Читать книгу Hoffnungsnarben - Paula Bauer - Страница 15
ОглавлениеAngststörung
Als ich mit elf Jahren an chronischen Kopfschmerzen erkrankt bin hat sich mein Leben von heute auf morgen sehr stark verändert. Ich habe mein liebstes Hobby aufgeben müssen und viel Schule verpasst. Treffen mit Freunden musste ich immer öfter aufgrund der Schmerzen absagen. Ich verbrachte viel Zeit alleine in meinem Zimmer. Durch den seltenen Kontakt mit anderen Menschen entwickelte sich eine Soziale Phobie. Ich war schon immer schüchtern, doch diese Angst vor Situationen mit anderen Menschen war nochmal etwas ganz Anderes. Ich bekam Schweißausbrüche, Herzrasen, ich zitterte und mir wurde schlecht, wenn ich ein Referat halten sollte oder im Restaurant bestellen musste. Mit der Zeit wurde auch das Bezahlen im Supermarkt zur Herausforderung. Ich zählte mein Geld panisch mehrere Male und habe es nicht einmal mehr geschafft „Hallo“ zu sagen. Ich hatte riesige Angst mich zu blamieren oder ausgelacht zu werden und fühlte mich dauerhaft beobachtet. Mit 15 Jahren bekam ich die offizielle Diagnose Soziale Phobie. In der Zwischenzeit habe ich allerdings auch noch Panikattacken entwickelt, die mich oft in der Schule böse überraschten. Dabei hyperventiliere ich, bekomme kaum noch Luft, mein Herz rast, ich schwitze sehr stark, zittere, habe Todesangst und im schlimmsten Fall sacke ich zusammen. Ich komme nur schwer wieder aus einer Panikattacke raus. Zum Glück dauert sie in den meisten Fällen nur wenige Minuten. Die Angststörung war der Hauptgrund, weshalb ich 2016 zum ersten Mal in stationäre Behandlung gegangen bin. In der Klinik konnte mir leider nicht wirklich geholfen werden und ich wurde an eine Psychiatrie verwiesen. Während meiner Zeit in der geschlossenen Psychiatrie von 2016-2017 spielte die Angststörung nur eine kleine Rolle. Dort fühlte ich mich meistens sicher und die Depression rückte in den Vordergrund. Nach meiner Entlassung hatte ich regelmäßig Panikattacken und meine Soziale Phobie war noch größer geworden. Ich entwickelte immer mehr Ängste - zum Beispiel vor dem Autofahren und der Reise in öffentlichen Verkehrsmitteln. Mit 18 Jahren wechselte ich auf die Gesamtschule, an der ich 2020 mein Abitur gemacht habe. Dort waren sowohl Lehrer als auch Mitschüler sehr verständnisvoll und taten alles dafür, dass ich mich wohlfühlte. Ich hatte zwar immer noch Panikattacken, aber keine Angst mehr vor der Schule an sich. Im Sommer 2019 bin ich dann wieder in einer psychosomatischen Klinik aufgenommen worden, um mich meinen Ängsten zu stellen. Leider war zu diesem Zeitpunkt die Depression auch wieder sehr stark, sodass im Endeffekt nur die Soziale Phobie behandelt werden konnte. Das war jedoch sehr erfolgreich! Ich machte mehrere Expositionen. Dabei begab ich mich bewusst in eine Situation, vor der ich mich fürchtete, um die Angst zu durchleben und schließlich zu merken, dass diese früher oder später von alleine nachlässt. Ich marschierte also los in den ersten Supermarkt und stellte dort einem Mitarbeiter eine Frage. Zu meiner Überraschung habe ich weder gestottert noch zu leise gesprochen. Der Mitarbeiter antwortete höflich und zeigte mir das gewollte Produkt. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, doch die Situation einmal durchzumachen ist nicht genug. Im Endeffekt war ich in vier Supermärkten und habe nur freundliche Reaktionen erlebt. Die nächste Stufe war dann das Bestellen im Restaurant, was ich auch entgegen meiner Erwartung gut gemeistert habe. Dann musste ich noch etwas machen, um alle Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich entschied mich dafür das Besteck im Speisesaal umzustoßen. Das war mir so unangenehm, dass ich fast geweint habe. Aber niemand hat einen blöden Kommentar gemacht oder mich ausgelacht, wie ich es befürchtet hatte. Die anderen Patienten haben kurz geguckt und sich dann wieder auf ihre eigene Handlung konzentriert. Und ich war unendlich erleichtert. Damit hatte ich nicht gerechnet und mir schon ausgemalt, wie alle über mich lachen und böse Witze reißen. Dieser Klinikaufenthalt hat mich wirklich weitergebracht.
Heute bin ich fast frei von der Sozialen Phobie, da ich auch nach der Klinik weiterhin fleißig geübt habe. Leider ist meine generalisierte Angststörung noch immer sehr präsent. Ich hoffe, dass ich diese in Zukunft auch noch überwinden kann.
Mein Tipp gegen die Soziale Phobie: Expositionen! Je öfter man übt, desto schneller bemerkt man Fortschritte. Was mir ebenfalls sehr geholfen hat war das soziale Kompetenztraining. Dabei wurden Rollenspiele eingesetzt, um das eigene Verhalten in bestimmten Situationen zu analysieren und zu verbessern. Es klingt komisch und ist besonders für jemanden mit einer Sozialen Phobie sehr schwierig, aber ich habe es als Chance betrachtet eine unangenehme Situation im geschützten Rahmen zu üben. Es kann wirklich das Selbstbewusstsein stärken und einen auf eine Situation, vor der man sich fürchtet, vorbereiten.