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1. Einleitung

Richard Wagner – ein Name, der aus der Musik- und Kulturlandschaft wohl kaum wegzudenken ist. Allein die Bayreuther Festspiele, dieses weltweit einzigartige Festival rund um seine Person und seine Musik, haben den Namen Wagner bis heute international fest in der kulturellen Gesellschaft verankert. Doch nicht nur damit hat Richard Wagner seine Fußspuren hinterlassen. Er beeinflusste auch die Entwicklung der Musik und sowohl seine theoretischen und philosophischen Schriften als auch die von ihm komponierten Werke, wirkten eindrucksvoll auf die Gesellschaft seiner Zeit. Bis heute polarisiert sein musikdramatisches Werk, welches gleichzeitig ohne Frage sicher im Kanon der rezenten Opernlandschaft verwurzelt ist.

Wagner wurde am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren. Zu dieser Zeit hatte die zurückliegende Aufklärung das Denken vieler Menschen verändert und innerhalb der Gesellschaft rumorte es. Es war »eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche […], die von zahlreichen, teils hitzigen Debatten über das Geschlechterverhältnis und über den Platz, den Männer und Frauen in der Gesellschaft einnehmen sollen, begleitet war.«1 Über 200 Jahre später hat diese Debatte scheinbar keineswegs an Aktualität verloren. Im Jahr 2021 sind Schlagworte wie Frauenquote oder Gendergap fester Bestandteil der Medienlandschaft. Das Gegenüber und Miteinander von Frau und Mann muss für die Menschen demnach eine geladene und ergiebige Materie sein, die seinerzeit auch Richard Wagner in ihren Bann zog. Dies zeigt uns sein unablässiges Aufgreifen der binären Pole in seinen musikalischen Werken ebenso wie in seinen Schriften. Constantin Floros erläutert in Bezug auf Richard Wagner: »Sein Leben lang trachtete er danach, das Wesen des Männlichen und Weiblichen zu ergründen.«2

Wagner interessierte sich sehr für das Konstrukt der »Geschlechtsliebe«,3 so nannte man im 19. Jahrhundert »die Liebe zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts«.4 Sein besonderes Interesse galt jedoch »dem Weiblichen«. Frauen hatten auf ihn eine bemerkenswerte Wirkung. Eva Rieger erklärt die Auseinandersetzung mit der Frau sogar zu Wagners indirektem Kernthema: »Wagners großes Thema ist und bleibt die Liebe, das Mysterium der erotischen und mütterlichen Faszination und damit die Frau.«5

Zahlreiche Belege in Wagners gesamtem Werk zeigen deutlich, dass ihn die Liebe und die Beziehung zwischen Mann und Frau fortwährend umgetrieben haben. »Das Weibliche« bekommt durch Aussagen und schriftliche Zeugnisse jedoch eine exponierte Stellung zugewiesen. Zu nennen sind hier beispielsweise die von Wagner begonnenen Aufsätze Über das Männliche u. Weibliche in Kultur u. Kunst (1882) oder Über das Weibliche im Menschlichen (1883). Besonders ins Auge sticht die zweite der Schriften, denn während Richard Wagner in Venedig seine Gedanken über das Weibliche im Menschlichen zu Papier brachte, erlitt er einen Herzanfall.6 Diesem erlag er in den Armen seiner Frau Cosima, nachdem er sich mit ihr wegen des bevorstehenden Besuchs der Sängerin Carrie Pringle gestritten hatte, welche er sehr verehrte. Man könnte also sagen, dass Wagner selbst bei seinem Ableben vom weiblichen Geschlecht umschwirrt wurde, und das sowohl geistig als auch physisch. Dass Wagners intellektuelle und reale Auseinandersetzung mit »dem Weiblichen« jedoch der Grund für seinen Herzanfall war, kann nicht mehr als Spekulation bleiben. Immerhin hatte er zuvor bereits mehrere Herzattacken.7 Es kann jedoch festgestellt werden, dass sich Richard Wagner in etlichen Aussagen »zur Charakteristik des ›Weibes‹«8 geäußert hat.

Richard Wagner wollte, dass man ihn und sein Werk vollständig versteht.9 Da er sich intensiv mit der Bedeutung von Liebe und Weiblichkeit auseinandersetzte, muss man folglich auch diese Thematik beleuchten, um ein vollständige(re)s Verständnis von Wagner zu erlangen. Dies ist jedoch keine brandneue Erkenntnis. Mit der Veröffentlichung seiner Abhandlungen und Aussagen über das weibliche Geschlecht und das Miteinander von Frau und Mann, brachte Wagner diesen Stein zu Lebzeiten bereits selbst ins Rollen und errichtete eine Plattform für die zugehörige Diskussion.10 Hinzu kommen Wagners vielseitige Verbindungen zu etlichen Zeitgenossinnen als beliebtes Gesprächsthema. Es mag sein, dass diese Diskussion aus verschiedenen Gründen immer wieder leiser oder gar unterbrochen wurde, versiegt ist sie jedoch nie. Das zeigen entsprechende Publikationen aus verschiedenen Jahren seit Wagners Ableben bis heute.11

Mindestens seit den 1970er-Jahren scheint der Faden rund um das Thema nicht abgerissen zu sein. Zu dieser Zeit setzte sich die feministische Bewegung mit vermeintlich frauenfeindlicher Kunst auseinander und für einige galt Wagner damals als »der Schlimmste von allen«.12 Ab den 1990er-Jahren fand dann auch die Genderforschung Einzug in die Musikwissenschaften,13 wodurch Wagner und seine Beziehung zur Weiblichkeit früher oder später aufgegriffen werden mussten. Doch die Frage ist: Wie nähert man sich der Thematik? Constantin Floros schreibt 2003: »Wagners Ansichten über die Stellung der Frau wurden in der Forschung kontrovers interpretiert.«14 Pia Janke beklagt jedoch zeitgleich, dass bis zum Jahrtausendwechsel beispielsweise noch keine richtungsgebende Methodik für eine Frauenbildforschung im Kontext Oper gefunden oder etabliert wurde.15 Und auch noch mehr als zehn Jahre später stellt Melanie Unseld fest, »dass das permanente Nachdenken über diese Themen auch auf Unklarheiten schließen lässt.«16 Das alles wird deutlich, wenn man einen Blick auf bereits vorhandene Literatur wirft. Etliches scheint bereits behandelt, analysiert oder reflektiert worden zu sein. Dabei werden allerdings immerzu auch scheinbare Aporemata zurückgelassen oder aber neue aufgedeckt.17 Ohne Zweifel besteht diesbezüglich auch ein Zusammenhang mit der stetig voranschreitenden Diskussion in Gesellschaft und Wissenschaft hinsichtlich des Themenkomplexes Mann und Frau oder Gender, welche noch lange nicht abgeschlossen zu sein scheint.

Gerade die Auseinandersetzung mit Wagners Frauenbild stellt eine große Herausforderung dar, denn dieser war nicht bloß Komponist. Er war Komponist, Theoretiker und Philosoph. Darüber hinaus bezeichnet ihn Hans Hübner als einen »in der Philosophiegeschichte versierte[n] Historiker«18 und sogar als Theologen.19 Man könnte schon sagen: Wagner war und ist eine Institution. Und über diese gibt es bereits unzählige Publikationen, welche die verschiedensten Aspekte und Ebenen des vielschichtigen Konstrukts Richard Wagner behandeln. Hinzu kommen die umfangreichen Schriften aus Wagners eigener Feder und natürlich seine musikalischen Kompositionen, von denen man ebenfalls nicht behaupten kann, dass sie gehaltlos oder schmalspurig ausfallen würden.

Wenn es explizit um Richard Wagner und »das Weibliche« geht, dann scheint es besonders schwierig, einen Fokus zu setzen. Eva Rieger betont zu Recht, dass man Wagners Musik nicht außen vor lassen kann. Im musikalischen Ausdruck besteht die Möglichkeit zwischen den Zeilen zu schreiben und Rieger sieht bei Wagner die besondere »Fähigkeit, körperliche und psychische Phänomene musikalisch umzusetzen.«20 Auch die Schriften Wagners müssen Beachtung finden, denn in Bezug auf die Thematik von Liebe und Weiblichkeit zeigt sich Wagner auch als »Künstler im Gewande des Theoretikers«.21 Auf der Opernbühne folgt durch die musikalisch-künstlerische Umsetzung schließlich die Synthese. Dabei nehmen Frauen die von Wagner konstruierten Rollen ein und stellen diese, gemeinsam mit ihnen gegenüberstehenden Männern, auf der Bühne dar. Und das alles kann dann wiederum mit seinem vollen Potential auf das Publikum wirken.22 Man kann sich also vielem zuwenden: Der bestehenden Literatur und den aktuellen Erkenntnissen und Thesen der Musikwissenschaft, der musikalischen Analyse, der Analyse der Primärquellen, der Wirkung auf das Publikum, den Interpretationen verschiedener Künstler et cetera. Zudem besteht im Kontext der Thematik die Gefahr, der Subjektivität oder der Spekulation zu verfallen.23 Es gilt hier also, vor der intensiven inhaltlichen Zuwendung zur Thematik, einen Fokus sowie angemessene Grenzen zu setzen, um wirklich aussagekräftige und inhaltsträchtige Erkenntnisse zu erlangen.

Die vorliegende Schrift setzt sich zum Ziel, die Interdependenzen zwischen Philosophie, Leben und frühem Werk hinsichtlich Richard Wagners Weiblichkeitskonzepten aufzuzeigen. Zu den frühen Werken zählen hierbei Wagners Opern, die vor 1850 vollendet wurden. Es soll von vorneherein angemerkt sein: Um ein Verständnis von Wagners Frauenbild und Weiblichkeitsphilosophie erhalten zu können, ist eine Betrachtung des Werks nach 1850 unerlässlich. Erst dann haben Wagners philosophische Ideen vermutlich ihren vollen Ausdruck gefunden. Bisher vorhandene Literatur zu der Thematik setzt sich womöglich aus diesem Grund vorrangig mit dem späteren Werk Wagners auseinander. Jedoch lohnt auch eine Betrachtung der Anfänge und Ursprünge. Dieser allein sollte man jedoch keine Vollständigkeit und Gesamtheit abverlangen. Dazu ist in den späteren Lebensjahren Wagners sowohl kompositorisch als auch persönlich zu viel geschehen. Andererseits stellt sich die Frage, wann man überhaupt behaupten kann, das Gesamtkunstwerk Richard Wagner vollständig und umfassend durchdrungen zu haben. Man kann sich ihm annähern, seine Worte und Töne nachvollziehen und interpretieren. Das Konstrukt Wagner wird für uns zu einem gewissen Teil jedoch immer ein Enigma bleiben und darüber kann und versucht sich diese Schrift nicht hinwegzusetzen. Dennoch soll ein Versuch gewagt werden, einen Bereich Wagners zu beleuchten, auf den die Scheinwerfer eher selten gerichtet werden. Die Betrachtung von Weiblichkeitskonzept und -philosophie in Wagners frühen Jahren soll zur Erweiterung des Verständnisses seiner bemerkenswert besonderen Person und des dazugehörigen Werks beitragen. Die Relevanz dessen wird beispielsweise von Eva Rieger unterstrichen, wenn sie sagt: Wagners »Verhältnis zum anderen Geschlecht […] soll eine Facette zu dem Bild seiner Gesamtpersönlichkeit und zum Verständnis seiner Musik liefern«24 und »das wagnersche Werk kann sich nur vor Verkrustung schützen, wenn es sich der lebendigen Auseinandersetzung stellt.«25 Zu dieser Auseinandersetzung soll die vorliegende Schrift einen Beitrag leisten.

Notes

1 Kordula Knaus, »Mythos Weib«. Diskurse, Kontexte und narrative Funktionen in Richard Wagners Schriften, in: Wagner – Gender – Mythen, hrsg. von Christine Fornoff und Melanie Unseld (Wagner in der Diskussion Band 13), Würzburg: Königshausen & Neumann 2015, S. 41.

2 Constantin Floros, Frauengestalten bei Richard Wagner, in: Frauengestalten in der Oper des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Carmen Ottner, Wien u.a.: Dolbinger 2003, S. 48.

3 Vgl. Astrid Heep, Die Geschlechtsliebe im 19. Jahrhundert. Die Frau, die nicht Frau sein durfte, Nordstedt: Books on Demand 2016, S. 74.

4 Ebd., S. 7.

5 Eva Rieger, Leuchtende Liebe, lachender Tod. Richard Wagners Bild der Frau im Spiegel seiner Musik, Düsseldorf: Artemis & Winkler 2009, S. 9.

6 Vgl. Sven Friedrich, Gibt es eine ›Philosophie des Weiblichen‹ bei Wagner?, in: »Das Weib der Zukunft«. Frauengestalten und Frauenstimmen bei Richard Wagner, hrsg. von Susanne Vill, Stuttgart u.a.: Verlag J. B. Metzler 2000, S. 53.

7 Vgl. Sven Friedrich, Art. Wagner, in: MGG, Personenteil Band 17: Vin – Z, hrsg. von Ludwig Finscher, 2. bearbeitete Ausgabe, Kassel u.a.: Bärenreiter und Metzler 2007, Sp. 304.

8 Melanie Unseld, »Man töte dieses Weib«. Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende, Stuttgart u.a.: Verlag J. B. Metzler, 2001, S. 83.

9 Vgl. Rieger, Leuchtende Liebe, lachender Tod, S. 11.

10 Vgl. Unseld, »Man töte dieses Weib«, S. 83.

11 Vgl. Melanie Unseld, Wagner – Gender – Mythen. Eine Einleitung, in: Wagner – Gender – Mythen, hrsg. von Christine Fornoff und Melanie Unseld (Wagner in der Diskussion Band 13), Würzburg: Königshausen & Neumann 2015, S. 13.

12 Rieger, Leuchtende Liebe, lachender Tod, S. 8.

13 Vgl. Unseld, Wagner – Gender – Mythen. Eine Einleitung, S. 14.

14 Floros, Frauengestalten bei Richard Wagner, S. 49.

15 Vgl. Carmen Ottner (Hrsg.), Frauengestalten in der Oper des 19. und 20. Jahrhunderts, Wien u.a.: Dolbinger 2003, S. 293.

16 Unseld, Wagner – Gender – Mythen. Eine Einleitung, S. 23.

17 Diese Schrift soll nicht als anmaßende Kritik an vorhergehender Literatur verstanden werden und ist nicht losgelöst von den genannten Problemen. Ziel ist der Versuch Brücken zu bauen, Lücken zu schmälern und die Farbpalette der bestehenden Diskussion zu erweitern. Vorausgegangene Arbeiten betrachte ich voller Respekt und Anerkennung.

18 Hans Hübner, Erlösung bei Richard Wagner und im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn: Neukirchner Verlagshaus 2008, S. 2.

19 Vgl. ebd.

20 Rieger, Leuchtende Liebe, lachender Tod, S. 12.

21 Friedrich, Gibt es eine ›Philosophie des Weiblichen‹ bei Wagner?, S. 49.

22 Vgl. Unseld, Wagner – Gender – Mythen. Eine Einleitung, S. 16.

23 Vgl. Friedrich, Gibt es eine ›Philosophie des Weiblichen‹ bei Wagner?, S. 46–47.

24 Eva Rieger, Frau, Musik und Männerherrschaft: zum Ausschluß der Frau aus der deutschen Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Musikausübung, 2. Aufl., Kassel: Furore-Verlag 1988, S. 151.

25 Rieger, Leuchtende Liebe, lachender Tod, S. 14.

Richard Wagner und »das Weibliche«

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