Читать книгу Richard Wagner und »das Weibliche« - Paul Simon Kranz - Страница 9
Оглавление2. Zeitgeschichtliche Hintergründe
Zu Beginn muss die Kritik aufgegriffen werden, dass der historische und zeitgeschichtliche Hintergrund oft vernachlässigt würde, wenn die Verbindung von Wagner und Weiblichkeit untersucht wird.26 Aufgrund dieser nachvollziehbaren Kritik soll zumindest ein kurzer Blick auf die historischen Umstände geworfen werden. Sinnvoll ist hier die Betrachtung des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhundert: Wenn man vom Menschen sprach, meinte man eigentlich den Mann.27 Das Weib28 war nur »als Gegenstück – oder möglicherweise gar Antagonismus – zum Männlichen«29 zu verstehen. Um die traditionelle patriarchale Ordnung zu rechtfertigen und zu erhalten, begründeten etwa Darwin oder Haeckel »die Unterlegenheit der Frau biologisch und somit als natürlich«.30 Der überwiegende Teil der Frauen zu dieser Zeit muss demnach als Beiwerk ihrer Männer gegolten und unter Repressionen gelitten haben. Neben den binären Geschlechtern weiblich und männlich waren diverse Geschlechtsidentitäten nicht gesellschaftsfähig. Homosexualität zwischen Männern wurde als Entartung und Zerfall des Menschen betrachtet und das Vorhandensein einer selbstständigen Sexualität der Frau wurde meist per se abgestritten.31 Große Denker der Aufklärung wie Kant, Rousseau oder Humboldt charakterisierten den Mann edel, aktiv und stark und sahen die Frau als passiv, schwach und wie gemacht für die Unterwerfung an.32 Gleichzeitig wurde im Zuge der Aufklärung die bisher etablierte hierarchische und patriarchalische Geschlechterordnung erstmals in Frage gestellt.33 Die Französische Revolution leistete dazu ihren Beitrag, denn eine ihrer zentralen Ideen war die Gleichheit aller Menschen und zwar geschlechtsübergreifend.34
Das Miteinander der Geschlechter beschäftigte die Menschen zu dieser Zeit offensichtlich sehr. Das wird auch daran deutlich, dass sich die großen deutschen Köpfe der Zeit wie Lessing, Goethe oder Schiller ausgiebig mit der Geschlechtsliebe und den Geschlechterverhältnissen auseinandersetzten.35 Als Richard Wagner 1813 geboren wurde, war die Debatte um die Geschlechterrollen nach wie vor sehr erregt und in vollem Gange.36 Wirft man einen Blick auf die Welt des Musiktheaters zur gleichen Zeit, so war die Oper gewissermaßen »befreit«. Sie wurde nicht mehr von Auftragsarbeiten dominiert, die dazu dienten, die bestehenden Gesellschaftszustände zu untermauern und diesen zu huldigen.37
Trieb die historische Ausgangssituation den Komponisten förmlich in die Arme der Thematik rund um Weiblichkeit, Liebe und Geschlechter? So oder so scheint die Kenntnis über Wagners Ausgangssituation für alle nachfolgenden Überlegungen sehr hilfreich zu sein und sollte beim Lesen dieser Schrift stets im Hinterkopf behalten werden. Es ist wohl kaum streitbar, dass die gesellschaftliche Situation einen nicht zu vernachlässigenden Teil zu Wagners Sozialisation und zu seinem Denken beitrug. Folglich wundert es nicht, dass sich Wagner in die Reihe der großen Denker einordnete, welche sich mit Liebe und Geschlechtern auseinandersetzten. Dass die Gründe dafür im Gesamten jedoch mannigfaltiger und vielschichtiger waren, wird sich im Folgenden zeigen.
Notes
26 Vgl. Friedrich, Gibt es eine ,Philosophie des Weiblichen‘ bei Wagner?, S. 47.
27 Vgl. ebd., S. 44.
28 Das Wort Weib ist inzwischen veraltet und wird heute eher abfällig verwendet. In dieser Schrift wird der Begriff im Kontext dennoch häufig gebraucht. Wenn es jedoch nicht bewusst provokativ genutzt wird, ist es hier niemals herabwürdigend gemeint.
29 Friedrich, Gibt es eine ›Philosophie des Weiblichen‹ bei Wagner?, S. 44.
30 Ebd., S. 45.
31 Vgl. Rieger, Leuchtende Liebe, lachender Tod, S. 26.
32 Vgl. Knaus, »Mythos Weib«, S. 41.
33 Vgl. Friedrich, Gibt es eine ›Philosophie des Weiblichen‹ bei Wagner?, S. 44.
34 Vgl. Knaus, »Mythos Weib«, S. 41f.
35 Vgl. Heep, Die Geschlechtsliebe im 19. Jahrhundert, S. 18–26.
36 Vgl. Knaus, »Mythos Weib«, S. 41.
37 Vgl. Axel Brüggemann, Wagners Welt oder Wie Deutschland zur Oper wurde, Kassel: Bärenreiter-Verlag 2006, S. 47.