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(3) Dürer, die Socken und das Provinzieren

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Ich habe Hannah in einer Bar kennen gelernt. Ich hatte ein paar Ideen von T-Shirts ersonnen, die auf Vorder- und Rückseite bedruckt waren, ihr davon erzählt, und zwar bei einer After-Hour, also nach Dienstschluss. Sie war begeistert gewesen und wir verabredeten wir uns zu einem Kneipenbesuch. Und dann wollte sie, dass ich ihr ein paar Wortspiele erzähle, einfach so, aus dem Stand. Aber mir fiel keines ein. Sie war enttäuscht und als wir uns verabschiedeten, stand da immer noch etwas zwischen uns; der Funke war nicht wirklich übergesprungen. Aufgeben aber wollte ich auch nicht gleich.

Ständig schwirrte mir im Kopf herum, dass sie davon gesprochen hatte, wie sehr sie Socken mochte. Das fand ich süß. Und um sie weiter zu begeistern, insbesondere mit meiner Kreativität, beschloss ich, ihr Socken-Comics zu malen.

Da war zum Beispiel die Sportsocke, eine vitale Natur. Dann die Seidensocke, das sollte natürlich ein Mädchen sein. Daneben die modische und stilvolle Herrensocke und die Polyestersocke, die weltoffen und weitgereist sein sollte, so der Typ Bogart-Socke, auch weil sie gelegentlich zwielichtige Jobs machte. Es waren eben Socken mit Persönlichkeit. Natürlich gab es auch ein Zwillingspärchen, die Comic-Socken, die gleichsam eine innere Klammer bildeten, den Comic im Comic. Das Ganze erzählte ich am "Dürer" einer guten Bekannten.

Der "Dürer" in Nürnberg ist nicht der Albrecht-Dürer-Platz. Und warum der richtige Dürer-Platz vom Dürer-Haus nicht einsehbar ist, ist mir ein Rätsel. Der "Dürer" also war ein beliebter Treffpunkt im Sommer, oberhalb des Dürer-Hauses. Man saß da herum, trank Bier und ab und zu geschah auch etwas.

Und so geriet ich, weil ich eines Tages zu früh am "Dürer" war, zum ersten Mal ins Albrecht-Dürer-Haus. Außerdem fühlte ich mich bereit, etwas übers Zeichnen zu lernen. Wenn man unter anderem Möchtegern-Spielerfinder ist, ist das nie schlecht. Fasziniert hat mich an Dürer sofort sein verspieltes Wesen. Er neigte dazu, sehr viel in seine Werke hineinzulegen und auch von Bildwitz verstand er sehr viel. Im Bild von "Hieronymus im Gehäuse" hat er zum Beispiel seine Initialen in einen Rahmen geschrieben, der am Boden liegt. Das Bild im Rahmen des Bildes, so verstehe ich das, das war er. Oder man betrachte die Anordnung vorne, ganz rechts der zahme Löwe, daneben in fallender Bedeutung, der Hund, und links daneben noch die Hausschuhe, das Symbol der häuslichen Gemütlichkeit schlechthin.

Geknickt trat ich wieder ins Freie. Dort drinnen war so viel, und ich war so wenig dagegen. Ich trank mit der besagten Bekannten Katrin ein paar Bier. Dann trollte ich mich nach Hause. Ich hatte da auch gleich meine ersten Ideen fürs Socken-Comic. Im ersten Entwurf band sich die Sportsocke mit einer Laufmasche von ihr an den Pfosten einer Brücke und wollte Bungee-Springen. Im zweiten Bild sprang sie, stellte aber fest, dass sie logischerweise aufdröselte. Und im dritten Bild hing nur noch ein schlaffer Faden an der Brücke. Die Socke hatte sich aufgelöst.

Im zweiten Comic besuchen die edle aber etwas eingebildete Herrensocke und die Damensocke gemeinsam ein Museum, natürlich das Museum der berühmten Socken. Im ersten Bild stehen sie vor der Socke, die Edmund Hilary getragen hat, als er den Mount Everest erstmals bestiegen hat. Sie ist so plastisch abgebildet, dass man den vereisten Mief sehen kann. Das zweite Bild zeigt die Socke, die Armstrong auf dem Mond getragen hat. Sie schwebt einfach so im Raum neben den Stars-and-Stripes. Dann gehen sie zum dritten Bild. Das zeigt wiederum die erste Socke, diesmal auf dem Mars. Erst als sie direkt davor stehen, entdecken die zwei, dass es sich dabei um die Polyester-Socke handelt und sie fragen: Na, ist das jetzt dein neuer Nebenjob? Aber die Polyester-Socke verharrt schweigend in ihrer Pose. ... Macht nur "Pssst!"

Dann hatte ich die beiden Serien per Post an Hanna geschickt und auf Antwort gewartet. Derweil ging ich wieder hoch zum "Dürer", wo ich wieder meine gute Bekannte Katrin traf. Sie fand weder die Idee der Socken-Comics an sich gut, noch deren Ausführung sonderlich bemerkenswert.

Ich geriet in Zweifel. Und hatte sogleich eine neue Idee, ich sollte eine Kolumne schreiben, ich habe doch so gute Ideen. Damit würde ich mich bewerben, bei einer Zeitung.

Und so kam ich auf die Idee, die da hieß, “Die Stadt an der Nürn”. Man muss wissen, Nürnberg ist die Stadt, in der ich wohne, aber Nürn ist kein Ort hier per se. “Nürn” ist nur der eingeschliffene Name für “nor”, was “steiniger Fels” heißt. Und der Fluss heißt ganz anders, es ist die Pegnitz. Ich schrieb also die Probe-Kolumne und gab sie wieder Katrin zum Testlesen, wieder am “Dürer”. Es war ein Text, der im Grunde darum ging, dass ein Freund in der Altstadt einen Stand hatte mit Nippes, Hüte, Lederwaren, Geschenkbändschen und so Zeugs halt, für die Touristen.

Und wann immer die Touristen kamen und fragten, wie der Fluss heißt, dann sagte er immer, das sei die Nürn. Und es sei Tradition, dass man hineinspuckt und dabei sagt: “Ab nach Fürth”, denn dahin fließt die Pegnitz.

Und auch diese Idee fand Katrin nicht sonderlich.

Es folgte eine kurze Phase voller Selbstzweifel. Ich wünschte, ich wäre ein Ozean. Aber ich bin ein kleiner Tümpel, der hineingeworfene Stein beschäftigt die Oberfläche noch eine viel zu lange Weile und schlägt seine Wellen sogar in die Tiefe. Noch Tage nach einem Vorfall spiele ich die Situation durch und versuche, meine Wunden durch schlagfertige Reaktionen zu heilen, aber die Worte gesprochen vom eigenen Mund trösten nur selten. Es wurde Zeit für grundsätzliche Weichenstellungen; ich meldete mich zu einem Samstags-Ganztags-Psycho-Seminar an, es hieß: "Winde Ableiten - Wie ein Schiff vorankommt hängt nicht davon ab, wie der Wind steht, sondern wie die Segeln gesetzt sind. An einem Tag lernen mit Stresssituationen in Mehrpersonenbeziehungen umzugehen. Mit Geld-Zurück-Garantie." Ich überwies die stattliche Summe, füllte den ziemlich umfangreichen Fragebogen aus und ging eine Woche später, es war ein Samstag, hin.

Es ging zeitig los und meine Zuversicht glich einem Ozean. Der Seminarleiter mit der roten Kunststoffdesignerbrille und dem wallenden schulterlangen grauen Haar hätte ich Gartentipps genauso zugetraut wie Kernphysik, und er bewegte sich so schnell wie eine Stubenfliege, wie um ja nicht ertappt zu werden; der versteckte irgendwas.

"Kernaussage dieses Tages ist," fing er an, "Lassen Sie sich nicht provinzieren. Wenn jemand Sie irgendwie provinziert, bleiben Sie ruhig." Und er grinste breit in die Runde.

Wir, das heißt alle vier Teilnehmer und der Leiter, gingen in ein Zimmer, in dem auf dem Boden lauter Bierdosen lagen und er sagte dazu: "Das ist die Ausbeute eines Pfanddosensammlers an einem Wochenende vor einer einzigen Großraumdiscothek. Eine Pfanddose sind 25 Cent, 42 Dosen sind 10 Euro 50. Das sind 550 Euro im Jahr. Es ist kein leichtes Los, aber davon kann man auch in Urlaub fahren. So ist es mit dem Glück auch: es liegt überall und es kann ein großer Polster werden, wir müssen uns nur bücken. Ich sage Ihnen eines: Werden Sie Pfanddosensammler des Glücks! Wer glücklich ist, der lässt sich nicht so leicht provinzieren! Ich wiederhole: werden Sie Pfanddosencorrektor des Glücks!" Und wieder grinste er breit.

Es war nur ein kleiner Stein und ich zwang mich zur Ruhe und das köstliche Mittagessen glättete die Wogen. Links neben mir aß ein Managertyp mit einer teuren Uhr an der Hand und hackte Befehle in sein Blackberry, rechts saß eine Frau, die permanent mit ihrem Mann telefonierte und ihm per Handy Ortsanweisungen bezüglich seines Essens und das seiner Kleider durchgab und mit gegenüber schließlich eine kugelige Mischung aus Schnupfen und Feinmotorikstörung, den ich beinahe mit "Heh, Internet" angesprochen hätte, als ich das Salz wollte, so sehr war er der Programmierer, als der er sich vorgestellt hatte; kurz, niemand zum Reden da; nichts konnte den Abfluss aus dem Ozean stoppen.

Für den frühen Nachmittag stand ein Spiel auf dem Plan. Die Frau war schon gegangen und hatte ihr Geld mitgenommen, angeblich weil der Mann das Essen nicht aufwärmen konnte. Ich aber lachte innerlich, es war sicher der andere Grund.

Es gab einen Stab, der auf alle sechs Hände, wir waren quer gegenüber aufgestellt, unten auf den Handflächen ruhen sollte, und dabei darauf achtend, dass man immer in Kontakt zum Stab bleibt, ihn gemeinsam so hoch wie nur möglich zu heben. Innerlich betete ich darum, dass der Seminarleiter bloß nichts sagen sollte und wenn, dann aber schon gar nichts erklären, aber vergeblich. Denn die Wirkung einer solchen Aufgabe ist die, dass der Stab immer weiter sinkt und so ging es weiter:

"Wenn jeder nur versucht, die Ebene, also das NiQuh zu halten, wird es immer weiter sinken. Bleiben Sie standhaft, auf alle Fälle - und streben Sie nach Höherem! Wenn Sie jemand provinzieren will, will er sie klein halten und an ihre Grenzen führen. Er will die Befriedigung, dass Sie ausrasten. Tun Sie ihm den Gefallen nicht, bewahren Sie die Achtung vor sich selbst, den Restrikt." Und wieder grinste er breit bis über beide Ohren. Und ich spürte, wie aus dem Ozean ein Tümpel geworden war.

Der frühe Nachmittag sollte durch einen Spaziergang in der Fußgängerzone ausgefüllt werden. Der Manager war auch schon weg, ein überraschender Termin, sagte er. Ich ahnte es besser.

"Sie gehen jetzt von hier los", der Seminarleiter deutete auf einen Punkt, "und zählen ihre Schritte bis zehn. Und nach dem zehnten, also wenn elf kommt, springen Sie in die Luft und rufen so laut sie können: Kikeriki! Es wird nicht leicht, es ist wie eine rote Linie; sie macht einem Angst, aber wenn man sie erstmal durchschritten hat, werden Sie sich sagen, das war gar nicht so schwer. So ist vieles im Leben, einfach die im Geiste eingebildete, die imarginäre Grenze ohne zu Fragen durchschreiten, also parlieren und Sie werden sehen, sie war tatsächlich nie da, sie war nie rectal. Wenn Sie jemand provinzieren will, will er, dass Sie klein bleiben. Tun Sie es nicht, sie sind bereits über die rote Linie hin zum Friedlichen gegangen." Und abermals grinste er breit und nickte bedächtig dabei.

Die rote Linie zu durchschreiten war nicht schwer, allerdings rollte sich in mir ein Stein wie ein Schneeball immer größer auf und ich hatte zunehmend Schwierigkeiten, mich zu beherrschen.

Am frühen Abend stand Kartenhausbau auf dem Plan. Mit der für wirklich jedermann offensichtlich fadenscheinigen Ausrede, er müsse eine Homepage aktualisieren, war auch Internet gegangen und ich wartete darauf, dass Dr. Gartenbau-Kernphysik anfangen würde zu heulen, aber da war gar kein Unterschied zu erkennen.

"Kartenhäuser gelten als unsicher, als insteril", er begutachtete meines mit einem breiten Lächeln. "Aber wenn man die beiden gedruckten Blätter, aus denen die Karten bestehen und normalerweise geklebt sind, an den Rändern etwas auseinanderdrückt, dann stellt sich heraus, dass die Konstruktion auf einmal sehr steril sein kann und einiges aushält. Wenn eine Provinziation von oben auf das Kontrakt drückt, hält die sterile Struktur das aus."

Es reichte jetzt endgültig.

"Hören Sie mal", fing ich an, "es heißt nicht provinzieren, es heißt provozieren. Provinz ist eine Art Gebiet. Es heißt nicht correktor des Glücks sondern Kollektor. Correktor ist eine Art Verbesserer, meist irgendwas mit Schriftstücke. NiQuh gibt es nicht, es heißt Niveau, Herrgott nochmal! Restrikt ist auch falsch gibt es so gar nicht! Respekt ist das Wort, das Sie verwenden wollten! Restriktion heißt Beschränkung! Die Grenze ist nicht imarginär, wenn Sie nur im Kopf existiert, sondern imAAHginär, ohne R! Rectal verrate ich Ihnen nicht, das Treffende heißt indes REAL. Insteril heißt unsauber, wenn die Konstruktion so überhaupt richtig ist, unsicher heißt inSTAbil. Und schließlich: Kontrakt ist ein Vertrag, ein Gebilde wird auch KONSTRUKT genannt! Sie sind absolut unfähig und vor allem unfähig zu erkennen, dass alle das klar sehen können und schon gegangen sind. Wie kann es Gerechtigkeit geben auf der Welt, wenn Sie von ihrem Job Leben können?? Welche Bildung haben Sie denn überhaupt?!"

Es ist unschwer zu erkennen, dass der große Stein von meinem Herzen in den Tümpel gefallen war und alles Wasser weggespritzt hatte.

- Aber er grinste immer noch. Er ging zu seinem Bürotisch und holte einen Packen Blätter hervor, den ich als meine detaillierten Angaben erkannte.

"Ich bin Diplom-Psychologe", er lächelte. "Aber es ist irrelevant, was ich bin, sondern es ist vielmehr memorabil, was sie sind. Sie glauben, sie sind zielsicher, aber ihre Sprüche sind sehr oft nur verletzend und salopp. Sie sind nicht akkurat, sie sind einfach nur rechthaberisch und lassen sich zu leicht provozieren. Die anderen beiden Herren und die Dame waren bezahlte Schauspieler, ich mache nur Einzelberatungen! Und sie hören gar nicht richtig zu! Den ganzen Tag versuche ich Ihnen nahe zu bringen, dass sich Größe zeigen lohnt; sie aber tun die ganze Zeit nichts, als sich auf ihre kleine Insel zurückzuziehen um mir zu beweisen, dass sie besser sind. Wenn es sie denn so sehr gestört hat, warum haben sie mich nicht vorsichtig beiseite genommen und mich darauf aufmerksam gemacht? Sie sind nicht an Konflikt-LÖSUNG interessiert, sie wollen ihn um jeden Preis gewinnen; still sammeln sie Waffen und hoffen auf die günstige Gelegenheit. Und falls das nicht funktioniert, rotieren sie um ihr kleines Problemchen bis zum jüngsten Tag. Sie könnten die ganze Welt sein, statt dessen lassen sie sich im wahrsten Sinne des Wortes provinzieren, zu einem kleinen Landstrich degradieren..."

Nein, ich habe mein Geld nicht zurückverlangt. Natürlich nicht.

Ich habe die Comics Hannah gegeben und die Story von der Nürn auch. Ich hätte auf Katrin hören sollen, der Erfolg hielt sich in Grenzen. Und ich habe daraufhin die Idee mit den Socken-Comics speziell und dem Zeichnen allgemein begraben und ihnen nie mehr eine Träne nachgeweint. Dafür aber Hannah. Denn nun war der Anfangs-Schwung weg und sie hatte sich nicht verliebt.

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