der ebenfalls über das ganze Gesicht lächelte.

„Mensch-Ärgere-Dich-Nicht? Mein Gott, Tristan, du bist unfassbar!” Und endlich brach das Lachen aus ihm heraus, in das Tristan mit einfiel und das durch den ganzen Raum und selbst bis in die Küche drang, wo sich die zwei dicken deutschen Köche mächtig über den Lärm in der Gaststube zu wundern begannen.

Tristan

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