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(1) Das Wunder in der Fürther Straße

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Ein Liebesroman, humorig oder nicht, sollte mit einer lieben Geschichte beginnen...

Es gibt so viele Wunder auf dieser Welt. Es kommt nur darauf an, sie zu sehen.

Es war wie an dem Tag, als ich mit Ohrhörer und einem Musikplayer spazieren gegangen war und dann kam mir eine Frau entgegen, und sie hatte auch Kopfhörer in den Ohren. Und dann auf einmal fängt sie halblaut an, ein Lied zu singen, dass ich auch gehört habe. Und zwar genau an der gleichen Stelle. Ich stutzte und blieb stehen und hörte genau hin. Und sie blieb auch stehen und sah mich an und sie lächelte, nein, nicht einfach lächeln, sie schenkte mir das umwerfendste Lächeln des noch jungen Jahres im Singen und ging hoch, weil sie offenbar vor ihrer Haustür angekommen war und ging hoch und für mich ist das wie ein Wunder. Ich habe mich nicht getraut, sie anzusprechen, war sowieso auf dem Weg in ein schnuckliges kleines Restaurant.

Was diese Begebenheit angeht, so wird sich sicher einer finden der sagt, das ist kein Wunder. Ich hatte nämlich einen Radioempfangsgerät und sie vielleicht auch hörte den gleichen Sender wie die Frau, die gesungen hat. Aber für mich ist das ein Wunder.

In dieses Restaurant kam ich immer von meiner Arbeit bei der Programmierung. Was ist öder, als die Steuererklärung zu machen? Nun? Es ist die Programmierung für die Steuererklärung! Das ist mein Job. Ich programmiere Computer für Steuersoftware. Den ganzen Tag habe ich dieses Logo der Firma vor mir. Und ich kann es nicht mehr sehen.

Wenn ich einen Job in der Schreibgeräteindustrie hätte! Ein Freund entwickelt da Schreibgeräte. Das wäre mal ein interessanter Job, Schreibgeräte zu entwickeln für Liebende, die sich Briefe schreiben. Oder wenn ich Kindersitz-Verkäufer wäre. Kinder in die Sitze heben und sehen, wie sie sich freuen, wenn der Sitz passt. Aber stattdessen habe ich Nachkommastellenprobleme für die Steuererklärung.

Und nach der Arbeit noch was essen, ich wollte besser essen als nur einen Döner. Und so landete ich immer in dieser Kneipe, jeden Mittwoch.

Mittwoch ist Mitte der Woche, da kriege ich immer meine Angst vor einem weiteren Wochenende ohne eine Freundin. Ein Gefühl, als würde man mit einem Billigticket in eine fremde Kleinstadt gefahren ist, nur um umzusteigen. Und dann steht man alleine am Bahnhof und muss eine Stunde warten und man wird das Gefühl nicht los, wenn jetzt etwas Dummes passiert, hocke ich hier mitten im Nirgendwo und komme die nächsten sieben Jahre nicht mehr fort. Dieses Mittwoch-Gefühl ist der Grund, warum die Leute ausgehungert am Donnerstag schon wie die Wilden herum baggern.

Mittwoch, das ist aber auch der Tag vor dem Donnerstag, und Donnerstag kommen die neuen Filme ins Kino. Also kommt noch die Angst dazu, dass der Film vielleicht abgesetzt wird, den man unbedingt noch sehen wollte. Diese Kombination habe ich dann gemacht, der „schlechter Film“-Mittwoch wird zum Film-Mittwoch.

Kino. Kino, das sind große Bilder, große Emotionen, ganz große Entscheidungen. Kino ist „Casablanca“, King Kong oder Hannibal Lecter oder der ultimative Kuss im Regen am Ende einer Liebeskomödie. Der Siegeszug des Kinos, der Filme allgemein, hat meiner Meinung nach seinen Grund im Siegeszug des Fließbands. Öde Arbeit gegen Unterhaltsamkeit.

Nach dem Essen also ins Kino, und da sah ich sie. An der Schlange vor der Kasse hätte ich sie dann ansprechen können, habe ich aber nicht. Ich sah immer nur ihren Nacken. Hab sie dann verloren und bin ins Kino rein. Und freute mich auf den Film und das große Sich-Verlieren in der Spannung, und das alles passiert, wenn es dunkel wird. Und da sah ich sie wieder. Ich konnte nur ihren wunderschönen Nacken betrachten. In der Reihe vor mir hatte ein Pärchen angefangen zu fummeln. Naja, und diese aufgeheizte Situation rechts vorne und sie links davon, ich wurde fast wahnsinnig.

Den Nacken betrachten, das ist das Symbol für den Schüchternen. Der sich nicht traut, vor die Frau zu treten, ihr ins Gesicht zu sehen. Nacken betrachten ist der Blick des Feiglings. Aber nicht nur. Denn mit das Schönste am Nackenblick ist der, dass er unverstellt ist. Die Frau verstellt sich nicht und man kann ihr Körpergefühl am Nackenblick erkennen. Sind es eher plötzliche, ungelenke Bewegungen? Oder ist da eine Feinheit, eine Zartfühligkeit, sind das gleitende Bewegungen? Wenn man den voyeuristischen Blick vertieft, ist der Nacken rasiert? Wenn sie lange Haare hat, dann kann man an der Art, wie sie ab und zu die Haare zurückwirft das Gleiche erkennen. Wie sie sich durch die Haare fährt. Oder wie sie sich das Oberteil zurechtrückt. Wie die Haltung ist, wenn sie vielleicht ihre Arme vorne verschränkt. Man erhält einen unverstellten Blick auf ihre Neugier – was erregt sie, wie reagiert sie darauf – wenn sie zur Seite schaut, weil etwas ihre Aufmerksamkeit erregt hat.

Und dann passierte das, weswegen ich eigentlich ins Kino gekommen war: der Film packte mich. Ich war wie benebelt, weil sie sich doch ebenfalls diesen Film ausgesucht hatte – und was für ein Film! Ich war gleich doppelt verliebt, in ihren Geschmack und in ihren Nacken.

Für mich war das ein Wunder, das Wunder im Kino. Ja, Zyniker werden sagen, sie haben noch ganz andere Frauen NICHT gekriegt und dass es manchmal normal ist, dass man sich in jede verliebt, die den Weg entlang kommt. Aber ich denke, das ist ein Wunder.

Ich habe, als die Lichter wieder angingen, mit dem Handy ein Foto geschossen, von ihrem Nacken. Ich entschuldige mich dafür, aber vom Nacken kann man ja kaum auf die Person schließen. Was die Pointe ist für das, was im Folgenden passieren sollte. Das habe ich dann in meiner Arbeit auf den PC hochgeladen und es immer wieder angesehen. Und dann mailt ein Kerl aus der EDV-Abteilung mein Nacken-Foto an alle im Haus, an mehr als fünftausend Mitarbeiter, mit der Frage: Wer kennt diesen Nacken?

Ich bin der Gag der Woche. Ich bin im Eimer. Ich bin inmitten eines schlechten Films und in diesem Film sagt mir King Kong, ich hätte sie mir einfach schnappen sollen und küssen. Und Bogart sagt nichts, er trinkt nur und raucht.

Und ich hasse das Rauchen, aber wann immer ich aufhören will, fragt mich Bogart, was willst du dann in diesen Situationen machen, die Gott zwischen Mann und Frau hinein GEPFROPFT hat, in denen man einfach trinken und rauchen muss – oder irgendwas.

Mist! Ich hätte damals Popcorn kaufen sollen und mich wie zufällig zu ihr setzen, ihr davon anbieten. Warum fallen einem die guten Ideen immer erst hinterher ein? Warum? Ich hätte im Büro sagen sollen, ich betrachte lieber Nacken, weil ein weibliches Gesicht nur lächelnd wirklich schön ist. Einmal Bogie sein, einmal nur schlagfertig. Einmal King Kong sein, nur einmal ein richtiger Mann.

Und dann bin ich wieder in dieses Restaurant, ich hatte mal wieder Kinoabend gemacht, und da stand sie. Sie war hier Bedienung, ich fragte, wo die andere sei und sie antwortete, sie musste einspringen. Ich war ganz begeistert, trank mehr Bier als üblich, ich wartete und es wurde später und später. Bei dem vierten Bier fiel mir auf, dass der voyeuristische Blick auf eine Bedienung ähnlich der auf dem Nacken ist. Nur mit dem Unterschied, dass die Frau im Restaurant das weiß. Der Nackenblick ist von daher unfairer. Auch weil der Blick auf die Vorderseite in ihrer Kontrolle liegt, sie kann den Anblick selber prüfen und gestalten. Der Blick auf den Rücken gar, wird von Modemachern bislang nur sehr stiefmütterlich behandelt, allenfalls ein paar T-Shirts gibt es, wie der mit der Vorderseite: „Jesus loves you“ und dann auf der Rückseite „But for everybody else you’re an asshole.“ Was den Hinterrücks-Gedanken auf die Spitze treibt. Beim fünften Bier überlegte ich mir Sprüche für T-Shirts. Vorderseite ein Bandname, vielleicht Linkin Park. Und auf der Rückseite: „That’s a band. Music, you understand?“ Oder auch Vorderseite: „Das ist die Rückseite des T-Shirts“ und die Rückseite: „Der Morgen war net so toll.“ Vielleicht noch Vorderseite: „Party hard“, Rückseite: „Morning hard“.

Oder für die Leute, die von hinten einen zuerst sehen. Rückseite: „Ich habe es mir verdient, vor dir zu sein.“ Und dann die Vorderseite: „Ich kann es mir auch leisten, dich vorzulassen.“ Oder für Frauen, Rückseite: „Erinnere dich, mir zuerst in die Augen zu sehen.“ Und dann Vorderseite: „So vergesslich?“

So verging der Abend und ich hatte etwas Beschäftigung gefunden, um nicht zu viel zu trinken. Bis wir dann alleine waren und sie legte schließlich Salsa-Musik auf und ich, heiter von dem Bier, ging mit dem Kopf immer wieder mit. Und dann lächelte sie mich an. Ich bin, einem inneren Impuls folgend, sofort aufgestanden und bin zu ihr und habe sie zum Tanz aufgefordert, ich kannte zufällig ein paar Schritte. Und da haben wir auf den kleinen paar Quadratmetern Salsa getanzt, zwei Lieder lang. Und am Ende des Salsas, ich hatte bereits gezahlt, habe ich mich bedankt und bin zur Tür hinaus nach Hause.

Und zwar ganz beglückt, denn für mich ist das ein Wunder gewesen, das Wunder in der Fürther Straße. Es wird sich sicher jemand finden, der sagt, dass die Bedienung an jenem Abend wohl einfach für den nächsten Salsa-Tanzkurstermin üben wollte und sicher ihr Tanzpartner krank war, was im Nachhinein richtig ist. Aber für mich ist das ein Wunder.

Es ist wie mit den zwei Weingläsern. Die Sache ist die, dass wenn man zwei Gläser Wein hat, einen Rotwein und einen Weißwein mit genau der gleichen Menge Inhalt. Und wenn man nun von, sagen wir, Rotwein eine bestimmte Menge, in das Weißweinglas gibt und umrührt, dann ergibt das eine bestimmte Rosemischung. Und wenn man nun von dieser Rosemischung nun genau die gleiche Menge wie zuvor in das Rotweinglas zurückkippt, dann stellt sich die Frage, von welchem Wein ist in welchem Glas mehr drin. Ist mehr Rotwein in dem Weißweinglas drin oder mehr Weißwein in dem Rotweinglas? Die Antwort ist, genau die gleiche Mischung. Es ist genauso viel Weißwein im Rotweinglas, wie Rotwein im Weißweinglas. Das ist ein Mischungsgesetz, wird einer von euch sagen. Aber für mich ist das ein Wunder.

Denn ich denke, das alles sind Wunder. Ich bin halt mehr der Typ, der sagt, das sind Wunder. Und ich denke, dass solche Wunder überall passieren und dass sie das Leben schöner machen, wenn man sie denn als solche wahrnimmt.

So habe ich Hannah kennen gelernt.

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